01.03.2010

Der Markt hat versagt … kann der Staat uns retten?

Analyse von Alexander Horn

Solange die Politik die Ursachen der Krise in der Gier der Banker und in der vermeintlich übersteigerten Risikobereitschaft der Unternehmen verortet und über verschärfte Regulierungsmaßnahmen beheben zu können glaubt, brauchen wir nicht darauf bauen, dass der Staat einen positiven Einfluss nehmen kann.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise gilt weitgehend als Beweis für das Versagen des Marktes. So sieht es auch Peter Bofinger, Wirtschaftsprofessor in Würzburg und einer der fünf Wirtschaftsweisen. In seinem aktuellen Buch Ist der Markt noch zu retten? behauptet er, dass die „selbstzerstörerischen Tendenzen eines zu starken Marktes“ unverkennbar seien. Er zieht daraus das Resümee, dass der Markt mehr denn je des Staates bedürfe, „damit er nicht erneut und endgültig seiner Gier und seinem kurzfristigen Denken zum Opfer“ falle.1 Wie die meisten Kritiker des Marktes gilt auch Bofinger die gegenwärtige Krise als Beweis für die Relevanz eines starken Staates. Nur durch das beherzte Eingreifen staatlicher Institutionen sei es überhaupt gelungen, die gegenwärtige Krise in den Griff zu bekommen. Bofinger befürwortet eine stärkere staatliche Rolle, da diese demokratisch legitimiert sei und sich wesentlich von problematischen privatwirtschaftlichen Motiven wie Gier und kurzfristigem Denken unterscheide. Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Staat in der Lage ist, der ihm von den meisten Kritikern des Marktes zugedachten Rolle gerecht zu werden.

Demokratische Kontrolle

Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise verdeutlicht vielleicht stärker als jemals zuvor, wie schwach inzwischen die demokratische Kontrolle der Politik und damit die demokratische Verankerung staatlicher Macht geworden ist. Das liegt nicht etwa an der oft behaupteten „Entstaatlichung“, also der Zurückdrängung des staatlichen Einflusses aus der Wirtschaft, denn der Einfluss des Staates hat in den letzten Jahren in Deutschland eher zu- als abgenommen. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Initiativen der Parteien zur Bewältigung der Krise praktisch ausschließlich auf die Rolle des Bürgers als Konsument und Lohnempfänger konzentrieren, anstatt die Ursachen und Herausforderungen der Krise offen zu thematisieren. Statt offener Diskussionen, die dazu dienen könnten, die Bürger in eine Strategiediskussion über die Bewältigung einer Krise einzubeziehen, die nicht erst seit dem Beginn des Finanzkollapses von sehr hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Stagnation geprägt ist, dominieren billige Schuldzuweisungen an die Adresse der gierigen Banker. Mit dem Verweis auf die Schlechtigkeit der Menschheit wird ein öffentlicher Diskurs, der geeignet wäre, die Wähler einzubeziehen, mehr oder weniger bewusst vermieden. Im Übrigen wird gerade so getan, als sei Deutschland erst im letzten Jahr durch den Zusammenbruch der Finanzmärkte kalt erwischt worden und nicht schon seit vielen Jahren aufgrund geringer inländischer Investitionen und geringem Wirtschaftswachstum mit durchschnittlich mehr als fünf Millionen Arbeitslosen ziemlich gebeutelt.

So wundert es kaum, dass die staatliche Krisenbewältigungsstrategie darin besteht, neben dem Rettungsprogramm für die Banken und der Liquiditätssicherung für die Privatwirtschaft vor allem mittels Abwrackprämien und Steuervergünstigungen den Bürger als Konsument und als Lohnempfänger bei Laune zu halten. Dazu dienen die populistischen Kampagnen zur Rettung von Arbeitsplätzen, in denen sich Politiker aller Couleur zu profilieren suchen. Dabei scheinen wirtschaftliche Überlegungen kaum mehr eine Rolle zu spielen, wie etwa die „Opel-Rettung“ offenbart. Schon jetzt bürgt der Staat mit 200.000 Euro für jeden Opel-Beschäftigten – ein Vielfaches dessen, was die Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes in der Automobilindustrie kostet. Die „Opel-Rettung“ hat jedoch auch gezeigt, dass die Wähler offenbar nicht mehr bereit sind, der Anbiederung durch Wahlgeschenke Vertrauen entgegenzubringen. So hat die für die CDU und insbesondere die SPD extrem schlechte Europawahl zumindest einen Hinweis darauf gegeben, dass die Wähler offenbar dem paternalistischen Verteilen von Wahlgeschenken nicht zustimmen und mit Recht davon ausgehen, dass ihnen die Quittung nach der Bundestagswahl präsentiert werden wird. Was fehlt, sind eine politische Führung und ein strategisches Konzept, das eine gesellschaftliche Diskussion befördern und infolgedessen eine demokratische Kontrolle der Parteien und des Staates ermöglichen würde. Eine Stärkung der staatlichen Rolle wird demnach unter den gegebenen Umständen kaum mit einer Stärkung des demokratischen Einflusses einhergehen.

