25.02.2010

Luxusgut der Zukunft

Essay von Rudolf Kipp

Die deutsche Energieversorgungspolitik ist weder nachhaltig noch zukunftsfähig.

Für das Bestehen einer erfolgreichen Volkswirtschaft sind vor allem drei Faktoren ausschlaggebend: der erste ist der Zugang zu ausreichend bezahlbaren Rohstoffen, über deren Veredlung zu Produkten mit einem Mehrwert der Wohlstand geschaffen wird, der nicht weniger als die Grundlage für unsere moderne freiheitliche Gesellschaft darstellt. Der zweite Faktor ist ein funktionierendes Bildungssystem, das jene hoch qualifizierten Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, die eine stark spezialisierte Wirtschaft in zunehmendem Maße benötigt. Und der dritte Faktor ist ein gut funktionierendes Energiesystem, das für uns Wärme, Licht, Kraft sowie Kommunikations- und Informationsdienstleistungen zuverlässig, zu wirtschaftlich tragfähigen Bedingungen und genau dann zur Verfügung stellt, wenn diese gerade gebraucht werden.

Während die ersten beiden Faktoren auch in der öffentlichen Debatte eine große Rolle spielen – die Frage der Rohstoffverfügbarkeit wird seit dem ersten Bericht des „Club of Rome“ 1972 und der ersten Ölkrise heiß diskutiert, und der Zustand der Bildungssystem ist ebenfalls permanenter Gegenstand medialer Berichterstattung und öffentlicher Diskussion –, spielt die Frage der Versorgung mit elektrischer Energie eine deutlich untergeordnete Rolle. Trotz der immensen Wichtigkeit einer Versorgungssicherheit bei der Stromproduktion für den Fortbestand unserer gesamten Zivilisation. Ein Grund hierfür liegt vermutlich in der exzellenten Qualität des deutschen Stromversorgungssystems. Stromausfälle, wie sie in vielen südlichen Ländern relativ häufig vorkommen, gibt es bei uns praktisch nicht. Und wenn einmal in einer Region das Stromnetz ausfällt, dann aufgrund äußerer Umstände, wie etwa im November 2005, als im Münsterland und südlichen Niedersachsen fast 70 Hochspannungsmasten wegen starker Eislast umknickten oder verbogen wurden. Für die Qualität des deutschen Stromnetzes spricht, dass die meisten Ausfälle schon nach Stunden wieder behoben waren und nach wenigen Tagen wieder die Versorgung für alle Menschen in der Region sichergestellt werden konnte.

Deutsche Stromversorgung bislang vorbildlich

Dass wir bisher in Deutschland noch nicht so etwas wie eine Stromkrise, also den längeren Ausfall der Versorgung oder einen starken Preisanstieg, wie etwa beim Öl, erlebt haben, hängt mit Sicherheit damit zusammen, dass unsere Stromversorgung auf mehreren Standbeinen steht. Hauptkomponenten sind die Kernenergie mit einem Anteil von 23,3 Prozent an der Gesamterzeugung sowie Braunkohle (23,5 Prozent), Steinkohle (20,1 Prozent) und Erdgas (13 Prozent). Die sogenannten erneuerbaren Energien kommen auf insgesamt 15,1 Prozent, wobei der Hauptanteil von Windenergie (6,6 Prozent) und Wasserkraft (3,5 Prozent) geleistet wird (siehe Abb. 1). (1)

Dass der Strompreis in Deutschland seit 2000 um „nur“ etwa 40 Prozent gestiegen ist, ist in erster Linie der Tatsache zu verdanken, dass fast drei Viertel des Stroms aus Kernenergie, Braunkohle und Steinkohle stammen. Deren Produktionskosten liegen seit Jahren konstant zischen 2,9 Cent/kWh (Braunkohle) und 3,5 Cent/kWh (Kernenergie). Damit tragen Braun- und Steinkohle bei der Stromerzeugung dazu bei, dass die Verbraucherpreise für dieses essenzielle Gut bezahlbar bleiben, wie Paul Driessen 2008 in seinem Artikel „The social responsibility of coal“ herausgestellt hat. (2, 3)

Ein wesentlicher Grund für Preiserhöhungen beim Strom war in den letzten Jahren auch nicht ein Anstieg der Produktionskosten bei der konventionellen Stromerzeugung, sondern vor allem der Anstieg von Steuern und Abgaben. So beträgt der Anteil der Ökosteuer am Strompreis ca. 10 Prozent für Privathaushalte, und auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent führte zu einer Verteuerung. Auch die sogenannten Verschmutzungszertifikate, mit denen die Stromkonzerne eine Art Ablass für das von ihnen emittierte CO2 entrichten, trugen zu einer Preissteigerung bei – wurden doch die Kosten hierfür direkt auf den Strompreis umgelegt. Dabei spielte es aus Sicht der Stromproduzenten keine Rolle, dass sie 90 Prozent der Zertifikate vom Bund geschenkt bekamen. Deren virtueller Wert tauchte in der Bilanz als Kosten auf und wurde somit auf den Strompreis aufgeschlagen. Money for nothing.

