01.03.2007

Mit Gasmaske in die Disko?

Analyse von Thilo Spahl

Die Tabakkontrolle darf nicht zu den Aufgaben einer wissenschaftlichen Einrichtung gehören.

Mich persönlich stört es nicht, wenn ich in eine Kneipe komme und keiner raucht. Weil ich als Jugendlicher dazu neigte, auf Zigarettenrauch eher mit Unwohlsein zu reagieren, habe ich es damals versäumt, mir das Rauchen anzugewöhnen.
Seit wie vielen Jahrzehnten weiß jedes Kind, dass Rauchen ungesund ist? Es dürfte schon bald ein halbes Jahrhundert sein. Aber erst in den letzten Jahren ist es in Mode gekommen, das Rauchen allerorten zu verbieten. Das liegt nicht daran, dass Zigaretten gefährlicher geworden sind. Sie sind eher „lighter“ geworden. Es liegt nicht daran, dass man das tatsächliche Ausmaß der Schädlichkeit erst heute erkannt hat. Es liegt auch nicht daran, dass das Rauchen sich wachsender Beliebtheit erfreut und Überhand zu nehmen droht. Es liegt eher daran, dass sich in den die öffentliche Meinung formenden und den in die Gesetzgebung involvierten Kreisen ein Hang zur technokratischen Sozialpolitik entwickelt hat.

Der Begriff „Technokratie“ wird gerne falsch verstanden. Technokraten sind nicht die Liebhaber von Mikroelektronik, Gentechnik oder Luftfahrt. Technokraten waren früher einmal Menschen, die meinten, Ingenieure und andere Fachleute seien am besten geeignet und damit auch dazu berufen, eine Gesellschaft streng rational zu gestalten. Heute sind unter den Technokraten jene am einflussreichsten, die sich befähigt und berufen fühlen, das Zusammenleben der Menschen zum Guten hin zu lenken; sie sind „Sozialingenieure“. Sie haben von den klassischen Technokraten die undemokratische Vorstellung übernommen, Expertenkommissionen seien am besten geeignet, Entscheidungen über gesellschaftliche Entwicklungen zu treffen. Ihr Augenmerk gilt jedoch nicht in erster Linie dem wirtschaftlichen Fortschritt, ihr Fokus liegt auf Sicherheit, Gesundheit und Ökologie. In diesen Kategorien haben sie Vorstellungen vom Guten, die, wie es sich für Technokraten gehört, wissenschaftlich legitimiert werden, wobei jedoch nicht die Techno- und Naturwissenschaften dominieren, sondern Sozialwissenschaft und Medizin.

Entsprechende Unterschiede finden sich bei den Instrumenten zur Erreichung der vorgegebenen Ziele. Die neue Gesellschaft soll nicht durch Elektrifizierung, sondern durch Wohlverhalten geschaffen werden. Mitunter werden zwar immer noch Programme für die Errichtung technischer Anlagen durchgeführt, etwa bei Windrädern, mit Solarzellen belegten Dächern oder dergleichem. Im Wesentlichen geht es den Sozialingenieuren jedoch um das individuelle Verhalten des einfachen Bürgers, der, wenn man ihn fragt, das höhere Ziel nicht zu formulieren vermag und Mühe hat, die notwendigen Bestandteile korrekten Verhaltens wie Rauchfreiheit, Tierschutz, Klimaverträglichkeit, Normalverteilung des „Body Mass Index“ mit 95 Prozent der Bevölkerung im Intervall zwischen 20 und 25, „Gender Mainstreaming“, herrschaftsfreie Eltern-Kind-Beziehung, dreimal täglich Zähneputzen usw. korrekt aufzuzählen.
Im Bereich des vermeintlich schärfsten Sehens erblickt der moderne Technokrat einen Menschen, der aufgrund mangelnder Bildung und allgemeiner Schwäche überfordert ist, sein eigenes Leben so zu gestalten, dass es den Anforderungen der neuen Gesellschaft entspricht. Ihn identifiziert er als „den Bürger“ und macht ihn zum Objekt seiner gestalterischen Begierde. Aber der Technokrat nimmt seinen Beruf ernst, er ist einsatzwillig und bereit, sich zu engagieren.
Zu seinen Instrumenten zählen insbesondere Verbote, aber auch bewusstseinsbildende Maßnahmen, das Entsenden von „Role Models“ ins Fernsehen, Plakatwerbung dafür, dass Väter ihre Kinder lieben sollen, usw.

