01.03.2010

Von Blasen und heißer Luft

Analyse von Hartmut Schönherr

Über den diskursiven Zusammenhang zwischen Klimawandel und Finanzkrise.

Es gibt ihn noch, den frostigen deutschen Winter. 2008/09 hieß es: Ski und Rodeln gut, eingewanderte Mittelmeerflora erfroren. Hat sich der vereinigte Einsatz vollmundiger „Klimaretter“ so rasch gelohnt? Keineswegs. In Russland etwa lag die Durchschnittstemperatur im Januar 2009 um bis zu fünf Grad Celsius über dem Referenzwert der Jahre 1961 bis 1990. Für die ungewöhnlichen Kältezuflüsse nach Deutschland im Winter 2008/09 gibt es einleuchtende meteorologische Erklärungen: Im Januar habe der anhaltende Hochdruckeinfluss die außergewöhnliche Kälte gebracht. [1] Für den unterkühlten März wurden Tiefdruckgebiete verantwortlich gemacht, durch die viel kühle Polarluft zu uns gelangt sei. [2]

Unabhängig von der situativen Wahrheit dieser Erklärungen erinnern sie fatal an Börsennachrichten über sinkende oder steigende Börsenkurse aus den Zeiten vor dem Crash. Immer dann, wenn es keine andere Erklärung gab, war der Ölpreis schuld, unabhängig davon, ob er nun stieg oder fiel. Irrelevant erschien auch die Korrelation: Mal war der sinkende Ölpreis für steigende, mal für fallende Kurse verantwortlich. Gleiches galt zuvor für den steigenden Ölpreis. Nun ist es eine Eigenschaft vernetzter Systeme, dass die gleiche Basisveränderung in unterschiedlichen Konstellationen entgegengesetzte Wirkungen entfalten kann. Ein Sachverhalt, der menschlichen Köpfen erstaunlich oft entgeht, worauf Dietrich Dörner in Die Logik des Mißlingens hingewiesen hat. Anders wäre das aktuell munter prognostizierende und Korrekturen vorschlagende Verhalten im extrem verflochtenen Klimabereich ebenso wie im Finanzbereich kaum nachvollziehbar.

In beiden Bereichen wird der Diskurs geprägt durch einen überbordenden Katastrophismus, dessen „cui bono“ im einen Falle Banken und arbeitsmarktrelevante Industriezweige sind, die zur Vermeidung der vorgestellten Katastrophe mit „frischem Kapital“ aus dem Staatssäckel versorgt werden. Im Falle des Klimawandels sollen wir hingegen alle von der „Klimarettung“ profitieren. Faktisch profitieren zunächst bestimmte subventionsabhängige Industriezweige, postnational orientierte Politiker sowie einschlägige Forschungseinrichtungen. In den dominierenden Diskursen wird das Modell einer monokausalen Erklärung präferiert, was den Vorteil hat, mit der Beseitigung der Ursache eine Lösung des Problems in Aussicht zu stellen. Anthropogenes CO2 und zahlungsunfähige amerikanische Häuslebauer wurden als Täter dingfest gemacht. Die Schadenssummen sind klar: 2,17 Billionen Euro Bilanzverlust durch die Finanzkrise wurden Ende 2008 weltweit veranschlagt, wovon 990 Milliarden in leer stehenden Häusern verbaut seien. [3] 5,5 Billionen Euro könnte laut Nicholas Stern der Klimawandel kosten – und in Deutschland haben Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ebenso wie der Parteirat der Grünen genau kalkuliert, welchen Nutzen jeder zum Klimaschutz eingesetzte Euro bringt. Auch aufseiten der Kritiker dieser Diskursformationen gibt es Rechengenies. So werden auf der Internetseite Oekologismus.de die Folgekosten des Kiotoprotokolls aufgelistet. Mit Stand vom 14. März 2009, 20:02:08 Uhr, waren es genau 611.438.972.978 US-Dollar.

Ansonsten bevorzugen die Minderheitenpositionen im Umgang mit Finanzkrise beziehungsweise Klimaveränderung das Modell naturhafter oder quasi-naturhafter Prozesse. In der Klimadebatte wird vor allem der Sonnenfleckenzyklus zur Erklärung von Klimaschwankungen herangezogen. Für die Finanzkrise übernehmen die von Karl Marx so benannten „Akkumulationskrisen des Kapitals“ eine analoge Funktion. Eine interessante Verkreuzung der Diskurse bietet die Internetseite der globalisierungskritischen Zeitschrift Turbulence mit einem Beitrag, in welchem der dominierende Klimadiskurs als Versuch interpretiert wird, die Finanzkrise mit dem neuen Wirtschaftssektor „Klimarettung“ zu überwinden. [4]

