01.04.2007
Lehrstück über den planetaren Untergang?
Essay von James Woudhuysen und Joe Kaplinsky
Am 2. Februar 2007 veröffentlichte der „Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen“ (IPCC) seine Zusammenfassung eines Berichts zum aktuellen Stand der Klimaforschung. Die Reaktion auf die Veröffentlichung zeigt, wie stark antihumanistische Affekte inzwischen die Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse prägen.
„Die politische Debatte über den Klimawandel ist beendet,“ schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 5. Februar, und laut Financial Times haben „die führenden Klimaforscher der Welt die letzten Zweifel an der globalen Erwärmung hinweggefegt“. [1] Auch Achim Steiner, Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und Mitbegründer des IPCC, sagte, mit dem neuen Bericht des IPCC [2] werde es nun „unverantwortlich“, neuen Gesetzen, die die Senkung der CO2-Emissionen zwingend vorschreiben, nicht zuzustimmen. [3]
„Wissenschaft der Möglichkeit des Zweifels berauben, heißt: sie vergöttern.“
Zweifel, eigentlich ein Schlüsselelement der wissenschaftlichen Methode, ist inzwischen verpönt. Wissenschaft in dieser Form zu instrumentalisieren heißt: sie vergöttern. Politisch aufbereitet und medial kolportiert wird Wissenschaft heute auf ein Podest gehoben und so zum Szientismus degradiert. Sie wird genutzt, um die politische Debatte zu beenden. Anschließend behauptet man, sie bestätige Unvernunft, Hybris, Egoismus und generelle Verwerflichkeit des Menschen. Zu guter Letzt wird das, was wir mit Technologie wirklich erreichen könnten, trivialisiert.
Der britische Umweltminister David Miliband will Al Gores Diashow An Inconvenient Truth jetzt an jede Schule im ganzen Land verschicken. Schon vor Veröffentlichung des IPCC-Berichts forderte der langjährige Kolumnist des britischen Guardian, George Monbiot, eine Reduzierung der Treibgasemissionen um 90 Prozent mit der Begründung, dies sei offenbar das, „was die Wissenschaft fordert“. [4] Im selben Tenor erklärte Sir Nicholas Stern im vergangenen Jahr anlässlich der Präsentation seines Berichts über die Folgen des Klimawandels, die Struktur seiner wirtschaftlichen Berechnungen sei „im Wesentlichen durch die Struktur der Wissenschaft“ bedingt. [5] Das heißt: Inzwischen gilt es als ausgemacht, dass die Klimaforschung sowohl die Politik als auch die Wirtschaft zu bestimmen habe. Die Wissenschaft wird zum großen Diktator. Dissens ist nicht mehr statthaft.
Wir bezeichnen das als „neuen Szientismus“, im Unterschied zum alten, der ironischerweise während des Kalten Krieges von den USA veranstaltet wurde. Damals war die 1948 von der US Air Force mit Unterstützung der Ford Foundation ins Leben gerufene Denkfabrik RAND Corporation bestrebt, „Politik auf eine rein quantitative Disziplin zu reduzieren“ und scheute dabei nicht davor zurück, „die esoterischsten mathematischen Modelle für die Kalibrierung der ‚Kollateralschäden‘ eines nuklearen Angriffs einzusetzen“. [6]
Heute bedienen sich Umweltschützer des Szientismus – einer Ideologie also, die sie zu verabscheuen meinen –, um einen neuen Feldzug gegen persönliche Lebensgewohnheiten zu legitimieren, dessen Ziel es ist, das Bewusstsein der Menschen zu kolonisieren und sie zur Übernahme grüner Normen anzuleiten. So fordert David Miliband ein landesweites Programm zur Kohlenstoffrationierung. Warum? Um Menschen und Gemeinschaften als Teil der „mobilisierenden Massenbewegung des kumulativen und konsequenten Radikalismus“ zu „ermächtigen“. [7]
Ebenso wie der alte, so legt sich auch der „neue Szientismus“ die Wissenschaft für fragwürdige politische Zwecke zurecht. So steht im IPCC-Bericht zwar: „Der überwiegende Anteil der beobachteten Zunahme der globalen Durchschnittstemperaturen seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist sehr wahrscheinlich eine Folge des beobachteten Anstiegs der anthropogenen Treibgaskonzentrationen.“ Das ist ein Fortschritt gegenüber der Schlussfolgerung des TAR [des ‚Third Assessment Report‘ des IPCC aus dem Jahre 2001]: „der Großteil der beobachteten Erwärmung während der letzten 50 Jahre ist wahrscheinlich eine Folge der Zunahme der Treibgaskonzentrationen.“ Erkennbare menschliche Einflüsse erstrecken sich nun auch auf andere Aspekte des Klimas wie die Erwärmung der Ozeane, die kontinentalen Durchschnittstemperaturen, Temperaturextreme und Windmuster. [8]
