01.03.2010

Vier Jahre von der Leyen: Rückblick auf die moderne Familienpolitik

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Sabine Beppler-Spahl sucht im Wahlkampf Elternbefreier, findet aber keine.

„Wenn bei Fragen, die angeblich alle gleichermaßen angehen – Kinder, Familie, Schule –, das Parteiengezänk schweigt, halten die meisten das für ein Zeichen der Vernunft. Mit mehr Recht ließe sich aber auch behaupten, dass sich Verhältnisse nur dann verändern lassen, wenn wenigstens zwei Gruppen, und zwar erbittert, um das Deutungs- und Handlungsmonopol streiten.“1

Da haben wir es. Die Super-Nanny Katharina Saalfrank (SPD und RTL) lobt die Familienministerin der CDU: „Ich schätze Ursula von der Leyen sehr.“2 Allerdings habe sie lediglich die von der SPD angestoßene Familienpolitik fortgesetzt, gibt sie zu bedenken. Nicht nur Saalfrank, auch Renate Schmidt (SPD) bekundet gerne ihre Sympathie für von der Leyen. Das Ansehen der Ministerin ist unterdessen etwas gesunken. Die Internetgemeinde verpasste ihr den Spitznamen „Zensursula“, und das von ihr vorgeschlagene Kinderschutzgesetz scheiterte im Bundestag. Ihren Vorschlag, der Staat solle nicht nur Opel, sondern auch die Familien mit Notkrediten stützen, ignorierten selbst Parteifreunde tunlichst. Sie ist eine CDU-Politikerin mit tief konservativen Wurzeln, die wegen ihrer „reformorientierten, progressiven“ Familienpolitik gelobt wird. Sie verfügt über einen ausgeprägten Standesdünkel, der in ihren oft harschen Urteilen über die „Bedürftigen“ zutage tritt, und doch haftet ihr etwas Modernes an.

Wer ist diese Frau? Eine Konservative, die sich noch nicht recht zu erkennen gegeben hat? Vielleicht zeigt sich an ihr, wie irrelevant die alten parteipolitischen Aufteilungen in unserer durch Konformität geprägten Zeit geworden sind? Für mich stellt Ursula von der Leyen den neuen Politikertyp schlechthin dar: Neue, inspirierende Ideen hat sie keine, dafür aber eine feste Vorstellung davon, was eine „gute“ Familie ist. Gerne tritt sie auch mal volkserzieherisch auf – immer dann, wenn das Volk, bzw. „die Eltern“, sich nicht so verhalten, wie es die Norm verlangt.

Den von Zensursula verkörperten Politikertyp finden wir allerorten, besonders aber in der Familienpolitik, denn diese agiert im Grenzbereich der öffentlichen und privaten Sphäre. Das Politische – zumindest im klassischen Sinne – beschäftigt sich mit Fragen, wie die Gesellschaft gestaltet werden und welche Werte sie vertreten sollte. Das Private dreht sich um das, was hinter den verschlossenen Türen der Haushalte geschieht. Bei der Familienpolitik stellt sich schnell die Frage, wo die Trennung zwischen dem Privaten und dem Politischen verläuft. Das Wahlprogramm der CDU ist exemplarisch hierfür. „Starke Familien sind der beste Kinderschutz“ heißt es dort. Politik im klassischen Sinne wäre, wenn damit die allgemeine Bedeutung der Familie hervorgehoben würde (z.B. als Zugeständnis an die konservativen Kräfte in der Partei). Da jedoch die Betonung auf „starke“ Familien liegt, verweist dieser Satz ins Persönliche, denn er trifft eine Aussage darüber, wie die Familie zu sein hat. „Starke Kinder“, „starke Eltern“, „starke Familien“: Das sind Begriffe, die wir aus Elternkursen und Ratgeberbüchern kennen. Auf der Mikroebene unserer Gesellschaft ist dies zulässig. Wer Probleme mit der Erziehung seiner Kinder hat, kann sich z.B. für den Elternkurs des Kinderschutzbundes „Starke Eltern – starke Kinder“ anmelden. Was aber taugt dieses Motto für eine Familienpolitik auf Makroebene, die einen richtungweisenden Charakter haben soll?

