04.10.2013

Klimapolitik ohne Grundgesetz

Essay von Ulfried Weißer

Der von Klimaberatern der Regierung entwickelte „Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ ist undemokratisch. Indoktrination und Bevormundung werden zu zentralen Instrumenten der Klimapolitik.

Umweltminister Altmaier teilte uns im Januar 2013 mit, die Energiewende sei nun zu 25 Prozent geschafft. Liest man die Ausführungen seines wichtigsten Beratergremiums rund um Chefklimaschützer Schellnhuber, muss man befürchten, dass die Demokratie damit zu 25 Prozent abgeschafft ist.

Professor Dr. Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und überaus einflussreicher Klima-Berater der Bundeskanzlerin ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), der 1992 im Vorfeld der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung von der Bundesregierung als unabhängiges Beratungsgremium eingerichtet wurde. Der Beirat sieht seinen Auftrag darin, „den politischen Entscheidungsträgern Orientierung“ zu bieten. [1] Bei kritischer Durchsicht der Gutachten ergeben sich allerdings Zweifel, ob diese Orientierung wirklich geleistet wird – angesichts der Tatsache, dass sich die Ratschläge des Gremiums weithin außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung bewegen und zudem durch einen mangelnden Realitätsbezug auffallen.

Welt im Wandel

2011 veröffentlichte der Beirat sein Hauptgutachten „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ [2]. Hierbei handelt es sich nicht um ein internes Papier der Bundesregierung, sondern das 420 Seiten starke Gutachten bildet als Bundestags-Drucksache 17/7331 einen Bestandteil der parlamentarischen Beratung. In der „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ lesen wir:

„Das kohlenstoffbasierte Weltwirtschaftsmodell (…) gefährdet die Stabilität des Klimasystems und damit die Existenzgrundlage künftiger Generationen. Die Transformation zur Klimaverträglichkeit ist daher moralisch ebenso geboten wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit. Bereits seit geraumer Zeit befindet sich das fossile ökonomische System international im Umbruch. Dieser Strukturwandel wird vom WBGU als Beginn einer „Großen Transformation“ zur nachhaltigen Gesellschaft verstanden, die innerhalb der planetarischen Leitplanken der Nachhaltigkeit verlaufen muss (…)“ [3]. Es geht um einen neuen Weltgesellschaftsvertrag für eine klimaverträgliche und nachhaltige Weltwirtschaftsordnung.“ [4]

Zunächst fällt auf, wie die Debatte vom wissenschaftlichen auf das moralische Feld verschoben wird, indem die Klimafrage mit der Sklaverei und der Kinderarbeit verglichen wird. So mit moralischer Unangreifbarkeit ausgestattet, fühlen sich die Autoren dann gewappnet, gleich nichts weniger als die ganze Welt neu zu ordnen.

Der Beirat erläutert auch, wie diese Transformation vonstattengehen soll. Ein zentrales Element in einem solchen Gesellschaftsvertrag sei der „gestaltende Staat, der dem Transformationsprozess durch entsprechende Rahmensetzung Entfaltungsmöglichkeiten in eine bestimmte Richtung eröffnet, die Weichen für den Strukturwandel stellt und die Implementierung klimaverträglicher Innovationen absichert.“ Dieser gestaltende Staat schaffe „den Pionieren des Wandels Freiräume und fördert sie aktiv.“

Von der Bürgergesellschaft werde dabei keineswegs eine „oberflächliche oder gar resignierte Akzeptanz“ erwartet. Vielmehr werde sie „als Mitgestalterin für das Gelingen des Transformationsprozesses anerkannt und in Bewegung gesetzt“ und legitimiere den Prozess dadurch. Voraussetzung einer erfolgreichen Transformationspolitik sei die simultane Stärkung des Staates und der Bürgerschaft unter dem Dach nachhaltiger Politikziele.

Gelenkte Demokratie?

