11.05.2011

Endlosschleife NPD-Verbot

Kommentar von Horst Meier

Ist ein neuerliches NPD-Verbotsverfahren tatsächlich eine sinnvolle Strategie im Kampf gegen Rechtsradikalismus?

Zum Verbot der NPD fällt mir nichts mehr ein. Die Partei, eine klägliche Ansammlung deutschtümelnder Rassisten, Antisemiten und politisch auch sonst ein wenig unterbelichteter Randexistenzen, die neben ihrer politischen Ohnmacht nunmehr auch in den finanziellen Ruin zu torkeln droht – dieses Gebilde ist, derzeit jedenfalls und bundesweit gesehen, eine zu vernachlässigende politische Größe. Bescheidene regionale Erfolge wie der erneute Einzug in den sächsischen Landtag ändern nichts daran. Man darf also einmal ohne Umschweife aussprechen, was der Fall ist: Die NPD ist ungefährlich. Die NPD als Parteiorganisation wohlgemerkt, bezogen auf die politische Stabilität der Bundesrepublik, bezogen auf die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (zu deren Schutz der Parteiverbotsartikel 21 des Grundgesetzes einst erfunden wurde).

Gewiss, es gibt einzelne in Strafverfahren überführte „nationaldemokratische“ Schläger, doch der Organisation als solcher ist keine Gewaltstrategie und schon gar kein militanter „Kampf um die Straße“ zuzurechnen. Während die polizeiliche Gefahrenabwehr und Strafverfolgung stets Einzelnen gilt, ist das Parteiverbot die präventive Sanktion des Grundgesetzes gegen eine ganze politische Organisation. Dieser fundamentale Unterschied und die daraus folgende ungleich höhere Eingriffsschwelle werden regelmäßig übersehen. Wer sich, was die Fakten anbelangt, einen aktuellen Überblick verschaffen will, nehme das neue Buch zweier Journalisten zur Hand: Sie recherchierten zwei Jahre in der NPD und erklären gleich im Vorwort den besonnenen Umgang mit dieser Partei zur „Reifeprüfung der Demokratie“. [1]

Es bleibt also dabei: Die derzeitige NPD ist kein Fall für den Ausnahmetatbestand des Artikels 21 GG. [2] Das im Grundgesetz statuierte Parteiverbot, hierzulande leicht mit demokratischer Normalität verwechselt, ist ein autoritärer Systembruch. Eine Verfassung, die nicht erst die Anwendung politisch motivierter Gewalt sanktioniert, also das „Verhalten“ der Parteianhänger, sondern auch schon die Propagierung verfassungsfeindlicher „Ziele“, also Gesinnungen – eine solche Verfassung ist keine voll demokratische. Wer sich einen Sinn für die Freiheit von Opposition bewahrt hat, macht von einem solchen Verbotsartikel nur dann Gebrauch, wenn Gefahr im Verzuge ist: „clear and present danger“ heißt eine berühmte Formel des US-amerikanischen Supreme Court. Es ist das immergleiche Muster, ein stets abrufbarer, wiederkehrender Reflex. Was immer am rechten Rand geschieht, kommt als Vorwand für eine neuerliche Verbotsforderung gerade recht. Doch längst leben die, die sich Nationaldemokraten nennen, von den Fehlern ihrer politischen Gegner. Und Letztere geben beim Wiederaufwärmen ihres Verbotsbegehrens wahrlich keine gute Figur ab. Eine merkwürdige Mischung aus Antifa-Rhetorik, Gesinnungshuberei und Alarmismus dient vor allem anderen der Selbstbeweihräucherung: Wir sind das bessere Deutschland! Nazis raus!

Erinnert sich jemand an den Fall des Alois Mannichl? Die Messerattacke auf den Passauer Polizeidirektor im Dezember 2008 war ein spektakuläres Beispiel – fragt sich nur wofür. Der Angriff auf den Polizeichef sei ein weiterer Beleg für die zunehmende Brutalität im Umfeld der NPD, war damals allenthalben zu lesen. Die CSU gab sich entschlossen, die Chancen eines neuerlichen Verbotsverfahrens zu prüfen. Es sei „der Weltöffentlichkeit kaum vermittelbar“, dass die NPD nicht längst verboten sei. Und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier sekundierte, mit dem Passauer Vorfall steige die Zahl der Gründe für ein Verbot. Doch nach der voreiligen Festlegung auf einen rechtsradikalen Hintergrund ging die Sonderkommission der Polizei dazu über, in alle Richtungen zu ermitteln. „Knapp vier Wochen nach dem Attentat“, hieß es in der Süddeutschen Zeitung vom 9.1.09, „werden die Umstände immer mysteriöser statt klarer.“ Auch bei fremdenfeindlichen Attacken wird meist geflissentlich übersehen, dass eine direkte Verbindung zur NPD gar nicht besteht. Wie, die Schläger haben nicht das einschlägige Parteibuch in der Tasche? Sie schlugen aus selbst verschuldetem Ressentiment, sie traten zum ureigenen Vergnügen? Macht nichts! Schließlich ist die NPD mit ihrer fremdenfeindlichen Hetze für ein Klima verantwortlich, das solche Exzesse irgendwie hervorbringt: „Geistige Brandstifter!“