Zweifel mögen verpönt sein, dennoch sind sie angebracht: Erstens ist wissenschaftlich nicht ohne weiteres nachvollziehbar, wie das IPCC in der Frage des menschlichen Einflusses auf den Klimawandel von „wahrscheinlich“ zu „sehr wahrscheinlich“ gelangt ist. Zu vermuten ist, dass hier politische Einflussnahme im Spiel war. Zweitens stellt sich die Frage, warum die Medien die recht vorsichtige Formulierung „erkennbare menschliche Einflüsse“ dahingehend auslegen konnten, die Menschheit sei ohne jeden Zweifel „schuld“ an der künftigen Klimakatastrophe. Es scheint, als sei der Vorbericht des IPCC weniger gelesen als vielmehr für bereits vorliegende politische Meinungen und Vorurteile in Dienst genommen worden.
Viele sehen in dem IPCC-Bericht einen Anlass, das Ende der Debatte über den Klimawandel zu verkünden. Verantwortlich dafür sind jedoch auch die Verlautbarungen des IPCC und seiner Anhänger selbst: So sagte Achim Steiner, der Tag der Veröffentlichung der Zusammenfassung werde als das Datum in die Geschichte eingehen, „an dem das Fragezeichen entfernt wurde“. Die weitaus vorsichtigeren Formulierungen des IPPC werden nicht zur Kenntnis genommen. Wem an wirklicher wissenschaftlicher Forschung liegt – von politischer Debatte zu schweigen –, sollte es durchaus befremdlich erscheinen, wenn Fragezeichen entfernt werden.
Wo das Gremium Ausdrücke wie „wahrscheinlich“ und „sehr wahrscheinlich“ verwendet, da geschieht dies, um quantitative Wahrscheinlichkeitsniveaus zu markieren, die teils auf Statistiken, teils auf Expertenurteilen beruhen. Die Häufigkeit, mit der diese Ausdrücke in der Zusammenfassung erscheinen, zeigt, dass seine Schlussfolgerungen auf einer Vielzahl möglicher Kausalitäten beruhen – nicht auf definitiven. So findet sich im Bericht nur an zwei Stellen der Ausdruck „nahezu gewiss“, an 26 dagegen „wahrscheinlich“ und an 18 „sehr wahrscheinlich“.
Das IPCC selbst hat weder 2001 noch jetzt die Debatte über den Klimawandel für beendet erklärt. Vielmehr haben Fortschritte in der Theorie und Beobachtung, insbesondere in Hinblick auf unser Verständnis atmosphärischer Aerosolpartikel und in der satellitengestützten Temperaturmessung, das IPCC in die Lage versetzt, seine Vertrauensniveaus von weniger als 90 auf zwischen 90 und 95 Prozent zu erhöhen.
„Die Aussagen des IPCC sind weit weniger definitiv, als die Medienreaktionen suggerieren.“
Ursprünge und Status des IPCC-Berichts
Bei dem IPCC-Bericht handelt sich um ein 21-seitiges Papier mit dem Titel Summary for Policymakers, das nur 13 Seiten Text und sieben Seiten Grafiken zählt. Es wurde von 33 Wissenschaftlern und weiteren 18 Autoren verfasst. Es ist somit nicht zu verwechseln mit dem eigentlichen Bericht Climate Change 2007: The Physical Science Basis, der als erster Band von Climate Change 2007, auch Fourth Assessment Report (AR4) genannt, Ende April erscheinen soll und an dem 600 Autoren aus 40 Ländern sowie 620 wissenschaftliche und eine Vielzahl politischer Gutachter mitarbeiten. [9] Auch ist an diesem ersten Band nur die „Arbeitsgruppe I“ des IPCC beteiligt. Während sich die „Arbeitsgruppe III“ u. a. mit den bekannten Strategien für die Minderung der Treibgasemissionen unter dem Schlagwort „Reduzierung“, darunter auch mit Steuerstrategien und Emissionshandel, befasst, setzt sich die „Arbeitsgruppe II“ mit „Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit“ auseinander. [10] Hierbei geht es um die Anpassung an den Klimawandel, also um die Frage, wie in einem wärmeren Klima Hydrologie, Landwirtschaft, Küstenanlagen, Industrie und menschliche Siedlungen zu gestalten seien – ein Thema, das an sich viel interessanter ist, aber in den Medien deutlich geringeres Interesse findet als die Reduzierung. [11] Eines ist jedoch klar: Es handelt sich beim aktuellen Bericht des IPCC um eine äußerst komprimierte Zusammenfassung eines von drei Bänden eines sehr voluminösen Werkes.
