04.06.2013

Nahrungsmittelspekulation: Schwarzer Peter für Deutsche Bank und Allianz

Von Alexander Horn

Immer mehr Banken steigen hierzulande aus Nahrungsmittelspekulation aus, obwohl es keinen Beweis für deren Schädlichkeit gibt. Sie beugen sich dem Druck von Politik und NGOs. Für Alexander Horn ist das problematisch: Kurzsichtiges Moralisieren siegt über Vernunft und Wissenschaft.

Mit der Entscheidung der DZ Bank, dem Zentralinstitut der Volks- und Raiffeisenbanken, sich aus dem Handel mit Derivaten von Agrarrohstoffen zurückzuziehen, hat sich in Deutschland nun fast die gesamte Branche freiwillig aus diesem Geschäft verabschiedet. Das geschieht nicht etwa klammheimlich und beschämt, sondern wird öffentlich inszeniert. DZ-Bank-Vorstand Lars Hille kündigte den Ausstieg in einem Brief an ihren bislang wohl heftigsten Kritiker an, den Chef der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch Thilo Bode. Damit gibt sie seiner Forderung nach, freiwillig auf dieses Geschäftsfeld zu verzichten. Ende letzten Jahres ist bereits die Commerzbank ausgestiegen. Das feiert sie jetzt in ihren Werbespots und präsentiert sich so als ethisch korrekte Bank der Zukunft.

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa liegen die Aussteiger damit genau auf der Wellenlänge der öffentlichen Meinung. 84 Prozent der Bundesbürger sind gegen das Geschäft mit Nahrungsmittelkontrakten. Banken, die nicht auf dieses Geschäftsfeld verzichten, werden inzwischen öffentlich an den Pranger gestellt. Dabei steht die in der Öffentlichkeit vorherrschende Stimmung durchaus in Widerspruch zu den Fakten. Die nun auch von vielen Banken übernommene Behauptung, der Handel mit Nahrungsmittelkontrakten treibe die Preise und sei verantwortlich für den Welthunger, stellt die Realität auf den Kopf. Außerdem zeigt sich im Erfolg der Kampagne gegen Nahrungsmittelspekulationen die problematische Tendenz der Gesellschaft, zur Sicherung von Wohlstand und gesellschaftlichem Fortschritt unabdingbare ökonomische Vernunft und wissenschaftliche Erkenntnis durch kurzsichtiges Moralisieren zu ersetzen.

Keine Beweise

Bislang fehlt der wissenschaftliche Beweis, dass Nahrungsmittelspekulation tatsächlich eine verzerrende oder gar preistreibende Wirkung hat. [1] Weder die kurzfristige Preisbildung an den Märkten noch die langfristige Preisentwicklung für Nahrungsmittel wird nachweislich durch die Spekulation beeinflusst. Verschiedene Untersuchungen schätzen die Folgen der geforderten Restriktionen oder gar des Verzichts auf Nahrungsmittelspekulation für Industrie und Verbraucher als weitaus schädlicher ein, als deren Fortbestand. [2] Angesichts dieser Sachlage setzen Verbraucherschutzorganisationen wie Foodwatch nunmehr auf Indizien und Behauptungen. So sehen sie etwa in der zwischen dem Preisanstieg und dem wachsenden Handelsvolumen bei Nahrungsmittelderivaten bestehenden Korrelation ein Indiz für einen Kausalzusammenhang. Da solche Indizien aber keine wissenschaftliche Beweiskraft haben, muss Foodwatch in die Trickkiste greifen: Ohne Beweise kehrt man die Beweislast einfach um. Sollen doch die Banken beweisen, dass der von Foodwatch vermutete Zusammenhang nicht besteht, ansonsten steht immer der Vorwurf einer erheblichen Mitschuld am Welthunger im Raum.

Unheilige Allianzen

Den Verbraucherschutzorganisationen fällt es leicht, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Schließlich treffen hier zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich einer guten Sache verpflichtet fühlen, auf profitorientierte Banken, die in den letzten Jahren alle moralische Glaubwürdigkeit verspielt haben. Hier steht Welthunger gegen Gier, Opfer gegen Täter. Dieses Gefälle wird durch den Einfluss der Politik weiter verstärkt. In Ermangelung überzeugender eigener Programme greift sie die Ziele der NGOs auf. So kann sie sich immerhin des Applauses aus der Zivilgesellschaft sicher sein. Es ist daher kein Wunder, dass das CSU-geführte Verbraucherschutzministerium die Entscheidung der DZ Bank ausdrücklich begrüßt. Die Entscheidung der DZ Bank „setzt ein klares Signal“ denn „wer als großes Geldinstitut angesichts von fast 900 Millionen hungernden Menschen auf der Welt hier keinen Unterschied macht, handelt verantwortungslos“, so ein Sprecher unter Anspielung auf die Deutsche Bank. [3] Aber EU-Kommission und Bundesregierung wenden sich im Kampf um die dringend notwendigen Beliebtheitspunkte nicht nur ohne stichhaltige wirtschaftswissenschaftliche Grundlage gegen die Geschäftsmodelle der Banken und Versicherungen, sondern sie ignorieren auch weitestgehend die eigentliche Herausforderung zur Bekämpfung des Welthungers: nämlich die Frage, wie die Menschheit mit Hilfe moderner Technologie die Nahrungsproduktion in den nächsten Jahrzehnten massiv ausbauen kann. In großer Eintracht mit Foodwatch & Co. blockieren sie etwa die Erforschung, Zulassung und Nutzung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel, die einen bedeutsamen Beitrag zur Ertragssteigerung der Landwirtschaft leisten könnten. So bremsen Politik und zivilgesellschaftliche Organisationen wie Foodwatch oder Greenpeace seit mehr als zehn Jahren die Einführung des gentechnisch veränderten „Goldenen Reises“ aus, der den in Entwicklungsländern verbreiteten Vitamin A Mangel beheben kann. [4]