CO2-Ablass: Preistreiber ohne Klimanutzen

Ohnehin hat dieses System der Zahlungen als Ausgleich für eine eingegangene „CO2-Schuld“ einen äußerst seltsamen Charakter. In den Grundzügen erinnert es ein wenig an die Ablassbriefe, die seinerzeit die katholische Kirche in eine tiefe Krise gestürzt und so letztendlich der Reformation den Weg bereitet haben. Heute funktioniert das System folgendermaßen: Um ein limitiertes Gesamtaufkommen an Emissionen nicht zu überschreiten, werden Emissionszertifikate anteilig an Kraftwerke, Industriezweige oder an einzelne Unternehmen verkauft. Wer mehr CO2 produziert, muss Rechte zukaufen, entweder von Firmen, die weniger ausstoßen als zugeteilt, oder von Zertifikatehändlern, die damit vorgeblich CO2-sparende Projekte fördern. In der Praxis sieht das so aus, dass Emissionsmakler quer um die Welt reisen, um nach den Kriterien des Kioto-Protokolls entsprechenden „grünen“ Projekten zu suchen. So kann die Anpflanzung von Wäldern finanziert oder verhindert werden, dass ein bestehender Wald abgeholzt wird.

Das ist in etwa so, als wenn ein Auftragskiller in Bottrop die Camorra in Sizilien dafür bezahlte, zwei Morde weniger zu begehen. Jetzt kann der Bottroper Killer mit gutem Gewissen zwei Leute umlegen und tut dies sozusagen „gewaltneutral“. Niemand weiß natürlich, ob die Camorra diese beiden Personen wirklich umbringen wollte oder deren Liquidierung lediglich auf einen späteren Zeitraum verschoben hat. Und genauso sieht die Sache auch bei den vermeintlich durch Zertifikate geschützten Wäldern aus.

Preisanstieg beim Strom

Aber zurück zu den Strompreisen. Neben Steuern und Abgaben rückte in den letzten Jahren ein weiterer Preistreiber zunehmend in den Vordergrund. Seit dem Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 sind die Netzbetreiber verpflichtet, den aus Windkraft, Wasserkraft, Geothermie und Fotovoltaik erzeugten Strom zu festgelegten Sätzen abzunehmen. Bei der Windkraft liegt dieser Satz bei etwa 9 Cent/kWh, wobei 2009 der Satz für Offshore-Anlagen auf 15 Cent/kWh erhöht wurde, weil sich ansonsten keine Investoren für solche Projekte gefunden hätten. Deutlich höher liegen die Sätze bei Fotovoltaikanlagen. Dort bekommen Sie, wenn Sie die Anlage 2009 ans Netz gebracht haben, satte 43 Cent/kWh ausbezahlt, und das garantiert für die nächsten 20 Jahre.

Diesen äußerst fürstlich entlohnten Strom bezahlen die Stromversorger selbstverständlich nicht aus eigener Tasche. Die Kosten hierfür hat der Endkunde zu zahlen. Und bei dem stetig steigenden Anteil des grünen Stroms wird dessen Anteil an unserer Stromrechnung in den nächsten Jahren weiter steigen. Ebenfalls preissteigernd wirkt sich der durch die erneuerbaren Energien notwendige Netzausbau aus. Schließlich sind die Netzbetreiber verpflichtet, den Strom, da, wo er produziert wird, kostenlos abzuholen, sei es nun in einer Waldlichtung in Brandenburg oder viele Kilometer abseits der Küste. (4) Zusätzlich müssen bei einem weiteren Ausbau der Windkraft in Deutschland weitere Überlandleitungen quer durchs Land gelegt werden, denn der Großteil des Windstroms wird in den strukturschwachen Regionen Norddeutschlands erzeugt, wohingegen der größte Bedarf im Süden der Republik anfällt. Auch die Kosten für diesen Ausbau der Kapazität und die Optimierung bestehender Netze muss der Betreiber und damit letztendlich der Stromkunde übernehmen. (5) Das sind besonders schlechte Nachrichten für die Verbraucher in den Regionen, die schon jetzt vor lauter Windmühlen keinen Horizont mehr sehen. Die dortigen Kunden tragen dann einen Großteil der Preissteigerungen des Netzausbaus.