Diese Zusammenfassung ist Teil einer Reihe von Übersichtsberichten, mit denen Regierungen wissenschaftlicher Rat zuteil werden soll. Das IPCC führt selbst keine wissenschaftliche Forschung durch, sondern prüft bestehende Forschungsergebnisse und fasst sie zusammen, was sicher eine sinnvolle Aufgabe ist. Prinzipiell soll das IPCC politisch neutral sein und nur die Tatsachen präsentieren, auf die Politik sich stützen kann. Aber in einer Zeit, in der viele meinen, Wissenschaft habe politisch präskriptiv zu sein, interessieren sich Regierungen immer stärker für die Bewertungen des IPCC, und das IPCC selbst wird zunehmend politisiert. Obwohl von Wissenschaftlern verfasst, wurde die Zusammenfassung vor Veröffentlichung Zeile für Zeile von Regierungsvertretern und Vertretern von Organisationen wie der Internationalen Handelskammer, der International Petroleum Industry Environmental Conservation Association und des International Aluminum Institutes sowie Friends of the Earth und Greenpeace überprüft, damit die Botschaft passt. [12]
Vergleich der Prognosen
Die Aussagen des IPCC sind weit weniger definitiv, als die Medienreaktionen suggerieren. Das lässt sich exemplarisch an der Behandlung der Temperaturtrends und etwas ausführlicher am Thema Eis und Meeresspiegel aufzeigen. Die möglichen Temperaturanstiege, die die Zusammenfassung prognostiziert, unterscheiden sich nur geringfügig von denen des Third Assessment Report aus dem Jahr 2001. Die „zuverlässigste Schätzung“ nennt einen Temperaturanstieg um 1,8 bis 4,0 Grad Celsius bis zum Jahr 2100. Der Bericht beschreibt einen Anstieg um weniger als 1,1 oder mehr als 6,4 Grad Celsius als „nicht wahrscheinlich“. Schon das weist auf die mangelnde Seriosität von Kommentatoren wie Monbiot und Stern hin, die bis zu 11,5 Grad Celsius als annehmbar angaben. [13]
Wie steht es um das Eis und die Meere? Al Gore warnt, dass, wenn das Eis in Grönland oder der Antarktis schmelze, der Meeresspiegel um bis zu sechs Meter steigen könne. Auf seinen Landkarten sind Florida, San Francisco, Peking, Kalkutta und die Niederlande in den Fluten versunken. Noch weiter geht die britische Tageszeitung Independent. Mit Hinweis auf den IPCC-Bericht als „letzter Warnung“ schreibt der Ökologe Mark Lynas auf der Titelseite, bei einem Temperaturanstieg um 5,4 Grad werde „der gesamte Planet eisfrei und der Meeresspiegel 70 Meter höher sein als heute“. [14] In welchem Verhältnis stehen diese Prognosen zur Zusammenfassung des IPCC? Sie betrachtet eine Reihe von Szenarien, in denen keine besonderen Maßnahmen getroffen werden, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Die Schlussfolgerung: Bis 2100 könnte der Meeresspiegel um zwischen 18 und 59 Zentimeter steigen.
