01.11.2009

Editorial

Von Novo-Redaktion

Die Vereinigung Deutschlands war ein großartiges Ereignis. Die DDR wurde Makulatur, ihr wirtschaftlich rückständiges und unfreies System fiel in sich zusammen. Die ostdeutschen Bürger hatten im Herbst 1989 eine Revolution herbeigeführt! Aufbruchsstimmung herrschte auch im Westen. Angestoßen wurde ein gigantischer Transformationsprozess. Eine marode Kommandowirtschaft wurde, so gut es ging, für die Weltmärkte fit gemacht, demokratische Strukturen wurden implementiert.

Es gibt gute Gründe, diese historische Errungenschaft zu feiern, dabei aber auch seinen Verlauf kritisch-konstruktiv aufzuarbeiten. Doch genau das geschieht nicht. Der gesellschaftliche Diskurs 20 Jahre nach dem Mauerfall wird eher von Trübsinn, Verdrängung und Gesprächsverweigerung zwischen Ost und West geprägt. Das Bild einer wirklichen Einheit ist noch nicht verfügbar.

Sabine Reul geht der Frage nach, warum sich in Deutschland nach der Wende „menschliche Entfremdung“ einstellte (S. 12). Ein bezeichnendes Problem ist, dass Diskussionen über die Einheit auf medialer wie intellektueller Ebene fest in westlicher Hand sind. Sie drehen sich allzu oft um stereotype Erinnerungsrituale: Es geht um die Schlechtigkeit des Unrechtsstaats DDR und hinterhältige Stasi-Machenschaften. Hinzu kommen die Bilder heroischer Interventionen von Genscher und Kohl zur Rettung der Ostdeutschen. Je länger der Umbruch zurückliegt, desto mehr wird die Geschichte verklärt. Sie wurde 1989 nicht von Politikern, sondern von aktiven Bürgern geschrieben, die für ein fortschrittlicheres Gemeinwesen aufbegehrten. Getriebene waren eher die Politiker, die sich längst mit der Teilung arrangiert hatten. Mit Hans-Peter Krüger (S. 16), Joachim Schiemann (S. 20) und Rainer Land (S. 22) verschaffen wir ostdeutschen Stimmen Gehör. Möge dies einer klärenden Auseinandersetzung um den Wiedervereinigungsprozess förderlich sein. Gemeinsame Stärken und neue emanzipatorische Impulse für unser Gemeinwesen können nur auf einer solchen Grundlage entstehen.

Sabine Beppler-Spahl und Katharina Rutschky haben eine Art Bildungsmanifest verfasst, in dem sie die gebetsmühlenartig vorgebrachten Argumente, was Bildung heute alles leisten soll, hinterfragen (S. 32). Anders als die „Lobbyisten des pädagogisch-sozialen Komplexes“ argumentieren sie, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen Bildungsinvestitionen und Volkswirtschaftsdynamik gibt. Günter Keil steckt den Rahmen ab für unsere „Klima-Berichterstattung“ (S. 48). Er beschreibt die Weigerung der Politik, die mittlerweile gefestigte Beobachtung, dass sich die mittlere Temperatur der Erdoberfläche seit 1998 nicht weiter erhöht hat, zur Kenntnis zu nehmen. Frank Furedi liefert argumentativen Sprengstoff zur Frage, was am Hindukusch verteidigt wird (S. 70). Den westlichen kriegsführenden Parteien in Afghanistan wirft er vor, ihren Feinden in die Hände zu spielen, indem sie die Sicherheit von Soldaten in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rücken, statt eine fundierte Debatte über das Für und Wider des Krieges zu führen. Und er argumentiert, dass jene, die heute den Abzug der Truppen fordern, die destruktive westliche Kultur der Risikoscheu widerspiegeln.

Einen guten Jahresausklang und anregende Lektüre wünscht Ihr

Thomas Deichmann

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