27.05.2014

Moralstrafrecht reloaded

Essay von Monika Frommel

Widerlegung der, in der aktuellen Debatte um Sexdienstleistungen vielgehörte These, das Prostitutionsgesetz habe versagt und zu Zwangsprostitution geführt. Der restriktiven Verbotspolitik nach schwedischer Art erteilt sie eine Absage

Vor mehr als vierzig Jahren wäre die von Alice Schwarzer im Jahr 2013 begonnene Kampagne gegen die sog. „Zwangsprostitution“ (angeblich 90 Prozent aller Prostituierten betreffend) nicht vorstellbar gewesen. Auch hätte sich ein Autor wie der Kriminologe Christian Pfeiffer gescheut, einen solchen Aufruf zu unterzeichnen, da es sich um ein Projekt handelt, das ohne jede empirische Absicherung weit reichende Forderungen stellt und auch nicht aufklären will, also mehr Aufmerksamkeit schaffen möchte für ein soziales Problem, nämlich die Prostitution von Migrantinnen und Flüchtlingen aus Armut. Es ist stattdessen lediglich eine weitere populistisch inszenierte Kampagne zur Verfestigung des Stereotyps vom „triebhaften“ Mann und der „ausgebeuteten“ Frau. Nur wenn man das Problem extremer Armut, das es ja tatsächlich gibt, so zurichtet, dass es nur noch um käuflichen Sex kreist, erscheint der Ruf nach mehr und härterem Strafrecht vordergründig plausibel. Denn in dieses Segment ist die Strafrechtsreform nie wirklich vorgedrungen, zu hoch waren die Widerstände, und nun werden sie erneut bedient. Auch erscheint es vordergründig plausibel, Strafrecht nur noch als „Opferschutzrecht“ zu etikettieren, wenn man „Zwangsprostituierte“ als ausgebeutete Opfer stilisiert und ihre Ausbeuter nur noch „Peiniger“ nennt. Zu dieser Stilisierung von Wirklichkeit passt es auch, ihre fehlende Bereitschaft, in Menschenhandelsprozessen auszusagen, mit „Angst“ zu erklären, die nahe liegende Erklärung also zu verdrängen, dass sich manche Menschen durchaus freiwillig prostituieren wollen, nicht jedoch zu einem unangemessenen Preis. Im Menschenhandelsverfahren geht es aber nicht um ihr Anliegen, sondern um staatliche Interessen, straffällige Ausländer abzuschieben.

Hinzu kommt, dass die Ideologie, wonach sich „keine Frau freiwillig prostituiert“, immer schon präsent war. Auch die Protagonistin des Aufrufs gegen „Zwangsprostitution“ vertritt diese Meinung seit über 40 Jahren, konnte aber in Deutschland –ihre Thesen nicht vermitteln – schon gar nicht in intellektuellen Kreisen. Hierzulande galt das schwedische Beispiel, das dort 1999 erlassene „Gesetz zum Verbot des Kaufs sexueller Dienste“ als augenfälliger Beweis für die Sinnlosigkeit und Schädlichkeit einer Strafen- und Moralpolitik, welche mit Verboten das Leid der angeblich Geretteten nur vergrößert. Nicht vermittelbar war auch die Strafentheorie, welche im Strafrecht nicht Rechtsgüterschutz sieht, sondern nur ein plakatives Instrument der Normverdeutlichung. Wer Normen verdeutlichen will, an die sich große Kreise der Bevölkerung nicht halten werden, weil sie die Legitimität der Verbote nicht einsehen, provoziert lediglich deren Umgehung, schadet also nicht nur den wenigen Sündenböcken, die erwischt werden, sondern ruiniert auch noch das Recht als Steuerungsmittel.

