01.09.2009
Lost in (Cyber-)Space
Kommentar von Matthias Heitmann
Der Wahlkampf im Internet will die Distanz zum Wahlbürger verkleinern und insbesondere jüngere Menschen „dort abholen, wo sie sind“. Um jemanden abzuholen, bedarf es aber eines attraktiven Zielortes – und genau daran fehlt es den etablierten Parteien.
Alle Parteien haben den Wahlkampf im Internet zu einer zentralen Priorität erklärt. Sie präsentieren sich und ihre Kandidaten in Social Networks: Manche twittern, andere betreiben Blogs oder stellen Videos bei YouTube ein. Dafür gibt es gute Gründe: In der Altersgruppe der unter 30-Jährigen hat das Netz in Bezug auf politische Informationen das Leitmedium Fernsehen bereits überflügelt. Diese Gruppe ist zugleich diejenige, die bei der letzten Bundestagswahl mit unter 70 Prozent die niedrigste Wahlbeteiligung aufwies.1 Kein Wunder also, dass die Parteien im Internet Präsenz zeigen wollen.
Dennoch wird der Wahlkampf im Internet von vielen Experten und Beobachtern kritisiert. Von „langweilig, träge und lasch“ bis hin zu „peinlich“ und „kontraproduktiv“ reichen die Einschätzungen. Den Parteien wird vorgeworfen, das Internet lediglich „als zusätzliches Marketinginstrument, aber nicht als Mittel zum Dialog“ zu nutzen.2 Andere führen die fehlerhafte strategische Ausrichtung der Parteien-Networks als Grund dafür an, dass der Wahlkampf im Internet nicht funktioniere. Tatsächlich bestätigen die für den Online-Wahlkampf zuständigen Sebastian Reichel (SPD) und Robert Heinrich (Grüne), es gehe ihnen mit ihren Networks in erster Linie um die Vernetzung und Mobilisierung bereits bestehender Sympathisanten und Mitglieder. 3 Wieder andere erklären die im Vergleich zur Obama-Kampagne geringe Mobilisierungskraft des deutschen Internetwahlkampfes mit den Unterschieden zwischen den USA und Deutschland sowohl hinsichtlich der Verwurzelung der Bürger im Internet als auch hinsichtlich der vorherrschenden politischen Strukturen und Kulturen. All diese Kritikpunkte haben durchaus eine gewisse Berechtigung. Allerdings wird in der Debatte zuweilen suggeriert, es handele sich um handwerkliche oder rein strategische Fehler der Parteien bei der Ausgestaltung ihrer Internetaktivitäten.
Dass die Parteien alle bestehenden öffentlichen Räume nutzen, um die Menschen „zu erreichen“, ist für eine lebendige Demokratie und einen ebensolchen Wahlkampf unverzichtbar. Allerdings wird das Problem der mangelnden Erreichbarkeit der Bürger primär als ein technisches bzw. räumliches Problem betrachtet. Dabei ist die Tatsache, dass die etablierten Parteien das Wahlvolk nicht in zufriedenstellender Art und Weise erreichen, nicht darauf zurückzuführen, dass sie ihm nicht begegneten, sondern darauf, dass ihre Inhalte keinen nachhaltig positiven Eindruck hinterlassen. Wie wichtig solche Inhalte für das Erreichen von Menschen sind, zeigt das Beispiel der kleinen Piratenpartei, die es geschafft hat, auf StudiVZ/meinVZ die erfolgreichste deutsche Parteiplattform aufzubauen.4 Den Piraten gelingt in den Web-Communities ganz offensichtlich das, was die etablierten Parteien bislang nur als Ziel formulieren: „die Leute dort abzuholen, wo sie sind“. Es zeigt sich, dass zwischen dem Erreichen und dem Abholen von Menschen ein großer Unterschied besteht: Wer jemanden abholen will, muss authentisch und einigermaßen überzeugend darlegen können, wohin es gehen soll und warum.
