01.03.2000

ORTNERS ODYSSEEN

Von Helmut Ortner

Jedes Vierteljahrhundert begeht die katholische Kirche feierlich mit viel Pomp und Gepränge ein ”Heiliges Jahr”. Anno Domini 2000 ist es wieder so weit. Von Helmut Ortner

Nach dem Willen des kränkelnden Papstes Johannes Paul II soll es diesmal ein ganz besonderes Jubiläumsjahr werden. Dafür hat der Oberhirte sogar die Zeitrechnung außer Kraft gesetzt. Das Heilige Jahr, so verfügte er, wird diesmal stolze 380 Tage statt 366 Tage haben – es endet erst am 6. Januar 2001.
Mehr als 20 Millionen Pilger aus aller Welt werden erwartet – alle sind sich einig: der Glaubensmarathon wird ein einträgliches Geschäft. Die Konsumbedürfnisse der Romfahrer jedenfalls müssen nicht leiden: Es werden Giubileo-Espressotassen (in Italien wird das Heilige Jahr marketingmäßig effizient ”Giubileo” genannt), Giubileo-Grappa, Giubileo-Jeans und Giubileo-Schals feilgeboten, dazu das gesamte Gemischtwarenangebot üblicher Johannes-Paul-Devotionalien, vom 3D-Bildchen bis zur Videokassette. Heiliger Bimbam: Willkommen im religiösen Disneyland!


Im Mittelpunkt aber steht eine Art endzeitliche Lebenshilfe für jedermann. In seiner Bulle ”Incarnationis mysterium” (oder landläufig ”Geheimnis der Menschwerdung”) verkündet der Papst, die Katholiken könnten einen ”vollkommenen Ablass” aller ansonsten im Fegefeuer abzubüßenden Sündenstrafen erlangen. In den Genuss des ”Ablass-Geschenkes” kommen alle Pilger, die in Rom oder Israel traditionsreiche Gotteshäuser aufsuchen. Wer nicht gerne beschwerliche Anfahrten in Kauf nimmt oder Flugangst hat, kann die himmlischen Anrechte wahlweise auch durch zeitweiliges Fasten, den Verzicht auf Nikotin und Alkohol sowie sexuelle Enthaltsamkeit erwerben, oder, wie es in den Vorschriften der ”Päpstlichen Behörde für Ablassfragen” heißt, ”mit einem ansehnlichen Beitrag Werke religiösen und sozialen Charakters” unterstützen. Also: Schluss mit üppigem Braten, kühlem Bitburger und heißem Beischlaf. Weg mit den Zigarren und Zigaretten und sonstigen Suchtmitteln – und ein paar Scheine hinein in den klerikalen Klingelbeutel. Nie war es leichter, eine saubere Weste, pardon Seele, zu bekommen. Amen!

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