Prostituierte als Objekt fürsorglicher Politik

Dennoch folgten im Jahre 2013 nicht nur die Schweden, sondern auch die französischen Sozialisten diesem Beispiel und setzten in Frankreich ein Bußgeld für Freier durch. Zwar gab es Widerstand. Man denke nur an die witzige Aktion von Frédéric Beigbeder: „Hände weg von meiner Nutte“ – eine Unterschriftenaktion von 343 prominenten Franzosen, die sich „Dreckskerle“ nannten und den Stile des berühmten Aufrufs „Wir haben abgetrieben“ aus den 1970er Jahren präzise nachahmten. [1] Aber der Widerstand nützte wenig. Immerhin hinterließ er ein schlechtes Gewissen; denn die „Dreckskerle“ hatten einen wunden Punkt getroffen. Beim Recht auf Abtreibung und beim Recht auf Kommerzialisierung der eigenen Sexualität geht es um Freiheitsrechte, denen ein strafender Staat nur eine angeblich höhere Moral, also ein Sittlichkeitsstrafrecht entgegen setzen kann. [2] Zwar wird bevormundende Sittlichkeit im 21. Jahrhundert bei der Abtreibungsfrage als „Lebensschutz“ getarnt, ein Argument, das historisch den 1870 normierten § 218 RStGB sicher nicht erklären kann, und bei der Prostitution wird ein „Menschenrecht gegen Ausbeutung“ strapaziert, wobei Ausbeutung schon in der Kommerzialisierung der Sexualität gesehen wird. Damit sind neue Themen gesetzt. Leider bedeutet dies in einer auf Massengeschmack zielenden Mediengesellschaft, dass 2014 mit immer gleichen Argumenten regressiv die Frage präsent bleiben wird, ob Prostitution sich mit der „Würde der Frau“ verträgt oder nicht. „Menschenwürde“ wird zum Eingriffstatbestand. Die Betroffenen werden erst gar nicht gehört, sondern für eine „Neue Gesellschaft“ mit einer „Neuen Ethik“ umerzogen. Frauen durch Beratung, Männer mit Strafrecht oder Ordnungsrecht. Abschreckung der angeblich Überlegenen, fürsorgliche Bevormundung der Schwachen. Die geheime Botschaft lautet, dass „Zwangsprostituierte“ zur sexuellen Selbstbestimmung unfähig seien. Sie werden nur noch als Opfer, die es zu schützen gilt, etikettiert und damit zum Objekt fürsorglicher Politik. Die Differenz zum Obrigkeitsstaat des ausgehenden 19. Jahrhundert ist dabei nicht so groß. Damals galten Prostituierte als „willensschwach“ und konnten ins „Arbeitshaus“ gesteckt werden.

„Wieso soll eine liberale Rechtspolitik im 21. Jahrhundert zurückkehren zu einem unbestimmten Strafrecht, das man aus gutem Grund in den 1970er Jahren abgeschafft hat?“

Wie erklärt man, dass sich derartige Fehlleistungen im 21. Jahrhundert wieder durchsetzen können? Europa scheint in ein post-liberales Zeitalter zu trudeln. Blicken wir also auf die europäischen Gremien. Dort haben sich skandinavische, insbesondere schwedische, Gleichstellungspolitikerinnen immer schon gut bewegt. Sie waren in den letzten 20 Jahren auf UN- und EU-Level sehr viel bedeutsamer als liberale deutsche Feministinnen dachten, und setzten sehr viele Vorgaben durch, die erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung wirken und die nun erst sichtbar werden. Man denke an die zahlreichen Opferschutzvorgaben und die seit 20 Jahren regelmäßig wiederholten EU-Rahmenbeschlüsse gegen die sexuelle Ausbeutung von „Kindern“ (definiert als Personen unter 18 Jahren). Mittlerweile sind es verbindliche Richtlinien, die von den EU-Staaten umgesetzt werden müssen. Diese Vorgaben fallen auf durch ihre Unbestimmtheit. Das gilt für die Umsetzung nicht minder. Man lese nur § 232 Abs. 1 StGB (seit 2005 in Kraft). Die Tathandlung lautet: „[zur Prostitution] bringen“, der weit unter dem Nötigungstatbestand liegende Zwang soll im „Ausnutzen einer auslandsbedingten Hilflosigkeit“ liegen. Außerdem gibt es noch eine „Jugendschutznorm“ mit einem Schutzalter von 21 Jahren. [3] Genannt werden als Auffangtatbestand zu diesem ohnehin sehr weit gefassten Grundtatbestand als zweite Alternative sexuelle Handlungen, durch die eine Person ausgebeutet wird. Aber wie soll man einen Begriff wie „Ausbeutung“ definieren, wenn man Prostitution nicht als Gewerbe anerkennen will, sondern pauschal als „Menschenrechtsverletzung“ verdächtigt? Hatte das jeweilige nationale Recht nicht sehr viel klarere Regelungen, um etwa sexuelle Übergriffe in ihrer Intensität und mit Blick auf angemessene Schutzaltersgrenzen zu sanktionieren? Wieso soll eine liberale Rechtspolitik im 21. Jahrhundert zurückkehren zu einem unbestimmten Strafrecht, das man aus gutem Grund in den 1970er Jahren abgeschafft hat?

