27.09.2021
Mauschelnde Zombieregierung droht
Von Kai Rogusch
Durch die Bundestagswahl eröffnet sich keine Perspektive, bisherige Fehlentwicklungen zu überwinden. Eine neue Koalition wird im lähmenden und bevormundenden Zeitgeist gefangen bleiben.
Das Motto unseres Novo-Buches, das wir vor der Bundestagswahl verfasst hatten, lautet „Raus aus der Mitte". In diesem Werk fordern wir mehr Polarisierung, mehr öffentlichen Streit um Grundsätze und mehr Wettbewerb öffentlich dargelegter Alternativen. Das Ergebnis der Bundestagswahl lässt aber leider erwarten, dass sich eine Koalition bilden wird, die weiterhin großkoalitionäre Konsensbildung, Unterdrückung von Meinungsstreit und Abbau von demokratischen Freiheitsrechten befördert.
Möglich erscheint einerseits eine Ampelkoalition. Die FDP hat zwar Präferenzen für die CDU, könnte sich, da sich die Grünen lieber mit der SPD verbünden, letztlich allein deshalb diesem Bündnis anschließen, weil sie sich nicht auf die Seite des größten Wahlverlierers schlagen will. Es könnte auf der anderen Seite auch eine Jamaika-Koalition zum Zuge kommen: FDP und Grüne, um ihre unentbehrliche Rolle als Königsmacher wissend, würden mit einer beispiellos geschwächten CDU koalieren. Denn beide Parteien könnten gegenüber dem großen Wahlverlierer CDU, der froh sein kann, doch noch den Kanzler zu stellen, für sich sehr gute Konditionen in einer zukünftigen Bundesregierung aushandeln. Diese beiden wahrscheinlichsten Optionen erscheinen manchen Beobachtern zwar als erfrischende Experimente. Eine genauere Betrachtung lässt aber eine mauschelnde Zombieregierung erahnen.
Entweder wird die künftige Regierung mit der SPD von einer eigentlich toten Partei angeführt, die in den letzten Monaten von den Medien hochgejubelt wurde. Oder sie wird von einer defensiven, entkernten und ausgezehrten Union mehr moderiert als geprägt. Es ist also zu erwarten, dass sich die künftige Regierungspolitik noch mehr den zeitgeistigen Imperativen einer lähmenden „Nachhaltigkeit" und einer tief wurzelnden Risikoaversion fügen wird, denen sich auch eine trendige FDP nicht entziehen dürfte. Und da es bis zur endgültigen Bildung einer tragfähigen Regierungskoalition lange dauern kann, dürfte sich in der Zwischenzeit eine moribunde, geschäftsführende Merkel-Regierung eine zumindest gefühlte Ewigkeit hinziehen. Sie könnte beispielsweise in der Corona-Politik auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes weiterhin mit Notverordnungen regieren und die Bevölkerung so noch stärker entmündigen und spalten.
„Es liegt mehr denn je an uns selbst als Bürger, für mehr Freiheit und Demokratie zu streiten.“
Leider ist keine starke Opposition zu erwarten, welche die bestehenden Tendenzen zum Sicherheitsstaat, zur Verlagerung politischer Verantwortung auf bürgerferne Gremien und zu angeblich alternativlosen Handlungszwängen ernsthaft herausfordern kann. Die Unzufriedenheit der Bürger mit der etablierten Politik ist zwar nochmals gestiegen. Nur profitieren diejenigen, die einen Bruch mit dem freiheitsfeindlichen Politikkonsens fordern, nicht so recht. Zum einen stagniert die AfD, die zudem ständig unter dem Druck steht, sich von innerparteilichem „Extremismus" zu distanzieren. Zum anderen hat sich unter der Sammelbezeichnung “Sonstige", die bei etwa 8 Prozent liegen, zwar eine beachtliche außerparlamentarische Opposition gebildet. Zu ihr gehören nicht zuletzt die Freien Wähler und die coronakritische Neugründung Die Basis. Sie ist aber eben nicht im Bundestag vertreten, durch die etablierten Medien unterrepräsentiert und mittlerweile – was das Milieu der “Querdenker" anbelangt – in Teilen durch Beobachtung des Verfassungsschutzes stigmatisiert.
Es liegt deshalb mehr denn je an uns selbst als Bürger, für mehr Freiheit und Demokratie zu streiten. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht seine Rolle als letzte Bastion der Freiheitsrechte eingebüßt und sogar eine Grundlage für einklagbare Freiheitseinschränkungen und Parteiverbote geschaffen hat. Umso mehr ist in Zukunft offener Widerspruch bis hin zu Streik und gewaltfreiem zivilen Ungehorsam gefragt.