05.06.2013

Mindestlöhne: Soziales Feigenblatt für den Niedriglohnsektor

Von Alexander Horn

Mindestlöhne werden als große soziale Errungenschaft gefeiert. Dabei zementieren sie vor allem den Niedriglohnsektor. Was wir wirklich brauchen sind gut qualifizierte Arbeitsplätze – Deutschland muss Hochlohnstandort bleiben! Ein Kommentar von Novo-Wirtschaftsressortleiter Alexander Horn.

Mit ihrem Parteitagsbeschluss zur Befürwortung von Mindestlöhnen hat die FDP nun auch in dieser Frage ein Alleinstellungsmerkmal eingebüßt und sich dem Allparteien-Konsens unterworfen. Das sei politisch opportun, denn die FDP dürfe - so Gesundheitsminister Daniel Bahr -  nicht aus reiner Prinzipientreue die Nöte der Menschen ignorieren. Andernfalls, Bahr zufolge mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen, verliere „die FDP den Anspruch, Regierungspartei zu sein.” Ganz so, als ob es zu Mindestlöhnen keine Alternative gäbe, sagte Parteichef Rösler, er könne den Menschen, die extrem niedrige Löhne beziehen nicht einfach sagen: „Pech gehabt.“

Es ist aber genau dieses „Pech gehabt“, was die FDP– wie auch schon alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien - den Menschen nun zuruft. Zwar klingen Mindestlöhne nach „sozialer Gerechtigkeit“ oder in den Worten von Parteichef Rösler nach „mitfühlendem Liberalismus“. Der Konsens bei den Mindestlöhnen offenbart jedoch, dass sich nun alle Parteien davon verabschiedet haben, den in den 1990er Jahren politisch gewollten und fest etablierten Niedriglohnsektor wieder abzuschaffen. Mindestlöhne sind das soziale Feigenblatt, mit dem der Niedriglohnsektor dauerhaft zementiert wird. Sie bieten den Menschen keine Perspektive auf gute und einem Hochlohnland würdige Verdienstverhältnisse. Ganz im Gegenteil: Die Löhne werden so gerade mal auf ein Niveau angehoben, das den Betroffenen bestenfalls ermöglicht halbwegs erträglich über die Runden zu kommen – mehr aber auch nicht. Bedauerlicherweise wird dieser ziemlich deprimierende Anspruch heutzutage schon als sozialpolitische Großtat gefeiert: Immerhin wird manchem Arbeitnehmer so die zweifelhafte „Perspektive“ eröffnet, dauerhaft im Niedriglohnsektor mehr schlecht als recht sein Auskommen zu bestreiten. Anderen wiederum geht dadurch möglicherweise die Motivation verloren, eigene Anstrengungen zu unternehmen, um aus dieser Sackgasse herauszukommen.

„Mindestlöhne bieten den Menschen keine Perspektive auf gute und einem Hochlohnland würdige Verdienstverhältnisse.“

Die seit den 1990er Jahren virulente Forderung nach Mindestlöhnen hat ihre damals noch positiven Aspekte inzwischen vollständig eingebüßt. In der Nachwendezeit sah sich die Politik mit dem Problem immer weiter steigender Arbeitslosenzahlen konfrontiert. Man wusste sich keinen besseren Rat, als mittels niedriger Löhne zu versuchen, die Beschäftigungssituation zu stabilisieren und führte aktiv einen Niedriglohnsektor in Deutschland ein. Schon damals war die Lohnanpassung nach unten zum Erhalt internationaler Wettbewerbsfähigkeit keine allzu fortschrittliche Strategie. Beschämend ist allerdings, dass mehr als ein Jahrzehnt später noch immer keine Strategien existieren, wie der Niedriglohnsektor wieder abgeschafft werden kann. Offenbar vereitelt die Fokussierung auf Mindestlöhne als sozialpolitische Lösung für das Niedriglohnproblem, sowie die Vorstellung internationale Wettbewerbsfähigkeit müsse durch wettbewerbsfähige – ergo möglichst niedrige – Löhne erreicht werden, alternative Denkansätze. Wie die Befürworter von Mindestlöhnen sind auch deren Kritiker offenbar von der Notwendigkeit eines Niedriglohnsektors überzeugt. Ihrer Meinung nach kann nur so die Vernichtung oder Abwanderung von schlecht qualifizierten Jobs vermieden werden. Als Beleg hierfür gelten seriöse ökonomische Studien, denen zufolge bei flächendeckender Einführung bis zu eine Million Jobs in Deutschland verlorengehen könnten.