Verantwortung der Marktakteure

Eine stärkere staatliche Rolle, die – auch in Bofingers Vorstellung – vor allem auf eine stärkere Regulierung der Finanzwirtschaft hinausläuft, wird kaum geeignet sein, die Anfälligkeit des Finanz- und Wirtschaftssystems wesentlich zu reduzieren. Ein für den Verlauf der Finanzkrise wesentlicher Faktor war die kollektive Verantwortungslosigkeit in vielen Bereichen der Finanzwirtschaft. Diese betraf die privaten Banken nicht weniger als die staatlichen Banken, wie etwa die Landesbanken, die ihre liquiden Mittel zinsbringend unterbringen wollten und sich stark im amerikanischen Hypothekenmarkt engagierten. Es kursieren unterschiedliche Erklärungsansätze, die versuchen, die Ignoranz der Markteilnehmer in Anbetracht der wirtschaftlichen Fakten zu erklären. Der Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, sieht in den Aktionären und den Aktionärsvertretern die Hauptverantwortlichen der Verantwortungslosigkeit, denn „die Aktionäre sind die Auftraggeber und die Manager nur ihre Erfüllungsgehilfen“.2 Sie steuerten die Vergütungsstrukturen des Managements und trieben es dazu, höhere Risiken einzugehen. Den Hintergrund dafür sieht Sinn im „asymmetrischen“ Risiko der Aktionäre, die zwar Gewinne voll einstreichen könnten, im Verlustfall jedoch andere Gläubiger und die Allgemeinheit erfolgreich mit in die finanzielle Verantwortung zur Bewältigung der Verluste ziehen könnten.

Während Sinn also in den Aktionären die Hauptschuldigen für das insgesamt verantwortungslose Verhalten der Marktteilnehmer sieht, zielt die öffentliche Meinung direkter auf das Management der Unternehmen und die Rolle der Aufsichtsräte ab. Dies hat die Politik dazu ermuntert, sehr tief in die Vergütungsstrukturen der Unternehmen einzugreifen mit dem Ziel, Regelungen zu schaffen, die verantwortungsloses Verhalten (etwa indem kurzfristige Boni eingestrichen werden können, der langfristige Unternehmenserfolg aber leidet) vermeiden sollen. Durch diese Vorgehensweise gerät der Staat jedoch immer mehr zum Alleinverantwortlichen. Anstatt die Verantwortung der Marktteilnehmer zu stärken, indem diese die Konsequenzen ihres Handelns selbst verantworten müssen, also auch etwa für den Bankrott durch den Verlust ihres Vermögens zur Verantwortung gezogen werden, wird der Versuch gemacht, möglichst umfassend zu regulieren. Damit werden den Marktteilnehmern die Kompetenz und die Verantwortung abgesprochen. Der Staat rückt damit selbst immer stärker in die – schlussendlich auch finanzielle – Verantwortung. Die gegenwärtige Zielrichtung staatlicher Regulierung ist vor diesem Hintergrund sehr problematisch und nicht geeignet, verantwortungsloses Verhalten zu sanktionieren. Die Aufgabe staatlicher Regulierung sollte eher darin bestehen, einen Ordnungsrahmen zu setzen, durch den vermieden werden kann, dass sich Unternehmen im Falle einer Krise auf Systemrelevanz berufen können und folglich auch ohne größeren Schaden für den Bürger bankrottgehen dürfen.

