11.02.2010

War Gott grün?

Essay von Frank Furedi

Beim Versuch, mithilfe der Religion die Menschen zu einem umweltfreundlichen Verhalten zu zwingen, degradieren grüne Denker sowohl den Glauben als auch die wissenschaftliche Wahrheit.

Wir leben in einer Welt, in der die zynische Manipulation von Ängsten häufig die faktenorientierte öffentliche Debatte überlagert. Prinzipien und Überzeugungen sind allem Anschein nach verhandelbar, und allzu oft macht die Suche nach Wahrheit Platz für alles, „was machbar ist“. In der Vergangenheit haben religiöse Gestalten immer wieder die Autorität der Wissenschaften herangezogen, um ihre Botschaften zu kommunizieren. Die einstige Verlautbarung „unser Glaube fordert ...“ hat jedoch der Aussage „die Forschung zeigt…“ Platz gemacht. Wenn christliche Fundamentalisten ihr Dogma in der Form des „wissenschaftlichen Kreationismus“ neu erschaffen können, wie lange dauert es dann noch, bis atheistische Wissenschaftler ihren moralischen Kreuzzug in der Sprache der Religion rechtfertigen?

Lord May, Präsident der „British Science Association“ hat genau dies mit seiner Aufforderung, die Religionen als Teil des Kreuzzuges gegen die globale Erwärmung zu mobilisieren, getan. Die Mainstream-Religionen, so May, sollten eine Schlüsselrolle spielen bei der Vermittlung umweltpolitischer Inhalte und dem Bemühen, das Verhalten der Menschen im Sinne einer „Rettung des Planeten“ zu ändern. Indem er diese opportunistische Forderung in den Dienst einer wirksamen Rehabilitierung Gottes stellte, hat ein atheistischer Unternehmer in Sachen Moral gezeigt, dass es möglich ist, Religion und Wissenschaft in einem Atemzug herabzuwürdigen.

Mays Forderung nach der Instrumentalisierung der Religion für das Thema Klimawandel bildet eine logische Schlussfolgerung innerhalb des Projektes Umweltschutz, das in jeder Hinsicht einen moralischen Kreuzzug darstellt. Im September 2003 hat der inzwischen verstorbene amerikanische Schriftsteller Michael Crichton die Umweltschutzbewegung als eine einflussreiche neue Religion bezeichnet. Vermutlich dachte er an die Lord Mays dieser Tage, wenn er konstatierte, die „Umweltschutzbewegung scheint die erste Wahl unter den Religionen für die urbanen Atheisten zu sein“.
Antiquierte religiöse Themen werden von den Grünen ständig wiederaufbereitet. Mögen auch manche Umweltschützer Witze über „grüne Sünden“ machen, so werden sie doch todernst, wenn sie die bösen Umweltverschmutzer und Leugner der Klimakatastrophe denunzieren. In der gegenwärtigen urbanen Religion symbolisiert der „Carbon Footprint“ (CO2-Fußabdruck) die Verfehlung des Menschen, wobei es natürlich eine Absolution per CO2-Ausgleichsmaßnahmen gibt.

Die Urteile der Grünen über unser Ess-, unser Fortpflanzungs- und unser Alltagsverhalten greifen unsere Intimsphäre womöglich noch massiver an als die Verlautbarungen mittelalterlicher Religionsrepräsentanten. Einstige Prophezeiungen und Wahrsagerei haben Spekulation und Alarmismus, auf Computermodellen basierend, Platz gemacht. Und die mittelalterliche Inquisition, die Häretiker und Hexen in die Zange nahm und auf den Scheiterhaufen brachte, ist im gegenwärtigen Kreuzzug gegen Skeptiker und sogenannte Leugner der Klimakatastrophe zu neuem Leben erwacht. Viele Beobachter der gegenwärtigen grünen Theokratie behaupten, sie gäben eine Antwort auf das menschliche Bedürfnis nach Religion. Zweifellos müssen und wollen wir alle an etwas glauben, aber die gegenwärtige Vereinnahmung der Religion durch grün angehauchte Atheisten ist lediglich von Opportunismus und nicht so sehr von einer genuinen Glaubenskrise gesteuert. Das Ansinnen, Gott für die Anti-Klimawandel-Kampagne zu vereinnahmen, nährt sich aus dem Bedürfnis, alle diejenigen zu beeinflussen, die gegenwärtig nicht auf den moralischen Kreuzzug zur Rettung des Planeten reagieren. Diese Hinwendung zu Gott wird begleitet von einer herablassenden Haltung gegenüber Religion und Öffentlichkeit.

