22.10.2009

Die Schweinegrippe und die globale Angstindustrie

Essay von Frank Furedi

Während uns Gesundheitsbürokraten erzählen, dass „die gesamte Menschheit bedroht“ sei, gibt Frank Furedi Orientierung im Dschungel der Panikmacher. Ein „Handbuch zur Identifizierung der unterschiedlichen Akteure der Dramatisierung von Angst“.

Als Margaret Chan, Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Pandemie-Warnstufe von 4 auf 5 als Reaktion auf den Ausbruch der Schweinegrippe erhöhte, hatte sie keine Skrupel, sich der Sprache der Angst zu bedienen: „Die gesamte Menschheit ist bedroht“, erklärte sie. Wenn Historiker einmal auf diese Inszenierung der Angst sowie auf die durch die Schweinegrippe ausgelöste Panik zurückblicken, werden sie sich fragen: Hat Chan als Sprecher einer Gesundheitsbehörde oder als Unternehmerin in Sachen Moral gesprochen? Es muss doch verwundern, dass Chan, wie übrigens die meisten in seiner Branche, ihr Handeln nicht als unseriös oder übertrieben alarmierend betrachtet. Wie auch andere Angstmacher modifizierte sie ihre Warnung mit einer beruhigenden Aussage: „Kein Grund zur Panik!“

Diese Kombination aus Furchterzeugung und beruhigender Rhetorik stellt eine Grundmelodie moderner Angstmacherei dar. Man beachte Chans Warnung, dass die WHO voraussichtlich die Grippe-Warnstufe auf die höchste Stufe der 6-Punkte-Skala anheben und eine Pandemie ausrufen werde. Diesmal war nicht von einer Bedrohung für „die gesamte Menschheit“ und von deren Auslöschung die Rede. „Stufe 6 bedeutet keineswegs, dass wir dem Ende der Welt entgegengehen“, sagte sie, um dann klarzustellen, dass es „wichtig ist, dies zu verdeutlichen, da wir andernfalls eine unnötige Panik auslösen könnten“.

Somit rief Chan das Gespenst einer Vernichtung der gesamten Menschheit bei der Anhebung der Bedrohungsskala von 4 auf 5 auf den Plan, bewertete aber offensichtlich eine mögliche Anhebung auf Stufe 6 gelassener, was die potenzielle Bedrohung durch eine globale Katastrophe betraf. Freilich war genau dieser Versuch, beruhigend zu wirken, in eine Rhetorik gebettet, die aller Wahrscheinlichkeit nach den gegenteiligen Effekt hervorrufen muss.

Mit dem Hinweis, dass wir „jetzt nicht dem Ende der Welt entgegengehen“, wird impliziert, dass wir dieses Ende jedoch in naher Zukunft erleben würden, und es wird damit auch deutlich, dass apokalyptisches Denken nicht länger auf die Welt der Religion beschränkt bleibt. Chans säkulare Version apokalyptischen Denkens wird von einem heute weit verbreiteten kulturellen Drehbuch gesteuert, das die Bedrohungen unserer Gesundheit übertreibt und mit menschlicher Heimtücke in Verbindung bringt. Aus dieser Perspektive ist jeder Virus, jede Krankheit, jeder neue Ausbruch von Grippe eine potenzielle Waffe aus dem Arsenal des Bösen.

Den Protagonisten auf dem Jahrmarkt der Angst ist es gelungen, Grippe als eine Bedrohung der Welt zu dämonisieren und sie als denkbare Massenvernichtungswaffe erscheinen zu lassen. Das angesehene „Massachusetts Institute of Technology“ (MIT) bietet schon einen Kurs „Pandemien und Bioterrorismus“ an. Man behauptet, „Schweinegrippe ist lediglich die jüngste Herausforderung seitens Bioterrorismus und globaler Pandemien“. Die Nonchalance, mit der die Bedrohung durch Bioterrorismus in die Diskussion der Schweinegrippe eingebracht wird – und zwar von einem der angesehensten Wissenschaftsinstitute der Welt –, erweckt den äußerst beunruhigenden Eindruck, dass Angstmacherei eine respektable Freizeitbeschäftigung geworden ist.

