30.11.2011

Mythos Holz (Teil 3): Nachhaltigkeit als Illusion

Analyse von Joachim Volz

Im dritten Teil seiner historischen Untersuchung moderner Mythen rund um den Rohstoff Holz knüpft sich Joachim Volz das aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts stammende Wort Nachhaltigkeit vor. Mit seiner eigentlichen Bedeutung hat diese heutige Modephrase nichts mehr gemein

Der erste Teil der Serie:  Mythos Holz (Teil 1): Der Traum vom Wald
Der zweite Teil der Serie: Mythos Holz (Teil 2): Vom Wechsel der Zeitalter
 


„Wie sieht die Hölle aus?“ Nach einer mittelalterlichen Legende [1] soll ein Bischof diese Frage einem jener durch das Land ziehenden Vaganten gestellt haben, denen oft ketzerische Absichten unterstellt wurden. „Die Hölle“, so meinte der Vagant, „ist von dichtem Wald umgeben.“ Der Bischof konnte sich das Lachen nicht verkneifen. „Dann kann man ja viele Schweine mästen!“, rief er aus.

Freud und Leid, Nutzung und Bedrohung – also Holz und Honig [2], Schweinemast und Rinderhütung, aber auch die Furcht vor der Unberechenbarkeit der Natur, ihr Umschlagen in Wüstenei, in Wildnis – sind hier noch dicht beieinander. Nur das Feld, das bebaute Land, ist Zivilisation, welches vom unbebauten Land, der Wildnis, Ödnis, Wüstenei geschieden wird. Dem grünen „Gläubigen“ ist die Wildnis, die Nicht-Zivilisation, das Paradies. Sein Kopf verschmäht die Abstraktion, er denkt, genau wie der Vagant und der Bischof, in konkreten Bildern, aber nicht in positiven. Die Schlagzeile „Rinderzucht bedroht Amazonas-Regenwald“ [3] und das damit implizierte Bild vom Amazonas-Wald als globalem Klima-Wächter wandelt sich in seinem Kopf zu „Rinder fressen Klima auf!“. [4]

Notdurft und Landschaft

Notdurft ist der zum Leben notwendige Bedarf: „Im Schweiße Deines Angesichts sollst Du Dein Brot essen“ (Genesis 3,19). Arbeit für das Brot war die an den Boden geheftete Arbeit, der Ackerbau. 1906 [5] wurden in Japan 52.426.523 t organisches Material – bestehend aus: 21,5 Mio. t menschlichen Fäkalien, 20,5 Mio. t Kompost, 9,1 Mio. t Gründüngung und 1,2 Mio. t Asche aus Brennmaterial – in weitgehender Handarbeit auf 5,6 Mio. ha Acker aufgebracht, das machte 9,3 t pro ha. 53 Mio. Menschen mussten von diesem Land ernährt werden, das waren 9,5 Menschen auf 1 ha. In großen Teilen Japans war aufgrund des dortigen Klimas nur eine Reis- und eine Getreideernte möglich, in Zentralchina sind es 2 Reisernten pro Jahr. Großvieh wurde kaum zur Landarbeit genutzt. Im Winter ruht das Wachstum der Vegetation. Das Vieh hätte in dieser Zeit mit Heu, Getreide und Stroh gefüttert werden müssen. Normale Weideflächen standen als trockenes Hügelland durchaus zur Verfügung, auf diesen wurde das Gras geschnitten und als Grün-Düngung auf die Felder gebracht, nicht in der veredelten Form des Kuh- oder Schweinemists wie in Europa. Jedoch hätten die Anlage von Wiesen zur Heugewinnung das kostbare Ackerland und der Getreideverzehr der Rinder die Nahrungs-Grundlage der Menschen beschnitten. In Japan erbrachte die Ernte von 1902 bis 1906 im Durchschnitt 136 kg Reis pro Kopf. In Deutschland rechnete man bis 1750 mit einem Bedarf von 200 kg Getreide einschließlich Erbsen und Bohnen sowie 100 kg Fleisch, Milch und Milchprodukten, dazu Eier und Kohl. Die in Japan fehlenden Lebensmittel wurden (ohne Milch) durch anderes Getreide und Soja gedeckt, dazu kamen Gemüse, Geflügel und Eier, Fisch, Meeresfrüchte und Algen. Für Großvieh war da kein Platz.

