22.04.2010

Mixa-Rücktritt: ein Sieg für die „Schmuddelkinder“?

Von Sabine Beppler-Spahl

Der von Bischof Mixa angebotene Rücktritt wird den entwürdigenden Wettbewerb der verschiedenen Opfergruppen nur weiter anfachen.

Kann eine Ohrfeige ein Liebesbeweis sein? Norbert Walter, der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, hat am Wochenende im Deutschlandradio Bischof Mixa verteidigt. Er sprach von einer Öffentlichkeit, die die Referenzmaßstäbe durcheinander bringe, weil die körperliche Züchtigung früher zu einer normalen gesellschaftlichen Wirklichkeit gehört habe. Seine Mutter, so Walter, habe ihn auch geschlagen, weil sie ihn liebte.

Herr Walter hat recht, wenn er denen widerspricht, die elterliche Schläge stets als Ausdruck von Misshandlung werten. Auch ich erinnere mich an Schläge, weil ich zum wiederholten Mal trotz Verbot eine befahrene Landstraße entlang gelaufen war. Schon im zarten Alter von fünf Jahren konnte ich verstehen, dass es die Angst um mich war, die meine Eltern damals antrieb und nicht die Lust an „Gewalt“.

Aber Mixa war nicht der Vater derer, die in den Heimen lebten. Der Vergleich Walters hinkt, weil er nicht berücksichtigt, dass die Ungleichheit der Herkunft auch in der Missbrauchsdebatte eine entscheidende Rolle spielt: Kaum würden Fälle sexuellen Missbrauchs aus Eliteschulen bekannt, da setze eine monatelange öffentliche Debatte ein. Wie schwer sei es dagegen gewesen, für die „Schmuddelkinder“ aus den kirchlichen und staatlichen Erziehungsheimen einen Runden Tisch des Bundestages zu erreichen, klagt Monika Tschapek-Günter, die Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder in einem Artikel in der Berliner Zeitung. Tatsächlich müssten die ehemaligen Heimkinder sehr viel stärker berücksichtigt werden, ginge es darum, wie so oft gefordert, den Opfern eine Stimme zu geben.

Es ist ein Dilemma, das die Missbrauchsdebatte nun begleitet. Wer möchte sich schon auf einen unwürdigen Streit darüber einlassen, ob Eliteschüler oder Heimkinder die größeren Misshandlungsopfer waren? Eine Solidarisierung zwischen den Gruppen aber findet nicht statt, und so demonstrierten die Heimkinder letzte Woche alleine in Berlin. Haben es die Heimkinder nur deshalb schwerer, weil sie stigmatisiert werden? Ich glaube, sie haben es auch schwer, weil sie uns an eine unliebsame Wahrheit erinnern: Die Norm der beschützten Kindheit ist eine Erfindung der bürgerlichen Mittelschicht, die dann an ihre Grenzen stößt, wenn die materiellen und persönlichen Voraussetzungen fehlen, diese Norm zu erfüllen – und daran können auch runde Tische nichts ändern.

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!