Einen Vorgeschmack, wie die Strompreise sich bei einem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien entwickeln, liefert schon einmal die für dieses Jahr angekündigte Strompreiserhöhung. Anfang Januar haben die Erzeuger die Preise für Endkunden um durchschnittlich fünf Prozent erhöht. Als Begründung werden vor allem die erhöhten Kosten für die Einspeisevergütung angegeben. (6) Und ein Ende der Preisspirale ist nicht abzusehen.

Preistreiber erneuerbare Energien

Eine umfassende Untersuchung der bisher entstandenen und zukünftigen Kosten durch erneuerbare Energien in Deutschland hat das Rheinisch Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen im Oktober 2009 vorgestellt. (siehe Anm. 1) Die Wissenschaftler kommen in der Studie zu Ergebnissen, die ganz anders klingen als das von Politik und Umweltverbänden oft proklamierte Erfolgsmodell Erneuerbare-Energien-Gesetz:
„Wir legen dar, dass die deutsche Erneuerbare-Energien-Politik, und im Speziellen die Einspeisevergütung, darin gescheitert ist, im Markt Anreize für eine brauchbare und kosteneffektive Einführung von erneuerbaren Energien in das Energie-Portfolio des Landes zu schaffen. Ganz im Gegenteil, die Förderungsmechanismen der Regierung haben in vielerlei Hinsicht eben diese Anreize untergraben, mit dem Resultat von massiven Aufwendungen, welche auf lange Sicht wenig zur Stimulation der Wirtschaft, dem Schutz der Umwelt oder einer erhöhten Energiesicherheit beitragen. Im Fall der Fotovoltaik hat das Deutsche Regelwerk zur Subventionierung einen Stand erreicht, der bei Weitem die Durchschnittslöhne übersteigt. Die Subventionen pro Arbeiter in der Branche betragen 175.000 Euro.“

Die Zahlen in dem Bericht sprechen eine deutliche Sprache. Momentan entsprechen demnach die Einspeisetarife für Fotovoltaik von 43 Cent/kWh mehr als dem Achtfachen des Preises an der Strombörse und mehr als dem Vierfachen des Tarifs für an Land produzierte Windenergie. Und selbst die Windkraft, die eigentlich als ausgereifte Technologie gilt, erfordert Einspeisetarife, die die Kosten pro kWh an konventioneller Energie um bis zu 300 Prozent übertreffen. Die Nettokosten für Fotovoltaikstrom lagen 2008 bei 8,4 Milliarden Euro, und das bei einem Anteil an der Stromproduktion von gerade einmal 0,6 Prozent. Die totalen Nettokosten zur Förderung der Stromproduktion mit Fotovoltaikmodulen von 2000 bis 2010 werden in der Studie mit 53,3 Milliarden Euro beziffert. Für die Förderung von Windstrom betragen die Kosten für diesen Zeitraum insgesamt 20,5 Milliarden Euro. Dafür trug diese im Jahr 2008 aber auch mit einem Anteil von 6,3 Prozent zur Stromproduktion bei.

Damit ergeben sich für die Fotovoltaik Kosten von 716 Euro pro eingesparter Tonne CO2. Mit Windenergie kostet das Einsparen der gleichen Menge 54 Euro. Die Preise für Emissionszertifikate hingegen bewegen sich zurzeit bei etwa 13 Euro pro Tonne CO2. Aber eine Kostenbetrachtung scheint beim deutschen Weg zur Rettung des Weltklimas ohnehin keine allzu große Rolle zu spielen. Schon die Tatsache, dass wir bei der installierten Leistung an Fotovoltaikstrom weltweit führend sind, obwohl unser Land sicher nicht zu den sonnenreichsten gehört, spricht eine deutliche Sprache. Für uns sind die teuersten Lösungen wohl gerade gut genug. Das hat dazu geführt, dass inzwischen sogar der grünen Ideologie wohlgesonnene Blätter wie der Spiegel offen Kritik am deutschen System üben. (7) Und im Ausland dient Deutschland manchen bereits als leuchtendes Beispiel für eine verfehlte Umwelt- und Energiepolitik. (8)