Auch für die Wälder blieb nur wenig Raum, zumindest in China. Dort dürfte der Waldanteil vor 100 Jahren bei 10 % gelegen haben. Häuser baute man aus Stein und Mörtel, Nutzholz für einfache Geräte, Stiele und Stangen gewann man aus dem allgegenwärtigen Bambus, und Brennmaterial aus Reisstroh sowie Hirse- und Baumwollstängeln. Die chinesische Küche legt viel Wert auf die Vorbereitung, insbesondere das Zerkleinern, um die Garzeit möglichst abzukürzen. Das Stroh wurde zu Bündeln, dem sogenannten Kaff, zusammengebunden. Sogar große Siedekessel wurden damit beheizt. „Vor der Feuerung saß ein zwölfjähriger Junge und legte ständig Reiskaff nach: etwa dreißigmal in der Minute! (...) Von Zeit zu Zeit schob der Mann, der das Kaff heranschaffte, (...) Reisstroh unter das Feuer, das gab dem Jungen einen Augenblick Atempause.“ Holzkohle wurde aus entfernten Wäldern herangebracht, Stein- und Braunkohle in den Städten seit Jahrhunderten genutzt. Seit dem 16. Jahrhundert ist bekannt, dass in China Erdöl mit bis zu 200 m tiefen Brunnen gefördert wurde. Auch die Bohrtechnik zur Förderung von Salzsole und Erdgas war weit entwickelt. „Von den fernen Erdgasquellen wird das Gas durch Bambusröhren herangeleitet und unter den Siedepfannen (der Salzsole) verbrannt“, schrieb F.H. King. Trotz der intensiven Nutzung war die Landschaft keineswegs baumlos. Neben dem Bambus gab es Baumgruppen und kleine Wälder für das benötigte Nutzholz.

In China mussten die Rinder den Menschen weichen, in Indien fanden sie das ganze Jahr ausreichend Gras und wurden heilig. Der Ganges und der Brahmaputra ermöglichten zwei Reisernten pro Jahr, der Monsun in den anderen Teilen Indiens eine Reis- und eine Getreideernte. Bewässerungsgräben brachten das Wasser auf die Felder. Die Dörfer [6] versteckten sich hinter dschungelähnlichen Waldungen, die Kühe verbrachten die Nächte im offenen Stall, Ochsen, Büffel und Jungtiere auf Weiden nahe am Dorf. Tagsüber wurden alle Rinder zur Feldarbeit mitgeführt. Sie fanden auf den Brach- und Stoppelfeldern sowie auf dem unbebauten Land genügend Nahrung. 1947 [7] bestand die landwirtschaftliche Nutzfläche aus 98,6 Mio. ha Acker, 20,4 Mio. ha Brache und 35,9 Mio. ha unbebautem, also Weideland, zusammen 154,9 Mio. ha. Bei 177,47 Mio. Rindern waren das 0,87 ha pro Rind, von dem drei Viertel nur zeitweise als Weidefläche zugänglich waren. Trotzdem war die anfallende Dung- und Güllemenge nicht unerheblich. Jedes Rind [8] ließ pro Jahr im Schnitt 4,7 t flüssigen und 12,7 t (mehr oder minder) festen Dünger fallen. Insgesamt waren das 2.250 Mio. t Dung und 830 Mio. t Gülle, pro Hektar ca. 14 t Dung und 5 t Gülle. Auch wenn nicht alles auf den Feldern ankam – etwa ein Drittel wurde verschleppt und der Dung musste erst den Umweg über den Hausbrand nehmen – sind doch damit die europäischen Klagen über die Nichtnutzung des Rindermists hinfällig geworden. [9]  Und dazu müssen noch die menschlichen Fäkalien und der Schlamm der Bewässerungsgräben gerechnet werden.

