01.03.2005

Nieder mit dem Philistertum

Rezension von Brendan O’Neill

Frank Furedi fordert in seinem aktuellen Buch einen neuen kulturellen Aufbruch.

Wer von Verdummung spricht, meint in der Regel den Aufstieg von Reality-TV, Doku-Soaps, Big Brother und ähnliche Phänomene. Das Problem ist in Wirklichkeit viel umfassender und vielschichtiger.

„Kulturelle Institutionen wie Universitäten oder Galerien sehen es nicht mehr als ihre Aufgabe an, uns herauszufordern oder zu ermuntern, unser Wissen zu hinterfragen. Im Gegenteil, sie bauchpinseln uns. Mit Schmeichelei kommen wir aber nicht weiter“, sagt Frank Furedi, Professor für Soziologie an der Universität von Kent. Nachdem er in seinen letzten Büchern die Kultur der Risikovermeidung, der Therapeutisierung sowie das Phänomen der paranoiden Kindererziehung untersuchte, geht er nun dem modernen Philistertum auf den Grund.

Where Have All the Intellectuals Gone? ist eine kurze und scharfe Kritik am Verfall des intellektuellen Lebens in den westlichen Gesellschaften. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Universitäten, so Furedi, betrachte man das Streben nach Wissen und Wahrheit mit wachsender Skepsis. Es gilt bestenfalls als Zeitvertreib für verstaubte, abgehobene Akademiker, schlimmstenfalls als elitäres Projekt für die globale Verbreitung antiquierter westlicher Werte.

"Das Streben nach Wissen und Wahrheit gilt heute bestenfalls als Zeitvertreib für verstaubte, abgehobene Akademiker, schlimmstenfalls als elitäres Projekt für die globale Verbreitung antiquierter westlicher Werte."

„Unsere Gesellschaft scheint ein großes Problem damit zu haben, Wissen und Kunst um ihrer selbst willen zu schätzen“, so Furedi. Sie gälten nur dann als sinnvoll, wenn sie als Instrument für den wirtschaftlichen Erfolg, für die soziale Integration, für die soziale Identitätsstiftung oder als Therapiemaßnahme genutzt werden könnten.

Deutlich sei dies bei der universitären Bildung: Sie gelte nicht mehr als an sich wertvoll dadurch, dass sie Menschen zur Entwicklung ihrer intellektuellen Fähigkeiten ermutige. In den aktuellen Bildungsdebatten werde von den Hochschulen vielmehr verlangt, einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung zu leisten und junge Menschen mit den notwendigen „Skills“ auszustatten, die sie im späteren Berufsleben bräuchten. Sogar altehrwürdige Institutionen wie Oxford und Cambridge würden heute fast nur noch für ihre vitale Rolle in der britischen Wirtschaft gepriesen. In fast allen westlichen Gesellschaften, so Furedi, würden Universitäten heute mit Studierenden aufgefüllt in der Hoffnung, auf diesem Wege lahmende Volkswirtschaften wieder auf Trab zu bringen.

Ganz ähnlich bestimme sich inzwischen auch der gesellschaftliche „Wert“ von Kunst. Furedi zitiert in seinem Buch die ehemalige britische Kulturministerin Baroness Tessa Blackstone, die in einer Rede die Bedeutung der Künste betonte, insofern sie die „Beschäftigungseignung erhöhen, Ungleichheit beseitigen und Verbrechen verhindern helfen“. Setzen sich solche Vorstellungen durch, so Furedi, werden kulturelle Institutionen künftig zu sozialen Therapieanstalten und Werkstätten verkümmern, statt Menschen zu bilden und geistig anzuregen.

Das Verhätscheln der Studenten sei schon heute weitgehend als Organisationsprinzip an den Hochschulen institutionalisiert. Aufgabe von Professoren sei es nicht mehr, Studierende zu verändern, sondern sie auf dem Weg durch das Studium an die Hand zu nehmen. In Museen herrsche häufig das gleiche Prinzip. Furedi nennt als Beispiel das Tyne and Wear Museum im Nordosten Englands, das seine Ausstellungen nicht nach dem künstlerischen Wert der Exponate ausrichte, sondern danach, ob sie von der Öffentlichkeit „angenommen“ würden und bei Menschen bestimmte Emotionen und Erinnerungen weckten. „In Zukunft werden kulturelle Institutionen mehr und mehr dazu übergehen, uns Dinge zu zeigen, die sie als gut für uns erachten, weil wir leicht Zugang zu ihnen finden und problemlos mit ihnen umgehen können. Sie verabreichen uns Kultur und Wissen in leicht verdaulichen Häppchen – auch das ist eine Form der Bevormundung.“

