21.07.2023

Landwirtschaft: Gentechnik ist für alle da

Von Steven Cerier

Titelbild

Foto: Kasia Koziatek via Freestock / CC0

Entwickelt sich eine Spaltung zwischen dem europäischen Bio-Establishment und den Landwirten, die es zu vertreten vorgibt, über die Regulierung von CRISPR und anderen Neuen Genomischen Techniken?

Die Gentechnikgegner spinnen ein Narrativ, wonach, große Agrarunternehmen die Landwirte dazu verleitet haben, GVO-Pflanzen dort anzubauen wo dies legal ist, etwa in Argentinien, Australien, den USA, Brasilien und Kanada. In ihrem Narrativ sind die Landwirte entweder unwissend über den Schaden, den sie dem Boden zufügen, zu gierig, um sich darum zu scheren, oder sie sind in der GVO-Tretmühle gefangen, nachdem sie patentiertes Saatgut gekauft haben, das sie nicht von Saison zu Saison wiederverwenden können. Mit anderen Worten, sie werden als Handlanger von gierigen Agrarunternehmen und verrückten Wissenschaftlern dargestellt, die ein riesiges wissenschaftliches Experiment ohne Rücksicht auf die möglichen Kosten für die Allgemeinheit durchführen.

Lassen Sie uns dieses Klischee entlarven

Es wirkt beinahe so, als ob diese „Umweltschützer" noch nie einen Landwirt getroffen hätten. Jeden Tag sind Landwirte sowohl Partner als auch Gegner von Mutter Natur. Sie haben mit Pflanzenkrankheiten, Dürre und übermäßiger Hitze, zu viel Regen und der Achterbahnfahrt der Rohstoffpreise zu kämpfen. Ganz zu schweigen von den alltäglichen Belastungen wie dem Kauf von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln, dem Betrieb ihrer Traktoren und dem Kauf von Diesel, wenn der Kraftstoffpreis wie ein Superball auf und ab hüpft.

Die meisten Landwirte sehen sich als Hüter des Bodens. Wenn sie den Boden, der sie ernährt, zerstören, leiden sie direkt darunter; keine noch so große Menge an Chemikalien könnte sie dann retten. Sie sind daran interessiert, die neuesten wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften zu nutzen, von Big Data bis hin zu künstlicher Intelligenz. Sie bauen GVO-Pflanzen an, nicht weil sie einer Gehirnwäsche unterzogen oder manipuliert wurden, sondern weil es in ihrem Interesse liegt. Eine Meta-Analyse von 147 Studien hat ergeben, dass der Anbau von GVO-Pflanzen den Einsatz von chemischen Pestiziden um 37 Prozent reduziert, die Ernteerträge um 22 Prozent erhöht und die Gewinne der Landwirte um 68 Prozent steigert.

Die Tatsache, dass der ökologische Landbau nur einen relativ kleinen Teil der weltweit angebauten Pflanzen ausmacht, ist ein Hinweis darauf, dass die große Mehrheit der Landwirte skeptisch bleibt. In der EU beispielsweise waren im Jahr 2020 nur 9,1 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch bewirtschaftet. In Deutschland waren es 2021 10,9 Prozent. In den USA machten 2018 zertifizierte Bioprodukte nur 5,7 Prozent aller im Einzelhandel verkauften Lebensmittel aus. In Deutschland lag der Umsatzanteil in 2022 bei sieben Prozent.

„Leider haben viele der Gruppen, die vorgeben, Öko-Landwirte zu vertreten, in den letzten zehn Jahren im Zuge der Eskalation der ‚Gentechnik-Kriege' eine konfrontative Haltung gegenüber der Gentechnik eingenommen."
 

In vielen Ländern, in denen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, bauen einige Landwirte sowohl ökologische als auch gentechnisch veränderte Obst-, Gemüse- und Getreidesorten an. Das verschafft ihnen zusätzliche Märkte und diversifiziert ihr Risiko. Leider haben viele der Gruppen, die vorgeben, Öko-Landwirte zu vertreten, in den letzten zehn Jahren im Zuge der Eskalation der „Gentechnik-Kriege" eine konfrontative Haltung gegenüber der Gentechnik eingenommen. In Europa ist dieser Trend noch schlimmer.