Das Modell Schweden

Schwedische Gleichstellungspolitikerinnen stört dies nicht. Sie empfehlen diesen Stil und halten eine solche Gesetzgebung auch noch für eine Gesellschaftspolitik, die teils kommunitär genannt wird. Sie kritisieren sogar den skandinavischen Wohlfahrtsstaat als liberal. Denn in einem liberalen Staat vermuten sie die Freiheit des Stärkeren, die Schwächeren auszubeuten, und dass Frauen immer die Schwächeren seien, das halten sie für ausgemacht. Beim ersten Lesen traut man seinen Augen nicht. Aber in ihrem Verständnis ist Kommunitarismus eine Gesellschaftsform, in welcher der Staat „für kollektive moralische Prinzipien“ einzustehen und Entscheidungen zu treffen habe, die ihm ein liberales Staatsverständnis verwehrt. Sie sagen: der Staat solle regeln, „welche Lebensentwürfe“ erstrebenswert seien. „Das gemeinsame Beste ist ein zentrales Kriterium, wenn Kommunitaristen beurteilen, ob die Präferenzen einer Person legitim sind“. [4]

Es liegt auf der Hand, dass die Beschreibung dieser Position als Kommunitarismus Unsinn ist. Denn das kommunitaristische Gesellschaftsmodell geht zwar von gemeinsamen Werten in gelebten Gemeinschaften aus (eine immer schon ideologische Annahme, da „Gemeinschaften“ ihre Differenzen immer schon verschwiegen oder unterdrückt haben), aber will diese eben nicht in staatliches Recht umformen, schon gar nicht abweichendes Verhalten mit „Geldbußen“ oder „Strafen“ sanktionieren. Kommunitarismus zielt eher auf Entstaatlichung und verträgt sich allenfalls mit Zivilrecht oder nicht-strafenden Regeln. Repressive Normen können nicht mit dieser Theorie legitimiert werden. Aber dies stört Staatsfeministinnen nicht; denn sie wollen mit rechtlichem Zwang die „Würde der Frau“ verteidigen, kämpfen also mit allen vorhandenen Mitteln für höhere Werte und wollen die „Gleichstellung“ der Geschlechter mit Regeln erzwingen, welche die Geschlechterrollen nicht auflösen, sondern durch Techniken der positiven Diskriminierung geradezu zementieren. Sie tun so, als gebe es in postmodernen Gesellschaften noch solche klaren Hierarchien und Gender-Ordnungen.

„Freiheitsrechte sind heute offenbar so selbstverständlich, dass junge Menschen meinen, nicht mehr darauf achten zu müssen, da sie es für sicher halten, dass nicht ihre Freiheit gefährdet sei, sondern nur ihre ökonomische Sicherheit.“

Würde die Gesetzgebung also diesem Modell folgen, dann wäre dies ein Bruch mit liberalen Traditionen. Eine solche „Weiterentwicklung“ des Prostitutionsgesetzes (ProstG) wäre folglich keine Fortführung einer Tradition der Legalisierung freiwilliger Prostitution, sondern ein neues „Sittlichkeits“-Strafrecht, also genau das, was in den 1960er und 70er Jahren abgeschafft worden war. Zwar meinen Staatsfeministinnen, die „alte“ Moral sei eben patriarchalisch und die „neue egalitäre Moral“ demgegenüber fortschrittlich, aber das glaubten schon viele Protagonisten eines „dritten Wegs“ zu einer sozialen Revolution. Wer also eine Änderung der gegenwärtigen Praxis der Prostitution wünscht, sollte sich klar machen, dass mit diesen Vorgaben nicht das über zehn Jahre alte ProstG (Inkrafttreten 2002) reformiert wird, sondern eine alte Tradition innerhalb der Frauenbewegung wieder aufgewärmt werden soll.