Dort, wo das IPCC spekulative Aussagen über die Folgen eines „vollständigen Abschmelzens der Eisdecke Grönlands und eines dadurch bedingten Anstiegs der Meeresspiegel um etwa sieben Meter“ trifft, bezieht sich dies auf ein Szenario, in dem das Abschmelzen nicht bis 2100, sondern über Jahrtausende anhält. [15] Und die Antarktis? Zwar stellt der Bericht fest, ein Nettoverlust der Eismasse könne eintreten, wenn die Eisdecke von „dynamischem Eisabbau“ geprägt werde, also wenn Eisstücke abbrechen statt zu schmelzen. Doch dieser Feststellung vorangestellt ist die Beobachtung, dass gemäß aktueller globaler Modellstudien die antarktische Eisdecke „für großflächiges Abschmelzen der Oberfläche zu kalt bleiben wird und aufgrund zunehmender Schneefälle ein Anwachsen ihrer Masse erwartet wird“. [16]
Katastrophenliebhaber wie Gore beziehen sich auch gerne auf jüngere Erklärungen, dass das Eis möglicherweise viel rascher schmelze als bislang angenommen. Doch auch hier bleibt das IPCC sachlicher. In seinem Bericht heißt es: „Die heute eingesetzten Modelle berücksichtigen nicht die Gesamtfolgen von Veränderungen der Bewegungen der Eisdecken, denn hierfür gibt es in der Literatur keine Grundlage. In den Prognosen berücksichtigt ist ein Beitrag durch einen höheren Eisabgang aus Grönland und der Antarktis in den für den Zeitraum 1993 bis 2003 beobachteten Größenordnungen, aber diese können sich künftig erhöhen oder abnehmen.“ [17]
Was neuere Studien betrifft, so weist das IPCC darauf hin, dass eine Zunahme der Schmelzrate einen Anstieg des Meeresspiegels um 10 bis 20 Zentimeter nach sich ziehen könne. Höhere Werte ließen sich nicht ausschließen, aber das „Verständnis dieser Effekte ist zu beschränkt, um ihre Wahrscheinlichkeit zu bewerten oder eine zuverlässige Schätzung oder Obergrenze für den Meeresanstieg anzugeben“. [18] Die beunruhigendsten Prognosen für die Entwicklung der Meeresspiegel beruhen ausnahmslos auf dem Abschmelzen der grönländischen oder antarktischen Eiskappen. Doch das IPCC ist, wie gesagt, zu der Auffassung gelangt, dass solche Prozesse Jahrtausende benötigen würden. Gore, Monbiot, Stern und andere dagegen behaupten, wir müssten viel kürzere Zeitfenster in Betracht ziehen, wobei der Wirtschaftswissenschaftler Stern sich in Spekulationen darüber ergeht, dass eine Erwärmung der Ozeane und beschleunigte Eisabgänge zu einem „rasanten Eisabbau“ führen könnten.
Während das IPCC 2001 nur ein Vertrauensniveau von 90 Prozent für die Aussage angab, dass der Klimawandel anthropogen verursacht sei, zog es Stern in seinem Bericht vor, darauf überhaupt nicht einzugehen, sondern willkürlich eine fast zehnprozentige Wahrscheinlichkeit ins Spiel zu bringen, dass die Menschheit bis 2100 ausgelöscht sein werde und es zudem schwache Hinweise dafür gebe, dass diese Wahrscheinlichkeit „noch höher“ liege. [19]
All das ist Quacksalberei und degradiert die Wissenschaft. Im „neuen Szientismus“ werden die Fakten immer so gewählt, dass sie Katastrophe und Untergang ergeben. Weder werden die wirklichen Inhalte der wissenschaftlichen Befunde zumindest oberflächlich, noch, wie wir im Weiteren zeigen möchten, die möglichen technischen Lösungen zur Kenntnis genommen.
„Der Konsens über den Klimawandel ist heute weniger ein wissenschaftlicher als vielmehr ein politischer, der auf apokalyptischem Denken beruht.“
Konsens und Katastrophe
Wissenschaft beruht auf Nachweis- und Falsifizierbarkeit. Jeder Konsens ist immer offen für neue Erkenntnisse – das ist der Geist der wissenschaftlichen Methode. Natürlich besteht ein Konsens, dass die Schwerkraft existiert und die Erde rund ist. Aber in diesen Fällen geht es um wissenschaftliche Grundsätze, die experimentell über Jahrhunderte hinweg immer wieder erhärtet wurden. Die Klimaforschung ist nicht so definitiv. Zudem nehmen Ideologen heute die Idee des wissenschaftlichen Konsens für Dinge in Anspruch, die überhaupt nicht wissenschaftlich sind. Das Kernproblem mit dem aktuell unterstellten Konsens über Klimaforschung ist weniger, dass man irrtümlich behauptet, man wisse genau, wie das Klima funktioniert, sondern vielmehr die Unterstellung, solches Wissen könne uns sagen, wie wir unser Leben zu leben hätten
Der reale Konsens über den Klimawandel ist heute eher politisch als wissenschaftlich. Es ist ein Konsens, der emotionaler Angst Vorrang einräumt und auf apokalyptischem Denken und Zweifel an den Leistungen und Fähigkeiten der Menschheit beruht.