Mit dem, was die Menschen fallen lassen, hatte es in Indien seine Besonderheit: „Inder defäkieren überall.“ Diese Worte stammen von V.S. Naipaul, [10] der 1962, vor einem halben Jahrhundert, das erste Mal die „Fremde Heimat Indien“ bereiste. In Madras war eine große Busstation „... eine beliebte Latrine. Ein Fahrgast trifft ein, und um sich die Zeit zu vertreiben, hockt er sich hin, hebt den dhoti (den Lendenschurz) und defäkiert in den Rinnstein. Der Bus kommt, der Fahrgast steigt ein, eine Putzfrau macht sauber.“ Den Hindus schreibt die Tradition eine besondere Reinlichkeit vor. Nur in einem Fluss oder großen Teich können sie sich sauber fühlen. In den Dörfern und Städten war es Aufgabe der Unberührbaren, der kastenlosen Parias, den „Dreck“ fortzuschaffen. Er landete auf großen und kleinen Haufen vor den Ortschaften, verrottete dort und der nächste Monsun spülte ihn fort. Ein mehr oder minder großer Teil der Nährstoffe gelangte in die Bewässerungsgräben und kam mit deren Schlamm auf die Felder.

Der Mensch unterscheidet sich von der Biene, weil er vor Arbeitsbeginn ein Bild des zu bauenden Hauses im Kopf hat. Bei der einfachen landwirtschaftlichen Arbeit mag das Bild etwas mehr als ein Haus umfassen, aber es enthält keine wirkliche mittel- oder langfristige Planung, wie die Bearbeitung der äußeren Natur diese als Landschaft formen soll. In China wurde das Gras auf den trockenen Hügeln mit der Hand geschnitten und als Grün-Dung verwendet, in Indien übernahmen das die Rinder, in Europa vor allem die Schafe. Die Landschaft, das von den Menschen in ihrer tätigen und täglichen Auseinandersetzung mit der Natur Geschaffene entsteht hier, bei der unmittelbar an den Boden gehefteten Arbeit, nur nebenher, nicht wirklich gewollt. Der Mensch, ganz abstrakt, kann der „Natur“ noch nicht selbständig gegenübertreten – er ist noch Teil dieser Natur, mit Händen und Füßen in sie verstrickt. Seine Arbeit ist die „tätige Mitte“ (Karl Marx) zwischen der „äußeren“ Natur, der er die Rohstoffe für seine Subsistenz, seine Notdurft, entnimmt, und der „inneren“ Natur, die im je einzelnen Individuum immer nur Teil, wenn auch selbständiger, einer anderen Mitte, der Gesellschaft, ist. Diese kann aber nur durch die Arbeit der einzelnen existieren. Lediglich schrittweise konnten sich die Menschen von den Zumutungen der Natur emanzipieren.

Holz und Geld oder: Was ist Nachaltigkeit?

Das Forstrevier Liepe [11] nordöstlich von Eberswalde war ein kleiner Teil des alten kurmärkisch-preußischen Jagd-Gebietes, das sich von der Alten Oder, oberhalb des Finowkanals bis Liebenwalde an der Havel, und diese hinauf bis Zehdenick erstreckte. In und um das Revier lebten Mitte des 18. Jahrhunderts 2.595 Menschen, davon allein im Städtchen Oderberg 1.087. Es repräsentiert durchaus einen typischen Wald des 18. Jahrhunderts mit seinen verschiedenen Nutzungsformen. Der Lieper Forst wurde 1767 vermessen und in Gestelle eingeteilt. Allein bis 1820 wurde er noch dreimal vermessen und zweimal geteilt. Die folgende Tabelle [12] zeigt das Forstrevier Liepe in seiner Entwicklung um 1800.

 

Jahr

Größe, in ha

Holzvorrat

Rückgang

Einwohner

Kühe

Schafe

Gesamt

Holzboden

Blößen

Klafter

fm/ha

Klafter

fm/ha

1750

9.150

7.024

  k.A.

1.400.000

466

-

-

2.595

  450

  5.000

1785

9.150

6.637

  387

  692.302

243

707.698

5,5

4.500

  940

  9.100

1802

k.A.

6.318

2.167

  438.485

163

253.373

9,9

5.550

  k.A.

  k.A.

