01.03.2010

End the ECB? Über eine Reform der Geldordnung

Analyse von Malte Tobias Kähler

Die „Österreichische Schule“ sieht den Grund der Krise im staatlichen Papiergeld. Wie eine Reform im Sinne dieser Strömung aussehen könnte.

Eine Bürgerbewegung in den USA, angeführt vom populären Kongressabgeordneten Ron Paul, mahnt derzeit mit dem Ausruf „End the Fed!“ eine Reform der planwirtschaftlichen Geldordnung an. Es geht dabei um nichts Geringeres als um die Abschaffung der US-Notenbank und die Wiedereinführung eines vollständig gedeckten Markt-Geldes. Obwohl diese Bewegung von den Massenmedien bislang weitgehend ignoriert wird, wächst ihre Bedeutung dank des Internets stetig weiter an.1 Die Protestler stützten sich auf die Ergebnisse der „Österreichischen Schule“ der Ökonomie, die den Grund der Krise im staatlichen Papiergeld verortet. Wie könnte eine Reform im Sinne dieser Strömung aussehen?

Die bekannte Geldhistorikerin Anna Schwartz äußerte sich im vergangenen Jahr über die Geschichte der Spekulationsblasen wie folgt: „Wenn man die einzelnen Übertreibungen des Marktes in all den Jahren erforscht, war es in jedem Fall die expansive Geldpolitik, die den Boom in einer Vermögenswertklasse hervorrief.“ Das Objekt der Spekulation habe sich zwar „von einem Boom zum nächsten gewandelt“, aber die Auslöser der Übertreibung seien stets „eine zu expansive Geldpolitik und zu niedrige Zinssätze“ gewesen. Das habe ganz gewöhnliche Bürger dazu verleitet, verschiedene Spekulationsobjekte zu erwerben (in der jüngsten Dekade waren es Aktien und Immobilien), da die nötigen Kredite zum Kauf ja reichlich verfügbar waren. „Und dann“, so schließt die Autorin, „wenn die Geldpolitik restriktiver wird, kollabiert der Boom.“2

Auch die Vertreter der Österreichischen Schule erkennen das Grundübel der periodisch wiederkehrenden Wirtschaftskrisen in einer zügellosen Kreditvermehrung, die nicht auf realen Ersparnissen basiert, sondern auf beliebig multiplizierbarem Papiergeld.3 Um künftige Krisen zu vermeiden, bedarf es aus ihrer Sicht der Bindung des gesetzlichen Zahlungsmittels an ein erprobtes und uraltes natürliches Geld, wie etwa Gold, da dieses von den Notenbanken nicht nach Gutdünken vermehrt werden kann. „Die vorhandenen Bankverbindlichkeiten werden an das Gold angebunden, das noch in den Kellern der Zentralbanken lagert. So erhält die ausstehende Papiergeldmenge einen Anker“,4 erläutert Dr. Polleit von der Frankfurt School of Finance den notwendigen ersten Reformschritt. Die verschiedenen Landeswährungen, wie Dollar, Euro oder Pfund, stellen dann nur noch Gewichtsbezeichnungen für eine bestimmte Menge Gold dar, so wie ein Gramm oder eine Unze. Weil es sich dabei um Gewichtsverhältnisse handelt, sind die Einwände, es gäbe nicht genügend Gold auf der Erde, um eine vollständige Deckung zu gewährleisten, genauso unseriös wie die Behauptung, es wären nicht genügend Meter vorhanden, um einen Kilometer abzuschreiten.

Öfter wird hingegen der Einwand erhoben, dass die Preise bei vorhandenem Goldstandard aufgrund des Produktivitätsfortschritts allmählich sinken würden, was dann irgendwie zu ökonomischem Stillstand führen müsse. Das so heraufbeschworene Schreckgespenst der Deflation verhindert zumeist jede seriöse Auseinandersetzung mit dem Thema – viele Ökonomen waren einfach zu erfolgreich darin, der Öffentlichkeit einzuhämmern, dass sinkende Preise etwas Schlechtes wären. Milton Friedman – der ja beileibe kein Außenseiter in dieser Wissenschaft war – bemerkte allerdings, dass das Preisniveau in der Epoche des Goldstandards gegen Ende des 19. Jahrhunderts beständig gefallen ist. Und zwar „in weniger als fünfzehn Jahren auf die Hälfte des Anfangsniveaus. Zur selben Zeit schritt das Wachstum in hohem Maße voran“. Das Zusammentreffen beider Phänomene, so Friedman weiter, ließe „ernsthafte Zweifel an der gegenwärtig verbreiten Ansicht [entstehen], die davon ausgeht, dass langfristige Preisdeflation und hohes wirtschaftliches Wachstum unvereinbar wären“.5