Heute begegnet uns die Angstindustrie in allen möglichen Farben und Formen. Einige ihrer Vertreter sind moralische Kreuzzügler, die im Inneresten davon überzeugt sind, dass die soziale Struktur der Gesellschaft von bösen Mächten bedroht ist. Auf der anderen Seite des Spektrums sind Verkäufer und Zuhälter auf dem Jahrmarkt der Angst unterwegs. Es ist von Nutzen, zwischen den unterschiedlichen Spezies von Angstmachern zu unterscheiden. Dafür hier ein „Handbuch zur Identifizierung der unterschiedlichen Akteure der Dramatisierung von Angst“:

Religiöse Moralprediger

Geschichtlich gesehen hat die Religion immer wieder vor den Gefahren moralischer Übertretung gewarnt. Wenn auch der Einfluss der Religion in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist, so spielen die Untergangspropheten mit ihren apokalyptischen Szenarien dennoch eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Religiöse Moralisten sind überzeugt, dass menschliches Unheil letztlich satanischen Ursprungs ist. Im Zeitalter des Internets kommen sie oft als virtuelle, überdrehte Propheten daher und warnen davor, dass Gott die Sünder für ihr Abweichen vom rechten Weg bestrafen wird. Manche von ihnen verbreiten die Ansicht, dass Aids die Strafe Gottes für ein unmoralisches Sexualleben sei. Große Katastrophen, wie das Geschehen am 11. September 2001 oder der Hurrikan Katrina, wurden als Vergeltung für abwegiges, sündhaftes Verhalten interpretiert. Ein christlicher Kolumnist hat Katrina als „die Faust Gottes“ bezeichnet.

Furchterzeugung und beruhigende Rhetorik bilden die Grundmelodie moderner Angstmacherei.

Im Gegensatz zu anderen Angstmachern thematisieren diese Moralprediger ganz ausdrücklich die moralische Verkommenheit der Gesellschaft. Sie greifen ganz bewusst gegenwärtige Ängste um die Zukunft des Planeten auf. Nahezu mühelos ist es ihnen gelungen, die Sprache des Umweltschutzes ihren Ansichten über Apokalypse, Armageddon und dem „Ende der Zeiten“ anzugleichen. In ihrer Zukunftsvision werden lediglich ökonomisches Wachstum und CO2-Emission durch die Triade aus Sünde, Bösem und Satan ersetzt. Ihr Lieblingswort: Sünde.

Säkulare Moralverfechter

Schon seit längerer Zeit nimmt die Sorge um moralische Korruption eine zunehmend säkulare Form an. Viele bekannte Lobbyisten haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit vor einer großen Zahl gefährlicher Ereignisse zu warnen. Auf einigen Gebieten – etwa dem Schutz von Kindern – haben sie mit Erfolg den Umgang der Generationen miteinander und die Art, wie Kinder ihr Leben gestalten, von Grund auf verändert. Sie verbreiten alarmierende Botschaften über das Ausmaß an Kindesmisshandlung, um Gelder locker zu machen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Im Gegensatz zu den religiösen Moralisten machen diese Lobbyisten Gebrauch von Umfragen und Forschungsergebnissen anstelle der Sprache des Guten und Bösen, und sie beanspruchen, dass ein bestimmtes Problem immer schlimmere Formen annehme und bald schon die Gesellschaft als Ganzes in den Griff bekomme, außer: „Wir tun etwas dagegen!“