1820

6.669

6.063

  310

  255.515

  99

183.444

3,8

5.750

2.498

10.435

 

Deutlich sticht der Rückgang des Holzvorrates hervor, insgesamt waren es 1.144.515 Klafter Holz, mehr als 90 Prozent davon wurden nach Berlin verflößt. Die Bestandsdichte von 466 Festmeter (fm) pro Hektar dürfte um 1750 sogar noch höher gelegen haben, denn obwohl keine Blößen angegeben sind, gab es sie als 1 bis 2 Morgen, also einen viertel bis halben Hektar große, baumlose Flecken dennoch. 1.521 ha des Reviers bestanden aus Acker und Wiesen, 185 ha waren Niederwald, über 300 ha Erlen-Brüche und noch einmal 300 ha Seen und Fließe. Die mit Gras bewachsenen Blößen fungierten als Zwischenstationen beim Weidegang des Viehs zu den Acker- und Wiesenflächen sowie den Bruch-Gebieten. Insgesamt waren damit mehr als 2.000 ha den Kühen als Weideflächen überlassen, ohne dass diese den Holzboden betreten mussten. Dieser diente vor allem den Schafen zur Weide. Dort, „... wo beinahe kein Gras mehr wächst, und wo sich das Vieh zum Theil von Haidekraut, Schwämmen, selbst wohl von Flechten und Sträuchern nährt…; (...) in der man… nicht ein einziges Fuder Heu zusammenbringen würde, nähren sich vielleicht 1.000 Schafe“, schrieb Wilhelm Pfeil. [13] Im Herbst lösten Schweine die Schafe im Wald ab. Die Eichen gaben nur etwa alle 10 Jahre eine Vollmast, in der Regel nur eine Viertel- oder Halbmast, der Ertrag der Buchen an Eckern oder Bucheln war ausgeglichener. So konnten sich die Schweine vor dem Winter noch kräftig Speck anfuttern. Der beginnende Winter, mit dem Höhepunkt zwischen Heiligabend und Drei Könige, war vor 250 Jahren die beste Zeit des Jahres, da dann Fleisch von der Schlachtung der Jungtiere im Überfluss zur Verfügung stand.

Wie dicht der Holzbestand war, zeigt der westliche Rand des Vorwerkes Buchholz. Dieser umfasste 99 ha und enthielt 5.034 Eichen neben ca. 2.600 Buchen im Alter von 160 bis über 200 Jahren. Sie bildeten mit einem Vorrat von 23.379 Klaftern das Oberholz. Darunter, in einer zweiten Schicht, wuchs 80-jähriges Buchen-Stangenholz mit insgesamt 8.054 Klaftern, zusammen 743 fm/ha. Der größte ermittelte Vorrat im nördlichen Brandenburg lag um 1790 bei 124,33 Klafter pro Morgen, das waren 1.140 fm/ha. [14] Die Mastbäume des Oberholzes waren relativ kurzstämmig, mit weit ausladender Krone, wie man sie heute nur noch als Solitärbäume sieht. Etwa 30 % der Gesamtmasse machte das fruchtragende Reisigholz aus. Schweine und Schafe waren hier gut aufgehoben, und den Kühen standen ja andere Weiden zur Verfügung. Bis 1750 wurden im Lieper Revier, trotz einer Glashütte, die von 1705 bis 1772 bestand, nur etwa 4.500 Klafter jährlich geschlagen, das waren 1,5 fm/ha. Dann, 15 Jahre vor der ersten Vermessung, begann die „Holz-Octroy“ [15] nach Berlin, mit dem Höhepunkt nach 1790. Allein in den neun Jahren zwischen 1793 und 1802 schrumpfte der Vorrat um mehr als 250.000 Klafter, d.h. um 9,9 fm/ha und Jahr! 1802 nahmen die Blößen und Schonungen 44 % des Holzgrundes ein. Und Liepe war keine Ausnahme, alle Wälder in der weiteren Umgebung Berlins wurden durch die „Holz-Octroy“ massiv umgestaltet. Liepe war bis 1750 ein Laub- und Mischholzrevier, doch schon 1802 nahm die Kiefer fast die Hälfte der Fläche ein.