Aus theoretischer Perspektive überrascht dieser Befund jedoch keineswegs. Befasst man sich einmal nüchtern mit den Zusammenhängen, bemerkt man, dass sich ein Unternehmer bei seinem alltäglichen Geschäft recht wenig um das „allgemeine Preisniveau“ schert, das eine fixe Idee der überwiegend in Aggregaten denkenden Makroökonomen ist. Für seinen Gewinn ist vor allem die Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufspreisen derjenigen Güter entscheidend, die in seinem Betrieb Verwendung finden. Wenn z.B. die Verkaufspreise in der Computerbranche aufgrund des technischen Fortschrittes sinken, so bedeutet das nicht zwingend, dass ein Hersteller dort die Produktion einstellen müsste. Denn solange die Einkaufspreise für die von ihm benötigten Rohstoffe und die Kosten anderer Betriebsmittel ebenfalls sinken, besteht die Profitlücke ja nach wie vor. Derartige Preisspannen zwischen den Gütern sind der Antrieb für unternehmerisches Engagement und ergeben sich in allen Branchen und zu jeder Zeit – unabhängig davon, ob das allgemeine Preisniveau steigt, sinkt oder auch verharrt. Die wirtschaftliche Aktivität muss also bei fallenden Preisen keinesfalls zum Erliegen kommen, was von Friedman ja auch empirisch festgestellt wurde.6

Obwohl die staatliche Zentralbank wohl der sichtbarste Produzent des Krisen hervorrufenden Papiergeldes ist, wird das Problem der Finanzturbulenzen mit der Einführung eines Goldstandards noch nicht gelöst. Ein weiterer Akteur kann dank eines vom Staat verliehenen Privilegs nämlich ebenfalls Geld „aus dem Nichts“ erschaffen. Ohne die Kenntnis dieses zweiten Prozesses kann auch nicht begriffen werden, warum die Weltwirtschaftskrise des letzten Jahrhunderts entfesselt wurde, obwohl der Dollar und andere Währungen noch an die Goldreserven gekoppelt waren.

Auch private Banken sind nämlich zur Geldschöpfung befähigt, indem sie die vertraglichen Strukturen von Sicht- und Termineinlagen vermengen, deren Unterscheidung früher einmal fundamental für das Bankgeschäft war.7 Brachte ein Kunde in der Vergangenheit einen Teil seines Geldes (z.B. Goldmünzen) auf ein Konto, so konnte er das entweder in Form einer Sicht- oder Termineinlage tun. Bei einer Sichteinlage (z.B. Girokonto) sichert die Bank dem Kunden zu, jederzeit über das Geld verfügen zu können (deshalb: „bei Sicht“). In diesem Fall hat der Kunde seiner Bank also keinerlei Verfügungsrechte über das hinterlegte Geld übertragen. Dieses gelangt somit zwar in den Besitz der Bank, wird jedoch nicht zu ihrem Eigentum, denn der rechtmäßige Eigentümer des Geldes ist ja nach wie vor der Kunde, der damit auch nach Belieben Überweisungen tätigen kann. Die Bank übernimmt im Fall der Sichteinlage also lediglich die Funktion eines Lagerhauses und bietet die Dienstleistung der bequemen Kontoführung an (Aufbewahrung, Überweisungen, heute auch Onlinebanking etc.), wofür sie eine geringe Gebühr verlangen kann.

Der Kunde kann andererseits aber auch mit dem Motiv zur Bank gehen, sein Geld für eine gewisse Zeit einem Investor zur Verfügung zu stellen, um nach Ablauf der Periode einen Profit in Form von Zinsen zu erwirtschaften (Termineinlage). Die Zahlung des Zinses erklärt sich daraus, dass die Investition das Geld eine gewisse Zeit lang bindet und zudem mit Ausfallrisiken behaftet ist. Die Bank erhält vom Sparer nun die Verfügungsrechte über das Ersparte – unter der Auflage, ihm später eine größere Menge Geld zurückzuzahlen. Somit darf das Geld aus der Termineinlage völlig legitim an Dritte weiterverliehen werden, und die Bank kann Gewinne aus der Differenz der Zinssätze generieren. Dieser Vertrag unterscheidet sich deutlich von einer Sichteinlage, und zwar vor allem in Bezug auf die Übertragung der Verfügungsrechte.

Doch was geschieht, wenn die Bank auch die Sichteinlagen ihrer Kunden so behandelt, als ob sie Termineinlagen darstellten, und dieses Geld dann ebenfalls verleiht? Rechtlich gesehen vermischt die Bank damit die ursprünglich strikt getrennten Einlageformen und wird zu einer „Teilreservebank“, d.h., sie kann nur noch einen Teil der unmittelbar fälligen Verbindlichkeiten begleichen und wird von nun an durch Bankruns gefährdet (heutzutage existiert zwar eine Vielzahl von Hybridformen bei Einlagen, z.B. Tagesgeldkonten, die strikte Trennung der beiden ursprünglichen Typen hilft hier aber, das zentrale Argument zu verdeutlichen).