Richtungweisend sind politische Aussagen, die dazu dienen, wirkliche Meinungsverschiedenheiten auszutragen und Alternativen bei der Gestaltung der Gesellschaft aufzuzeigen. Es geht um unterschiedliche Wertvorstellungen. Die Familienpolitik kennt solche Debatten durchaus. In Zeiten, als die CDU noch als klare Stimme der Konservativen galt, ging es ihr darum, die Familie als Institution zu stärken. Sie galt ihr als moralische und soziale Stütze der Gesellschaft. Sie war der Maßstab, an dem alles andere gemessen wurde. Eine Unterscheidung zwischen „starken“ und „schwachen Familien“ war nicht Aufgabe der Politik. Ihr ging es nicht um den urteilenden, therapeutischen Blick auf einzelne dysfunktionale Familien (dafür waren Sozialarbeiter zuständig), sondern um Fragen der sozialen Ordnung. Demgegenüber stritten die progressiven Kräfte allgemein für mehr Freiheit und Selbstbestimmung bei der Gestaltung des Zusammenlebens. Ihre Wertvorstellungen und ihr Bild über die richtige soziale Ordnung waren nicht mit der Familie als Institution verknüpft. Die politischen Auseinandersetzungen, die sich hieraus ergaben, prägten und veränderten die Gesellschaft. Derartige Grundsatzfragen sind dem Blick auf das Private, auf das Problem der „überforderten Familie“ gewichen. Deswegen kann sich von der Leyen als „moderne“ Familienministerin im immer größer werdenden Schnittbereich der beiden Volksparteien frei bewegen – die ideologischen Unterschiede zwischen ihnen werden schließlich immer kleiner.

Wer aber bitteschön sehnt sich in die Zeit zurück, in der die Familie noch der Maßstab aller Dinge war? Muss man nicht von der Leyen zugestehen, dass sie moderne Ideen vertritt? Steht sie nicht für die Forderung, Beruf und Familie verbinden zu können? Dass eine konservative Familienministerin heute für Offenheit steht, zeigt, dass die alten Kämpfe zwischen links und rechts, zumindest, was die Rolle der Frau in der Familie betrifft, ausgefochten sind. Da spielt es auch keine allzu große Rolle, ob von der Leyen die Vätermonate möchte, weil sie vielleicht in der Familie doch noch die Keimzelle der Gesellschaft sieht, ihre Vorgängerin Schmidt sie dagegen als weiteres Stück Frauenbefreiung einforderte.3 Fakt ist, dass beide Seiten, was die praktischen, politischen und ideologischen Forderungen betrifft, ungleich mehr Ähnlichkeiten aufweisen als Unterschiede. So gab es zwar Streit zwischen der SPD und von der Leyen um das Kinderschutzgesetz im Bundestag. Er entzündete sich aber nicht an der Frage, ob ein solches Gesetz überhaupt nötig sei. Vielmehr ging es um die Frage, ob die vorgeschlagenen Regelungen in der Praxis tauglich seien.4 Nur weil die alten Grabenkämpfe um Familienwerte und Frauenrechte in unserer Gesellschaft weitgehend gelaufen sind, heißt dies nicht, dass wir keine grundsätzlichen Auseinandersetzungen mehr zu führen hätten. Im Gegenteil: Je mehr Einigkeit zwischen den Parteien besteht, desto größer ist die Lücke, die das Fehlen konkurrierender, bahnbrechender Ideen an anderer Stelle hinterlässt.

Es ist gut, dass sich keine berufstätige Mutter mehr als Rabenmutter beschimpfen lassen muss – auch, dass junge, kinderlose Frauen ihren männlichen Kollegen um nichts nachstehen. Dafür haben sich neue Trennlinien gebildet. Sie verlaufen nicht zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen denen, die Kinder haben, und den Kinderlosen. Eltern werden in unserer Gesellschaft in zunehmendem Maße als eine besondere Gruppe hervorgehoben, deren „Rechte“ gegen ihre elterlichen Pflichten abgewogen werden müssen. Die verklärte Sicht auf Eltern als moralische Stütze der Gesellschaft ist dem Bild der überforderten Mütter und Väter gewichen, die ohne Hilfe von außen ihre Rolle nicht mehr richtig wahrnehmen können. Eltern werden zusehends wie potenzielle Abweichler behandelt, bei denen ständig darauf geachtet werden muss, dass sie „auf Linie“ bleiben. Ist das Kind dick, oder ist es schlecht in der Schule? Schuld sind in aller Regel die Eltern, die heutzutage eine verwirrende Masse an Informationen und Ermahnungen erhalten, wie sie ihre Kinder erziehen, ernähren oder fördern sollten – bezahlt oder gesponsert von den diversen staatlichen Stellen für Familien und Soziales. Kurzum: Eltern darf alles gesagt und vorgeschrieben werden, wenn es dem vermeintlichen Wohl der Kinder dient. Wo ist die Partei, die sich gegen diese Art von staatlich geförderter Elternbevormundung und Einschüchterung wehrt?

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