25.02.2010

Angst vorm eigenen Kind

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Eine Rezension von Jörg Lau’s Buch über Elternschaft.

Es gibt Bücher über Elternschaft, die sich zu lesen lohnen. Das Werk von Jörg Lau zählt dazu. Schon zu Beginn der Bekenntnisse eines schwer erziehbaren Vaters stellt der Vater von drei Töchtern klar, dass er sich nicht zu einem „Eltern-Erziehungsauftrag“ oder zu überhaupt einem gesellschaftlichen Auftrag berufen fühle. Es gehe ihm darum, seine Freude am Leben mit Kindern zu teilen. Erfrischend und wohltuend ist dieses Buch, weil deutlich wird, wie viel besser es ist, den eigenen Vorstellungen, Werten und Prioritäten in der Erziehung zu vertrauen als all den Ratschlägen, die von außen auf uns niederprasseln.

Wie stehen Eltern heute in der öffentlichen Meinung da, und wie sehen sie sich selber? Da sind Alltagssituationen, über die Lau auch zu berichten weiß, bei denen man sich als Mutter oder Vater mit der „Erzieherei“ selber auf die Nerven geht und sich am Ende, mangels Durchsetzungskraft, dem kindlichen Willen fügt. Es gibt auch die Unsicherheit im Umgang mit dem schreienden Wesen, das das Leben nach einer Geburt so anstrengend erscheinen lässt – Schwierigkeiten, mit denen sich Eltern seit Jahrzehnten konfrontiert sehen. Sie sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Familienleben meistens schön ist und Eltern im Großen und Ganzen einen guten Job mit den Kleinen machen.

Doch von diesem Selbstbewusstsein scheinen sich viele Eltern verabschiedet zu haben. Die Zeitschrift Eltern druckte im Herbst 2008 die Ergebnisse einer Umfrage, nach der 47 Prozent der befragen Mütter und Väter angegeben hatten, klare Vorstellungen von Erziehung zu haben (S.17). Erstaunlich sei, so merkt Lau an, wie das Ergebnis interpretiert wurde: als Beweis für große Zuversicht. Lau fragt dagegen: „Zeugt das etwa nicht von einer bemerkenswert breit gestreuten Verunsicherung?“ (S.18). So gesehen beweist die Umfrage das Gegenteil von dem, was sie vorgibt, beweisen zu wollen. Ein Schelm, der annimmt, dies sei ein subtiler Trick der Zeitschrift, die schließlich an der Unsicherheit vieler Eltern verdient.

Doch was streut diese Unsicherheit in der heutigen Elterngeneration? Eine Art Paradoxon tut sich auf, auf das Lau eingeht: Der Unsicherheit der Eltern, die gewiss real ist, steht das selbstbewusste Auftreten einer wachsenden Gruppe von „Experten“ gegenüber. Diese Experten haben feste, wenn auch untereinander oft nicht zu vereinbarende Vorstellungen davon, was „gute“ Mütter oder Väter sind. Neben den bekannten „Kuschel-Pädagogen“ gibt es auch diejenigen, die den „neuen Mut zur Erziehung“ predigen. Hierzu gehören „die allwissende, nie zu verwirrende Super-Nanny“ oder der „prinzipienstarke, unkorrumpierbare Internatsdirektor vom Typ eines Dr. Bueb“ (S.19).

Wer mag hier keinen Zusammenhang zwischen der Zahl der Experten und der Unsicherheit vieler Eltern erkennen? „Es gibt kaum ein wohlmeinendes Elternbuch, das einen nicht mit dem Gefühl von Inkompetenz und Reue zurücklässt“, schreibt Lau (S.17). Kein Wunder, schließlich wird Eltern von Experten die Rolle der stümperhaften Amateure zugewiesen – um dann darüber zu lamentieren, wie unsicher sie seien, was wiederum zum Anlass genommen wird, noch mehr „Hilfe zur Erziehung“ zu fordern. Lau ertappe sich manchmal selbst dabei, wie er dieses Zeug, das er in irgendeinem Ratgeber aufgeschnappt habe, gedankenlos weitergebe – bis er erkenne, dass das gar nicht er selbst sei, der da spreche.