Dieser Konsens wird durch Medienkampagnen zu Anlässen wie der Veröffentlichung des IPCC-Berichts in die Sprache der Klimakatastrophe übertragen. Typisch hierfür waren die One O’Clock News auf BBC1 am 2. Februar: Sie boten einem Vertreter von Friends of the Earth viel Zeit für angsterzeugende Betrachtungen. Auf dem gleichen Kanal begannen die Ten O’Clock News später mit einem verhängnisverheißenden Bericht über das Wetter auf der ganzen Welt. David Shukman beschrieb die Erde als „sehr fragil“ und warnte, sie könne „außer Kontrolle geraten“ – ein interessantes Konzept! Dies hätte dann „katastrophale Folgen“, fügte er hinzu. Keine dieser Formulierungen steht in der IPCC-Zusammenfassung.
Der Hauptbeitrag auf Newsnight wurde von der Wissenschaftsredakteurin Susan Watts präsentiert, die erklärte: „Wissenschaftler sagen seit geraumer Zeit, die Zukunft sei düster.“ Aber von einer düsteren Zukunft ist an keiner Stelle des IPCC-Berichts die Rede. Watts Beitrag über die Erkenntnisse des IPCC war wissenschaftlich mager, stark dagegen waren die Musik (niedergeschlagen) sowie die Computergrafiken (unheimlich).
Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Berichts wurde Dr. Susan Solomon, Expertin für Atmosphärenforschung bei der US National Oceanic and Atmospheric Administration und Mitverfasserin der Summary, gefragt: „ Sie haben in Ihrer Darstellung der Ergebnisse eine deutlich objektive, neutrale, wissenschaftliche Haltung eingenommen. Darf ich Sie jetzt vielleicht bitten, zusammenzufassen, welche dringenden Schlussfolgerungen der Bericht der Politik nahelegen soll?“ Solomon antwortete: „Ich kann Ihnen nur etwas sagen, was Sie enttäuschen wird, Sir. Es ist meine persönliche wissenschaftliche Haltung, dass es nicht meine Aufgabe ist, Handlungsempfehlungen zu geben. Ich glaube, dies ist eine gesellschaftliche Entscheidung. Die Wissenschaft liefert einen Beitrag zu dieser Entscheidung, und die Wissenschaft dient der Gesellschaft am besten, wenn sie sich auf ihre Fachkenntnis beschränkt. Daher denke ich nicht, dass es im besten Interesse der Gesellschaft und ihrer verantwortlichen Entscheidungsfindung wäre, wenn ich jetzt Dringlichkeit beschwören oder bestimmte Maßnahmen fordern würde.“
Die Aussage von Solomon wurde in die Berichterstattung der BBC nicht aufgenommen, wohl aber die von Achim Steiner, nach eigenem Bekunden langjähriger Experte für „nachhaltige Entwicklung und Umweltmanagement“ mit „Erfahrung aus erster Hand mit Organisationen der Zivilgesellschaft, Regierungen und globalen Institutionen“. Er lieferte den passenden Soundbite: Die Zusammenfassung habe ihm „Schauer den Rücken hinuntergejagt“, erklärte er.
Diese Art emotionaler Betroffenheit legitimiert offensichtlich alles. Sie gestattet einerseits viel Aufregung – weniger über das Klima als über die Verkommenheit der Menschen. In diesem Sinne äußerte sich auch Mark Lynas: “[Wir] werden ständig aufgefordert, mehr Kleidung zu kaufen, exotischere Lebensmittel zu uns zu nehmen und sportlichere Autos zu fahren. Wir sollen luxuriös leben wie David Beckham, mehr Urlaub in sonnigen Regionen machen und die lokalen Nahrungsmittelproduzenten vernachlässigen.“ [20] Hier erscheinen alltägliche Lebensgewohnheiten als Verhunzung des Planeten und Aktivitäten, die man als erfreulich empfinden könnte, als besonders verhunzt.