Säkulare Moralisten nehmen ihre Anliegen mit der dogmatischen Sturheit religiöser Kreuzzügler in Angriff – mit dem Unterschied, dass ihr Kreuzzug zu keinem Ende führt. Lobbyisten für Kinder, Tiere oder Obdachlose können einfach nicht zugestehen, dass sich die Situation ihrer Schützlinge verbessert – im Gegenteil: Sie behaupten ohne Unterlass, dass die Probleme immer schlimmer werden, denn nur dies garantiert ihnen den Zugriff auf die öffentliche Meinung. Säkulare Moralisten sind ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, ihre Sache voranzutreiben, was Soziologen als „domain expansion“, Ausweitung des Einflussbereiches, bezeichnen – d.h., ein Thema von breiter Öffentlichkeitsakzeptanz wird neuen Bereichen übergestülpt.

So hat etwa die öffentliche Betroffenheit beim Thema Kindesmisshandlung die säkularen Moralisten ermutigt, den Begriff Misshandlung auch auf andere Bereiche auszuweiten: Man kämpft jetzt auch gegen die Misshandlung von älteren Menschen, von Tieren und unter Gleichgestellten. Man behauptet mittlerweile sogar, dass Menschen, die sehr grob gegen Tiere sind, mit großer Wahrscheinlichkeit auch gegenüber Familienmitgliedern ein sehr grobes Verhalten an den Tag legen. Säkulare Moralisten beflaggen häufig eine gewisse Bedrohung mit Metaphern der Unsichtbarkeit: Probleme sind versteckt, verborgen, noch nicht erkannt. Ihre Lieblingsphrase: „Die Spitze des Eisbergs.“

Modernes Expertentum

Experten spielen eine herausragende Rolle in der gegenwärtigen Kultur der Angst. Viele unserer Ängste werden durch ihre Erklärungen und Vorhersagen provoziert. Sie warnen vor einer möglichen verheerenden Auswirkung der globalen Erwärmung, bevorstehender Nahrungs- und Energieknappheit, vor dem Einschlag eines Asteroiden. Warnungen von Experten beginnen häufig mit Aussagen wie „Untersuchungen haben ergeben ...“ und enden mit der Forderung nach Geldmitteln, die man der Bewältigung dieser Bedrohung zuwenden muss, um irgendein schreckliches Szenario in der Zukunft zu verhindern. Warnungen von Experten nimmt man ernst, weil sie von der einflussreichsten Autorität des 21. Jahrhunderts untermauert werden: der Autorität der Wissenschaft.

Konsequenterweise suchen alle möglichen Angstmacher – ob religiös oder säkular – ständig die Unterstützung von Experten, um ihren Kampagnen moralische Autorität zu verleihen. In den letzten Jahrzehnten ist das Ansehen von Experten exponentiell gewachsen. Ihre Ansichten haben weit größeres Ansehen als die öffentliche Meinung. Ihre Meinung ist mehr als nur eine Meinung: Aussagen wie „Experten warnen ...“ verleihen einem Aktivisten Gewicht und Ansehen. Experten als Garanten sind in vielerlei Hinsicht die neuen Dämonologen: Eine große Zahl von Kindern wurde ihren Eltern weggenommen, nachdem Experten bezeugt hatten, dass sie physische Zeichen der Misshandlung an ihnen entdeckt hätten. Glücklicherweise wurden in einigen Fällen die Kinder ihren Eltern zurückgegeben, nachdem die Gerichte erkannten, dass die Meinung der Experten nichts anderes war als die Meinung eines weiteren Angstmachers. Und obwohl Experten sich oft widersprechen, findet es die Gesellschaft schwierig, ihre Äußerungen zu ignorieren. Die Lieblingsphrase der Experten: „Die Wissenschaft hat festgestellt ...“

