01.09.2001

Klone, die der Welt neu entgegen treten

Analyse von Kenan Malik

Kenan Malik erklärt, warum Klonen ethisch ist und nichts mit den beschworenen Horrorszenarien von Menschenzüchtung zu tun hat.

Für den Papst ist ihr Tun „moralisch abstoßend”, für die deutsche Bischofskonferenz stellt es einen „massiven Angriff auf die Menschenwürde“ dar, und für den amerikanischen Management-Guru Jeremy Rifkin ist es ein „faustischer Pakt“, ein Schritt auf dem Weg zu einer „kommerzialisierten, eugenischen Zivilisation“.

Auslöser der Aufregung ist die Arbeit zweier Ärzte, des US-Wissenschaftlers Panayiotis Zavos und seines Kollegen, des Italieners Severino Antinori. Im März hatten die beiden erklärt, sie wollten unfruchtbaren Paaren durch Klonen zu Nachwuchs verhelfen. Im August haben sie die baldige Umsetzung ihres Vorhabens in Aussicht gestellt.

"Gene sind wichtig, aber Gene definieren weder, wer wir sind, noch wie wir uns verhalten."

Das Klonen hat wahrscheinlich mehr Weltuntergangs- und Horrorszenarien inspiriert als jede andere moderne Technologie. Schon seit Aldous Huxleys Roman Schöne neue Welt aus dem Jahr 1932 gilt das Klonen als Symbol für Entmenschlichung, für den Verfall aller Werte, für das Böse schlechthin. Mit dem Klonschaf Dolly schienen 1997 solche Gedankenspiele Realität zu werden. Das Klonen von Menschen rückte in greifbare Nähe – eine Aussicht, die auf fast einhellige Ablehnung stieß. Schon bald nach dem Erfolg des Dolly-Experiments erklärte die UNESCO, das Klonen von Menschen stelle einen „Verstoß gegen die Menschenwürde“ dar. Der ehemalige US-Präsident Clinton untersagte die staatliche Förderung von Klonforschung, und in zahlreichen Staaten wurde das Klonen von Menschen gesetzlich verboten. Selbst Ian Wilmut, der „Vater“ von Dolly, meint, dass wir das Klonen von Menschen zur Überwindung von Unfruchtbarkeit nicht zulassen sollten.

Ich bin der Meinung, dass die ethischen Einwände gegen das Klonen ethisch sehr fragwürdig sind. Es gibt keine wirklichen Gründe dafür, das Klonen von Menschen aus ethischen Gründen abzulehnen. Vielmehr verhält es sich umgekehrt: Ein Verbot des Klonens – sei es zur Reproduktion, sei es für eine Reihe medizinischer Anwendungen – kommt einem Verbot medizinischen Fortschritts gleich, eines Fortschritts, der die Möglichkeit birgt, hunderttausende Leben zu retten und vielem Leid abzuhelfen. Unmoralisch ist es, solche Möglichkeiten zu sabotieren.

Gegen das Klonen wird auf dreierlei Art argumentiert: Zum einen wird gesagt, es zerstöre die Würde des Menschen und seine persönliche Identität. Weiter wird eingewandt, das Klonen mache den Menschen zum Objekt. Der dritte Vorwurf lautet schlicht, Klonen sei wider die Natur. Am häufigsten hört man den Einwand, es sei unmoralisch, exakte Kopien von Menschen herzustellen. Der Philosoph Leon Klass drückte es so aus: „Das geklonte Individuum trägt einen Genotyp, der bereits gelebt hat. Es wird folglich der Welt nicht gänzlich neu gegenübertreten.“ Andere befürchten, dass Regierungen oder Konzerne ihnen genehme Menschen am Fließband produzieren könnten – es drohten dann Horden kleiner Hitlers.

Solche Argumente basieren jedoch auf einem grundsätzlichen Missverständnis sowohl dessen, was Klonen ist, als auch dessen, was einen Menschen ausmacht. Klont man ein Lebewesen – sei es nun Dolly oder Hitler –, wird einer Eizelle der Zellkern entnommen und durch einen Zellkern des zu klonenden Individuums ersetzt. Übertragen wird hierdurch die DNA, das heißt die genetische Information des erwachsenen Individuums. Danach wird die Eizelle so behandelt, dass sie sich wie eine befruchtete Eizelle verhält, sich teilt und zu einem Embryo entwickelt. Gelingt dies, wird der Embryo schließlich in den Uterus einer Ersatzmutter eingepflanzt. Danach verläuft die Schwangerschaft wie gewohnt.