Eltern tun gut daran, ihren eigenen Stil in der Erziehung zu entwickeln. Wie schwer ihnen das gemacht wird, zeigt Lau anhand einprägsamer Beispiele. Welch liebende Eltern wollen nicht unbedingt das Richtige für ihr Kind tun? Der Druck auf Eltern ist besonders hoch, wenn Alarmismus ins Spiel kommt. Lau berichtet von einer Hebamme, die ihm und seiner Frau nach der Geburt des ersten Kindes riet, ihren Rhythmus unbedingt nach dem des Babys auszurichten, da ansonsten traumatische Schädigungen des Kindes zu befürchten seien. Die Folge war, dass die jungen Eltern kaum mehr Schlaf bekamen. Erst nach einem Gespräch mit einem Arzt wagten die Eltern, sich dem Rat der Hebamme zu widersetzen und den Rhythmus des Kindes nach den eigenen Bedürfnissen zu steuern, was sich für alle Beteiligten als vorteilhaft herausstellte.

Es ist immer schwierig, aus einzelnen Beispielen einen generellen Trend ableiten zu wollen. Sicher gebe es auch Hebammen, die jungen Eltern die Unsicherheit zu nehmen wüssten, schreibt Lau. Dennoch, es ist ein alter Trick der Beratungsindustrie, schlimme Folgen zu prognostizieren, wenn der Rat nicht befolgt wird. Im Falle von Kindern wird er sehr erfolgreich eingesetzt. Es gebe, so Lau, „in dieser Branche (wie in allen Helferberufen) auch einige, die von der Macht angezogen sind, im Leben anderer Erwachsener herumzufuhrwerken und deren Lebensführung gemäß ihrer eigenen Ideologie zu ‚reformieren‘“ (S. 131). Geht es um das Wohl der Kinder, wird eine solche Einmischung regelrecht enttabuisiert. Sobald sich Nachwuchs andeutet, wird das Recht, so zu leben, wie man es für richtig hält, gegen die elterlichen Pflichten abgewogen. Eltern werden zu einer Gruppe innerhalb der Gesellschaft, der man genau auf die Finger schaut. Der prüfende Blick und der Drang, Rat zu erteilen, macht nicht einmal Halt vor ganz persönlichen Fragen wie den Schlafgewohnheiten innerhalb einer Familie.
Viele Studien haben sich mit der Frage befasst, warum immer weniger Menschen Kinder bekommen. Lau mag recht haben, wenn er vermutet, das allgemeine Klima der Angst und Unsicherheit trage maßgeblich dazu bei. „Am Ende haben viele Eltern Angst vor den eigenen Kindern. Wie denn auch nicht, wenn man ihnen andauernd von allen Seiten einredet, sie könnten ihnen kaum gerecht werden – und wenn doch, dann wahrscheinlich nur um den Preis der Selbstaufgabe. Dieses Gefühl wird durch den „raunenden Ton der Apokalypse“ (S.11) verstärkt, der unsere Debatten über Kinder und Familien fast zwangsläufig begleitet. In diesem Zusammenhang erwähnt Lau die „erfolgreichen Traktate des Bonner Psychiaters Michael Winterhoff, der unsere Kinder ‚Tyrannen‘ werden sieht“. Winterhoff, der eigentlich vernünftige Vorschläge habe, mache aus seinen Fallgeschichten und Beobachtungen ein weit überzogenes Gemälde des moralischen Verfalls. Daran zeige sich das alte Schema der Verallgemeinerung. Es wird von einem Extrem ausgegangen, das nicht der Norm entspricht. Diese Abweichung wird plötzlich zur Spitze eines vermeintlichen Eisbergs erklärt. Von hier aus ist der Schritt zur Katastrophe ein kleiner. Diese Art von Literatur könne nur die Unlust am Kinderkriegen befördern, resümiert Lau.

Wie können wir uns als Eltern also gegen diese beängstigenden Trends wehren? Gesunde Skepsis und die Rückbesinnung auf das, was wir selber für richtig halten, kann ein Anfang sein. Lau ist anzuerkennen, dass er uns an einige Grundprinzipien der Elternschaft erinnert, die uns dabei bestärken können. Hierzu gehört die Erkenntnis, dass es keinen Interessengegensatz zwischen Eltern und Kindern gibt: „Unser Problem mit dem Schlafrhythmus … hatte im Grunde mit dem falschen Denken zu tun, dass Kinder und Eltern entgegengesetzte Bedürfnisse haben und man diejenigen des Kindes ins Zentrum zu stellen habe“, schreibt er (S. 144). Am wichtigsten aber ist die so einfache, befreiende Erkenntnis, dass die allermeisten Menschen „für das Leben mit Kindern bestens ausgestattet sind, auch ohne Ratgeber“ (S.145). Wer den Spaß an Kindern ungetrübt von allen Besserwissern genießen möchte, dem sei das Buch von Jörg Lau empfohlen.

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