20.12.2023

„Mehr Realismus täte unseren Entscheidungsträgern gut“

Interview mit James Woudhuysen

In der europäischen Energiepolitik herrschen Wunschvorstellungen vor. Es drohen mangelnde Versorgungssicherheit und höhere Kosten. Auch besteht eine große Abhängigkeit von anderen Ländern.

Wäre es nach Europas grünen Eliten gegangen, hätte die Klimakonferenz COP28 eine starke Stimme für den Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung werden sollen. Es kam anders, denn der Rest der Welt will nicht auf die Grundlagen des Fortschritts verzichten. Die Vertreter der aufstrebenden Staaten wie China, Brasilien, Indien und andere wissen, dass Wohlstand ohne fossile Energien nicht möglich ist. Aber auch in Europa erweisen sich die grünen Pläne, die uns Energiesicherheit und sogar Wohlstand und Wirtschaftswachstum versprochen haben, zunehmend als eine Illusion.

Im Mai erschien beim ungarischen Thinktank MCC Brüssel ein Bericht („Lights Out!“) von James Woudhuysen, in dem er die Energiepolitik der EU kritisiert. Mit ihm sprach Sabine Beppler-Spahl.

Novo: Herr Professor Woudhuysen, Sie haben Anfang des Jahres einen Bericht über die Energiepolitik der EU verfasst, der den Titel „Licht aus! Versagt die EU in der Energiepolitik?" trägt. Warum hielten Sie es für notwendig, sich mit diesem Thema zu befassen?

Woudhuysen: Nur wenige in Großbritannien und auch kaum mehr Menschen in Europa sind über die EU gut informiert. Noch weniger wissen etwas über die absichtsvoll komplexe und mit Mängeln behaftete Energiepolitik der EU. Mal ehrlich: Wie viele Menschen haben schon von Kadri Simson, der Energiekommissarin, gehört? Frans Timmermans, der Klimapapst – sein richtiger Titel lautete EU-Kommissar für Klimaschutz – hat sein Amt vor einiger Zeit aufgegeben, weil er Premierminister der Niederlande zu werden wollte. Nun gibt es Ärger wegen seines Nachfolgers, Wopke Hoeskstra, weil viele NGOs und Umweltorganisationen seine Ernennung als zu intransparent empfinden. All das entgeht großen Teilen der Öffentlichkeit.

Gut, aber seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine musste die EU ihre Energiepolitik anpassen. War sie dabei nicht sehr erfolgreich?

Durch die Diversifizierung der Gasquellen – weg von Russland, hin zu den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Afrika – ist es der EU tatsächlich gelungen, eine Katastrophe zu vermeiden. Manche Ökonomen meinen, Afrika könne in Zukunft ein großer Spieler auf dem Energiemarkt werden. Aber beim Gas ist die EU immer noch bis zu einem gewissen Grad von Russland abhängig; und angesichts der Entwicklungen im Nahen Osten sowie des Neoprotektionismus von Joe Biden könnte sich die Versorgungssicherheit mittelfristig als schwierig erweisen.

Es gibt viele Möglichkeiten, Energie zu sparen, ohne Schaden anzurichten, heißt es oft. Ist es nicht sinnvoll, von einem gedankenlosen Umgang mit Energie abzurücken?

Wenn man möchte, dass Städte und Straßen nachts dunkel sind, dass Fernseher und andere Geräte Zeit zum Aufwärmen brauchen, dass Kinovorführungen und Rockmusik eingeschränkt werden, dass Kleidung im Regen zum Trocknen aufgehängt werden muss, dass Geschirr mit kaltem Wasser von Hand gespült wird – schön und gut. Aber ständig herumzulaufen, um Geräte oder Licht auszuschalten oder permanent die „intelligenten Stromzähler" beobachten zu müssen, ist ein arbeitsintensives, neurotisches Verhalten. Wenn wir uns mehr Gedanken über die Energieversorgung machen, brauchen wir uns auch weniger Gedanken über den Energieverbrauch zu machen. Die Menschen haben Besseres zu tun in ihrem Leben.

„Stromausfälle – nicht zuletzt wegen der Schwächen der EU-Energienetze, die umso schlimmer werden, je mehr EU-Länder auf erneuerbare Energien setzen – sind große Gefahrenquellen.“

In Ihrem Bericht schreiben Sie, die Energiesicherheit sei nicht gewährleistet. Worin sehen Sie die größten Bedrohungen für die zukünftige Energiesicherheit in Europa?

