04.01.2010

Die Blicke süßer Äffchen

Analyse von Thilo Spahl

Politiker sind immer öfter bereit, die Forschungsfreiheit einem übertriebenen Tierschutz zu opfern.

„Die Stiftung ermöglicht es diesen herausragenden jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit ihrem Angebot der Lichtenberg-Professuren, dass jene sich selbst ein optimales Umfeld für ihre Forschungsarbeit verschaffen können“, erklärte Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung im Juli 2005 bei der Bekanntgabe von acht Lichtenberg-Professuren. (1) Einer von den acht war Alexander Thiele, damals Hirnforscher an der Universität in Newcastle. Für ihn sollte das „optimale Umfeld“ das Institut für Neurophysiologie an der Berliner Charité sein. Doch es wurde nichts daraus.

Thiele blieb in England. Denn die Volkswagenstiftung hatte ihre Stiftungsprofessuren natürlich nicht heimlich vergeben. Und so wurde schnell bekannt, dass Thiele an der Berliner Charité Experimente an Affen unternehmen wollte. Unter dem Motto „Gemeinsam gegen Affenversuche“ schlossen sich Tierversuchsgegner und Tierschützer zu einer Kampagne gegen die geplanten Versuche zusammen. Am 8. Dezember 2006 übergaben die Vertreter von drei Organisationen 65.000 Unterschriften an den Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, Walter Momper. Sie hatten sich allerdings unnötig Mühe gemacht. Die für Tierversuche zuständige Kommission der Senatsverwaltung für Gesundheit hatte die Versuche nämlich zu diesem Zeitpunkt schon ohne Druck von außen untersagt. Auch die Berliner Boulevardpresse war keineswegs untätig geblieben. Die BILD titelte bereits am 24. März 2006: „An Deutschlands berühmtester Klinik. Professor soll Affenköpfe aufschneiden.“ Der Berliner Kurier schrieb am 9. Dezember 2006 unter der Überschrift „Entsetzte Berliner fordern: Bitte, verschont die armen Affen“: „Die Berliner sind entsetzt: Ein Hirnforscher plant brutale Tierversuche an lebendigen Affen an der Charité. Das wollen die Menschen in dieser Stadt nicht.“ Auch die taz jubelte nach der endgültigen Ablehnung durch die Berliner Tierschutzkommission im März 2007: „Affen-Quäler kommen in die Defensive.“

Die Berliner Ablehnung bestätigte nur die dort schon lange gängige Praxis. Seit 1992 gibt es in der Hauptstadt keine Hirnexperimente an Primaten. Sie muss für Thiele eine Enttäuschung gewesen sein, objektiv war es für sein Leben und seine Forschung aber wahrscheinlich eine Erleichterung, nicht an die Charité zu gehen. Er hätte damit rechnen müssen, dass ihm ein ähnlicher Empfang bereitet worden wäre wie Andreas Kreiter in Bremen.

Nach seiner Berufung im Jahr 1997 wurde der Hirnforscher Kreiter, der ähnliche Versuche wie Thiele durchführt, in Bremen mit einem Plakat begrüßt: „Universität holt Affenfolterer A. Kreiter nach Bremen. Wenn Sie damit nicht einverstanden sind, wenden Sie sich doch direkt an ihn.“ Drunter stand die Privatadresse von Professor Kreiter einschließlich seiner Telefonnummer. In der Folge hatte Kreiter zu erleiden, was leider für viele Forscher zum Normalfall geworden ist: Telefonterror, Morddrohungen, Beschimpfungen, Farbanschläge, „Einsatzkommandos“ in seinem Labor, Leben unter Polizeischutz. (2) Er resignierte nicht, sondern setzt die zeitaufwendige und international angesehene Forschung zur Wahrnehmung und Signalverarbeitung im Gehirn fort und ertrug die Angriffe, nicht nur der Tierschutzaktivisten, sondern auch der Bremer Politik.

