01.07.2009
Prediger des schlechten Gewissens
Von Michael Bross
Gutmenschen in der westlichen Welt haben ein Problem: Sie erklären den Klimaschutz zu einem globalen Auftrag und begründen dies mit der Verantwortung aller Menschen für das gemeinsame Fortbestehen der Menschheit und die Zukunft der Erde.
Sie predigen den Bürgern hierzulande den Verzicht zum Wohle der armen Leute in der Dritten Welt. Ein bisschen weniger Komfort, heißt es dann, damit die Malediven nicht untergehen. Das müsse doch machbar sein. Leider klappt das aber noch nicht so richtig. Bei den Konsumenten kommt nämlich an: „Wir müssen frieren, weil wir nicht mehr ordentlich heizen dürfen oder die von uns gewählten Politiker dafür sorgen, dass wir es uns nicht mehr leisten können! Alles, damit die im warmen Süden es gut haben!“ Und am Ende saufen die Malediven trotzdem ab, weil nämlich der Rest der Welt sich nicht in dem nötigen Umfang kasteien will.
Der Anteil Europas an den klimarelevanten CO2-Emissionen beträgt gegenwärtig 18 Prozent. Das hat der berühmte Club of Rome ausgerechnet. Selbst wenn es Europa gelänge, bis zum Jahr 2050 diese Emissionen auf 0 zu senken – wenn wir also alle aufs Heizen und Auto fahren verzichten und den Strom für unsere Laptops über Sonnenkollektoren erzeugen –, würde die weltweite Gesamtmenge an Kohlendioxid in der Atmosphäre steigen. Wegen der Inder, Chinesen und Südamerikaner, der sogenannten Schwellenländer, die halt so weiter machen wie bisher mit ihrer Aufholjagd nach einem höheren Lebensstandard für ihre Bevölkerung! Was man ihnen noch nicht mal verdenken kann.
Ein Teil des Problems dieser ganzen Diskussion ist jene Argumentationsfalle, in der sich alle aufhängen: Sobald man ein Problem ausgemacht hat, muss zunächst ein Schuldiger identifiziert werden. Der ist dann verantwortlich für die Behebung des Schadens. Beim Thema Klimawandel ist man schnell dabei, den altindustrialisierten Ländern als Urhebern des Missstands die Rechnung zu präsentieren. Selbst wenn (in einem Anfall von intellektueller Redlichkeit) zugestanden wird, dass die gegenwärtige Generation nicht für alle Kohlendioxid-Emissionen seit 1850 verantwortlich sein kann, so nimmt man sie trotzdem in historische Sippenhaft und macht sie rückwirkend haftbar für die vermeintlichen Fehler der Großväter. Sie wussten es zwar nicht besser – aber Unwissenheit (der Altvorderen) schützt (uns) nicht vor Strafe. Schließlich profitieren wir davon, dass frühere Generationen hemmungslos die Ressourcen geplündert haben!
Verantwortung kann man eigentlich nur für Dinge übernehmen, die man beeinflussen kann. Wer keine Verfügungsgewalt hat, hat auch keine Verantwortung. Seine Verantwortung könnte es sein, sich die Verfügungsgewalt zu verschaffen; aber im Zusammenhang mit Klimaschutz und angesichts der historischen Abhängigkeiten zwischen Europa und dem Rest der Welt hätte das einen Hautgout von Neo-Kolonialismus und Imperialismus.
Man könnte natürlich auch fortschrittlich denken und sich dafür verantwortlich erklären, aus den Fehlern zu lernen und alle anderen dabei zu unterstützen, neue Wege gehen zu können. Dieser Lösungsansatz wird aber auch nicht gern gesehen. Neue Wege, das klingt nämlich zu sehr nach Entwicklung, nach Fortschritt, nach Technik. Und der technische Fortschritt ist doch – zumindest nach Ansicht vieler Umweltaktivisten, Kulturkritiker und Globalisierungsgegner – die Quelle allen Unheils.
Gerne wird darauf verwiesen, dass jede wissenschaftliche Lösung eines Problems zu neuen Problemen geführt habe. Stimmt: Seit Medizin und Hygiene dafür sorgen, dass die Menschen nicht mehr mit 25 an Lungentuberkulose verrecken, sterben sie mit 70 an Lungenkrebs. Und eine Bevölkerung, die im Schnitt nur 45 Jahre alt wird, kennt keine Altersdemenz. Wer keine Zeitung liest, kein Radio hört und kein Fernsehen schaut, also auf den Fortschritt einer weltumspannenden Information und Kommunikation verzichtet, hat nicht das Problem, mit den Nöten ferner Menschen konfrontiert zu werden. Insofern schafft auch die Überwindung von Provinzialismus – den gerade global aktive Klimaschützer so gerne einfordern – nur wieder ein Problem!
Und das Karussell der Argumentationsfalle dreht sich weiter: Wir müssten im Gleichgewicht mit der Natur leben, heißt es. Das klingt zunächst ganz nett und weckt freundliche Erinnerungen an Urlaube im Zelt. Verblüffend an solchen Gedankenmodellen ist allerdings, dass gerade die Umwelt- und Naturschützer auf Gleichgewichtstheorien setzen. Gleichgewicht war eigentlich eine Erfindung der neoklassischen Wirtschaftstheoretiker. Das sind jene Ökonomen, die die ganze Welt mit mehr oder weniger krummen Linien erklären und darauf bestehen, dass jeder wirtschaftliche Prozess unweigerlich und von ganz alleine zu einem Gleichgewichtspunkt – dem Schnittpunkt der Kurven – hin strebt. Neoklassik war Marktwirtschaft pur! Aber die Neoklassiker wären auch die Ersten gewesen, die zugegeben hätten, dass ihre Modelle nur zur Veranschaulichung von Prozessen dienten und das berüchtigte Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage allenfalls im Nachhinein exakt hätte berechnet werden können. In der Natur gibt es – wenn überhaupt – nur kurzfristige Gleichgewichtszustände, die eher den Charakter zufälliger Durchgangsstadien in einem kontinuierlichen Prozess haben. Von Naturfreunden würde man also eine viel stärkere Entwicklungsorientierung erwarten. Aber (gesellschaftliche) Entwicklung bedeutet ja möglicherweise (technischen) Fortschritt …
Glücklicherweise sind die Hassprediger des Anti-Industrialismus nicht maßgebend für die gesellschaftliche Entwicklung, auch wenn viele Politiker und Wirtschaftskapitäne ihnen in Sonntagsansprachen oder Aufsichtsratsvorlagen gerne nach dem Munde reden. Einen Nachhaltigkeitsrat haben wir schon in Deutschland, zu einem „Wächterrat der Nachhaltigkeit“ wird er sich wohl nicht entwickeln. Und an der Basis tut sich einiges, um umweltschonende und Ressourcen-sparende Produkte und Gebäude zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Insofern sollten wir uns von den Öko-Predigern kein allzu schlechtes Gewissen einreden lassen.