Jedes so geklonte Baby hätte dieselben Erbanlagen wie die Person, deren Zellkern in die Eizelle übertragen wurde. Zwei Personen mit identischen Erbanlagen sind allerdings keineswegs identische Personen. Gene sind wichtig, aber Gene definieren weder, wer wir sind, noch, wie wir uns verhalten.

Wären Menschen mit identischen Erbanlagen identisch, dann müssten auch sämtliche eineiigen Zwillinge jeweils ein und dieselbe Person sein. Eineiige Zwillinge haben aber unterschiedliche Vorlieben, unterschiedliche Fingerabdrücke, unterschiedliche politische Ansichten. Geklonte Kinder würden sich noch viel deutlicher vom Spender des Erbmaterials unterscheiden. Eineiige Zwillinge sind gleichalt und wachsen fast immer in derselben Umgebung auf. Geklonte Kinder hingegen würden in einer anderen Umwelt aufwachsen als ihr genetischer „Zwilling“, sie würden andere Freunde haben, andere Schulen besuchen und würden ganz andere Erfahrungen sammeln.

Geklonte Kinder ließen sich nicht von natürlich gezeugten Kindern unterscheiden. Jedes so gezeugte Kind wäre ein einzigartiger Mensch mit einer ganz eigenen Identität und einer offenen Zukunft. Das Szenario, mittels Klonen ließe sich eine Rasse kleiner Hitlers züchten, hat mit der Realität nichts zu tun – es bietet nicht einmal tauglichen Stoff für einen guten Horrorfilm.

"Der Gedanke, ein mit bloßem Auge kaum wahrnehmbarer Haufen undifferenzierter Zellen sei ein Mensch, ist unsinnig."

Gegner des Klonens behaupten, geklonte Kinder seien letztlich nur Objekte der Eigenliebe ihrer Eltern. Das könnte sehr wohl hier und da der Fall sein, hat allerdings nichts mit dem Klonen zu tun, sondern es trifft häufig auch für natürlich gezeugte Kinder zu. Vor zwanzig Jahren behaupteten die Gegner der In-Vitro-Fertilisation, dass im Reagenzglas gezeugte Kinder als Objekte und nicht als Menschen behandelt würden. Jedem, der weiß, wie viel Energie, Geld und Zeit Eltern aufbringen müssen, die ein in vitro gezeugtes Kind haben möchten, ist bewusst, dass solch ein Kind von den Eltern unbedingt gewollt und entsprechend geliebt und geschätzt wird. Mit geklonten Kindern würde es sich wahrscheinlich ähnlich verhalten.

Da ihre ethischen Argumente so schwach sind, greifen die Gegner des Klonens gerne auf die Behauptung zurück, Klonen sei schlecht, da es unnatürlich sei. „Seit Urzeiten“, so Jeremy Rifkin, „war die Geburt unserer Kinder für uns eine Gabe Gottes oder einer wohltätigen Natur.“ Weiter schreibt er: „Die Verschmelzung von Spermium und Eizelle ist der Augenblick, in dem wir uns Kräften unterwerfen, die sich unserer Kontrolle entziehen.“

Klonen ist unnatürlich. Fast alles, was Menschen tun, ist unnatürlich. Jeder medizinische Eingriff, von der Kopfschmerztablette bis zur Herztransplantation, hat das Ziel, uns von den Kräften zu emanzipieren, die sich unserer Kontrolle entziehen. Wenn wir die Zeugung als göttlichen Akt ansehen, dann müssen wir auch Verhütung, Abtreibung oder die In-Vitro-Fertilisation als unmoralisch ablehnen. Die meisten Menschen haben keine Einwände gegen künstliche Befruchtung. Was also sollte gegen das Klonen sprechen?

Gegen das Klonen gibt es nur einen fundierten Einwand. Viele Experten weisen darauf hin, dass es voreilig wäre, schon heute Menschen zu klonen, da das Verfahren noch zu unsicher ist. Es ist schwierig, bei Eizellen mit eingepflanztem Zellkern die weitere Entwicklung zum Embryo zu stimulieren. Und auch wenn das gelingt, zeigen viele der Embryos Fehlbildungen. Bei dem Klonschaf Dolly beispielsweise begann Ian Wilmut mit 277 Eizellen, von denen sich 29 zu Embryos entwickelten. Von diesen 29 Embryos wiederum entwickelte sich nur ein einziges vollständig. Die Technik des Klonens muss weiter erforscht und verfeinert werden. Die Frage der Sicherheit ist jedoch keine Frage der Ethik an sich. Ethische Vorbehalte gelten absolut – wird das Klonen aus ethischen Gründen abgelehnt, dann darf unter keinen Umständen geklont werden. Fragen der Sicherheit sind hingegen relativ – sobald die Technik verbessert wurde, kann man sie auch anwenden. Wird aber die Erforschung des Klonens verhindert oder eingeschränkt, verhindert man damit auch die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden, die sich vom Klonen herleiten. Behebbares Leiden wird so unnötig verlängert.