„Was fehlt ist ein Ansatz, der jenseits von staatlichem Dirigismus auf das kreative Potenzial der Menschen setzt, um bessere und gut bezahlte Jobs zu schaffen.“

Unter dem Strich wäre die Vernichtung dieser Jobs wohl aber ein Beitrag zur   vieldiskutierten „sozialen Gerechtigkeit“. Warum sollte ein gesellschaftliches Interesse daran bestehen, Arbeitsverhältnisse zu erhalten, die kaum einen auskömmlichen Lohn bieten können? Wäre es da nicht besser zu akzeptieren, dass diese Jobs durch den Einsatz von Maschinen oder durch die Verlagerung in Länder mit niedrigerem Lohnniveau verlorengehen? Fatalerweise hat aber keine der poltischen Parteien ein Interesse am Verschwinden der schlecht bezahlten Arbeit. Entweder weinen sie dem Verlust der Jobs nach oder sie wollen diese mittels Mindestlöhnen erhalten.

Was fehlt ist ein Ansatz, der jenseits von staatlichem Dirigismus auf das kreative Potenzial der Menschen setzt, um bessere und gut bezahlte Jobs zu schaffen. Im internationalen Vergleich bringt Deutschland in dieser Hinsicht beste Voraussetzungen mit. So haben es die Unternehmen auch in der Vergangenheit geschafft, trotz des Hochlohnstandorts international erfolgreich zu sein. Welches Land, wenn nicht Deutschland, kann es schaffen das relativ hohe soziale Niveau und damit allgemein hohe Löhne dauerhaft zu erhalten? Dieses Potenzial wird jedoch nicht abgerufen. Zu groß sind hierzulande die Widerstände gegen die Anwendung neuster Technologien, die reflexartig als „Risikotechnologien“ stigmatisiert werden – von den Vorbehalten gegenüber Bio- oder   Nanotechnologie bis zur aktuellen Kontroverse ums Fracking ließen sich hier schnell dutzende Beispiele nennen. Dabei könnte deren Einsatz hohe Produktivitätssteigerungen bewirken und würde die Qualifikation der Menschen aufgrund der erforderlichen Entwicklung und Anwendung steigern. Nicht zuletzt könnten die Produktivitätsvorteile auch hohe Löhne ausgleichen.

Nicht weniger relevant sind die Vorbehalte gegenüber wirtschaftlichem Wachstum: Kurzum, die politischen Parteien haben inzwischen ein solch ambivalentes Verhältnis zur Marktwirtschaft und ihren „Begleiterscheinungen“ entwickelt, dass es ihnen kaum mehr opportun scheint Rahmenbedingungen für dynamisches Wachstum zu schaffen. Wachstum und neue Technologien verursachen in den Augen unseres politischen Führungspersonals mehr Probleme als Lösungen. So rückt die Politik vom Anspruch ab, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Unternehmen die Kraft geben könnten, das Problem niedriger Löhne durch Innovation und Expansion zu lösen. Stattessen gilt es gerade im Wahlkampfjahr einmal mehr, die sozialpolitische Wundertüte auszupacken und mit der Festlegung willkürlicher Lohnuntergrenzen Entscheidungen zu treffen, die den wirtschaftspolitischen Realitäten zuwiderlaufen. Das Problem niedriger Löhne wird so jedenfalls nicht gelöst.

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