Regulierungsgeschichte

Es ist dies der sog. Abolitionismus – der Abschaffung der Prostitution verfolgt –, welcher insbesondere von der orthodoxen Jüdin Bertha Pappenheim (1859-1936) vertreten wurde. Sie war die berühmte Patientin „Anna O.“ Sigmund Freuds und flüchtete sich nach Heilung ihrer Hysterie in frauenpolitische Aktivitäten. In ihrem Leben war eine solche Haltung plausibel, für uns heute ist sie dies nicht mehr. Sie empfand die Toleranz gegenüber Prostitution, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter liberalen Juden üblich war, durchaus gegen dominante Vorurteile und die dominante Doppelmoral der damaligen Zeit, als „unsittlich“ und ungerecht und setzte dagegen das Stichwort der „Geschlechtssklaverei“. Die moderate Frauenbewegung vor dem 1. Weltkrieg übernahm diese Position nicht, klammerte aber auch die legitimen Ziele der sog. Radikalen nach sexueller Emanzipation der Frauen aus. Übrig blieb eine triste Bevormundung. „Bürgerliche“ Frauenrechtlerinnen hofften damals, dass die „Sittlichkeit“ der unteren Stände angehoben werden könne durch mehr Bildung. Sie (z.B. Marianne Weber) schwiegen daher zu umstrittenen Themen wie Abtreibung und Prostitution. Sozialistinnen hingegen sahen zwar im Verbot der Abtreibung einen Klassenparagraphen, den es abzuschaffen gelte, sie gingen aber ebenfalls davon aus, dass in einer „neuen“ Gesellschaft Prostitution überflüssig sei, weil alle Frauen erwerbstätig zu sein hätten. Auf die Idee einer gewerberechtlichen Regulierung kam folglich damals niemand, allenfalls plädierten Liberale für das 1927 in Kraft getretene Geschlechtskrankheitengesetz, das eine gewisse Duldung ermöglichte, aber 1933 brutalen Formen der Disziplinierung dieser traditionell ausgegrenzten und verachteten Subkultur zum Opfer fiel.

Das ProstG von 2002 war daher ein Fortschritt. Allerdings war es auch damals umstritten und wurde auf der einen Seite von Konservativen und auf der anderen von Staatsfeministinnen bekämpft, also genau von denen, die nun ihre Stunde gekommen sehen, um erneut mit repressiven Modellen eine transparente Regulierung über das Gewerberecht zu verhindern. Die nicht ganz fern liegende Zustimmung für derartige Positionen zeigt aber auch, dass sich nach mehr als 40 Jahren eine neue Generation nicht mehr an die Prinzipien gebunden fühlt, welche die Individualisierung und Vielfalt, derer wir uns heute erfreuen, erst ermöglicht haben. Freiheitsrechte sind heute offenbar so selbstverständlich, dass junge Menschen meinen, nicht mehr darauf achten zu müssen, da sie es für sicher halten, dass nicht ihre Freiheit gefährdet sei, sondern nur ihre ökonomische Sicherheit. Nur deshalb glauben sie, dass solche Kampagnen für einen guten Zweck letztlich politisch neutral und im Ergebnis sogar nützlich sein könnten.

In den 1960er und 1970er Jahren ging es hingegen um Freiheitsrechte, nicht um Bevormundung. Moralische Vorbehalte („Sex darf keine Ware sein“) galten als höchstpersönlich. Es waren individuelle Einstellungen und nicht Maßstäbe für politische Forderungen. Schon gar nicht wäre die Diffamierung einer ohnehin traditionell verachteten Minderheit kampagnenfähig gewesen. Mittlerweile haben fast alle populären Medien auf Skandalisierung umgestellt und Prominente unterschreiben Aufrufe, deren Sprache sie eigentlich zum Nachdenken zwingen müsste. Was also hat sich geändert?