Deswegen treffen nach Ansicht von Furedi auch Begriffe wie „dumbing down“ nicht den eigentlichen Kern des Problems. Es gehe nicht darum, dass die Menschen immer dümmer werden. „Wenn ich von ‚Verdummung’ spreche, meine ich in erster Linie Institutionen, nicht die Menschen. Ich spreche über die Eliten und ihre Unfähigkeit, sich für Bildung, Wissen und die Künste einzusetzen. Es ist dieses ‚institutionelle Philistertum’, das einen gesellschaftlichen Zustand fördert, den manche als kollektive Verblödung beschreiben.“ Furedis Buch ist keine Kampfschrift für frustrierte Intellektuelle, sondern für alle, die Ideen und den Austausch anspruchsvoller Gedanken als wichtig erachten.

"Das „institutionelle Philistertum“ fördert einen gesellschaftlichen Zustand, den manche als kollektive Verblödung beschreiben."

Where Have All the Intellectuals Gone? wurde von vielen ernstzunehmenden Intellektuellen – rechten wie linken – positiv aufgenommen. Doch es gab auch Kritik. Manche Kritiker warfen Furedi vor, in der Manier eines alten Kauzes ein Buch für all jene geschrieben zu haben, die den guten alten Zeiten nachtrauerten, in denen gebildete Leute noch etwas galten und ernst genommen wurden. David Aaronovitch, Kolumnist der britischen Tageszeitung Observer, meinte, Furedi wünsche sich zurück ins altehrwürdige Cambridge des Jahres 1936, als Intellektuelle noch Intellektuelle und Frauen entweder Hausfrauen oder Mätressen waren. Die heutige, auf Integration und Inklusion ausgerichtete Bildungslandschaft sei dagegen Ausdruck eines „neuen Demokratiestils“, der Universitäten und andere Institutionen gerade für Menschen öffne, die früher mit aller Macht aus ihnen ferngehalten worden seien.1

Andere Kritiker warfen Furedi vor, die Talente und Kenntnisse der Normalbürger gering zu schätzen und einem elitären Bildungsbegriff zu huldigen. Doch das geht an der Sache vorbei, meint Furedi. Diejenigen, die seine Sorge über den Trend zur Abwertung der Bildung teilen, wollten nicht die Uhr zurückdrehen. „Das ist das letzte, was ich will“, sagt Furedi. „Im Gegenteil: Ich möchte, dass die Zukunft mehr ist als nur ein fader Abklatsch der Gegenwart.“ Dass Kritik an aktuellen Entwicklungen als nostalgischer Konservatismus diffamiert werde, bestätige nur, wie gering die Bereitschaft inzwischen sei, sich unangenehmen Fragen zu stellen. Stattdessen greife Selbstgefälligkeit und Konformismus um sich. Daher sei der Vorwurf, er trauere einer imaginären Vergangenheit nach, „in Wirklichkeit nichts weiter als ein Aufruf zum Konformismus“.

Zudem bezweifelt Furedi, dass es dem neuen „integrativen“ Bildungsbegriff um Demokratie gehe. „Ich vertrete, was Demokratie anbelangt, einen sehr traditionellen Standpunkt. Wenn Menschen einbezogen werden wollen, warten sie nicht darauf, dass man sie einbezieht. Sie fordern Einlass, und notfalls treten sie verschlossene Türen ein und verschaffen sich den Zugang selbst. Die Suffragetten haben nicht darauf gewartet, dass man sie zum Wählen einlud; die Gewerkschaften haben nicht darauf gewartet, in Tarifverhandlungen einbezogen zu werden – sie haben sich dieses Recht erkämpft. Als Arbeiter bessere Bildung verlangten, haben sie nicht auf eine Inklusionspolitik gewartet – sie wurden Autodidakten.“

Hinter dem modernen Inklusionsansatz verbirgt sich, so Furedi, etwas ganz anderes. Es gehe nicht um Demokratisierung, sondern darum, Menschen um jeden Preis einzubinden, egal in was, also Inklusion um ihrer selbst willen – ob in die Hochschule, in die Künste oder in andere Bereiche. Es gehe nicht um die Frage, in was sie einbezogen werden oder welche Inhalte man ihnen zugänglich machen will. „Die Elite meint, in einer sehr viktorianischen Art und Weise den Menschen sagen zu können, was gut für sie ist. Diese Form der Inklusion als Ausdruck eines neuen Demokratiestils zu sehen, ist ein fundamentales Missverständnis. Dieses staatliche Projekt integriert Menschen in eine billige und minderwertige Kopie von dem, was früher einmal existierte. Es handelt sich um ein paternalistisches Projekt, das vorgibt, antielitär und demokratisch zu sein.“