Große Probleme bekämen wir, wenn die Gas- und Ölversorgung durch die Opec-Staaten und andere Lieferanten verweigert würde. Das gleiche gilt, wenn sich China weigern würde, uns die wichtigen Rohstoffe für Turbinen, Solarzellen und Elektroautos zu liefern. Aber auch Russland könnte die Lieferung von Uran einstellen.

Ein weiteres Problem sind untragbare Preissteigerungen, sei es bei fossilen Brennstoffen, erneuerbaren Energien oder der Kernenergie. Stromausfälle („load shedding", wie es in Südafrika genannt wird) und Panik vor Stromausfällen – nicht zuletzt wegen der Schwächen der EU-Energienetze, die umso schlimmer werden, je mehr EU-Länder auf erneuerbare Energien setzen – sind ebenfalls große Gefahrenquellen.

Mit welchen Fragen sollte sich eine ernsthafte europäische Energiepolitik befassen?

Die EU sollte die Forschung im Bereich der kleinen modularen Reaktoren, der Kernfusion, des Gleichstroms und auch der fossilen Brennstoffe beschleunigen. In diesen Bereichen findet zu wenig Forschung und Entwicklung statt. Auch die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung sowie die CO2-Abscheidung aus der Luft verdienen mehr und bessere Aufmerksamkeit. Das Gleiche gilt für die Forschung und Entwicklung im Bereich der weltraumgestützten Energiequellen. Das alles wäre sinnvoll.

Manchmal scheint es, dass wir zu hohe Ansprüche an unsere Energiepolitik stellen. Wir wollen, dass sie billig, sicher, zuverlässig und grün ist. Müssen wir realistischer werden und zugeben, dass wir nicht alles haben können?

Energie ist sowohl für Unternehmen als auch für Privathaushalte lebenswichtig. Die Bedrohung billiger und zuverlässiger Energie stellt eine reale und unmittelbare Gefahr dar – eine Gefahr, die der Klimawandel so nicht darstellt. Die Uno jammert über die mittel- bis langfristige Zukunft und verweist auf Klimaflüchtlinge sowie den Anstieg des Meeresspiegels. Die deutsche Industrie aber ist jetzt schon gezwungen, Werke zu schließen. Und die privaten Haushalte in der EU – insbesondere diejenigen mit kleinen Kindern oder Rentnern – sollten in diesem Winter nicht frieren müssen.

„Es gilt einzusehen, dass die Wärmepumpen keine schnelle Rettung darstellen – das gleiche gilt für Wasserstoff, auch für dessen grüne Variante.“

Wenn wir doch Zugeständnisse machen müssen, wo würden Sie diese machen?

Das Zugeständnis, das wir machen sollten, ist, uns dem Realismus zuzuwenden.

Das heißt konkret?

Wir sollten nicht glauben, die Isolierung der Häuser in der EU könne innerhalb von Jahren statt in Jahrzehnten durchgeführt werden. Auch sollten wir nicht meinen, eine höhere Energieeffizienz führe zu weniger Energieverbrauch – sie wird im Gegenteil zu mehr Verbrauch animieren. Und dann gilt es auch einzusehen, dass die Wärmepumpen keine schnelle Rettung darstellen – das gleiche gilt für Wasserstoff, auch für dessen grüne Variante.

Und, die Windkraft oder die Solarenergie, die ja ausgebaut werden?

Wir sollten uns daran erinnern, dass es keine Windräder ohne Stahl gibt, der wiederum zumeist in Kohle befeuerten Hochöfen hergestellt wird. Und die Vorstellung, die Installation von Offshore-Windkraftanlagen könne über weite Entfernungen mit Elektroschleppern statt mit fossilen Brennstoffen erfolgen, ist auch irreal. Eine Wunschvorstellung sind auch Solarzellen frei von chinesischer Vorherrschaft. Tatsächlich kontrolliert die KP Chinas fast alle Stufen der PV-Produktion.

Und die Vorstellung, Elektroautos würden den Bestand an normalen Autos schon bald verdrängen. Oder, die Idee, dass Flugzeuge, Traktoren und Panzer bald elektrisch betrieben werden: Da müssen wir nur mal nachrechnen, um zu sehen, was das bedeuten würde. Wir brauchen dafür Graphit und auch hier dominiert China. Das Gleiche gilt für Kobalt, das auch für Windturbinen gebraucht wird.

Wir werden also die fossilen Energieträger noch lange brauchen?

Ja. Ich habe allerdings nichts dagegen, wenn Flugzeuge mit nachhaltigem Treibstoff (SAF) betrieben werden! Aber mehr Realismus täte unseren Entscheidungsträgern gut.

Vielen Dank für das Gespräch!

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