1821 übernahm Wilhelm Pfeil die Leitung der Forstakademie zu Berlin, von wo er 1830 mit seinen Schülern nach Eberswalde umzog. Gleich zu Anfang machte er deutlich, was unter Nachhaltigkeit zu verstehen war, nämlich: „...daß wir… die Forstwirthschaft vom Geldertrage abhängig machen, daß wir diejenige Forstwirthschaft für die beste erklären…, welche ... das größte nachhaltige Geldeinkommen gewährt. Da das Geld alle sinnliche Güter repräsentiert, da (...) bei der Vervollkommnung des Weltverkehrs, alle sinnliche Güter für Geld (...) zu bekommen sind, so ist dieser Grundsatz in sich ganz folgerecht.“ [16] 1822, der Kapitalismus in Deutschland steckte kaum in den Kinderschuhen, sah W. Pfeil die Nationen nicht auf sich gestellt, sondern als Teil des „Weltverkehrs“. Er setzte das Wachstum des Geld-Einkommens als Zweck und das Holz, bzw. die Waldwirtschaft, als Mittel dafür. Doch für viele Forstleute war der Zweck der Forstwirtschaft „die Erziehung der größten und brauchbarsten Holzmenge“, also des „Gebrauchswerthes“ statt des „Tauschwerthes“, um im Bild der Zeit zu bleiben.

Man kann ein beliebiges Stück märkischen Sandbodens nehmen, diesen räumen, einen Zaun darum ziehen (um die Rehe fernzuhalten) und darauf 10.000 3-jährige Kiefern pflanzen (heute maschinell, damals mit dem Pflanzspaten). In den ersten 30 Jahren wachsen sie gut 8 m in die Höhe, der dichte Stand lässt die Seitenäste verschwinden (das gibt gutes Schnittholz). Die abgestorbenen Äste, die bis dahin eingegangenen Pflanzen und die mit den Jahren abgefallenen Nadeln bilden eine dicke Streuschicht, auf der die Kiefern wachsen. In den folgenden 50 Jahren werden gezielt Stämme entnommen, insgesamt ca. 6.000, diese ergeben die Vornutzung, im Schnitt 2,4 fm/ha. Doch ab dem 60. Jahr beginnt das Problem der Kiefern, sie beginnen sich licht zu stellen. Sonnenlicht fällt auf den Boden, das schnell wachsende Gras zehrt die verbliebende Streu auf (die Schafe mit ihrem Dung haben dem früher entgegengewirkt) und der jährliche Zuwachs sinkt. Ab dem 80. Jahr erfolgt der Kahlschlag, und das Ganze beginnt von vorn. Die Vornutzung erbrachte 150 fm/ha und die Hauptnutzung noch mal 200 fm/ha, das macht 4 fm/ha und Jahr.

Vom Standpunkt des Bedarfs, das Holz als Zweck der Produktion, hat man das erreicht, was erreicht werden sollte – man hat Holz gezogen und wird es wieder tun, ganz nachhaltig. Vom Standpunkt des Tauschwertes, das Geld als Zweck der Produktion, ist dies nichts als eine einzige Katastrophe. Die arbeitsaufwendige Kultur der Sämlinge, deren Umpflanzen und Schutz haben nicht nur den späten Geldertrag aufgezehrt, sondern obendrein noch Schulden hinterlassen. Pfeil plädierte darum für die Saat und den Einsatz der Schafe als „Kiefernkultivateure“. Diese hielten das Gras auf den Kahlschlägen kurz und verschonten die Sämlinge. „Kommt der Keimling hervor, so beißt das Schaf sorgfältig jedes Gräschen um ihn herum ab, ohne ihn selbst jemals zu beschädigen.“ [17] Im Lieper Revier erzielte er damit durchaus Erfolge, doch die riesigen Blößen, nicht nur in Liepe, forderten ihren Tribut. 1833 konstatierte er das ständige Schwanken der Forstleute zwischen der Geld- und der Bedarfs-Orientierung. [18] Um 1850 verdrängten Eisen und Stahl, aber auch Ziegel und Beton das Holz aus vielen traditionellen Anwendungsbereichen. Schrittweise wandelte sich seine Rolle vom vielfältigen Nutzholz zum allgemeinen Rohstoff – für Papier, Zellstoff, Späne und Schnittholz. Um 1800 ist die Forstwirtschaft entstanden, auf dem Boden ihrer eigenen Wissenschaft. Deren Gründungslegende war die „Übernutzung“, ja Verwüstung ganzer Wälder durch Viehweide, ungeregelte Holzentnahme, Teeröfen, Glas- und Eisenhütten. Der Bezugspunkt der Wissenschaft mag allgemein sein, doch ihre Anwendung am konkreten Ort hängt von vielen Faktoren ab. Der wichtigste ist der Mensch, hier der Förster, der auch heute noch zwischen Holz und Geld hin- und hergerissen wird.