Wirkliche Einsparpotenziale werden ausgeblendet

Dabei wären wesentlich höhere Einsparungen deutlich günstiger zu haben. Würde man allein die bestehenden alten Kohlekraftwerke in Deutschland durch neue, wesentlich energieeffizientere ersetzen, ließe sich ein Vielfaches an CO2-Emissionen und Brennstoff einsparen. Der durchschnittliche Wirkungsgrad der Steinkohlekraftwerke liegt in Deutschland zurzeit bei ca. 38 Prozent. Das ist der Anteil elektrischer Energie, die aus dem Primärenergieträger Kohle gewonnen werden kann. Moderne Kraftwerke bringen es mittlerweile auf einen Wirkungsgrad von über 46 Prozent. Das heißt, aus der gleichen Menge Kohle können acht Prozent mehr Strom gewonnen werden. Oder andersherum, es würden acht Prozent CO2-Emissionen eingespart. Aber Projekte wie der Neubau von Kohlekraftwerken werden in Deutschland von einer von grüner Ideologie durchsetzten Lobby nach Kräften verhindert.

Jüngstes Beispiel dieser groß angelegten Kampagne ist der durch das Oberverwaltungsgericht Münster erzwungene Baustopp für das von E.ON bereits zur Hälfte fertiggestellte neue Kohlekraftwerk in Datteln. Das mit 1000 Megawatt weltweit größte Monoblock-Kraftwerk sollte laut Planung 2011 ans Netz gehen und das alte Kraftwerk in Datteln sowie zwei weitere in Herne und Gelsenkirchen ersetzen. Eine Verhinderung des Baus führt also nicht nur dazu, dass die bislang von E.ON getätigten Investitionen in den Neubau sinnlos verbrannt werden, sondern auch dazu, dass alte, ineffiziente Kraftwerke am Netz bleiben müssen.

Versorgungssicherheit in Gefahr

Das Hickhack um den geplanten Neubau offenbart indes noch ein ganz anderes Dilemma. Wenn der Kraftwerkspark in Deutschland immer älter wird und immer mehr Kraftwerke aus Altersgründen abgeschaltet werden müssen, neue Kraftwerke aber aus ideologischen Gründen nicht mehr gebaut werden, entsteht zwangsläufig eine Stromlücke, die irgendwie gefüllt werden muss. Das ganze Ausmaß der drohenden Energiekrise hat eine 2008 von dem unabhängigen Marktforschungsunternehmen Trendsearch vorgestellte Studie offengelegt. (9) In dieser Studie wurden fünf verschiedene Szenarien vorgestellt und die bestehenden Pläne zum Kraftwerksneubau nach der Wahrscheinlichkeit der Realisierung unterteilt. Würden demnach nur die als wahrscheinlich eingestuften Kraftwerke auch wirklich gebaut, so müsste Deutschland ab 2015 Strom aus dem Ausland importieren. Kämen die Projekte mit mittlerer Wahrscheinlichkeit ebenfalls zur Realisierung, würde dies 2018 der Fall sein. Nach Ansicht der Autoren der Studie würde der Neubau von Kraftwerken zum einen durch gestiegene Preise aufgrund starker Nachfrage an schlüsselfertigen Kraftwerken in China und Indien und zum anderen durch unsichere politische Rahmenbedingungen gefährdet. Aufgrund der Unsicherheit bezüglich der europäischen Emissionsrechte und auch der Widerstände von Lokalpolitikern und Umweltverbänden in Deutschland scheuen sich Energieversorger zunehmend, das Risiko der Investition in neue Großkraftwerke einzugehen.

Umweltverbände und zunehmend auch Politiker begegnen dem drohenden Versorgungsengpass mit der Forderung nach einem verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien. Und auch in den Medien wird verstärkt das Bild vermittelt, eine Vollversorgung Deutschlands mit Strom aus regenerativen Quellen wäre in absehbarer Zukunft möglich, einzig der politische Wille dazu müsse stark genug sein. Rückendeckung bekommen die Befürworter einer solchen Lösung regelmäßig von Studien, die diesen Plänen zumindest eine prinzipielle Machbarkeit bescheinigen.