Selbstverständlich sind weder Thiele noch Kreiter Tierquäler. Auf Fotos sehen die kleinen Äffchen, denen am Schädel ein Bolzen eingesetzt wird, über den mit einer haarfeinen Elektrode die elektrische Aktivität im Gehirn gemessen werden kann, mitleiderregend aus. Aber solche Bilder wecken einzig Emotionen und animieren dazu, Appelle zu unterschreiben. Sie sagen nichts darüber aus, wie schlecht oder gut es den Tieren wirklich geht. In Deutschland ist die Forschung an Tieren genehmigungspflichtig und sehr genau geregelt. Jeder Versuch muss beantragt werden und den Kriterien des Tierschutzgesetzes genügen. Da sich auch Kreiter streng an die Vorschriften hält, sollte seine Forschung, selbst wenn sie einigen Tierschützern nicht passt, auch in Bremen möglich sein. Tatsächlich wurde seine Forschung, die in ähnlicher Weise auch an anderen Instituten in Deutschland durchgeführt wird, in den ersten Jahren akzeptiert und bewilligt. Im November 2005 jedoch stellten Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag „Aus der Affenforschung aussteigen“ und forderten, Bremen als „tierversuchsfreien Wissenschaftsstandort“ zu profilieren. Zustimmung kam vonseiten der SPD, und auch der DVU-Abgeordnete Tittmann forderte, die „großen Verbrechen an unseren unschuldigen und liebevollen Mitgeschöpfen“ zu beenden. Offenbar, um im bevorstehenden Wahlkampf nicht den Angriffen von Tierschützern ausgesetzt zu sein, hielt es im März 2007 schließlich auch die CDU für opportun, die Tierversuche als „politisch nicht mehr wünschenswert“ zu betrachten. Einstimmig beschloss das Parlament mit den Stimmen von DVU, CDU, SPD und den Grünen die „Zielsetzung eines geordneten Ausstiegs“. Damit war besiegelt, dass Kreiters Nachfolgeantrag für seine im November 2008 auslaufenden Versuche nicht mehr bewilligt würde. So geschah es. Der Hirnforscher legte Widerspruch ein, und auch dieser wurde im August 2009 zurückgewiesen. Drei Zitate aus der Begründung zeigen die Problematik: (3)

Das erste: „Bei der Beurteilung dessen, was ethisch vertretbar ist, hat die Behörde zunächst den in den vergangenen Jahren auf den Tierschutz bezogenen Wertewandel in der Bevölkerung berücksichtigt, der sich im nationalen Recht und auch auf europäischer Ebene widerspiegelt.“ Mit anderen Worten: Der Zeitgeist ist gegen Tierversuche. Das zweite: „Dabei geht die Behörde davon aus, dass nicht die Frage im Mittelpunkt steht, ob das Vorhaben Fortschritte für die Wissenschaft bringt, sondern, ob daraus ein für die Allgemeinheit spürbarer Nutzen entsteht. Diesen Nutzen sieht die Behörde als ungewiss an.“ Wir lernen: Wissenschaftlicher Fortschritt ist nur dann etwas wert, wenn sofort für alle etwas dabei rausspringt. Bei diesem Wissenschaftsverständnis könnte man sämtliche Universitäten und Einrichtungen der Grundlagenforschung gleich dicht machen. Dabei ist anzumerken, dass Kreiters Forschungen durchaus anwendungsorientiert sind und nach Ansicht von Fachwissenschaftlern wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung von Therapien bei Krankheiten wie Epilepsie oder Parkinson liefern. Aber Epileptiker sind zugegebenermaßen nicht „die Allgemeinheit“.

Das dritte: „Die Belastungen der Tiere sind nach Auffassung der Behörde danach zu beurteilen, ob und in welchem Ausmaß grundlegende Bedürfnisse der Tiere, die für deren Wohlergehen wichtig sind, eingeschränkt werden. Demgegenüber ist der Verweis des Forschers auf die Lebensbedingungen der ‚freien Wildbahn‘ zu verwerfen.“ Hierzu ist Folgendes zu erläutern: Da die Tiere an der Universität Bremen tierschutzgerecht gehalten werden und ihnen durch die Experimente keine Schmerzen zugefügt werden, wird die Ablehnung insbesondere damit begründet, dass die Makaken vor den Versuchen einige Stunden nichts zu trinken bekommen und so zu den Übungen am Computer motiviert werden, bei denen sie dann als Belohnung süßen Saft erhalten. Sie müssen also gewissermaßen arbeiten, um ihr Bedürfnis nach Trinken befriedigen zu können. Zudem wird ihr Kopf während der Übungen fixiert. Sie können ihn nicht bewegen. Beides ist sicher nicht angenehm, aber dennoch alles andere als eine Quälerei. Kreiter verweist darauf, dass die Makaken ein gewisses Maß an Durst gut verkraften, da sie in der freien Natur oft tagelang ohne Wasser auskommen müssen, und dass sie auch in freier Wildbahn stundenlang monotone Tätigkeiten wie das Zupfen von Grassamen verrichten und daher sogar eine Vorliebe für repetitive Tätigkeiten haben wie die, die ihnen beim Problemlösen am Computer abverlangt werden. Zudem begeben sie sich freiwillig auf den Versuchsstuhl. Genau das will die Behörde bestreiten. Da die Affen Durst hätten, würden sie in Wirklichkeit nicht freiwillig mitmachen, sondern eben mithilfe des Durstes gezwungen. Letztlich lautet das Argument: Es ist uns egal, ob die Tiere vergleichbaren Belastungen wie in der freien Wildbahn ausgesetzt sind. Schließlich könnten sie es ja noch besser haben als in der Natur. Mit solch einer Sichtweise könnte man auch jeden verantwortungsvollen Hundehalter, der seinen Hund eben nicht, wie es dem vielleicht gefiele, den lieben langen Tag mit Leckereien versorgt, der Tierquälerei bezichtigen.