Die historische Bedeutung des „neuen Szientismus“
Auf den ersten Blick erstaunt der Status, der der Wissenschaft jetzt eingeräumt wird. Schließlich hat die britische Regierung gerade erst den Exodus aus der Physik und Chemie an Oberschulen und Universitäten bemerkt. Finanzminister Gordon Brown spricht zwar laufend über Wissenschaft, Technologie und Innovation, aber Großbritannien hat im Jahr 2005 weniger als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung (F&E) ausgegeben – also noch weniger als die 2,1 Prozent Ende der 90er-Jahre und weniger als der Durchschnitt der EU-25-Staaten (einschließlich Osteuropa) und der OECD-Staaten. [21]
Zudem ist das Ansehen der Wissenschaft auch unter Umweltaktivisten nicht gerade hoch. Diese haben dafür gesorgt, dass genetisch veränderte Lebensmittel in der EU verboten sind. Sie würden gern die Atomphysik abschaffen und hegen oft starke Abneigung gegen Wissenschaftler, die für große Pharmaunternehmen arbeiten. Im Fall der Klimaforschung hingegen berufen sich Umweltaktivisten gerne auf die Tätigkeit von Gremien wie dem IPCC. Gleichzeitig werden Minister, die sonst nicht viel Geld oder Energie in die Förderung der Wissenschaft investieren, plötzlich leidenschaftliche Anhänger wissenschaftlicher Erkenntnis. Wie ist das zu erklären?
Es ist wichtig zu verstehen, dass der neue ebenso wie der alte Szientismus mit Respekt für die Wissenschaft wenig zu tun hat. Es geht um die Vergötterung der Natur. Sobald aber die Natur über die Menschen gestellt wird, wird Wissenschaft zur bloßen Botschafterin der Natur, die den dummen Menschen verkündet, sie müssten sich ihrer Dummheit bewusst werden. Grüne mögen den Szientismus der RAND Corporation aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verabscheuen, dennoch haben sie ihm frisches Leben eingehaucht. Sie nutzen die Wissenschaft, um uns einzureden, wir sollten unsere Erwartungen senken – für unser persönliches Leben hier und jetzt und das der zukünftigen Gesellschaft.
Wir brauchen in der Klimaforschung mehr und bessere Wissenschaft und weniger impulsive Reaktionen. Außerdem müssen wir die Wissenschaft für Debatten und neue Erkenntnisse offenhalten. Und vor allem müssen wir das Vertrauen in menschliches Handeln und unsere Fähigkeit, ganz neue Lösungen zu finden, stärken.
Alle Regierungen Europas präsentieren zurzeit Investitionen in erneuerbare Energien, die Senkung der Emissionen und das Energiesparen als die unhinterfragbar einzigen Antworten auf Klima- und Energieprobleme. Dabei nutzt man Kampagnen der Umweltschützer, um uns einzubläuen, dass Energiesparen nicht nur verantwortungsvoll, sondern auch schick und modern sei. So finanziert die britische Regierung eine besonders geschmackvolle Kampagne von Friends of the Earth an Universitäten, deren Plakate mit Kondomen überzogene Schornsteine, Auspuffanlagen und Flugzeugmotoren zeigen. [22]
Dass Wissenschaft nicht inhaltlich zur Kenntnis genommen, sondern nur genutzt wird, um den Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen, zeigt, wie wenig Vorstellungskraft unsere grün orientierten Eliten bzgl. der Fortschritte, die die Menschheit erreichen kann, heute haben.
Leider befasst sich keine Arbeitsgruppe des IPCC mit dem, was wir als überlegene Option betrachten würden: die Humanisierung der Erde durch ehrgeizige technologische Transformationen, mit denen sich auch das Problem anthropogener Erderwärmung lösen ließe. Ambitionierte technologische Projekte betrachten Umweltschützer als Ausdruck neokonservativen Machbarkeitswahns. Wer das Kiotoprotokoll ablehnt und stattdessen für Lösungen plädiert, die die Raumforschung mit einbeziehen, wie es die US-Regierung vorgeschlagen hat, gilt inzwischen dem Guardian als schlicht verrückt. [23] Anspruchsvolle Konzepte sind verpönt. Der „neue Szientismus“ predigt stattdessen persönliche Verantwortung und Verzicht: Wer nicht versuche, sein Leben zu verändern, sei verdammt. Denn die Natur habe uns enge Grenzen gesetzt – Ende der Geschichte. Flugzeuge könnten nie emissionsärmer werden und die Atomkraft nie wirtschaftlich oder sicher. In diesem Denken wird Wissenschaft zum alttestamentarischen Gott.