Regenerative Energien: eine teure Luftnummer

In einer im Oktober 2009 vorgestellten und vom WWF in Auftrag gegebenen Studie, die vom Freiburger Öko-Institut und der Prognos AG aus Basel erstellt wurde, werden Szenarien einer zukünftigen Stromversorgung für Deutschland durchgespielt. (10) Laut Aussage dieses Reports soll in Deutschland der Strom 2020 zu knapp 30 Prozent, 2030 zu über 50 Prozent und 2050 gar zu 84 Prozent aus regenerativen Energien stammen. Wie das ganze konkret vonstatten gehen soll, also welche erneuerbaren Energiequellen diese gigantischen Mengen an Strom zur Verfügung stellen sollen, darüber ist allerdings wenig Konkretes zu finden. Aber diese Studie ist ja auch im Auftrag einer Umweltschutzorganisation erstellt worden, und dort gibt man sich bekanntermaßen mit der Vorgabe von Visionen zufrieden. Um die praktische Umsetzung und die Ausarbeitung der Details haben sich dann andere zu kümmern.

Wesentlich Handfesteres hingegen erwartet man natürlich von Untersuchungen zum Thema, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurden. Auf der Suche nach solchen Arbeiten wird man dann auch gleich in zweierlei Hinsicht fündig. Im August erschien das „Leitszenario 2009 – Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland“ vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. (11) Und nur einen Monat später legte das Bundesumweltamt nach und veröffentlichte seine Studie zur Zukunft der Energieversorgung mit dem schönen Titel „Klimaschutz und Versorgungssicherheit – Entwicklung einer nachhaltigen Stromversorgung“. (12) In beiden Reports werden äußerst ehrgeizige Ziele formuliert: Der Anteil erneuerbarer Energien soll demnach 2020 bei 30 bis 40 Prozent, 2030 bei 50 bis 60 Prozent und 2050 bei 80 bis 90 Prozent liegen. Wer nach konkreten Plänen für das Erreichen dieser Ziele sucht, der wird auch in diesen beiden Fällen enttäuscht. Vor allem ein Punkt wird konsequent ausgeklammert: die Frage, wie man bei vorrangig unsteten Energiequellen, und das sind die Regenerativen wie Wind, Sonne und teilweise auch die Wasserkraft nun einmal, die Versorgungssicherheit und Netzparität sicherstellen kann. Oder einfacher formuliert. Woher kommt der Strom, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint?

Auch ein anderer Punkt wird offen gelassen. 2050 soll nach Vorgabe beider Studien etwa 20 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden. Das setzt natürlich voraus, dass irgendwo in Europa Strom aus regenerativen Quellen in einem solchen Überschuss erzeugt wird, dass dieser nach Deutschland exportiert werden kann. Wo das sein soll und wie ein Transport ohne nennenswerte Wirkungsgradverluste zu bewerkstelligen ist, geht aus der Studie jedoch nicht hervor.

Als ein Modul zur Überbrückung von Versorgungsengpässen aufgrund der Unstetigkeit der regenerativen Energiequellen wird gerne die Zwischenspeicherung von Überkapazitäten in den Batterien von Elektroautos angegeben. Dieses Modell klingt auf den ersten Blick attraktiv, wo PKWs doch die meiste Zeit ungenutzt in der Garage oder auf dem Parkplatz stehen und deren kumulierte Speicherkapazität eine nicht unerhebliche Größe darstellt. Allerdings werden dabei die enormen Wirkungsgradverluste bei der Be- und Entladung nicht beachtet. Und auch die Tatsache, dass die Lebensdauer eines Akkus vor allem von der Zahl der Be- und Entladezyklen abhängt, wird dabei nicht erwähnt. Ein Elektroauto, das so als Strompuffer benutzt würde, bräuchte daher nicht alle zwei bis drei Jahre, sondern spätestens nach einem Jahr einen neuen Satz Batterien.

Kritik wird ausgeklammert

Bislang kann noch niemand beantworten, woher die gigantischen Speicherkapazitäten kommen sollen, die benötigt werden, um einerseits die gewaltige Menge Strom zu speichern, die anfällt, wenn der Wind besonders stark weht, und andererseits den Bedarf decken können, wenn der Wind mal für mehrere Tage ausbleibt. Konzepte wie etwa Druckluftspeicher in Gaskavernen oder die Nutzung überschüssiger Energie zur Erzeugung von Wasserstoff verursachen riesige Wirkungsgradverluste. Und eine weitere Option, nämlich der Ausbau der Kapazität an Pumpspeicherkraftwerken, ist in Deutschland mangels geeigneter Standorte nur äußerst begrenzt möglich.