Viele Umweltschützer sind der Meinung, gewöhnliche Menschen seien zu selbstsüchtig und zu töricht, um dem hochgesteckten Ziel der Planetenrettung Gehör zu schenken. Führende grüne Kommentatoren beklagen das kurzsichtige und irrationale Verhalten der meisten Menschen. Ein britischer Öko-Kolumnist schreibt über seine „Deprimiertheit“ angesichts der „epidemischen Ablehnungshaltung“ in Großbritannien, die sich darin äußert, dass sich gewöhnliche Menschen schlicht und einfach weigern, den Klimawandel ernst zu nehmen. (1)
Aktivisten aus der Riege der Wissenschaftler wie May scheinen der Ansicht zu sein, dass es zwei Methoden der Öffentlichkeitsbeeinflussung gibt: Panikmache oder moralische Erpressung. Apokalyptische Warnungen vor der zu erwartenden Zukunft des Planeten sind mittlerweile das A und O des Kreuzzuges gegen den Klimawandel. Alarmistische Botschaften werden auf simpelste und sehr emotionale Weise verbreitet. „Mir gefiel das. Es emotionalisiert die Debatte, aber offensichtlich muss das so sein“ – so lautete das Urteil von Rajendra Pachauri, Chef des IPCC, nachdem er Al Gores Film „An Inconvenient Truth“ („Eine unbequeme Wahrheit“) gesehen hatte. Amerikanische Umweltaktivisten äußern sich häufig sehr verächtlich über ihr Publikum. Oder wie es einer von ihnen ausdrückte: „Das Thema Klimawandel muss für Amerikaner in vereinfachten Schwarz-Weiß-Begriffen definiert werden.“ (2)

Und was eignet sich besser zur Schwarz-Weiß-Schablone als ein göttliches Gebot? Religion wird so zum idealen Werkzeug, mit dem man eine einfältige Gut-versus-Böse-Botschaft einer aus Einfaltspinseln bestehenden Öffentlichkeit übermitteln kann. Lord May hat wohl fundamentalistische Religionen im Sinn, wenn er behauptet, dass man „komplexe Doktrinen unter Druck auf einfache Matras reduzieren“ müsse. Dies zeigt jedoch auch seine eigene Einstellung zu öffentlicher Kommunikation.

Was May und seine grünen Mitstreiter unter religiösem Deckmantel im Sinne haben, ist die karikaturistische Rehabilitierung Gottes. Sie wollen einen Gott mobilisieren, der gewöhnliche Menschen sowohl beeinflussen als auch in Angst versetzen kann. So gesehen ist Gott, wie in dem bekannten Kinderspiel, eine Art „Schwarzer Mann“. „Eine übernatürliche strafende Instanz kann Teil der Lösung [des Klimaproblems]“ sein, soll May gesagt haben. Weiter sagt man ihm folgendes Zitat nach: „Wenn Bestrafung ein nützlicher Mechanismus ist, um wie viel nützlicher wäre es dann, wenn man diese Macht nicht einem Individuum verleihen würde, das man nicht mag, sondern einer allwissenden, allmächtigen Gottheit, welche die Welt unter Kontrolle hält.“

Mays offensichtliches Bestreben, die Umweltbewegung zu sanktionieren, wurde sofort von Andrew Brown, Herausgeber der ironisch als „Belief“ (Glaube) bezeichneten Kolumne des Guardian aufgegriffen. „Ich war schon lange der Meinung, dass die grüne Bewegung nur dann Erfolg haben wird, wenn sie einige typische Merkmale der Religionen aufweist“, so Brown. Eines dieser typischen Merkmale ist die bezwingende Dynamik moralischen Drucks. Kurz gesagt, die Annahme der grünen Religion ist nicht lediglich eine Option, welche Erwachsene frei wählen. „Ein überzeugter Grüner wird sicherlich sein Kind nicht dahingehend erziehen, dass es sich mit 18 selbst entscheiden soll, ob die Umwelt gerettet werden muss oder nicht“, so Brown, und kommt dann zu dem Schluss, dass auch Erwachsene, bitteschön, diese Wahl nicht haben sollten. (3) Es gibt also keinen Platz für unentschlossene Liberale in der neuen grünen Religion.