Der Erfolg von Barack Obamas Internetwahlkampf gründete auf genau dieser Fähigkeit. Es gelang ihm, die Unzufriedenheit großer Teile der US-amerikanischen Bevölkerung nach acht Jahren Bush-Regierung auf seine Person zu kanalisieren und seine Kampagne mit dynamisch anmutenden politischen Positionen des Wandels („Change“) zu verknüpfen. Diese Dynamik konnte er dann auch im Internet ausstrahlen. In Deutschland hingegen herrscht – trotz des viel beschworenen „Lagerwahlkampfes“ – nicht einmal diese grundsätzliche Wechselstimmung vor, die eine Partei für sich nutzen könnte. Da dem deutschen Wahlkampf jede ernsthafte politische Dynamik abgeht, ist auch seine Entsprechung im Internet statisch. Darüber können auch teilweise technisch durchaus ansprechende Webangebote nicht hinwegtäuschen.
Das Fehlen klarer Inhalte und Orientierungen findet im Fehlen einer die Menschen „erreichenden“ politischen Sprache seinen Niederschlag. Besonders deutlich wird dies, wenn sich Politiker in Räumen bewegen, in denen sie sich nicht zu Hause fühlen, und wenn sie zu Menschen Kontakt aufnehmen, die mit Politik wenig am Hut haben. Ihr hölzernes Auftreten im Internet ist kein massenhaft auftretendes Persönlichkeitsdefizit, sondern Ausdruck der Deformation unserer Demokratie. Zuweilen wird dieser Unannehmlichkeit schlicht dadurch aus dem Weg gegangen, dass man Parteitagsreden als Video bei YouTube einstellt und darauf hofft, die Nutzung dieses trendigen Mediums möge positive Effekte zeitigen.
Offensichtlich ist aber auch, dass die wirklich wichtigen Themen, wie etwa die Gesundheitspolitik, aus dem Wahlkampf herausgehalten und nicht zur Diskussion gestellt werden. Die schwach ausgeprägte Bereitschaft zum inhaltlichen Dialog mit dem Bürger zieht sich durch den gesamten Wahlkampf und wird im eigentlich auf Diskursivität beruhenden Medium Internet besonders deutlich. Dies verstärkt den statischen Eindruck der dortigen Parteien- und Politikerauftritte: Man bewegt sich im Netz, weil man glaubt zu müssen, aber ohne echtes Interesse an den sich dort bietenden Möglichkeiten des Austausches.
Spricht man die Menschen im Web tatsächlich direkt an, dann zumeist in anpasslerischer und opportunistischer Form: entweder unpolitisch (Angela Merkel lässt uns via Facebook wissen, dass sie gerne im Garten arbeitet und Beatles hört) oder auf einem fast schon kindlichen Niveau. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Mitmachplattform „Meine Kampagne“ der Bündnisgrünen – die auch in dieser Hinsicht im Establishment angekommen sind: Die Kampagnen-Koordinatorin Lea Belsner macht dort dem potenziellen Wähler und Aktivisten per Videoclip in KiKa-Manier originelle Vorschläge, wie er sich „in seinem eigenen Wahlkampf“ für grüne Inhalte engagieren könne.5
Das Unvermögen, die Bürger auf Augenhöhe politisch anzusprechen, ist in der deutschen Politik stark ausgeprägt und u.a. auf die historischen Besonderheiten der deutschen Staats- und Parteistrukturen zurückzuführen (siehe hierzu den Artikel „Die Versteinerung unserer Parteien“ von Sabine Reul in diesem Heft). Die große inhaltliche Distanz zum Wahlvolk, die Skepsis gegenüber offenen Debatten sowie die Angst vor Kontrollverlust sind Killerkriterien für ein erfolgreiches Auftreten der Politik im Internet. Ausschlaggebend für einen tatsächlichen Online-Wahlkampf wäre der politische Wille, die Menschen als ernsthafte (Mit-)Gestalter von Politik und Gesellschaft zu behandeln. Die Parteien mögen sich technisch im Netz in die richtige Richtung bewegt haben; durch ihre Unfähigkeit, dies auch in politischer Hinsicht zu tun, werden sie auch künftig – sowohl online als auch offline – keine Wellen der Begeisterung hervorrufen.