"Die ethischen Einwände gegen das Klonen sind ethisch sehr fragwürdig."

Das beste Beispiel hierfür ist das therapeutische Klonen. Beim therapeutischen Klonen wird menschliches Gewebe aus embryonalen Stammzellen gezüchtet. Die Zellen erwachsener Menschen sind hochspezialisiert. Eine Leberzelle bleibt normalerweise stets Leberzelle, genauso wie eine Hautzelle sich in keinen anderen Zelltyp verwandeln lässt. Stammzellen hingegen sind Zellen, die sich zu jedem Zelltyp entwickeln können – zur Leber-, Haut-, Nerven- oder Herzmuskelzelle. Die beste Quelle solcher Stammzellen sind wenige Tage alte Embryonen, sogenannte Blastozyten. Nehmen wir eine gesunde Zelle einer Person, die an der Parkinsonschen Krankheit leidet, und setzen den Kern dieser Zelle in eine entkernte Eizelle ein, dann ließen sich aus dem entstehenden Blastozyten Hirnzellen züchten, die potenziell die geschädigten Hirnzellen des Patienten ersetzen könnten. Da die so gezüchteten Zellen dieselbe Erbinformation tragen würden wie die anderen Körperzellen des Patienten, gäbe es, im Unterschied zu Transplantationen, auch keine Probleme mit der Abstoßung von Gewebe. Eine Therapie mit Hilfe von Stammzellen bietet die Chance, Menschen, die an Parkinson, Alzheimer, Diabetes, Leukämie und vielen anderen Krankheiten leiden, zu heilen.

Am häufigsten hört man gegen dieses Verfahren den Einwand, die Züchtung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen wäre eine Instrumentalisierung menschlichen Lebens. Der Gedanke jedoch, ein mit bloßem Auge kaum wahrnehmbarer Haufen undifferenzierter Zellen sei ein Mensch, ist ähnlich unsinnig wie die Behauptung, durch Klonen entstände ein Duplikat des geklonten Menschen. Die Züchtung und Verwendung von Embryonen ist nicht neu. Bei der In-Vitro-Fertilisation werden zahlreiche Blastozyten erzeugt, nur sehr wenige werden dann aber auch verwendet. Warum, fragt sich, sollen solche Verfahren nur zulässig sein, wenn es darum geht, Leben zu zeugen, nicht aber, um Leben zu retten?

Das therapeutische Klonen hat nichts mit Menschenzüchtung zu tun. Beim therapeutischen Klonen wird Gewebe gezüchtet, das zur Heilung Kranker benutzt werden kann. Die Gegner des Klonens bekämpfen auch das, indem sie die Schrecken der Menschenzüchtung beschwören. In den Worten des britischen Daily Telegraph: „Der Unterschied zwischen dem so genannten therapeutischen Klonen mit dem Ziel, ‚Ersatzteile’ für Organe zu züchten und dem reproduktiven Klonen mit dem Ziel, Babys zu zeugen, ist nur ein Unterschied im Endzweck – und damit sekundär.“ In beiden Fällen, so weiter, „wird der Embryo als Mittel benutzt, nicht als Ziel – er ist ein Objekt, das man benutzt, ein Ding ohne Würde und Menschlichkeit.“

Aufgrund solcher Argumente ist in den meisten europäischen Staaten Forschung zum therapeutischen Klonen verboten. Die Fachzeitschrift Nature fragte unlängst, warum sich nur etwa ein Dutzend Forschungsteams mit diesem so vielversprechenden Gebiet beschäftigten – und kam zu dem Schluss, es läge vor allem daran, dass die Forschungsmöglichkeiten immer stärker eingeschränkt werden.

Die Gegner des Klonens stellen die Auseinandersetzung gerne dar als eine zwischen unmoralischen Wissenschaftlern, die Fortschritt um jeden Preis wollen und dafür auch über Leichen gehen und denjenigen, die versuchen, dem wissenschaftlichen Fortschritt moralische Zügel anzulegen. Es fragt sich allerdings, wie moralisch es ist, Leiden dadurch zu verursachen, dass man Forschung verhindert.

Es ist an der Zeit, die Theologen und Moralapostel in ihre Schranken zu weisen. Gerade sie, die sich gerne als nachdenklich, behutsam und mitfühlend gerieren, sind dies am allerwenigsten. Ihre Einwände, gemacht im Namen der Menschlichkeit, schaffen Dogmen und errichten Barrieren, die dazu führen, dass Leiden, das behoben werden könnte, weiter besteht.

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