„Eine erneute Erweiterung und Verschärfung der Normen gegen ‚Menschenhandel‘ ist nicht nur sinnlos, weil diese bereits uferlos weit sind, sondern auch wirkungslos, weil es Ermittlungsparagraphen sind.“

Die Große Strafrechtsreform 1969-1974 war getragen vom Gedanken der Entmoralisierung des überkommenen Strafrechts und begann 1969 mit der Abschaffung der Strafbarkeit des Ehebruches. Bei der Abtreibung scheiterten die Liberalen und die Reform musste sich 1976 mit einem faulen Kompromiss begnügen (Indikationenmodell; erst 1995 wurde daraus ein Beratungsmodell). Eine angemessene Regulierung der Abtreibung wurde nach dem Urteilsspruch des BVerfG 1972 immerhin 25 Jahre lang aufgeschoben und dann erst nach heftigen Kämpfen und auf sehr verschlungenen Wegen in den späten 1990er Jahren durchgesetzt. Schwierig umzusetzen war auch das Ziel der Straflosigkeit der Homosexualität. Es wurde zunächst nur teilweise (nur bei Erwachsenen) und erst sehr viel später umfassend realisiert. Mittlerweile besteht über die Straflosigkeit hinaus ein Anspruch auf Gleichstellung. Noch langwieriger gestaltete sich die Abschaffung der mit dem Rechtsgutsgedanken unvereinbaren Strafbarkeit der Kuppelei. Zwar wurde auch dieses Ziel bereits in den 1970er Jahren angestrebt, aber schon beim moralisch umstrittenen Beispiel der „Förderung der Prostitution“ gab es bis 2001 keine parlamentarischen Mehrheiten, so dass das liberale Rechtsgutskonzept zwar theoretisch gefeiert, aber im Grunde bis heute nicht konsequent verwirklicht werden konnte. Prostitution ist somit ein Feld, auf dem bis heute eine Zwangsmoral herrscht.

Deshalb steht die gewerberechtliche Anerkennung der Prostitution noch aus und damit ein durchsetzbares Recht dieser Gruppe von Dienstleistenden auf Achtung und angemessene Bezahlung. Sie bleiben diskriminiert und Kampagnen wie die von Alice Schwarzer, die aber nicht allein steht, sondern nur ein populäres Vorurteil ausschlachtet, verstärken diese Diskriminierung. In der letzten Legislaturperiode wurde zwar viel über diese immer noch umstrittene und in Europa zudem sehr ungleich geregelte Frage gestritten, aber eine rückwärts gewandte Totalrevision des 2002 in Kraft getretenen liberalen ProstG scheiterte noch am Widerstand der liberalen Justizministerin. Das war in der vergangenen Wahlperiode. Was wird die Große Koalition tun? Will sie neue Sackgassen als Problemlösung verkaufen, wie etwa die erneut verschärfte Freierbestrafung? [5] Sollen auch Erwachsene wie Unmündige behandelt werden? Das Thema wird in einer Sprache politisiert, die es in sich hat: Europäisch vernetzte Aktivitäten sprechen vom internationalen „Kampf gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel“ und festigen ihren Schulterschluss mit Konservativen, bevormundenden Feministinnen und Politiker, welche glauben, die „Ware Sex“ dem Kapitalismus entreißen zu können. Alice Schwarzer tingelt von Pressetermin zu Pressetermin und von einer Talkshow zur nächsten und verkündet ihre abstrusen Thesen, wonach 90 Prozent der Prostituierten „Zwangsprostituierte“ seien. Es ist also schwierig, gelassen die Probleme lösen zu wollen, welche nicht zu leugnen sind, die aber kein spezifisches Problem von Gewalt und Zwang, sondern Folge der erheblichen ökonomischen Unterschiede in Europa und damit einer Wirtschaftsmigration sind. Diese Probleme schlagen durch auf den ungeregelten Markt sexueller Dienstleistungen. Eine angemessene Behandlung der genannten Themen muss die jeweiligen politischen und weltanschaulichen Rahmenbedingungen reflektieren. Dies geschieht zurzeit eher nicht.