Toleranz für andere Mitstreiter war nie das Gütesiegel der Umwelt-Kreuzzügler. Immer wieder werden die Kritiker von Umweltpolitik damit abgetan, dass sie angeblich die Erkenntnisse der „Wissenschaft“ infrage stellen. Ihre Anfragen spielt man mit der bekannten Phrase herunter: „Die Debatte ist beendet.“ Die Ablehnung abweichender Meinungen zur Klimadebatte findet ihr Pendant im religiösen Dogma. Die Religion verspricht, die Grünen im Kampf gegen Kritiker, Skeptiker und Klimaleugner mit der Autorität ihrer Heiligen Schriften auszustatten. Als Michael Crichton im Jahre 2003 die Umweltbewegung als Religion brandmarkte, sahen sich viele Grüne in ihrer Redlichkeit gegenüber der Sache verunglimpft. Das war einmal. Heute wollen einige Umweltschützer ihre Ansichten offiziell als Religion anerkannt wissen. Tim Nicholson, zuständig für den Geschäftsbereich „Nachhaltigkeit“ des britischen Immobilieninvestors Grainger, legte gegen seine Entlassung Berufung ein, weil sein Arbeitgeber seine tiefen Überzeugungen in Umweltfragen nicht achte. Er verlangte gesetzlichen Schutz, um eine Wiedergutmachung für Diskriminierung aufgrund seines religiösen Bekenntnisses zugesprochen zu bekommen. Es kann nur eine Zeitfrage sein, bis Kampagnen für die offizielle Anerkennung der Nachhaltigkeit als sakrosankte Lehre vom Stapel gelassen werden.

Die Manipulation religiöser Überzeugungen mit der Absicht, das Verhalten der Menschen zu ändern, ist nicht nur eine Missachtung der Öffentlichkeit. Darin zeigt sich auch eine Missachtung des Glaubens. Man erkennt ein simplistisches, rein funktionales Verständnis dessen, was Religiosität ist. Seit dem 19. Jahrhundert sehen einige säkulare Denker im Verfall der Religion ein großes Problem der modernen Gesellschaft. Obwohl selbst ungläubig, erachteten sie Religion als einen Stabilitätsfaktor und machten sich ernste Gedanken darüber, welches Verhalten Menschen ohne Religion an den Tag legen würden. Derartige Überlegungen über die moralische Verwirrung und die Aushöhlung disziplinierender Strukturen führt oft zu der Schlussfolgerung, dass die Gesellschaft irgendeine Form von Religion benötigt. Diese Sichtweise formulierte in seltener Klarheit der amerikanische Kulturkritiker Daniel Bell in den späten 70er-Jahren folgendermaßen:

„Was verbindet uns mit der Realität, wenn die säkularen Bedeutungssysteme sich als Illusion herausstellen? Ich riskiere eine unpopuläre Antwort – es ist die Rückkehr irgendeiner Form von Religion in der westlichen Gesellschaft.“ (4)