Die Forstwirte können den Preis des von ihnen produzierten Rohstoffs nicht mehr selbst bestimmen. Ähnlich ist es in der Landwirtschaft, die Preise sind Parameter, an denen die Landwirte ihre Produktion ausrichten. Der sogenannte konventionelle Bodenbau war bis vor kurzem noch wirklich konventionell, das Pflügen dominierte wie in den Jahrtausenden zuvor. Es lockert und lüftet den Boden, dient der Beikrautbekämpfung, arbeitet den aufgebrachten Mist unter – und fördert die Erosion. „Auf seinem Land im Osten des US-Staates Washington wirft der Farmer John Aschliman eine Schaufel voll Mutterboden um. Die schwarze Erde krümelt gut, ist stark porendurchsetzt, enthält reichlich organisches Material und viele Regenwürmer – eine gesunde Krume.“ [19] Doch dieser Boden hat seit fast 40 Jahren keinen Pflug mehr gespürt, die Direktsaat macht es möglich. Der Boden wird nur noch minimal bewegt und die Reste der Vorfrucht bilden eine Streuschicht, die die Erosion verhindert. Eine Bodenbedeckung von 35 % reduziert diese um 80 % (!), ab 90 % Bodenbedeckung hört sie praktisch auf. Wasser und Nährstoffe werden besser gespeichert und der Boden wird nicht mehr verdichtet. Un- bzw. Beikräuter werden chemisch, mit Herbiziden, unterdrückt. Diese sind wasserstabil, nicht toxisch und biologisch abbaubar, Glyphosat z.B. zerfällt in CO2 und Phosphat. Die biologische Halbwertzeit liegt zwischen wenigen Tagen und 5 Wochen, d.h. wie beim radioaktiven Jod (Halbwertzeit 8 Tage) in Fukushima I sind nach 10 Perioden, d.h. 80 Tagen, nur noch 0,1 % vorhanden, also praktisch nichts. In den tropischen und subtropischen Ländern ist dies die ideale Form des Bodenbaus. In Australien, Südamerika und den USA ist sie weit verbreitet, in Indien und China hat sie Fuß gefasst. Selbst in Kanada wird sie auf der Hälfte der Ackerfläche angewandt.

Kanada ist klimatisch in etwa mit Mitteleuropa vergleichbar, doch hierzulande wird der ökologische Landbau gefördert. Mehrmaliges Pflügen pro Jahr ist dabei Pflicht und gesetzlich vorgeschrieben. [20] „Es wird ein möglichst geschlossener Kreislauf angestrebt… Das Nährstoffmanagement erfolgt über Leguminosen und vielfältige Fruchtfolgen“. Durch die „mechanische Beikrautregulierung“ erfolgt die Unkrautbekämpfung mit dem Pflug. Hier sind anscheinend die Seiten vertauscht, der ökologische Landbau ist konventioneller als die Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts, denn dort verwendete man wenigstens Guano.

Der konventionelle Landbau orientiert sich am Geldertrag. Um die Kosten gegenüber dem Preis zu reduzieren, wird der Arbeitsaufwand, d.h. die Arbeitszeit, gesenkt. 2008 wurde die Buchführung von 374 Öko- und 850 konventionellen Betrieben geprüft. Erstere hatten einen Arbeitskräftebesatz von 2,2 und letztere von 1,7. Wenn man bei beiden die nicht entlohnten Arbeitskräfte (AK), den Landwirt und seine Familie, abzieht, bleiben 0,6 bzw. 0,2 AK, die bezahlt werden müssen. Der Lohnanteil der Öko-Betriebe lag bei 140 €/ha und der der konventionellen bei 30 €/ha. Beim ökologischen Landbau nimmt der Arbeitsaufwand also zu. Und nicht nur das, die „Faustzahlen“ geben Auskunft darüber, dass der zukünftige Öko-Landwirt Ertrags-Einbußen von 20 % bis 50 % hinnehmen muss: z.B. beim Weizen von 70 auf 35 dt/ha, bei Kartoffeln von 400 auf 200 dt/ha und bei der Milch von 7.000 auf 5.500 kg/Kuh. Und wieder erscheinen die Seiten vertauscht.