„Die Wissenschaft hat sich der Technokratie zu verweigern, da sie der Demokratie verpflichtet ist.“

Rauchen endlich verbieten

Den deutschen Cheftechnokraten wird das langsam peinlich. Alle haben sie schon aus Kneipen, Büros und Restaurants oder zumindest Behörden den Qualm verbannt: die Iren, die Spanier, die Italiener, die Amis sowieso, Letten und Russen sogar, von den Österreichern ganz zu schweigen. Bärbel Höhn von den Grünen ist sauer auf Typen wie Peter Struck (SPD), der nicht von seinem Pfeifchen lassen kann, und neidisch auf die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die als eine ihrer ersten Amtshandlungen sagen durfte: „The days of smoke-filled rooms in the United States Capitol are over.“
Noch sind wir nicht so weit, dass die Speerspitze der deutschen Enthüllungsjournalisten in den Reichstagstoiletten nach Tabakspuren fahndet. Aber auch in Deutschland müssen sich die Raucher immer wärmer anziehen, denn es ist zugig an Orten, wo der Stengel noch glimmen darf.
Die Allianz der Rauchgegner ist stark wie nie. Und es ist eine Frage der Zeit, wann wir unsere Gesetzgebung an die unserer europäischen Nachbarn anpassen. Es werden insbesondere medizinische Experten sein, die von sich sagen können werden, ihren Beitrag zu diesem Erfolg geleistet zu haben. Doch dies ist ein zweifelhaftes Verdienst.


Forschen und Werben

Technokratische Herrschaft legitimiert sich durch Expertenwissen. Die Wissenschaft aber hat sich der Technokratie zu verweigern, da sie der Demokratie verpflichtet ist. In der Forschung wird Wissen produziert, aber nicht Wissen instrumentalisiert. Auch nicht für die gute Sache! Der Politisierungsdruck auf die Wissenschaft ist in einigen Bereichen sehr groß. Neben dem Rauchen zählt auch das Klima dazu. Deshalb muss man es etwa der US-Atmosphärenchemikerin Susan Solomon hoch anrechnen, dass sie Anfang Februar in Paris bei der Vorstellung des neuen IPCC-Sachstandsbericht zum Klimawandel klarstellte, es sei nicht ihre, sondern die Aufgabe der Gesellschaft, Empfehlungen auszusprechen, die Wissenschaft könne nur ihren Beitrag leisten und solle sich auf die Entwicklung von Fachkenntnissen konzentrieren. So blieb es dem deutschen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel überlassen, aus der von den Wissenschaftlern berichteten 90 prozentigen Sicherheit, dass die Erderwärmung durch den Mensch verursacht ist, eine 100 prozentige zu machen, indem er entschied, dass es „keinen Raum für Zweifel“ mehr gebe.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum, das das deutsche WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle beheimatet, gibt leider ein Beispiel weit geringerer Zurückhaltung.
Deutlich wird das Problem, wenn man die Schriftenreihe “Aus der Wissenschaft - für die Politik” des DKFZ betrachtet. Da finden sich Titel wie:

  • Passivrauchen – auch wenig ist zu viel
  • Der italienische Weg zu einer rauchfreien Gastronomie
  • Der irische Weg zu einer rauchfreien Gastronomie
  • Deutschland benötigt ein Bundesgesetz für eine rauchfreie Gastronomie


Das ersichtliche Ziel ist es, nicht nur zu informieren, sondern zu beeinflussen. In der Selbstdarstellung steht: „Das Heidelberger WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle wurde gegründet mit der Zielsetzung, einen spürbaren Beitrag zu nationalen und internationalen Bemühungen um die Verringerung des Tabakkonsums zu leisten. Kernarbeitsgebiete sind die Bereitstellung von Wissen und Erkenntnissen über das Ausmaß des Tabakkonsums, Herausstellung tabakbedingter gesundheitlicher und ökonomischer Konsequenzen sowie die Erarbeitung wirksamkeitsüberprüfter Maßnahmen zur Verringerung des Tabakkonsums. Besonderer Wert wird auf die Kommunikation mit Entscheidungsträgern aus Politik, Medien und Gesundheitsberufen gelegt.“ [1]
Weil man aber besonderen Wert auf die Kommunikationen mit den genannten Personengruppen legt, schreibt man Sätze wie den folgenden: „An den Folgen des Passivrauchens versterben in Deutschland jährlich mehr als 3300 Nichtraucher; das sind mehr Todesfälle als durch illegale Drogen, Asbest, BSE und SARS zusammen.“ [2]