Ökonomisch gesehen vermehrt sich in einem System von Teilreservebanken die umlaufende (Buch-)Geldmenge. Denn einerseits sind die Inhaber der Sichteinlagen nach wie vor rechtmäßige Eigentümer des Geldes und können es jederzeit für Überweisungen gebrauchen; andererseits wird das Geld jedoch zugleich von den Banken verwendet, die es in Form neuer Kredite an Dritte gewährt. Vom Wesen her ähnelt das Verleihen von Sichteinlagen also dem Fall einer veruntreuenden Unterschlagung, denn die Banken verpflichteten sich ja dazu, das Geld bei Verlangen sofort auszuhändigen. Dieses Versprechen können sie aber unmöglich erfüllen, da sie nicht mehr über genügend Reserven verfügen, um alle unmittelbar fälligen Einlagen auszuzahlen. Ein solches Bankensystem – sprich: das gegenwärtige Bankensystem – verletzt die klar definierten Eigentumsrechte, ohne die kein Markt funktionieren kann. Die Kreditinstitute erhalten durch das Privileg der Teilreservepraxis nicht weniger als eine „Lizenz zum Gelddrucken“, sodass die Papiergeldmenge selbst dann expandieren kann, wenn das Bankensystem formal mit einem Goldstandard arbeitet. Die anfänglich noch vorhandene Empörung über das dubiose Geschäftsmodell der Teilreservebanken wurde nicht zuletzt dank der ökonomischen Profession immer leiser. Namhafte Wirtschaftstheoretiker,wie etwa John Law, John Maynard Keynes, aber auch „Marktradikale“ wie Milton Friedman verdingten sich allzu leichtfertig als Steigbügelhalter der von Inflationsgelüsten getriebenen Regierungen. Denn Geldschöpfung ist für viele Ökonomen und auch Politiker beinahe das, was der „Stein der Weisen“ für die Alchemisten darstellte. Die meisten von ihnen sehen in ihr die Möglichkeit, Prosperität und (Preis-)Stabilität zu erzeugen und die Wirtschaft im jeweils gewünschten Sinne zu „managen“. Während man in der Chemie den Versuch längst aufgegeben hat, Gold aus Blei zu gewinnen, finden vergleichbare Theorien in der Geldpolitik offenbar nach wie vor ihre Anwendung – mit verheerenden Konsequenzen, wie die gegenwärtige Krise erneut beweist.

Um den Kapitalismus zu zerstören, sagte Lenin einmal, müsse man lediglich sein Geld vernichten.8 Wenn man sich heute umsieht, scheint es, als habe Lenin nicht nur recht, sondern auch Erfolg gehabt. In der Tat wurde das Geld des Kapitalismus allmählich durch ein staatlich kontrolliertes Papier- bzw. Buchgeld ersetzt, von dem behauptet wird, es sorge für „Stabilität“, wobei es doch das genaue Gegenteil bewirkt und so die kapitalistische Wirtschaftsform allmählich aushöhlt. Kein Wunder also, dass die Verfechter des Geldmonopols die Verantwortung an der Misere lieber dem Markt zuschieben, der womöglich nicht überall perfekt, jedoch zumindest an dieser Stelle völlig schuldlos ist. Sofern die politisch Verantwortlichen das ehrliche Anliegen verfolgen, die nächste Konjunktur- und Bankenkrise abzuwenden, sollte dem Bankensystem das Privileg entzogen werden, Geld aus dem Nichts zu schaffen. Dafür ist eine vollständige Reservepflicht auf alle unmittelbar fälligen Einlagen nötig. Erstaunlicherweise wurde ein ähnlicher Vorschlag in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auch von renommierten Ökonomen diskutiert. Walter Eucken beschreibt z.B. einen Ansatz von Irving Fisher: „Der Grundgedankte dieses Planes ist es, daß alles Giralgeld (Scheckdepositen) der privaten Banken zu 100 Prozent gedeckt werden soll. Danach würde jede Bank in zwei Abteilungen zerfallen: in die Giralgeldabteilung und die Bankabteilung.“9 Leider löste sich Eucken von diesem Vorhaben und machte deutlich, dass er am staatlichen Geldmonopol festhielt.

Sicher, die Chance, demnächst Menschen auf europäischen Straßen zu entdecken, die „End the ECB!“-Schilder emporheben, ist noch denkbar gering. Dennoch können künftige Spekulationskrisen wahrscheinlich nur dann wirksam abgewendet werden, wenn der künstlichen Vermehrung des Papiergeldes ein Riegel vorgeschoben wird. Dafür ist keine allumfassende Regulierung der Banken vonnöten, denn diese erfüllen eine viel zu wichtige Funktion, um sie unter einer Flut neuer Vorschriften zu erdrücken. Erforderlich ist vielmehr die 100-prozentige Deckung des gesetzlichen Zahlungsmittels, das heute im doppelten Wortsinn nur noch als „Schein-Geld“ bezeichnet werden kann.

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