12.07.2012

Oscar Pistorius: Sportheld ja, Olympionike nein!

Kurzkommentar von Matthias Heitmann

Dass der südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius als beidseitig unterschenkelamputierter Athlet bei den Olympischen Spielen in London antreten darf, wertet den olympischen Gedanken, die Idee des fairen sportlichen Wettkampfs und den Behindertensport ab, findet Matthias Heitmann

„Dabeisein ist alles“ wird gemeinhin als Zusammenfassung des olympischen Geistes zitiert. Doch die eigentliche olympische Devise lautet: „Citius, altus, fortus“ – „Schneller, höher, stärker!“ Das Streben danach, der Beste zu sein, ist konstitutiv für jeden sportlichen Wettbewerb und basiert auf dem menschlichen Ideal der Chancengleichheit. Natürlich ist dies nur ein Ideal und in der Praxis nicht herstellbar: Sportler sind unterschiedlich groß und stark, unterschiedlich gut trainiert und mit unterschiedlichen finanziellen Mitteln, Technologien und Methoden zur Leistungssteigerung ausgestattet – aber gerade diese Unterschiedlichkeit, woher auch immer sie rührt, macht den Wettbewerb aus. Der Begriff der Fairness bezieht sich daher auch explizit nicht auf den Leistungsstand der individuellen Sportler, sondern auf deren Verhalten im Wettkampf.

Der Leistungssport lebt auch davon, dass menschliche Leistungen immer besser werden. Als im Jahr 1922 der amerikanische Leistungsschwimmer und spätere Tarzan-Darsteller Jonny Weissmüller als erster Mensch die 100-Meter Freistil in weniger als einer Minute schwamm, schien es unvorstellbar, dass man heute mit dieser Zeit selbst im Jugendbereich auf Kreisebene keinen Blumentopf mehr gewinnen könnte. Sportwissenschaftliche und technologische Innovationen im Sport entsprechen dann dem Gebot der Fairness, wenn sie von allen Sportlern genutzt werden können. Daher ging auch der Vorwurf, der Einsatz von neuartigen Schwimmanzügen sei „unfair“, ins Leere, denn sie wurden von allen Weltklasseschwimmern getragen. Und auch wenn die Rennwägen in der Formel Eins Unterschiede aufweisen, so bewegen sich diese doch im Rahmen eines klar festgelegten Spielraums, und seine Überschreitung wird mit Disqualifikation geahndet.

Wie ist vor diesem Hintergrund die Zulassung von Oscar Pistorius zu den Olympischen Spielen zu bewerten? Die Befürworter seiner Teilnahme halten diese Entscheidung für einen wichtigen Fortschritt in Richtung einer Gleichberechtigung von Behinderten und insbesondere deren Gleichberechtigung im Sport. Tatsächlich aber steht diese Entscheidung im Widerspruch zur grundlegenden Idee des sportlichen Wettkampfes, die besagt, dass alle Sportler dieselben Gewinnchancen haben sollen.

Pistorius verfügt mit seinen Carbonprothesen über einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Läufern: Mit den beiden Federn, die er zum Laufen benötigt, ist er nicht-behinderten Läufern, die ansonsten über eine ähnliche körperliche Fitness verfügen, um einiges voraus. Dies zeigt sich daran, dass er in der zweiten Hälfte von 400-Meter-Läufen – im Gegensatz zu Läufern ohne diese Federn – erheblich an Tempo zulegen kann, da ihn das Laufen mit den Sprungfedern muskulär weniger stark belastet als das gleichschnelle Sprinten auf zwei gesunden Beinen. Dieser Umstand wurde in zahlreichen wissenschaftlichen Tests immer wieder bestätigt und führt u.a. dazu, dass der Leichtathletik-Weltverband IAAF dem Südafrikaner die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen von Peking 2008 untersagte. Dass Pistorius nunmehr an den Spielen London teilnehmen darf, basiert nicht auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die seinen früheren Ausschluss als unberechtigt erscheinen lassen, sondern ist eher als eine politisch-korrekte Zeitgeistentscheidung einzustufen.

Ein Ausschluss von Pistorius wäre auch kein Akt der Diskriminierung von Behinderten, im Gegenteil: Respektlos und diskriminierend wäre es, wenn sich behinderte Sportler mit nicht-behinderten messen und nach gleichen Maßstäben beurteilen lassen müssten, um Anerkennung zu finden. Dass dies nicht der Fall ist, sondern es spezielle Wettbewerbe gibt, ist der Tatsache geschuldet, dass sportliche Leistungen behinderter Sportler nicht über den Vergleich mit nicht-behinderten Sportlern, sondern an sich einen hohen Wert haben und Achtung verdienen. Genau dies stellt Pistorius jedoch implizit infrage, wenn er meint, seine Leistung könne nur über den Vergleich zu nicht-behinderten Sportlern respektvoll gewürdigt werden. Oscar Pistorius ist ein Weltklassesportler, dem absolute Hochachtung ob seiner sportlichen Leistungen zu zollen ist. Meine Achtung wäre noch viel höher, wenn er die persönliche Selbstachtung hätte, seine Leistung als solche würdigen zu können und dafür nicht den Vergleich zu Nicht-Behinderten zu benötigen.

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