01.11.2001

Noch nie hatte die Weltbevölkerung mehr zu essen als heute

Analyse von Thilo Spahl und Thomas Deichmann

Doch ist dies noch lange nicht genug, sagen Thilo Spahl und Thomas Deichmann und plädieren für einen Ausbau der grünen Gentechnik.

Die Subsistenzwirtschaft mit veralteten, kräfteraubenden und gesundheits- wie umweltschädlichen Methoden findet in Afrika oder Asien weit weniger Anhänger als in unseren Breitengraden. So gehen heute auch die stärksten Impulse für die Entwicklung neuer gentechnischer Agrarmethoden von Entwicklungsländern aus. Dort lebende Wissenschaftler, Politiker und Landwirte kritisieren schon seit Jahren, dass vor allem die negative Einstellung gegenüber modernen Agrarmethoden in den reichen Industriestaaten deren Anwendung in ihren Ländern behindert. Dahingehend äußerte sich die Kenianerin Florence Wambugu, eine der bedeutendsten Pflanzenbiologinnen Afrikas, die vom Agrarkonzern Monsanto Unterstützung bei der Entwicklung transgener Nahrungspflanzen für Afrika erhielt. In einem Interview für das Fachmagazin New Scientist betonte sie, dass Afrika erheblich von der Grünen Gentechnik profitieren könne: „Momentan liegt der Ernteertrag von Mais in Afrika bei 1,7 Tonnen pro Hektar; der globale Durchschnitt liegt hingegen bei vier Tonnen. Wenn man nun aber das Bt-Gen als genetisches Insektizid einsetzt, können 20 Prozent dieses Defizits wettgemacht werden. Ich behaupte nicht, dass die Grüne Gentechnik alle Probleme lösen wird. Aber sie wird Afrika jedes Jahr Millionen Tonnen mehr Feldfrüchte bescheren.“

Der nigerianische Außenminister Hassan Adamu hat Wambugu in dieser Hinsicht schon wiederholt beigepflichtet. Er macht keinen Hehl daraus, was er von den „paternalistisch“ auftretenden und „moralisch fehlgeleiteten“ Alarmisten aus dem Westen hält, die sich den Luxus erlauben können, mit irrationalen Argumenten die Grüne Gentechnik zu verteufeln: „Es ist im wahrsten Sinne des Wortes möglich, jemanden mit Freundlichkeit umzubringen. Das könnte jedenfalls Ergebnis der Bemühungen wohlmeinender aber extrem fehlgeleiteter Gruppen in Europa und Nordamerika sein, die Afrikanern anraten, sich vor der Biotechnologie im Agrarsektor zu hüten.“

"Die Bemühungen in den Gentechlabors drehen sich auch darum, landesübliche Nutzpflanzen mit lebenswichtigen Inhaltsstoffen anzureichern."

Weder Wambugu noch Adamu glauben, dass es sich bei den großen Agrarkonzernen, mit denen sie kooperieren, um uneigennützige Samariter handelt. So versuchen sie und entsprechende Interessenverbände aus Asien und Afrika, nicht in totale Abhängigkeit von westlichen Konzernen zu geraten. Das ist nicht immer einfach, doch es gibt eine Reihe richtungsweisender Projekte, die optimistisch stimmen. Wambugu und Adamu setzen für die Zukunft auch deshalb auf wissenschaftliche Innovationen, weil sie in den letzten 40 Jahren im Zuge der „Grünen Revolution“ zum Teil erhebliche Erntertragssteigerungen und eine deutliche Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung in Entwicklungsländern beobachten konnten – was nichts daran ändert, dass die Not und der Handlungsbedarf nach wie vor groß sind.

Etwa 80 Prozent der Menschheit lebt in Entwicklungsländern, und es mangelt heute immer noch etwa 800 Millionen Menschen, das entspricht knapp 20 Prozent der dort lebenden Bevölkerung, an ausreichender Nahrungsmittelversorgung – 1970 waren es noch 36 Prozent. In Europa und Nordamerika stehen heute jedem Bürger täglich 3500 Kalorien zur Verfügung, im südlichen Afrika sind es mittlerweile 2100, in Indien 2200. Für Asien und Lateinamerika rechnet man auch in den nächsten Jahrzehnten mit einer deutlichen Fortsetzung des Aufwärtstrends. Anders lauten die Prognosen für Schwarzafrika. Dort hat sich die miserable Lage seit Jahrzehnten kaum verändert, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) rechnet sogar für einige Regionen in nächster Zukunft mit einer Verschlechterung. Mehr als drei Viertel der Hungernden lebt in ländlichen Gegenden, in denen Subsistenzwirtschaft betrieben wird.

Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) sterben immer noch jährlich sechs Millionen Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung. Hinzu kommt der „versteckte Hunger“: Krankheit und Tod wegen Defiziten an wichtigen Nährstoffen wie Vitamin A, Jod und Eisen. Die Bemühungen in den Gentechlabors drehen sich folglich nicht nur darum, die Ernteerträge zu steigern, sondern landesübliche Nutzpflanzen auch mit Proteinen, Vitaminen, Stärken, Fetten und anderen lebenswichtigen Inhaltsstoffen anzureichern.

Ein Blick zurück stimmt zuversichtlich, dass die weitere Verbesserung der weltweiten Ernährungssituation gelingen wird. Die bahnbrechenden Innovationen seit 1960 werden als „Grüne Revolution“ bezeichnet. Der Agrarwissenschaftler Norman Borlaug gilt als ihr Vater. Er wurde 1970 für seine Errungenschaften im Kampf gegen den Welthunger mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Vor allem als Folge der „Grünen Revolution“ ist in den letzten 20 Jahren die Zahl unterernährter Menschen von 940 Millionen auf derzeit etwa 800 Millionen zurückgegangen. Die FAO schätzt, dass die Zahl der Hungernden momentan um jährlich etwa 8 Millionen zurückgeht, und man hofft weiter, dass sich die Gesamtzahl von derzeit 800 Millionen bis 2010 auf 650 Millionen verringern wird.