Schon Pfeil erkannte, dass die Orientierung auf das Geld letztlich allen zugute kommt. Beim ökologischen Landbau wird das Problem immer deutlicher: Nur durch weitere zusätzliche Arbeit, d.h. Subventionen, wird sich der schon deutlich reduzierte Ertrag halten lassen. Die Orientierung auf den Gebrauchswert bewirkt das Zurücksinken auf die Notdurft und die Preisgabe des erreichten gesellschaftlichen Reichtums. Nachhaltigkeit ist als Wort viel zu indifferent, es hat sich, im Gegensatz zum Wort Geld, nie zum Begriff verdichten können. Aber Begriffe sind notwendig, um die Welt angemessen zu beschreiben. Mit der ideologischen Erhöhung zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit ist das Wort vollends beliebig geworden. Nachhaltigkeit ist eine Illusion.

 


 

Die Förster um 1800 sind durchaus ausgezogen, die Urwälder zu erobern [21] – daher ihre Unbedingtheit gegenüber den traditionellen Nutzungsformen. Sind sie gescheitert? Vielleicht. Mit Sicherheit jedoch haben sie die Wälder umgestaltet, man kann sagen umgekrempelt. So wie sich das Holz vom konkreten Gebrauchsgut zum allgemeinen Rohstoff wandelte, hat sich auch das Verhältnis der Menschen zum Wald, zur Natur gewandelt. Der Mensch, ganz abstrakt, also denkend, ist der Natur gegenübergetreten, ohne sie zu verlassen, ohne sie je verlassen zu können.

Nicht mit den Augen, sondern mit dem Kopf sehen wir alle Dinge an (sinngemäß nach Friedrich Nietzsche), was heißt, wir müssen die Dinge denken können. Das Denken in Gegensätzen ist allgegenwärtig, z.B. Tag und Nacht, Licht und Dunkel. Doch das Sehen mit den Augen orientiert sich am Konkreten, dem sinnlich Erfahrbaren, das Sehen mit dem Kopf ist eine gedankliche Verallgemeinerung, eine Abstraktion. Der Kopf des grünen „Gläubigen“ verschmäht die Abstraktion, ihm muss alles konkret erfahrbar sein. Natur kann kein Abstraktum sein, dem der Mensch, ebenfalls abstrakt, also denkend, gegenübertritt. Der Gegensatz zur Natur ist bei ihm das Künstliche, das Nicht-Gewachsene, das Menschengemachte. So ist die Industrie, in der konkreten Form der Fabrik, das Technische und somit Künstliche. Die Kuh auf der Weide ist Natur, auch wenn Kuh und Weide Teile der von Menschen geschaffenen Kulturlandschaft sind. Wenn sich eine Kuh mit wenigen Artgenossen einen kleinen Stall teilen muss, gilt das als Natur (weil artgerecht?), d.h. diese Kuh ist glücklich, muss es sein. Doch wenn 200 Kühe einen großen Stall in Besitz nehmen, der ihnen Bewegungsraum gibt und sie (technisch) mit einem Wohlfühl-Klima versorgt, ist das eine Agrar-Fabrik und die Kuh eine gequälte Kreatur. Die Chemiefabrik ist zum Synonym für menschengemachtes Gift geronnen. Doch zum Inbegriff des konkret Abstrakten [22] ist das CO2, ein Molekül aus einem Kohlenstoff- und zwei Sauerstoffatomen, geworden. Etwas, was nicht sinnlich fassbar, nur mit Messinstrumenten nachweisbar ist, aber in Fabriken produziert wird, ist zum menschengemachten Klima-Gift aufgestiegen bzw. verdammt worden. Wie lässt sich der Gegensatz zwischen Mensch und Natur überbrücken?

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