Wer ein Parteiverbot ins Spiel bringt, muss triftige Gründe und eine demokratiekonforme Rechtfertigung dafür geben. Und im Fall der NPD zwei Fragen präzise beantworten: Warum sind die Verbotsanträge des Jahres 2001 gescheitert? Und was bringt ein neuerlicher Anlauf in Karlsruhe? Zum ersten Punkt: Die Gründe für das Scheitern finden sich im Einstellungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18.3.03. [3] Weil man vor lauter V-Leuten nicht sicher unterscheiden könne, was an der NPD authentische, selbstbestimmte Partei und was an ihr womöglich fremdbestimmte Staatsveranstaltung sei, liege ein „unbehebbares Verfahrenshindernis“ vor. So jedenfalls sahen es drei Richter; die für die Fortsetzung des Verfahrens notwendige Zweidrittelmehrheit (sechs von acht Richtern) kam damals nicht zustande. Wer es nach diesem Debakel nicht sein lassen kann, muss sich einer zweiten Frage stellen: Hat ein neuer Verbotsantrag Aussicht auf Erfolg? Hier muss man wiederum – ohne Schielen auf das gewünschte Ergebnis – die Entscheidung des Verfassungsgerichts ernst nehmen. Wird erwogen, heißt es dort, einen Verbotsantrag zu stellen, so müssen „rechtzeitig“ vor dessen Eingang, „spätestens mit der öffentlichen Bekanntmachung“ dieser Absicht die V-Leute „abgeschaltet“ werden. Mit dem aus der Parteienfreiheit folgenden Gebot „strikter Staatsfreiheit“ sei es nicht vereinbar, dass bis in den Verbotsprozess hinein jeder siebte (!) Spitzenfunktionär für den Geheimdienst arbeite.

Hier nun beißt sich die Katze in den Schwanz. Da viele Verbotsbefürworter und Innenminister an der schlicht unsinnigen Behauptung festhalten, sie müssten des „Extremismus“ verdächtigte Parteien wie die NPD ohne Unterlass infiltrieren (was übrigens auch „Die Linke“ trifft), errichten sie selbst die höchste Hürde gegen einen neuen Verbotsantrag. Und damit kommen wir zurück auf das entscheidende Argument gegen ein Verbot der NPD. Von einer Gefährdung der Staatsordnung durch einige Tausend „Nationaldemokraten“ kann keine Rede sein. Bis heute wird gegen die 1964 gegründete NPD nichts substanziell Neues vorgebracht. Weil ihr keine organisierte politische Gewalt anzulasten ist, boten die gescheiterten Verbotsanträge nicht mehr als einen Sack voll widerlicher Zitate. [4] Das Verbot einer Partei aber, der außer Parolen nichts Handfestes vorzuwerfen ist, ist faktisch nicht notwendig und juristisch fragwürdig.

Es bleiben verfahrensrechtliche Tricks. Doch Basteleien an der Karlsruher Verfahrensordnung verschärfen nur das Problem: So hat der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch (damals im Zweiten Senat Berichterstatter für das Verfahren gegen die NPD) vorgeschlagen, die qualifizierte Mehrheit für ein Verbotsurteil abzuschaffen. [5] Dies aber gefährdet den ohnehin prekären Legalstatus potenziell jeder Oppositionspartei. Gerade weil das Parteiverbot nach Artikel 21 GG eine vage formulierte Ausnahmeregelung ist, die zum Missbrauch geradezu einlädt, sind prozedurale Sicherungen so wichtig – als rechtsstaatlicher Schutz vor einem leichtfertigen Eingriff in den politischen Wettbewerb. Höchste Zeit also, sich von einer so fruchtlosen wie schädlichen Verbotsdebatte zu emanzipieren und sich auf den politischen Kampf gegen Rechtsradikale zu besinnen. Dabei ist realistischerweise in Rechnung zu stellen, dass vaterländische Chauvinisten, Holocaust-Leugner und andere unbequeme Mitbürger eben auch unsere Zivilgesellschaft bevölkern. Die Innenminister, die alle Jahre wieder die Verbotsfrage beraten, sollten besser eine Reform des Verfassungsschutzes auf ihre Tagesordnung setzen; eine, die der Dauerbespitzelung ein Ende bereitet und der Parteienfreiheit gerecht wird. Unsere Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie dürfen nicht hinter demokratische Standards zurückfallen. [6]

Wie diese Geschichte wohl ausgeht? Schwer zu sagen. Immerhin ist klar, dass hundert leichtfertige Verbotskampagnen nicht so schädlich sind wie ein leichtfertiges Verbot. Vielleicht sollte die Bundeszentrale für politische Bildung einen hoch dotierten Demokratiepreis für jene Partei ausloben, die sich, sagen wir einmal, fünf Jahre lang jeder Verbotsfaselei eisern enthält. Gesetzt aber den Fall, die NPD würde eines Tages tatsächlich verboten – ja, was dann? Ich fürchte, es ginge so wie mit der Wunscherfüllung im Märchen. Nicht wenige der Mahner und Warner würden sich bald schon die gute alte NPD zurückwünschen. Oder sich schleunigst eine neue suchen. Eine endlose Geschichte. Fortsetzung folgt. Demnächst in diesem Theater.

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