Lockerung der Vorschriften in der EU

Kürzlich wurde ein Verordnungsentwurf der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (SANTE) der EU-Kommission zur Deregulierung der Zulassung, Risikobewertung und Kennzeichnung einer ganzen Reihe neuer gentechnisch veränderter Organismen (GVO) publik gemacht, was sofort zu heftiger Kritik von eingefleischten Befürwortern des ökologischen Landbaus führte,die sich auf fortsetzte, nachdem der Gesetzentwurf am 05. Juli auch offiziell vorgestellt wurde. Die EU-Kommission will offenbar die Gentechnik-Vorschriften lockern, so dass NGTs (Neue Genomische Techniken) ohne Kennzeichnungs- oder Rückverfolgbarkeitsanforderungen vermarktet werden können.

Das Bio-Establishment in Europa war empört. „Um unsere Lebensmittelsysteme wirklich nachhaltig zu machen, müssen wir weg von input-intensiven, kurzfristigen Lösungen, die die Förderung spezifischer Technologien mit unbewiesenem Nutzen und möglichen unbeabsichtigten Auswirkungen und Risiken beinhalten", sagte Jan Plagge, Präsident von IFOAM Organic Europe. „Die Gentechnik mit ihren derzeit noch leeren Nachhaltigkeitsversprechen und einem engen Fokus auf bestimmte Gene oder Eigenschaften ignoriert die Komplexität der Wechselwirkungen in einem bestimmten Agrarökosystem."

Mit seiner vehementen Ablehnung von gentechnischen Innovationen in der Landwirtschaft steht Plagge nicht allein unter den Vertretern des ökologischen Landbaus. Auf der IFOAM-Generalversammlung in Brüssel wurde kürzlich eine Resolution verabschiedet, die die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von NGTs vorschreibt – die derzeit nicht Teil der von der EU empfohlenen Verordnungen sind – und die mit 97,66 Prozent Ja-Stimmen und 2,31 Prozent Nein-Stimmen angenommen wurde.

In Deutschland kommentierte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt: „Der Entwurf der EU-Kommission ist unterm Strich desaströs für die mehr als 80 Prozent der Verbraucher*innen, die keine Gentechnik auf ihrem Teller wollen. Er ist desaströs für das europäische Vorsorgeprinzip und für die europäische Landwirtschaft, denn die Bezeichnung ‚ohne Gentechnik‘ und die Unabhängigkeit von patentiertem Saatgut war für sie bisher ein Wettbewerbsvorteil.“

„Die Landwirte sind in zahlreichen Ländern nicht so ablehnend gegenüber gentechnisch veränderten Nutzpflanzen eingestellt wie die Bioverbände."

Demeter-Vorstand Alexander Gerber forderte: „Das EU-Parlament sowie Umweltministerin Lemke und Landwirtschaftsminister Özdemir müssen der EU-Kommission jetzt entschieden entgegentreten. Gemeinsam mit Verbänden, Initiativen und Organisationen fordern wir: Eine De-Regulierung von Gentechnik – nicht mit uns! Stellen Sie den Gesetzestext in den jetzt folgenden Verhandlungen vom Kopf auf die Füße!"

Welche Anbaumethoden fördern die Nachhaltigkeit am meisten?

Plagge und die Biobewegung in den Industrienationen Europas und Nordamerikas sind der Überzeugung, dass die biologische Landwirtschaft nachhaltiger ist als die Landwirtschaft, die gentechnisch veränderten Sorten nutzt. Ein Artikel in der MIT Technology Review – („Sorry, organic farming is actually worse for climate change") – ist einer von Dutzenden neueren Berichten und Universitätsstudien, die diese weit verbreitete Annahme in Frage stellen. Darin werden weit verbreitete Missverständnisse angesprochen, wie z. B.:

  • Landnutzung: „Ökologische Praktiken können die direkt durch die Landwirtschaft verursachte Klimabelastung verringern – was fantastisch wäre, wenn nicht auch mehr Land benötigt würde, um die gleiche Menge an Lebensmitteln zu produzieren. Die Rodung von zusätzlichem Grasland oder Wäldern, um genügend Nahrungsmittel anzubauen, um diesen Unterschied auszugleichen, würde weit mehr Treibhausgase freisetzen, als die Praktiken ursprünglich reduzieren, so eine neue Studie in Nature Communication.“
  • Klimawandel: „Ökologische Landwirtschaft verursacht mehr Treibhausgasemissionen als konventionelle Praktiken, wenn man den zusätzlichen Landbedarf berücksichtigt. [...] Forscher der britischen Cranfield University haben die Frage umfassend untersucht und analysiert, was passieren würde, wenn ganz England und Wales vollständig auf diese Praktiken umstellen würde. Die gute Nachricht ist, dass dadurch die direkten Treibhausgasemissionen aus der Viehhaltung um 5 Prozent und aus dem Ackerbau um 20 Prozent pro Produktionseinheit gesenkt würden. Die schlechte Nachricht: Die Erträge würden um etwa 40 Prozent sinken, so dass die hungrigen Briten gezwungen wären, mehr Lebensmittel aus Übersee zu importieren.“
  • Kohlenstoffemissionen: „Wenn die Hälfte der Flächen, die zur Deckung dieser Nachfragespitze genutzt werden, in Grünland umgewandelt würde, welches Kohlenstoff im Pflanzengewebe, in den Wurzeln und im Boden speichert, würden die Treibhausgasemissionen insgesamt um 21 Prozent steigen. Der ökologische Landbau vermeidet unter anderem den Einsatz von synthetischen Düngemitteln, Pestiziden und gentechnisch veränderten Organismen, die allesamt die Menge der pro Acker produzierten Pflanzen erhöhen können [...] Das größere Problem, sowohl für den ökologischen Landbau als auch für die Viehzucht, besteht darin, dass diese Praktiken letztendlich viel mehr Land benötigen, um die gleiche Menge an Lebensmitteln zu produzieren.“

Wo stehen die Landwirte an der Basis wirklich?

Aus dem Bericht der Europäischen Kommission vom April 2021, der die Grundlage für das jüngste Dokument bildete, geht hervor, dass die Landwirte in zahlreichen Ländern nicht so ablehnend gegenüber gentechnisch veränderten Nutzpflanzen eingestellt sind wie die Bioverbände.

  • Italien: „Italiens Bauernverbände (Coldiretti, Confagricoltura und CIA) begrüßten die Ergebnisse [vom April 2021] und betonten, wie innovative Biotechnologien dazu beitragen könnten, die biologische Vielfalt Italiens zu erhalten und zu verbessern und gleichzeitig die Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des Agrarsektors zu fördern", heißt es in einem Bericht des US Landwirtschaftsministeriums (USDA). „Sie betonten, wie die Genom-Editierung es Züchtern und Forschern ermöglichen würde, produktivere, nährstoffreichere und klimaresistentere Nutzpflanzen zu entwickeln, indem sie Veränderungen, die in der Natur spontan auftreten können, einfach beschleunigen. Sie forderten die Umsetzung einer wissenschaftlich fundierten Politik, die die Techniken unterstützt, und die Genehmigung von Feldversuchen."
  • Niederlande: „Die niederländische Bauernvereinigung (bekannt als LTO) ist pragmatisch und befürwortet innovative Biotechnologien", heißt es in einer separaten USDA-Analyse. „Die LTO erklärt, dass die Landwirte weniger von Chemikalien abhängig sein und in robuste landwirtschaftliche Systeme investieren wollen, wobei die DNA der Pflanze als Grundlage dient. [...] Der niederländische Pflanzenzucht- und Saatgutsektor unterstützt den Einsatz innovativer Biotechnologien und erklärt, dass die Technologie sowohl für große als auch für kleine Unternehmen zugänglich gemacht werden muss."
  • Schweden: „[D]er Schwedische Bauernverband (LRF) [hat] die Züchtung neuer Pflanzensorten gefordert, um dem Klimawandel zu begegnen, und erklärt, dass neue Pflanzeneigenschaften auf Gesundheits- und Umweltrisiken getestet werden sollten, unabhängig davon, ob Gentechnik eingesetzt wurde oder nicht", so das USDA. „Die landwirtschaftliche Genossenschaft Lantmännen schließt sich den Aussagen von LRF an. Auf ihrer Website kommentiert sie, dass die Gentechnik in der Pflanzenzüchtung einen positiven Beitrag zu einer nachhaltigen Gesellschaft leisten kann."
  • Spanien: „Spanien ist eines von nur zwei Ländern in der EU, die geringe Mengen an GVO-Mais anbauen (neben Portugal), und ist laut USDA auch ein Anhänger des ökologischen Landbaus. „Der Einsatz landwirtschaftlicher Technologien wie Biotechnologie oder Bewässerungssysteme zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Erzielung gleichbleibender Produktionsmengen wird von einer großen Mehrheit der Landwirte positiv gesehen und verteidigt. [...] Angesichts der schwankenden Erträge des Landes und der Abhängigkeit von importierten Futtermitteln ist es von entscheidender Bedeutung, die heimische Produktion durch den Einsatz von Technologien zu verbessern."