Gesundheitsaktivisten

Gesundheitsaktivisten beanspruchen häufig Expertenstatus. Unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Autorität erzeugen sie Beunruhigung über das physische und psychische Wohlbefinden der Öffentlichkeit. Sie bilden eine spezifische Gruppe der Angstindustrie, deren Interesse auf die Gesundheit der Menschen fokussiert ist. In den letzten Jahrzehnten haben sie ihre Angstmacherei mit der Forderung verbunden, die Menschen sollten eine „gesunde Lebensweise“ praktizieren. Gesundheitsaktivisten greifen selbst zu taktischen Mitteln der Angst – die sie „Furchtreize“ nennen –, um ihre Ziele durchzusetzen. Sie predigen, dass die Menschen immer ungesünder leben, und deswegen müssten wir umso wachsamer sein, um Krankheiten zu vermeiden. Gesundheitsaktivisten nehmen alle Bereiche unseres Lebens aufs Korn: unsere Nahrung, unser emotionales und sexuelles Leben, unsere Beziehungen – und zwar mithilfe von Schauergeschichten.

Wahrscheinlich haben Gesundheitsaktivisten den direktesten und unmittelbarsten Einfluss auf das Denken und Verhalten der Menschen. Und es ist ihnen außerordentlich gut gelungen, unser tägliches Leben „krankzureden“. Stück für Stück haben sie die Bedeutung des Begriffs „Gesundheit“ erweitert: Wir haben jetzt spezielle Kliniken für „Männergesundheit“ und „Frauengesundheit“. Dies unterstellt, dass Gesundsein nicht ein natürlicher oder normaler Zustand ist, sondern etwas, wofür die Menschen arbeiten müssen, etwas, das man nur mit der Hilfe von Gurus und Experten erreichen kann. Gesundheitsaktivisten beharren darauf, dass man bei Missachtung der von ihnen vorgeschriebenen Verhaltensmuster das Risiko einer Erkrankung erhöht. Ihre Lieblingsphrase: „Risiko für Ihre Gesundheit!“

Umweltaktivisten

Umweltschutz genießt heutzutage größten Respekt und höchste Autorität. Die Vorhersagen und Warnungen grüner Vereinigungen werden sehr ernst genommen. Umweltaktivisten kämpfen heute an der vordersten Front der Untergangspropheten. Sie beeinflussen und formen die Sprache der Angst im 21. Jahrhundert mehr als irgendeine andere Gruppe. Ihre Botschaft ist direkt und umwerfend einfach: Wenn wir unsere Lebensweise nicht ändern, wird der Planet zugrunde gerichtet. Umweltaktivisten haben eine apokalyptische Zukunftsvision, die noch alarmierender ist als die der religiösen Moralisten. Anders als beim religiösen Modell des „Jüngsten Gerichts“, wo wenigstens einige gerettet werden, bieten die Umweltaktivisten eine Apokalypse ohne die Möglichkeit der Errettung.

Ihre pessimistischen Visionen üben einen fundamentalen Einfluss auf die westliche Kultur und unser derzeitiges Verhalten aus. Umweltschutz liefert ein Motiv für jedwede moralische Regulierung. Er ähnelt der Religion nicht nur darin, dass ihre Vertreter die Apokalypse herbeireden – er teilt auch die Intoleranz der Religion für Abweichler. Wer auch immer die Lehrsätze der Umweltaktivisten zurückweist, wird als „Leugner des Klimawandels“ oder dergleichen diffamiert, angeblich angetrieben von einer bösartigen verborgenen Agenda. Wer immer behauptet, sein Verhalten nicht ändern zu müssen, und sich weigert, „grün“ oder „nachhaltig ökologisch“ zu handeln, wird als gierig und verantwortungslos gebrandmarkt.

