27.01.2020

Mangelverwaltung statt Überflussgesellschaft

Von Kai Rogusch

Der populäre Podcast „Steingart-Morning-Briefing" warf zuletzt unfreiwillig ein Schlaglicht auf die Ursachen der Demokratiekrise – und auf die Realitätsverweigerung des Establishments.

Wer am politischen Zeitgeist interessiert ist, kann seit nunmehr über einem Jahr jeden Morgen das zunehmend populäre „Morning Briefing" des ehemaligen Handelsblatt-Chefredakteurs und -Mitherausgebers Gabor Steingart beziehen. Das „Steingart Morning Briefing" bietet Lesern und Hörern nicht selten eine ansprechend aufbereitete Mischung aus Interviews, Kommentaren und locker dargebotenen, analysierenden Bestandsaufnahmen.

Nicht immer jedoch schafft es der Steingart-Morning-Briefing, über die grassierende, sich wie Mehltau über unser Land legende Perspektivlosigkeit des politischen Apparates hinauszuwachsen. Steingart ist und bleibt – aller zur Schau gestellten Originalität zum Trotz – letztlich Teil unserer politischen und medialen Elite. Ein bezeichnendes Beispiel lieferte am letzten Samstag sein mit seinem Kollegen Michael Bröcker geführtes Interview mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble – jener grauen Eminenz, die die Versteinerung unserer Parteienlandschaft wie kaum jemand anderer verkörpert. 

In diesem kritiklosen Interview konstatiert nun auch Schäuble, dass die „Demokratie in der Krise" sei. Damit liegt er auf der Linie, die auch Novo seit vielen Jahren mit Nachdruck konstatiert. Doch wie zu erwarten, werden von Schäuble, Steingart und Bröcker sowohl das Ausmaß als auch die Ursachen der schwelenden Demokratiekrise weitgehend verfehlt. Stattdessen wird uns ein Sammelsurium ermüdender und bevormundender Allgemeinplätze aufgetischt.

Dazu gehört eine abgestandene Kritik an der „verrohten" Diskussionskultur im Internet. Unausgesprochen werden gerade jene alternativen, gewiss mitunter etwas schrägen Medienkanäle und Diskussionsforen im Internet beklagt, die – anstelle der etablierten Kanäle – die Unruhe vieler Bürger zum Ausdruck bringen. Warum aber spaltet sich der öffentliche Diskurs heutzutage in parallele Teilöffentlichkeiten auf?

„Das Schulsystem, das Transportsystem, das Energiesystem, das Kommunikationssystem, das Rechtssystem und andere Teilbereiche unserer Gesellschaft haben einen für alle Bürger sichtbaren Qualitätsverlust erlitten.“

Auf diese Frage liefern Steingart, Bröcker und Schäuble keine Antwort. Stattdessen wird die folgende ärgerliche Kernaussage Wolfgang Schäubles zum Besten gegeben: „Die Überflussgesellschaft birgt die Gefahr, dass die Menschen nicht mehr begreifen, dass nichts selbstverständlich ist." Genau dieser von den Interviewern völlig kritiklos aufgenommene Satz offenbart den Paternalismus, die Realitätsferne und Plattitüdenhaftigkeit des politischen Establishments.  

Abwegig nämlich ist die Vorstellung, wir erlebten heutzutage einen „Überfluss" an kulturellen und wirtschaftlichen Angeboten, die von undankbaren und uneinsichtigen „Menschen" nicht mehr wertgeschätzt würden. Tatsächlich aber treffen wir mehr und mehr eine nicht enden wollende Mangelverwaltung in sämtlichen Teilbereichen unserer Gesellschaft an.

Wir leben keineswegs im Schlaraffenland. Viele Bürger unseres Landes haben sich im Gegenteil daran gewöhnt, dass die für eine moderne Gesellschaft eigentlich als selbstverständlich zu erachtende Infrastruktur immer unzuverlässiger bereitgestellt wird. Das Schulsystem, das Transportsystem, das Energiesystem, das Kommunikationssystem, das Rechtssystem und andere Teilbereiche unserer Gesellschaft haben vor allem in den vergangenen fünf Jahren der Ära Merkel allesamt einen für alle Bürger sichtbaren Qualitätsverlust erlitten.

Es ist zu erwarten, dass sich die Kluft zwischen entrückten Verantwortungsträgern in Politik, Medien und Wirtschaft und den weniger Privilegierten in unserer Gesellschaft weiter vergrößern wird. Dafür spricht auch der elitäre Kinder- und Jugendkult um die völlig beklemmende „Zukunftsaussichten" vermittelnden Fridays for Future, Greta und Co., dem auch Steingart, Bröckers und Schäuble frönen. Wer die wirklichen Ursachen unserer Demokratiekrise bekämpfen möchte, sollte stattdessen das bei Novo erschienene Buch „Experimente statt Experten" lesen – und für eine Zukunft streiten, die über die gegenwärtige Mangelverwaltung hinausgeht und ehrgeizige Bürger zu einem politischen Engagement inspiriert. 

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