Die Unternehmen spielen mit

Inzwischen ist Opportunismus in entscheidenden gesellschaftlichen Fragen kaum mehr ein Privileg der Politik. Auch unternehmerische Entscheidungen, wie hier die der Banken zum Thema Nahrungsmittelspekulation, sind zunehmend von Anpassung an den moralisierenden Zeitgeist geprägt. Wie DZ-Vorstand Lars Hille in seinem Brief an Thilo Bode erklärte, verzeichne die Bank „derzeit keine Nachfrage für solche Produkte“. Im Geschäft mit Nahrungsmittelderivaten sei man ohnehin „kein großer Player“ gewesen, wie ein Sprecher der DZ Bank versichert. Offenbar hat sich die Bank also aus einem unbedeutenden und wenig gewinnträchtigen Geschäft verabschiedet und versucht dabei kräftig das Image aufzupolieren. Und dafür holt man sich die höheren Weihen beim einstigen Gegner Thilo Bode. Dieser begrüßte die Wandlung der DZ Bank von einem „Hungermacher“ zu einem Kronzeugen gegen die eigene Branche, als Beweis für die „gesellschaftliche Verantwortung“ der DZ Bank. Offenbar ist es auch wirtschaftliches Kalkül, das die DZ Bank bewegt. Ein wenig attraktives Geschäftsfeld lässt sich gegen mehr öffentliche Glaubwürdigkeit einzutauschen. Dabei gelingt es sogar den Wettbewerbern, mit der Forderung nach mehr Regulierung und durch moralische Ausgrenzung weitere Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Dieser sich quer durch Politik und Unternehmen ziehende Opportunismus rächt sich jedoch für die Unternehmen. Die Ächtung der Nahrungsmittelspekulation ist ein Paradebeispiel dafür, wie Politik und öffentliche Meinungsmacher immer tiefer in die Kernbereiche der Unternehmen hineinregieren. Die Unternehmen können kaum mehr verständlich machen, dass auch an ihrem unternehmerischen Erfolg ein gesellschaftliches Interesse besteht. Das gesellschaftliche Interesse wird heute zunehmend von Meinungsmachern wie den zivilgesellschaftlichen Organisationen definiert, an die sich dann wiederum die Politik anpasst. Das Problem dabei ist, dass die politisch legitimierten Entscheidungsträger diese Themen nicht etwa aufgrund strategischer Überlegungen setzen – hier also der Frage nachgehen könnten, wie dem Welthunger tatsächlich beizukommen wäre – sondern populäre Stimmungen einfangen und die Unternehmen, also in diesem Fall die angeschossenen Banken, regelrecht vorführen, um kurzfristige Popularitätseffekte zu erzeugen. Ähnlich ergeht es seit Jahren der Regierungskommission für den Deutschen Corporate Governance Kodex [5], die seit ihrem Bestehen in vorauseilendem Gehorsam die zivilgesellschaftlichen Forderungen zur Steuerung der großen deutschen Unternehmen aufgenommen hat. Nach jeder Selbstregulierungsrunde sieht sie sich noch weitergehenden Forderungen von Politik und zivilgesellschaftlichen Organisationen gegenüber.

In dem Maße, wie moralisierende Stimmungen für unternehmerische Entscheidungen maßgeblich werden und wissenschaftliche Erkenntnis sekundär erscheint, wird auch das unternehmerische Umfeld schlechter kalkulierbar. Strategische Entscheidungen werden schwieriger und riskanter. Das ist höchst problematisch, denn Unternehmen tragen zweifellos eine große gesellschaftliche Verantwortung. Die gesellschaftlichen Produktivkräfte, also die gesamten gesellschaftlichen Mittel zur Erhaltung und Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums, sind in der Marktwirtschaft den Entscheidern in den Unternehmen untergeordnet. Sie können am besten definieren, auf welche Technologien die Unternehmen setzen und welche Investitionen sie tätigen sollten. Wird diesen Agenten des gesellschaftlichen Fortschritts das Handwerk gelegt oder werden sie dieser Rolle auf Grund eines Übermaßes fachfremder Interventionen nicht mehr gerecht, können die Auswirkungen – wie am noch immer grassierenden Welthunger erkennbar – verheerend sein.

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