Das Verhalten der Bremer Politik wurde von seriösen Medien vielfach und zu Recht kritisiert. Leider muss man aber konstatieren, dass wir es weniger mit einem „Bremer Skandal“ zu tun haben, der den populistischen Neigungen des dortigen Senats und der Tatsache geschuldet sein mag, dass der Präsident des deutschen Tierschutzbundes, Wolfgang Apel, in Bremen wohnt. Die gescheiterte Berufung Alexander Thieles an die Charité oder auch die behördliche Ablehnung vergleichbarer Experimente am Klinikum Großhadern in München im Jahr 2006 zeigen, dass der 2002 ins Grundgesetz als Staatsziel aufgenommene Tierschutz (Artikel 20a: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere …“) gegenüber dem Grundrecht auf Forschungsfreiheit (Artikel 5: „… Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“) nicht nur in der Hansestadt zunehmend die Oberhand gewinnt. Woran liegt das?

Es sind wahrscheinlich zwei Tendenzen, die sich gegenseitig verstärken: Wir beobachten eine wachsende Geringschätzung wissenschaftlicher Forschung. Die Menschen sehen all die Errungenschaften jahrzehntelanger Forschung, über die wir heute verfügen, als gegeben an und nehmen sie als selbstverständlich in Anspruch, wenn sie sie benötigen. Doch sie sehen nicht, dass dieser Fortschritt weitergehen kann, dass die Menschheit Krebs, Alzheimer, Herzinfarkt, Diabetes usw. besiegen kann. Der positive Glaube an den Fortschritt ist weitgehend verschwunden. Wer ihm noch anhängt, wird stattdessen einer, oft mit dem Beiwort „unkritisch“ spezifizierten, „Fortschrittsgläubigkeit“ geziehen. Fundamentaler Fortschritt fußt jedoch immer auf Grundlagenforschung. Deshalb ist es kein Wunder, dass gerade die Grundlagenforschung immer öfter als unnütze Geldverschwendung betrachtet wird und ihr angesichts konfligierender Bedürfnisse, wie etwa dem nach Tierschutz, schnell alle Berechtigung abgesprochen wird. „Konsequenterweise müssten aufgrund des Urteils sämtliche Primatenversuche in der Grundlagenforschung verboten werden, da diese fern jeglichen erkennbaren Nutzens sind“, kommentierte eine Vertreterin der Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche die höchstinstanzliche Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts vom Oktober 2009, Experimente wie die Kreiters in der Schweiz zu verbieten. (4)

Neben dieser Geringschätzung von Grundlagenforschung leidet unsere Gesellschaft auch unter einer wachsenden Geringschätzung der Wesen, man nennt sie Menschen, die zu dieser Forschung fähig sind. Die Grenze zwischen Mensch und Tier zu verwischen, indem man auf den kleinen gemeinsamen Nenner der wie auch immer gearteten Leidensfähigkeit rekurriert, ist nicht fortschrittlich, sondern dekadent. Die Schweiz ist hier noch einen Schritt weiter gegangen. Seit dem 17. Mai 1992 ist die „Würde der Kreatur“ durch die schweizerische Bundesverfassung geschützt. (Art. 120 Abs. 2 BV: „Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung.“) Die Eidgenossen haben es vollbracht, Mensch, Tier und Pflanze unter dem Oberbegriff „Kreatur“ in gleichem Rang zu platzieren. Möge uns wenigstens das erspart bleiben!

Mit putzigen Tieren kann man alles verkaufen, natürlich auch – wenn man sie als leidend porträtiert – das vernünftige Maß übersteigenden Tierschutz. Von der Politik muss man fordern, dass sie bei diesem Spiel nicht mitmacht und Aktivisten in die – ohnehin schon weit gesteckten – Grenzen verweist. Derzeit kann Andreas Kreiter auf Basis einer einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts Bremen weiterarbeiten. Eine endgültige Entscheidung soll im ersten Quartal 2010 fallen. Sie wird für die Forschungsfreiheit in Deutschland ein wichtiges Signal darstellen. Eine Bestätigung des Bremer Verbots würde die unheilige Tendenz zur Diskreditierung von Wissenschaft im Allgemeinen und Grundlagenforschung im Besonderen bekräftigen.

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