Woher kommt Furedi? Ich lernte ihn kennen, als wir beide für das Magazin Living Marxism schrieben, das vom heutigen Herausgeber von Sp!ked, Mick Hume, seit 1988 editiert wurde. Living Marxism war das Magazin der Revolutionary Communist Party (RCP), die 1981 von Furedi und anderen gegründet wurde. Sie machte sich durch exponierte und deutliche Positionen zu vielen Themen – vom Antimilitarismus bis zur Verteidigung der Rede- und Pressefreiheit – einen Namen. Living Marxism erschien ab 1997 als LM Magazine. Im Jahre 2000 musste LM infolge eines Verleumdungsprozesses sein Erscheinen einstellen. Daraufhin gründete Mick Hume mit einigen Mitstreitern das Onlinemagazin Sp!ked.

Wie kam es dazu, dass Furedi, ein Mann der revolutionären Linken, zu einem „Kultur-Kommentator“ wurde, der Bücher zu Themen wie Kindererziehung, Therapiekultur und nun zur Bildung schreibt? „Natürlich“, so Furedi, „entwickeln sich Ideen und Standpunkte mit den Jahren weiter. Schließlich hat sich in den letzten 10 bis 15 Jahren vieles verändert und somit auch die Art, in der man seine Standpunkte vertritt. Trotzdem sind meine Ansichten im Wesentlichen die gleichen geblieben. Es sind eher die anderen, die sich verändert haben.“

Seit Jahren beobachtet Furedi den Wandel der traditionellen Linken mit zunehmender Skepsis und Abneigung. „Dass hier etwas Negatives im Gange war, fiel mir zum ersten Mal auf, als Linke das staatliche Verbot faschistischer Organisationen forderten. Ich war und bin vehement antifaschistisch, aber die Verbotsforderung empfand ich als feige und undemokratisch, so, als wolle man Debatten aus dem Wege gehen. Ich widerlege lieber faschistisches Gedankengut, als es zu verbieten und damit einer autoritären Zensur das Wort zu reden.“

Furedis Entfremdung von der Linken setzte sich in den folgenden Jahren fort. Während des großen britischen Bergarbeiterstreiks von 1984 argumentierten er und die RCP – ganz im Gegensatz zur gewerkschaftlich orientierten Linken – für eine nationale Abstimmung der Bergarbeiter über die Fortsetzung des Streiks. „Ich war dafür, da ich fest überzeugt war, dass eine demokratische Abstimmung die Solidarität der Bergarbeiter stärken würde. Die anderen Linken und die Gewerkschaft waren jedoch dagegen, weil sie fürchteten, die Arbeiter könnten sich gegen den Streik aussprechen. Ich empfand das als zutiefst undemokratisch.“

Als 1987 in Cleveland zahlreiche Familien von Sozialarbeitern fälschlicherweise des Kindesmissbrauchs beschuldigt wurden, stellte sich Furedi erneut gegen die linke Mehrheitsmeinung. „Viele Linke, die ich persönlich kannte, behaupteten öffentlich, es stimme, dass viele Arbeiter ihre Kinder missbrauchten. Mich hat diese überzogene und zutiefst anti-humanistische Sichtweise entsetzt. Dass das Verhalten von Arbeitern skandalisiert und in dieser Form vorverurteilt wurde, kannte ich bislang immer nur von der politischen Rechten. Doch es wurde seitdem zu einer Obsession der Linken.“

Furedi meint, nicht er habe sich gewandelt, sondern die Linke. „Früher waren eher Konservative staatstreu; heute fordern Leute, die sich ‚links’ nennen, ständig staatliches Eingreifen. Ursprünglich waren es Konservative, die sich gegen den gesellschaftlichen Wandel und die moderne Wissenschaft wandten; heute tun es Linke. Traditionell ersonnen Konservative Verschwörungstheorien, um progressive Entwicklungen zu dämonisieren – beliebte Sündenböcke waren die Juden und die Kommunisten. Heute ist es die Linke, die Verschwörungstheorien verbreitet. Bei all dieser Konfusion wird es immer wichtiger, dass Menschen ganz neu darüber nachdenken, wie sie sich politisch positionieren.“

Furedi sieht seine Tätigkeit als Fortsetzung der Arbeit, die einst bei Living Marxism begann. „Es geht mir darum, fatalistische soziale Trends wie die zunehmende Passivität der Menschen und ihre Abwendung von Politik und Gesellschaft zu begreifen. Doch um sie zu verstehen und erst recht um Veränderungen zu bewirken, müssen wir die Bedeutung des Denkens und der Ideen gegen das moderne Philistertum verteidigen. Darum geht es in meinem Buch.“

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