Silos aufbrechen, Brücken bauen

Nach Ansicht von Experten sollte der ökologische Landbau nicht aufgegeben werden. Vielmehr müssen sich die so genannten regenerativen und agrarökologischen Landwirte entscheiden, ob sie eine isolierte Gruppe bleiben, die an eine Sekte grenzt, oder ob sie sich die Vielfalt der neuen Technologien zur Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft zu eigen machen. Dies geht aus einem kürzlich erschienenen Artikel von sechs südamerikanischen Wissenschaftlern in der Zeitschrift Frontiers in Bioengineering and Biotechnology hervor:

Historisch gesehen ist die Beziehung zwischen ökologischer Landwirtschaft und Biotechnologie antagonistisch. In der Tat wurde jahrelang ein regelrechter ideologischer Krieg zwischen den Befürwortern der ökologischen und der biotechnologischen Landwirtschaft geführt. Dieser Antagonismus veranlasste viele Kleinbauern zu der Annahme, dass die beiden Agrarsysteme völlig unvereinbar seien. Dieser Kampf führte zu einem Rechtsrahmen für den ökologischen Landbau, der die Landwirte daran hindert, GVO in ihre Produktionssysteme einzubauen, selbst wenn dies eine bessere Qualität, eine höhere Klimaresistenz und Produktivität und sogar einen geringeren Einsatz von Pestiziden ermöglichen würde. Infolgedessen betrachten die Biobauern die Biotechnologie als unnatürlich und im Widerspruch zu den Grundsätzen der ökologischen Landwirtschaft.
 

„Nun müssen wir abwarten, wie das ideologische Schachspiel zwischen der wissenschaftlichen Gemeinschaft und den Gentechnikverweigerern in Europa ausgeht."

Mit anderen Worten: Es ist an der Zeit, Silos aufzubrechen und Brücken zu bauen. Trotz der Überzeugung von Gentechnikgegnern und der Bio-Lobby, dass die Gentechnologie dem Agrarsektor aufgezwungen wurde, sind viele Landwirte in der EU, darunter auch Befürworter des ökologischen Landbaus, offen für neue Pflanzenzuchttechnologien. Sie wissen, dass die EU-Landwirtschaft von anderen Ländern, die landwirtschaftliche Innovationen einsetzen, abgehängt werden wird, wenn die Vorschriften nicht geändert werden, um deren Einsatz zu ermöglichen.

Immer mehr Landwirte sind der Meinung, dass NGTs das Potenzial haben, zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem beizutragen, das Teil der Ziele des Europäischen Green Deal und der Farm to Fork-Strategie ist. Und das ist offenbar auch die Mehrheitsmeinung der Europäischen Kommission.

Dennoch sträuben sich die Politiker in vielen europäischen Ländern dagegen, sich wieder auf Nachhaltigkeit und Endprodukte zu konzentrieren, anstatt sich kurzsichtig mit dem Verfahren zu beschäftigen. Es ist nicht klar, ob sie die Mehrheit sind oder nicht, aber die durchgesickerte Zusammenfassung der Europäischen Kommission gibt Anlass zur Hoffnung. Nun müssen wir abwarten, wie das ideologische Schachspiel zwischen der wissenschaftlichen Gemeinschaft und den Gentechnikverweigerern in Europa ausgeht.

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