Geringe Risikobereitschaft

Auch in anderer Hinsicht ist es äußerst fragwürdig, ob der Staat eine belebende wirtschaftliche Rolle entfalten kann, denn staatliche Institutionen kämpfen weitgehend mit den gleichen Problemen wie die Privatwirtschaft, der zu hohe Risikobereitschaft und kurzfristiges Denken vorgeworfen werden. Entgegen der landläufigen Mär von der hohen Risikobereitschaft in den Unternehmen lässt sich zeigen, dass es in Deutschland genau an dieser Risikobereitschaft mangelt. Unternehmerisches Risiko liegt nämlich nicht so sehr in einem kurzfristigen Engagement, aus dem man hofft, gegebenenfalls sehr schnell wieder aussteigen zu können. Risikoreich sind vor allem Engagements, die langfristig angelegt sind und deren Ergebnis nicht gut prognostiziert werden kann. Hier gibt es nicht nur in der deutschen Wirtschaft ein gravierendes Problem. Langfristige und riskante Investitionen in die Erforschung und Entwicklung neuer Technologien werden seit Jahrzehnten eher zurückgefahren als ausgebaut. Der in Deutschland so schwache inländische Konsum und die enorme Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft beruhen ganz wesentlich auf der seit den 70er-Jahren schwachen inländischen Investitionsneigung.3 Die fehlende Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, hat nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Banken dazu verleitet, liquide Mittel in neue Finanzierungsobjekte, wie etwa in den boomenden amerikanischen Häusermarkt, zu verschieben. Die in der Kritik stehende hohe Risikobereitschaft der Investoren – etwa beim Umgang mit hoch verzinslichen und leicht wieder verkaufbaren, aber riskanteren Kreditverbriefungen – ist daher nur ein sehr oberflächliches Phänomen. Dieser Entwicklung liegt die sehr langfristig zurückgegangene Risikobereitschaft der Unternehmen zugrunde. Die hohe Risikoneigung und die kurzfristige Orientierung der Investoren sind die Kehrseite und gleichermaßen nur die Folge der allgemein gesunkenen Bereitschaft, langfristige unternehmerische Risiken einzugehen.

Staatlich sanktionierte Zurückhaltung

Bedauerlicherweise ist es jedoch nicht so, dass der Staat durch seine Aktivitäten in dieser Hinsicht unterstützend zur Seite steht oder selbst langfristig, strategisch und risikobereit auftreten würde. Dies könnte die fehlende Risikobereitschaft der Unternehmen kompensieren. Ein krasser Ausdruck dafür, dass der Staat auf dem gleichen Gleis fährt, ist der seit den 70er-Jahren sinkende Anteil staatlicher Investitionen am Bruttoinlandsprodukt. Von ursprünglich 4,7 Prozent im Jahr 1970 ist der Anteil auf inzwischen nur noch 1,5 Prozent abgesackt.4 Staatliche Institutionen treten gegenüber den Unternehmen immer wieder als Verhinderer wissenschaftlich erprobter und risikobewerteter Verfahren auf. Während einerseits immer wieder betont wird, wie wichtig Forschung und Entwicklung für die deutsche Wirtschaft seien, werden beispielsweise neue gentechnische Anwendungen – wie etwa die von der BASF Plant Science gentechnisch entwickelte Stärkekartoffel „Amflora“ – ohne wissenschaftliche Begründung, aber stattdessen mit dem Verweis auf den Konsumenten nicht zugelassen. Welches Unternehmen ist bereit, hohe Investitionsrisiken einzugehen, die mit der Erforschung neuer Verfahren naturgemäß verbunden sind, wenn Politiker und staatliche Stellen mit dem Verweis auf Meinungsumfragen die kommerzielle Einführung verhindern?

Hier zeigen sich die fehlende Risikobereitschaft und die Kurzatmigkeit von Staat und Politik in eklatanter Art und Weise: Es wäre im gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima, das eher von Ablehnung neuer Technologien als von deren Bewunderung geprägt ist, sicherlich ein risikoreiches Unterfangen, den Bürger als Wähler ernst zu nehmen und wissenschaftlich-rational für fortschrittliche Methoden und Produkte zu werben. Stattdessen orientieren sich Staat und Politik lieber daran, wie der Bürger als Konsument tickt, und sie richten ihr Handeln primär nach Stimmungen und Meinungsbildern aus den letzten Meinungsumfragen mit Blick auf die nächsten Wahlen aus. Die Auffassung, dass ein stärkerer Staat in der Lage sei, die Gesellschaft wieder auf den richtigen Pfad zu bringen, ist unter den gegenwärtigen Bedingungen ein Irrglaube. Die gegenwärtige Krise ist nur mit Konzepten zu lösen, die jenseits der Diskussion über Staat oder Markt liegen.

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