Auch Borlaug hatte seinerzeit mit hartnäckigen Vorbehalten gegenüber den neu entwickelten Anbaumethoden zu kämpfen, denn schon damals gab es Weltuntergangspropheten. Im von Paul Ehrlich 1968 herausgegebenen Bestseller The Population Bomb verstieg sich der damalige Guru der Fortschrittsmuffel sogar zur Prognose, Ländern mit hohen Geburtenraten wie Indien würde es nie und nimmer gelingen, ihre stetig wachsende Bevölkerung auf absehbare Zeit ausreichend zu ernähren.

Borlaug und andere zeigten, dass das sehr wohl möglich war. Ihre neu gezüchteten Sorten brachten in Indien und Pakistan schon ab Mitte der 60er-Jahre um ein Drittel höhere Ernteerträge. In Pakistan konnte die Getreideernte ab 1965 innerhalb von fünf Jahren von zunächst 4,6 Millionen Tonnen im Jahr auf 8,4 Millionen gesteigert werden. In Indien wuchs der Getreideberg im gleichen Zeitraum von 12,3 Millionen Tonnen auf 20 Millionen an. Seit dem Erscheinen von The Population Bomb hat sich die Bevölkerungszahl in Indien verdoppelt. Die Getreideproduktion konnte indes verdreifacht werden. Ende des Jahrtausends lag sie bei etwa 75 Millionen Tonnen pro Jahr.

"Rechnerisch gibt es heute pro Kopf der Weltbevölkerung 18 Prozent mehr Nahrung als vor 30 Jahren."

Viele ärmere Länder haben von der „Grünen Revolution“ profitiert. Durch gezielte Kreuzungen, die Entwicklung von Hochertragsleistungssorten, den Einsatz moderner Ackerbaugeräte und die Bereitstellung neuer Dünger und Pflanzenschutzmittel konnte die Landwirtschaft in vielen Gebieten einen wahren Boom durchleben.

Die globalen Ertragssteigerungen im Zuge der „Grünen Revolution“ sprechen Bände für den Fortschritt in dieser Epoche: 1950 wurden weltweit auf rund 680 Millionen Hektar Ackerland 692 Millionen Tonnen Getreide für 2,2 Milliarden Menschen produziert. 1992 waren es 1,9 Milliarden Tonnen für 5,6 Milliarden Erdbewohner. Von nur ein Prozent mehr Ackerland wurde also 1992 die fast dreifache Menge der Ernteerträge von 1950 eingefahren. Als Ergebnis stehen heute mehr Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Rechnerisch gibt es laut FAO heute pro Kopf der Weltbevölkerung 18 Prozent mehr Nahrung als vor 30 Jahren.

Der Bevölkerung Indiens und Chinas kam besonders die selektive Züchtung von so genannten Zwergsorten bei Reis und Getreide zugute. Die neuen Pflanzen wuchsen kürzer, sie waren dadurch kräftiger und konnten mehr Dünger vertragen, ohne unter der größeren Last der eigenen Früchte abzuknicken. Das den Pflanzenwuchs regulierende „Zwergen-Gen“ wurde einst von japanischen Bauern entdeckt und durch Kreuzungen auf andere Sorten und Pflanzen übertragen. Vor wenigen Jahren wurde es in modernen Gentechlabors isoliert und analysiert. Es stellte sich heraus, dass es auch relativ problemlos in andere Pflanzen eingeschleust werden kann.

Borlaug sieht nicht zuletzt wegen des Bevölkerungswachstums die Notwendigkeit weiterer Effizienzsteigerungen in der Landwirtschaft. Ausgehend vom geschätzten Wachstum der Weltbevölkerung von derzeit etwa sechs Milliarden Menschen auf rund neun Milliarden bis zum Jahr 2050 ist davon auszugehen, dass sich die Ernährungslage in einigen Entwicklungsländern verschärfen wird, falls dort keine verbesserten Technologien zum Großeinsatz kommen. Das Bevölkerungswachstum wird sich zudem auf die ärmsten Regionen der Erde konzentrieren. In 66 Entwicklungsländern mit mehr als 2,3 Milliarden Menschen liegen die jährlichen Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft schon heute unter dem Bevölkerungswachstum. Hier sind Engpässe vorprogrammiert. Handlungsbedarf ergibt sich auch daraus, dass pro Erdbewohner immer weniger Anbaufläche zur Verfügung steht. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von drängenden ökologischen Gründen, der landwirtschaftlichen Erschließung immer neuer Landflächen Einhalt zu gebieten.

Die traditionellen Verbesserungsmöglichkeiten der „Grünen Revolution“ stoßen indes an Grenzen. In den 70er-Jahren gab es jährliche Ertragssteigerungen von durchschnittlich drei Prozent – bis Anfang der 90er-Jahre war die Wachstumsrate schon auf unter 2 Prozent gesunken. Weizenerträge wachsen momentan um jährlich rund 1,4 Prozent – in den frühen 80er-Jahren lag der Zuwachs noch bei 3,3 Prozent. Ertragssteigerungen bei Reis sind mittlerweile um mehr als die Hälfte geschrumpft. Sie liegen momentan bei etwa 1,1 Prozent pro Jahr. Auch die gigantischen Getreideüberschüsse der 80er-Jahre gibt es seit Anfang der 90er nicht mehr. Auch der Einsatz der Gentechnik ist nunmehr gefordert, um weiteren Fortschritt sicherzustellen.

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