Führt man diese Argumente allerdings in einer Diskussion mit Befürwortern der Erneuerbaren an, bekommt man häufig die Erwiderung, wir hätten in Europa doch ein Verbundsystem, in dem regionale Schwankungen ausgeglichen würden. Alles klar! Wenn in Deutschland gerade eine stabile Hochdruckwetterlage vorherrscht, dann weht bestimmt in Dänemark oder Holland der Wind so stark, dass die liebend gerne Windstrom an uns verkaufen. Und wenn es in Deutschland gerade Nacht ist, dann scheint in Spanien die Sonne. Es ist frappierend, dass bei den Szenarien, die eine Machbarkeit der Vollversorgung mit erneuerbaren Energien propagieren, die wichtigen Aspekte Versorgungsfähigkeit, Stetigkeit und wirtschaftliche Machbarkeit nur nachrangig bis gar nicht betrachtet werden. Dies hat einen wichtigen Grund. Würde man diese Faktoren mit einbeziehen, wären so optimistische Aussagen wie „80 Prozent erneuerbare Energien bis 2050“ schwerlich haltbar.

Fossile Brennstoffe auch künftig wichtig

Daher wundert es auch nicht, dass Studien von Instituten und Verbänden, die sich vor allem um technische und wirtschaftliche Machbarkeit kümmern, meist zu völlig anderen Ergebnissen kommen. In einer Übersichtsarbeit, die im November in der Fachzeitschrift Handbuch Energiemanagement erschienen ist, wertet Professor Hermann-Josef Wagner, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Energietechnik an der Bochumer Ruhr-Universität, die Szenarien von acht Instituten und Organisationen aus (s. Abb.2). (13) Darunter befinden sich Studien von Konzernen wie Exxon und Shell und auch solche von multinationalen Organisationen wie der Europäischen Kommission (EC) oder der Internationalen Energieagentur (IEA). In einem Interview mit dem Braunkohle-Forum betonte Wagner, dass Szenarien, die einen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern bis 2050 sehen, deutlich an der Realität vorbeigehen:

„Trotz aller Anstrengungen, die CO2-Emissionen so schnell wie möglich zu senken, bleibt die Kohle in den nächsten Jahrzehnten ein für die Sicherung der weltweiten Energieversorgung wichtiger Energieträger ... Fokussiert auf den bundesdeutschen Energiemix, zeigt unsere Untersuchung an der Ruhr-Universität Bochum, dass Braun- und Steinkohle auch in den nächsten Jahrzehnten noch wesentliche Anteile an der Stromerzeugung halten werden. Deshalb wird die Herausforderung in dieser Übergangszeit sein, neue Kraftwerke mit maximaler Energieeffizienz auszustatten ... Ich stehe all den Szenarien sehr kritisch gegenüber, die das Ziel haben nachzuweisen, dass man beispielsweise innerhalb von wenigen Jahrzehnten vollständig auf die Nutzung fossiler Energien verzichten kann. Hier ist die Gefahr groß, eine Lösung rein rechnerisch zu erreichen, ohne sich zu fragen, ob die dabei eingesetzten neuen Techniken überhaupt am Markt und mit ausreichender Reife verfügbar sind.“ (14)

Damit fasst Wagner die Hauptkritikpunkte an einer Vollversorgung mit regenerativen Energien treffend zusammen. Eigentlich sollte diese Arbeit dazu geeignet sein, wieder etwas mehr Realitätssinn in die Debatte um die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland zu bringen. Allerdings lassen die Aussagen unseres neuen Umweltministers Norbert Röttgen (FDP) wenig Hoffnung aufkommen, dass mit dem Regierungswechsel auch eine Umkehr in der Energiepolitik verbunden ist. In einem Interview mit der Welt stritt er ab, dass die aktuellen Strompreiserhöhungen mit der Förderung der erneuerbaren Energien zusammenhingen, und kritisierte gleichlautende Aussagen der Energieunternehmen. Einzig sein Bekenntnis, dass die Förderung der Fotovoltaik mehr der Marktentwicklung angepasst werden soll, macht ein wenig Hoffnung, dass die schwarz-gelbe Regierung den Kostenanstieg durch regenerative Energien zumindest etwas abbremsen wird.

Eines kann man allerdings schon jetzt als sicher annehmen: Die Strompreise werden auch in den nächsten Jahren weiter kräftig steigen. Schließlich hat sich auch die aktuelle Regierung verpflichtet, den Ausbau regenerativer Energien voranzutreiben. Ob Schwarz-Gelb es wenigstens schafft, eine Politik zu betreiben, die die Stromversorgung in Deutschland auch nach 2015 oder 2020 noch sicherzustellen vermag, bleibt hingegen abzuwarten.

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