Bell wählte seine Worte mit Vorsicht. Die Phrase „irgendeine Form von Religion“ legt eine pragmatische Konzeptualisierung des Problems nahe. Nicht diese oder jene Religion, sondern irgendeine Form von Religion wird den säkularen Ungewissheiten, an denen die Gesellschaft leidet, vorgezogen. Nach Bell ist es belanglos, was die Menschen glauben, solange sie ihrem Glauben einen gewissen Sinn entnehmen können. Bell sieht in der Religion eine wichtige Funktion: die Bereitstellung einer moralischen Ordnung in der Gesellschaft. Betrachtet man die religiöse Überzeugung nur von dieser eingeschränkten und funktionalen Perspektive, lässt sie sich leicht für eine Vielzahl von Zielen instrumentalisieren, für honorige, aber auch für niedrige. Der Versuch, Religion zu instrumentalisieren, um die Haltung der Menschen zu Umweltfragen zu verändern, ist nur der jüngste Versuch der Mainstream-Aktivisten, die Macht der Religion für säkulare Ziele einzuspannen. Dieses pragmatische Modell von Religion übersieht den historischen Prozess, durch den ein Glaubenssystem entsteht, sowie die Erfahrungen und das Beziehungsgeflecht, auf dem Glaubenssysteme wachsen. Echte Religionen sind – im Gegensatz zu den künstlichen – organisch mit dem Leben der Menschen verbunden.

Religiöse Überzeugungen werden durch alltägliche Übung und Praxis internalisiert. Solche Überzeugungen helfen dem Menschen, seinem Leben und der Welt Sinn zu verleihen. Die Vorstellung, man könnte Religion und Gott erfinden, weil man sie „braucht“ oder weil ein moralischer Kreuzzug die Autorität eines übernatürlichen Wesens benötigt, übersieht die historische, soziale und kulturelle Einbindung, innerhalb derer sich Religionen konstituieren. Sie bedeutet auch eine Herabwürdigung religiöser Überzeugungen. Religiöse Überzeugungen sind an Intuition, Spiritualität, Glaube und Vernunft gebunden. Auf jeden Fall müssen die Weltreligionen als die wichtigste moralische, intellektuelle und kulturelle Errungenschaft menschlicher Zivilisation gesehen werden. Religiöse Überzeugung als eine Art Instrument zur Regelung öffentlicher Beziehungen zu interpretieren, entwertet die historischen Formen des Glaubens.

Aber der Missbrauch der Religion ist nicht das einzige Ergebnis des modernen, zynischen Versuchs, einen neuen grünen Gott zu erfinden. Wenn sogenannte Atheisten, Wissenschaftler und säkulare Denker fordern, dass ihre Ansichten sakrosankten Status genießen, dann degradieren sie auch wissenschaftliche Wahrheitsfindung. Wissenschaft entstand während des intellektuellen Kampfes zur Befreiung des Menschen von der Tyrannei des unantastbaren Dogmas. Glaube an die Wissenschaft unterscheidet sich vom vor-wissenschaftlichen Glauben. Den Glauben an die Macht der Wissenschaft, das Funktionieren der Welt zu entschlüsseln, darf man nicht so interpretieren, dass Wissenschaft dadurch selbst zum Glaubensersatz wird. Im Gegenteil, Wissenschaft beruht auf der für jede Erkenntnis nötigen Offenheit gegenüber dem Experiment und der Überprüfung von Thesen. Wissenschaft ist so ein inhärent skeptisches Verfahren, da sie keine Autorität als die schlüssige Beweisführung anerkennt. Wie Thomas Henry Huxley einst formulierte: „Wer natürliches Wissen präzisiert, lehnt jedwede Autorität grundsätzlich ab. Skeptizismus ist die vorrangige Pflicht, blinder Glaube eine unverzeihliche Sünde.“ Aus diesem Grund gab sich die angesehenste und älteste britische Vereinigung von Wissenschaftlern, die Royal Society, das Motto „On the Word of No One“ (Keiner Autorität verpflichtet). Dies schließt wohl auch den grünen Gott ein.

Die vorgeschlagene Eheschließung zwischen Pseudo-Religion und Pseudo-Wissenschaft bedeutet, dass man das Schlechteste beider Welten zusammenführt. Sie zersetzt die Religion und gebiert eine Religion der Korruption, in der Thesen sakrosankt werden und die Öffentlichkeit schikanieren und erpressen. Wer immer genuine Überzeugungen hat – ob religiöse oder wissenschaftliche –, hat ein übergreifendes Interesse daran, diese Degradierung religiöser Überzeugung und wissenschaftlicher Wahrheitsfindung infrage zu stellen.

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