Menschenhandel

Vermutlich wird sich die Gesetzgebung in dieser Legislaturperiode zunächst darauf konzentrieren, den Straftatbestand des Menschenhandels, der bereits 2005 erweitert wurde, nochmals auszuweiten, weil angeblich europäische Richtlinien dies erfordern. In Wahrheit erzwingt das Europarecht nur eine Berücksichtigung der organisierten Bettelei und des Organhandels. Für eine angemessene Regulierung der Prostitution ist der Topos „Zwangsprostitution“ nicht weiter führend, da das zu lösende Problem das der wirtschaftlichen Ausbeutung und des Jugendschutzes ist.

Dem Stichwort Menschenhandel folgen die Medien, was wenig verwundert, denn in einer Mediengesellschaft ist mit solchen Vereinfachungen zu rechnen, schon alleine, weil moralisch umstrittene Tätigkeiten bevorzugt skandalisiert werden und Skandale einen „Schuldigen“ brauchen. Schuld an den gegenwärtigen Zuständen sei das ProstG, das „gut gemeint, aber schlecht gemacht worden sei“. Der Zeitpunkt der Skandalisierung überrascht, da die Bürger und Bürgerinnen in den letzten Jahren eher toleranter geworden sind. Dass es vor vierzig Jahren noch nicht gelang, die bis 2002 strafbare „Förderung“ der Prostitution zu entkriminalisieren, ist nachvollziehbar. Aber mittlerweile hätte man in den öffentlichen Debatten etwas mehr Fachlichkeit erwarten können, zumal nach der EU-Erweiterung fast alle Arbeitsmigrantinnen EU-Bürgerinnen sind, die hier arbeiten dürfen – die aber nicht wirtschaftlich „ausgebeutet“ werden dürfen. Diese Debatte blieb aber aus. 

Einer der Gründe für diese Sichtbegrenzung liegt in den seit 20 Jahren regelmäßig vom EU-Parlament verabschiedeten Richtlinien gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern, Jugendlichen und Frauen. Sie werden sehr unkritisch in unbestimmtes nationales Recht umgesetzt und haben zu einer uferlos weiten Fassung des Grundtatbestandes des Menschenhandels geführt.

Für faire Spielregeln

Was bedeutet dies praktisch? Eine erneute Erweiterung und Verschärfung der Normen gegen „Menschenhandel“ ist nicht nur sinnlos, weil diese bereits uferlos weit sind, sondern auch wirkungslos, weil es Ermittlungsparagraphen sind. In fast allen Strafverfahren erwies sich, dass die Betroffenen wussten, dass sie in die Prostitution vermittelt werden sollten. Sie wollten dies auch, stellten sich aber die Bedingungen besser vor, sie wurden also allenfalls getäuscht. Das aber ist kein Menschenhandel. Etwas anderes ist es, wenn man eine Preiskontrolle anstrebt. Bereits das ProstG sieht mit § 180a StGB das Verbot der „ausbeuterischen“ Prostitution vor. Aber die Maßstäbe für eine Bestrafung der Bordellbetreiber sind hoch und die Rechtsprechung hat sie noch höher geschraubt. Kann der Beschuldigte nachweisen, dass die selbstständig tätige Prostituierte jederzeit ihre Arbeit beenden konnte, fehlt es am Merkmal der „Einschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit“. Das Verfahren wird eingestellt. Wenn man ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kontrollieren will, muss man § 180a StGB verändern und dafür sorgen, dass die Abteilung für „Wirtschaftsdelikte“ bei der jeweiligen Staatsanwaltschaft zuständig ist. Im Übrigen sollten die Wirtschaftsministerien der Länder und des Bundes klären, nach welchen Regeln sie vorgehen wollen und welche gewerberechtlichen Instrumente angemessen sind. Es ist ein Unding, Prostitution in die Zuständigkeit des Frauen- und Familienministeriums zu geben, da es sich bei diesem Thema nicht um „Gewalt gegen Frauen“ handelt, sondern um faire Spielregeln im Wirtschaftsleben. Denn wer bei Prostitution an „Gewalt“ denkt und nicht an faire Preise, ist schon sehr nah an der schwedischen Ideologie.

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