Die monokausalen Erklärungsmodelle rechnen mit klar bestimmbaren Zukünften, die nach dem Vorbild der Vergangenheit entworfen sind. Idealiter soll der CO2-Gehalt der Luft ebenso auf einem bestimmten Stand konserviert werden wie die Geldmenge. Zu viel ausgestoßenes CO2 wird zurückgefahren; vermeintlich „verbranntes“ Geld wird ersetzt durch vermeintlich „frisches“ Kapital. Halten wir für einen Augenblick inne und gedenken der Opfer vergangener Anpassungskatastrophen: Dinosaurier, Mammut und Neandertaler. Sie alle hätten gerettet werden können, wenn alles so geblieben wäre, wie es war. Das Unbehagen an diesen Konstruktionen zeigt sich in einem Diskursmuster, das Psychologen vom kindlichen Lügen her kennen: der gestaffelten Übererklärung. Diese liegt dann vor, wenn also das Kind, das beim Schokoladestibitzen erwischt wird, erklärt, dass es erstens die Schokolade nicht an sich genommen habe, zweitens Schokolade gar nicht möge und drittens die Schokolade nur habe ausleihen wollen, um sie der Freundin zu zeigen. Angesichts des Winters 2008/09 neigen Klimaforscher des dominanten Diskurses exakt zu diesem Verhalten. So beteuern sie, dass erstens der vergangene Winter nicht so kalt, sondern ganz normal war. Dass, falls er doch nicht normal war, es durchaus möglich sei, dass bei uns die Winter kälter, aber in Sibirien wärmer würden. Und dass es drittens schon wesentlich kältere Winter gegeben habe.

In der Süddeutschen Zeitung vom 18. Februar 2009 wurde der Vergleich mit dem Frost des Jahres 1709 bemüht (damals herrschte die „Kleine Eiszeit“), um den vergangenen Winter als doch eher läppisch zu charakterisieren, während Mojib Latif vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften auf der Website www.CO2handel.de schlicht eine „verzerrte Wahrnehmung“ bei denen konstatiert, die von einem strengen Winter sprechen. Wer sich die Mühe macht und etwa die im Internet zugängliche Klimatabelle von Karlsruhe seit 1876 anschaut, der stellt in der Tat fest: Zwischen 1931 und 1960 gab es immerhin zehn Tage mit Temperaturen ab minus 20 Grad (ohne die Werte des Winters 1944/45). Zwischen 1961 und 1990 gab es dagegen in Karlsruhe nur einen Extremfrosttag mit genau minus 20 Grad, den 8. Januar 1985. Dummerweise zeigt der Zeitraum 1901 bis 1930 auch nur gerade mal drei Tage mit solchen Tiefstwerten, alle im Februar 1929.

Die gute Absicht hinter solcherart verzerrter Wahrnehmung könnte man den „Arche-Noah-Komplex“ (ANK) nennen. In der Klimadebatte führt er zu den absurdesten Vorschlägen zur Rettung der letzten Eisbären – etwa Eisflächen abzudecken gegen die Sonnenstrahlung. Hätte jemand in der Saale-Eiszeit das Eis zum Schutz der Braunbären weggeschmolzen, gäbe es heute keine Eisbären zu schützen. Das „Ende der Geschichte“ ist nicht so gekommen, wie Francis Fukuyama es in seinem gleichnamigen Buch beschrieb – doch zeichnet es sich nun ab als Wahnidee, den Planeten im gegenwärtigen Zustand konservieren zu können. Diese Idee braucht zu ihrer Umsetzung vor allem eines: den in vielen Science-Fiction-Geschichten schon beschworenen Supercomputer, der z.B. errechnen soll, welcher CO2-Ausstoß welche Klimafolgen hat.

Und damit schließt sich wieder der Bogen zur Finanzkrise. Der Held des Filmes „The Bank“ von 2001 ist ein Programmierer, der einer Bank ein Computerprogramm verspricht, das den Verlauf der Börse vorhersagt. Auf die Einwände der Banker, dass man den menschlichen Faktor nicht berechnen könne, entgegnet er: Das Verhalten eines Menschen lässt sich nicht voraussagen, das von vielen durchaus. Dies ist vermutlich der Grund, warum kein Hohngelächter die Ansprüche des Deutschen Klimarechenzentrums in Hamburg begleitet, taugliche Projektionen für das Klima im Jahre 2100 zu erstellen – wo doch schon der Wetterbericht für übermorgen oft kläglich versagt. Anfang 2009 wurde ein neuer Superrechner nach Hamburg geliefert, HLRE II. Vielleicht verleihen die Hamburger ihren Computer ja auch mal an Josef Ackermann.

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