Umweltaktivisten leisten einen wesentlichen Beitrag zur allgemein verbreiteten Sprache der Angstmacherei. Sie haben jedoch nicht nur ein oder zwei Lieblingsphrasen, um in der Öffentlichkeit Angst zu schüren. Sie haben ein virtuelles Wörterbuch der Panikmache: „Auslöschung“, „ökologische Katastrophe“, „Umweltzerstörung“ und „Ressourcenverschwendung“ sind nur einige der Begriffe, mit denen mittlerweile jedes Vorschulkind vertraut ist. Man kann sie gar nicht alle aufzählen. Um all das zu bezeichnen, was man nicht mag, wird besonders gerne benutzt: „giftig!“

Beziehungsexperten

Die Arena der menschlichen Beziehungen ist ein weiterer wichtiger Ort, an dem man Furcht und Angst befördert. Unser Beziehungsgeflecht hat man in ein Gelände verwandelt, auf dem eine Vielzahl von Gefahren lauert und eine beachtliche Armee von professionellen Beziehungsexperten. Therapeuten, Berater, Lebenstrainer und Erziehungsgurus warnen uns vor den Gefahren, die im Privatleben auf uns lauern. Es ist verblüffend, dass im 21. Jahrhundert viele der gefürchtetsten Verbrechen mit zwischenmenschlichen Beziehungen in Verbindung gebracht werden: Vergewaltigung, auch während einer nur flüchtigen Verabredung, Kindesmisshandlung, Misshandlung von älteren Menschen, Mobbing und Stalking. Diese Verbrechen mahnen uns, achtsam gegenüber unseren Allernächsten zu sein.

Anders als religiösen Moralisten bieten die Umweltaktivisten eine Apokalypse ohne die Möglichkeit der Errettung.

Die Privatsphäre wurde einst als ein Zufluchtsort in einer herzlosen Welt betrachtet. Gegenwärtig werden Intimität und Familienleben jedoch oft als Räume von Gewalt und emotionalen Traumata dargestellt. Warnungen vor „vergifteten Beziehungen“ und „vergifteten Familien“ verbreiten ein Gefühl von Angst, das ebenso intensiv ist wie die Angst vor dem Terrorismus oder der Zerstörung unseres Planeten. Die Folge ist eine wachsende Distanz zwischen uns und unseren Mitmenschen. Warnungen vor Beziehungen haben einen vernichtenden Einfluss auf unsere persönliche Lebensqualität.

Beziehungsexperten erinnern uns ständig daran, weder uns noch unseren Allernächsten zu trauen. Sie haben sogar den Versuch unternommen, das Verlangen nach Zuneigung und Liebe mit dem Begriff „liebeskrank“ in eine Form von Sucht umzumünzen und davor zu warnen, dass eine allzu intensive Liebe dem Wohlergehen des Menschen schaden kann. Buchtitel wie Women Who Love Too Much (Wenn Frauen zu sehr lieben) wollen die Menschen einander entfremden. Die Vorstellung dahinter legt nahe, dass Beziehungen viel zu gefährlich sind, als dass man sie Amateuren überlassen könnte – sie müssen mithilfe von Experten gesteuert werden. Ihre Lieblings-Diagnose: „Sie haben Probleme mit Ihrer Selbstachtung!“

Law-and-Order-Anhänger

Ängste vor Verbrechen und Terrorismus sind in westlichen Gesellschaften weit verbreitet. Alarmierende Warnungen finden sich regelmäßig in den Medien und in Äußerungen angesehener Autoritäten. Etliche Interessengruppen schüren die Angst, dass Recht und Ordnung bedroht seien. Ständig beschwören sie Gefahren wie illegale Einwanderung, Pädophilie, Vergewaltigung oder kriminellen Schusswaffengebrauch. Aus historischer Sicht waren Regierungen und deren Beamte stets an vorderster Front der Panikmacher. Viele Regierungen suchten die Zustimmung der Öffentlichkeit, indem sie angeblich Sicherheit vor den unterschiedlichsten Bedrohungen garantierten, und praktizierten so eine „Politik der Angst“. Jetzt aber ist das Hervorrufen von Ängsten in den Bereichen Recht und Ordnung nicht mehr länger auf Politiker beschränkt. Es gibt eine Reihe von Aktivistengruppen, die Alarm schlagen bei den Themen Gewalt an Schulen, krimineller Schusswaffengebrauch, Terrorismus, Einwanderung oder Homophobie. Panikmacher, die Recht und Ordnung gefährdet sehen, stehen im ständigen Wettbewerb, indem sie versuchen, andere Panikmacher mit ihrem jeweiligen Bedrohungsszenario zu übertreffen, um öffentliche Unterstützung zu erhalten.