Diese Aussage ist typisch für den Ton, in dem die Publikationen des DKFZ zur Tabakkontrolle gehalten sind. Gewiss lässt sich die Zahl 3300 durch statistische Berechnungen belegen. Es soll hier aber vor allem Wirkung erzielt werden, und so findet sich zumindest im zweiten Satz eine implizite Falschaussage. Weder an BSE (bzw. vCJK) noch an SARS ist in Deutschland je ein Mensch verstorben. Warum werden dann diese beiden Krankheiten zum Vergleich herangezogen? Es ist klar: Weil sie eine gewisse Prominenz haben. Weil sich die Leute davor wahrscheinlich mehr fürchten als vor dem Passivrauchen.
Auch wenn man am DKFZ gewiss aufrichtig überzeugt ist, dass es unter medizinischen Gesichtspunkten schlecht ist zu rauchen und dass auch etwa Kollegen, Mitbewohner, Familienangehörige von Rauchern eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu ertragen haben, so darf man es sich dennoch nicht zur Aufgabe machen, das Verhalten und die Sozialbeziehungen von Rauchern und Nichtrauchern aktiv steuern zu wollen. Der Krebsforscher, der sich als Sozialingenieur betätigt, dilettiert. Das wäre in gewissem Umfang verzeihlich. Schlimmer ist, dass er die Objektivität der Forschung gefährdet. Wenn es das Ziel ist, das Rauchen einzudämmen, und man bereit ist, sich zu exponieren und politische Forderungen zu stellen, dann ist man an einen Zweck gefesselt, der ein anderer ist als das objektive Erforschen der Natur. Wie kann ich wissen, ob alle Ergebnisse der medizinischen und ggf. der Sozialforschung mit der guten Sache der Tabakkontrolle in Einklang zu bringen sind?
Was mache ich, wenn neue Forschungsergebnisse meine grundsätzliche Haltung zwar bestätigen, aber doch in ihrer Deutlichkeit hinter zuvor von mir selbst ins Feld geführten zurückbleiben? Was, wenn zum Beispiel den neuen Ergebnissen zufolge das Risiko für Lungenkrebs durch Passivrauchen nicht mehr, wie zuvor angenommen, um 100, sondern nur noch um 24 Prozent erhöht ist?

Unliebsame Ergebnisse zu verschweigen und die Wissenschaft selektiv so nutzen, wie es den eigenen Zielen am besten dient, muss ebenso wie jede Art der zweckgerichteten Pointierung von Forschungsergebnissen der Politik und den Medien überlassen bleiben. Und es muss Aufgabe der Wissenschaft bleiben, diese zu beobachten und ein Korrektiv zu bilden, indem sie jedem, der mit Daten und Fakten in die politische Arena ziehen will, diese zur Verfügung stellt, ungeachtet der politischen Ziele, die damit verfolgt werden sollen.

Zur Sache selbst: Laut einer aktuellen Metaanalyse des internationalen Krebsforschungszentrums der WHO in Lyon haben regelmäßig von Zigarettenrauch umgebene, nicht rauchende Angestellte ein um 24 Prozent erhöhtes Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken (American Journal of Public Health, 97, 2007, 3). Raucher haben aber ein um 2000–3000 Prozent erhöhtes Risiko hierfür (laut Krebsinformationsdienst des DKFZ). Rauchen erhöht also das Risiko 100-mal mehr als Passivrauchen. Man muss sich fragen, ob es diesem Wert angemessen ist, wenn sich Wissenschaftler des DKFZ mit der Aussage zitieren lassen, Nichtraucher müssten in Gaststätten oder Diskotheken Gasmasken tragen. [3]

Vier Zeilen aus einer anderen Welt

Cigarettes and Whisky and cheerio,
im Leben geht es mal so oder so.
Cigarettes and Whisky sind nirgends rar,
doch am schönsten war’s in der Washington-Bar.
(Freddy Quinn)

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