Sie suchen stets nach neuen Gefahrenfeldern und gehen sogar so weit, neue Verbrechen zu erfinden. So haben sie etwa systematisch Verbrechen aus der realen Welt in virtuelle Verbrechen umgewandelt: das Konstrukt „Cyber-Verbrechen“ – wie etwa Internet-Mobbing, Internet-Pädophilie, Identitätsberaubung, Betrug und ganz generell Misshandlung via Internet – beweist den Erfolg dieser Gruppe bei der Kriminalisierung der virtuellen wie auch der realen Welt. Ihr Lieblings-Refrain: „Es gibt eine Epidemie von Verbrechen!“

Mitspieler auf dem Jahrmarkt der Angst

All diese Initiativen nutzen die vorherrschende Kultur der Angst, um ihr eigene Geschäftemacherei zu fördern und ihre Produkte zu verkaufen. Sie warnen davor, dass unsere Gesundheit, unsere Sicherheit und unser Wohlergehen allen möglichen Bedrohungen ausgesetzt sind. Die Gesundheitsindustrie wie auch die pharmazeutische Industrie – einer der profitabelsten Wirtschaftszweige – werden durch das gegenwärtige Dauergeschrei der Panikmacher bestens bedient.

Ernährungsängste haben unser Essverhalten entscheidend beeinflusst. Kader von Beratern und Experten in Sachen „grüner Moral“ erzählen uns, dass wir alle dem Untergang geweiht seien, sollte die gesamte Wirtschaft nicht an grünen Themen ausgerichtet werden. Eine der Konsequenzen des florierenden Angstmarktes ist ein zunehmender Wettbewerb um die Vormachtstellung bestimmter Ängste. Solche Angstspieler sind sehr erfinderisch, wenn es darum geht, marginale Probleme in Bedrohungen umzuwandeln, für die sie eine Therapie oder ein Produkt anbieten können. So können sie etwa ein normales Problem wie Schüchternheit zur Krankheit stilisieren, die sie als „soziale Phobie“ etikettieren, vor deren gefährlichen Konsequenzen sie warnen und gegen die sie dann eine Arznei anbieten, die Erfolg garantiert. Besorgte Eltern sind die beliebteste Zielgruppe der Panikakteure: Sie warnen Eltern häufig, dass sie, falls sie keines ihrer Produkte kaufen, einen Teil der Verantwortung für den ihren Kindern zugefügten Schaden tragen müssen. Ihre Lieblingsbehauptung: „Ihre Sicherheit ist unser zentrales Anliegen!“

Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass sich die Aktivitäten und Interessen dieser Gruppen oft überschneiden, obwohl sie konzeptuell verschieden sein mögen. Gesundheitsaktivisten verbinden sich zuweilen mit Angstindustriellen, die ihre Produkte auf den Markt werfen; religiös motivierte Moralapostel verbünden sich sowohl mit Umweltaktivisten als auch mit Therapeuten, die als „Beziehungsexperten“ auftreten. Trotz ihrer unterschiedlichen Interessen begünstigen die Aktivitäten dieser verschiedenen Gruppen allgemeine Panikmache, weil sie alle zu einem Klima beitragen, in dem die Förderung von Furcht und Angst legitim erscheint. Wie die Angstinszenierung um das gegenwärtige Drama der „Schweinegrippe-Epidemie“ zeigt, suchen alle diese Gruppen im gegenseitigen Wettstreit nach einer tragenden Rolle in der jetzigen Inszenierung des Weltuntergangs.

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