Hier wird ein merkwürdiges Demokratieverständnis offenbar. Der Staat soll gestärkt werden und aktiv gestalten. Von ihm soll die gesamte Initiative ausgehen. Die Bürgergesellschaft wird lediglich „in Bewegung gesetzt“, wie eine Lokomotive einen Güterwagen in Bewegung setzt und dabei natürlich die Fahrtrichtung bestimmt. Die Bürgergesellschaft soll von vornherein nur „unter dem Dach nachhaltiger Politikziele“ gestärkt werden, also in einer von den Experten der Nachhaltigkeit zu bestimmenden Richtung. Hierdurch soll dann der Prozess legitimiert werden. Das Ganze ist auf bloße Zustimmung angelegt.
Zu diesem Politikverständnis des Beirats hat Carl Christian von Weizsäcker (Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern Bonn) in dem Beitrag „Die Große Transformation: ein Luftballon“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Stellung genommen. Er fand in dem WBGU-Hauptgutachten eine verräterische Stelle, in der zum Ausdruck kommt, wie sich die Experten Demokratie in Zeiten des Klimawandels vorstellen. Dort heißt es:

„Die kolossale Herausforderung für die Modernisierung repräsentativer Demokratien besteht nun darin, zur Gewinnung von zusätzlicher Legitimation mehr formale Beteiligungschancen zu institutionalisieren, diese zugleich aber an einen inhaltlichen Wertekonsens nachhaltiger Politik zu binden, damit ‚mehr Partizipation‘ im Ergebnis nicht zu ‚weniger Nachhaltigkeit‘ führt.“ [5]

Weizsäcker übersetzt in einfaches Deutsch: „mehr Demokratie ja, aber nur soweit sie unseren Zielen nützt“. Nun sind Demokratie und Bürgerpartizipation eine politische Verfassung, die die Form der Entscheidungen festlegt, nicht aber ihren Inhalt. Wir sprechen nicht eigentlich von Demokratie, wenn die Weisen des Landes (modern: die Wissenschaftler) das Ergebnis vorgeben und dann dem Volk mitteilen: „Ihr dürft entscheiden – allerdings nur, solange ihr euch richtig entscheidet. Andernfalls müssen wir euch um des Gemeinwohls willen eure Mitsprache wieder wegnehmen.“ [6]

Das Demokratieverständnis des Beirats läuft darauf hinaus, dass der starke gestaltende Staat die Ziele vorgibt und sich dann Legitimation verschafft, indem die Bürger in Bewegung gesetzt und innerhalb des vorgegebenen Rahmens zur Zustimmung aufgefordert werden. Dies erinnert fatal an die Verhältnisse in Staaten, die uns gemeinhin nicht als Vorbild dienen. Der WBGU hat damit offenbar kein Problem, sieht er sich doch allen Ernstes als Vorkämpfer für „mehr Demokratie“, wie aus „Welt im Wandel“ hervorgeht. Der gestaltende Staat stehe in der Tradition der liberalen und rechtsstaatlichen Demokratie, entwickele diese aber im Sinne der Zukunftsfähigkeit demokratischer Gemeinwesen und freier Bürgergesellschaften weiter. Er berücksichtige dabei die Grenzen des natürlichen Umweltraums („planetarische Leitplanken“), innerhalb derer sich Wirtschaft und Gesellschaft entfalten können. Um sein Demokratieverständnis institutionell zu verankern, macht der WBGU unter anderem den Vorschlag, das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren um eine deliberative „Zukunftskammer“ zu erweitern, deren Mitglieder durch Losverfahren bestimmt werden sollen, um „interessens- und parteipolitische Einmischung“ zu vermeiden.

Dieser Vorschlag widerspricht Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes, wonach die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Entsprechend Artikel 79, Absatz 3 GG ist eine Änderung des Grundgesetzes unzulässig, wonach die in Artikel 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden. Das Bestreben, eine „parteipolitische Einmischung“ zu verhindern, zeugt von einem großen Misstrauen. Als ob die Parteien durch sachfremde Einflüsse den Entscheidungsprozess störten. Dies widerspricht Artikel 21 GG, wonach die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken.

Nach Artikel 20, Absatz 3 GG ist die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Insofern ist es höchst merkwürdig, wenn ein Beirat der Bundesregierung sich in dieser Grundfrage der demokratischen Legitimation außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung bewegt, indem er ein nicht legitimiertes Gesetzgebungsorgan vorschlägt, auch wenn dieses nur zu einem „aufschiebenden Veto“ berechtigt sein soll. Die Mitglieder dieses Beirats sind offensichtlich davon überzeugt, es besser zu wissen als das Volk und daher das Volk in eine bestimmte Richtung drängen zu müssen. Dies zeigt sich in Sentenzen wie:

  • „Die Energiewende zur Nachhaltigkeit kann (...) nur dann gelingen, wenn (…) die nicht nachhaltigen Lebensstile (…) gesellschaftlich problematisiert werden.“ [7]
  • „Dies kann nur gelingen, wenn (…) Lebensstiländerungen angestoßen werden, so dass die Energienachfrage insgesamt begrenzt wird.“ [8]
  • „Auf den genannten (...) Transformationsfeldern müssen (…) Konsummuster und Lebensstile so verändert werden, dass die globalen Treibhausgasemissionen (…) auf ein absolutes Minimum sinken“ [9]
  • „Dabei sollten vor allem sich verändernde Ernährungsgewohnheiten zugunsten tierischer Produkte verstärkt kritisch betrachtet werden“ [10]
  • „Daher hätten Erfolge bei entsprechender Lenkung der Nachfrage eine erhebliche transformative Wirkung“ [11]


Hier wird eine penetrante Neigung zum Lenken und Bevormunden sichtbar, die in einem Spannungsverhältnis zu dem in Artikel 2, Absatz 1 GG garantierten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit steht. Der Beirat macht deutlich, wer in der künftigen Gesellschaft das Sagen haben soll. Unsere Gesellschaft müsse bereit sein, „vorausschauend auf Grundlage der Erkenntnisse der Wissenschaft zu handeln.“ Die Verwaltungen auf Bundes-, Landes- sowie kommunaler Ebene sollten ein „klimapolitisches Mainstreaming“ durchlaufen. Die „Einsicht in die Notwendigkeit des Umbaus der Weltgesellschaft“ sei primär wissenschaftlich begründet. Der gestaltende Staat müsse „die Einbindung der wissenschaftlichen Expertengemeinschaft in den Gesellschaftsvertrag gezielt unterstützen.“ Nichts weniger als ein neuer Contrat Social muss also geschlossen werden. Dabei wird die Wissenschaft eine entscheidende, wenngleich dienende Rolle spielen.

Grüne Expertokratie

Die verbreitete Kritik, die Umweltforscher träumten von einer Öko-Diktatur, ist sicherlich übertrieben. Eine hartnäckige Neigung zu einer Expertokratie ist jedoch unverkennbar, wenn der Wissenschaft die entscheidende Rolle zugewiesen wird und die Parteien lediglich als Störfaktor betrachtet werden. Dieser Herrschaftsanspruch der Wissenschaftler ist verfassungsmäßig nicht legitimiert. Von einer bloß dienenden Rolle der Wissenschaft kann keine Rede sein, wenn der Beirat bündig und endgültig feststellt: „Das Zeitalter des auf der Nutzung fossiler Energieträger basierenden Wirtschaftswachstums muss beendet werden.“ Und: „Die globalen Energiesysteme müssen bis Mitte des Jahrhunderts weitgehend dekarbonisiert sein.“ Hier wird die Politik nicht nur beraten, sondern die Wissenschaftler maßen sich an, die schwerwiegenden und grundsätzlichen politischen Entscheidungen selbst zu treffen.

Die vom Beirat geforderte „Große Transformation“ der ganzen Weltgesellschaft ist natürlich nicht kostenlos zu haben. Hierzu erfahren wir, dass die finanziellen Herausforderungen der Transformation „signifikant, aber beherrschbar“ seien. Aber mit „innovativen Geschäftsmodellen und Finanzierungskonzepten“ lasse sich diese Herausforderung bewältigen. Im „Politikpapier 7: Finanzierung der globalen Energiewende“, das der Beirat im September 2012 Umweltminister Altmaier überreichte, heißt es schlicht, das private Kapital für die Transformation – 68.000 Milliarden Dollar bis 2050 hat der Beirat ausgerechnet – sei vorhanden und könne unter geeigneten politischen Rahmenbedingungen mobilisiert werden. [12] Tatsächlich dürfte es nicht einfach sein, Jahr für Jahr 1.000–3.000 Milliarden Dollar allein für diesen Zweck, die Minderung des CO2-Ausstoßes, zu mobilisieren. Diese Summe bewegt sich im Bereich des Staatshaushalts der USA (etwa 2.400 Milliarden Dollar). Hier verwirkt der Beirat der Bundesregierung seinen Anspruch, in Politik und Öffentlichkeit ernst genommen zu werden.

Zur großen Transformation der ganzen Welt, um „vom Status quo zu einer klimaverträglichen Weltgesellschaft (vollständige Dekarbonisierung) zu gelangen“, heißt es im Bericht über den großen Wandel, müssen wir uns deutlich in Richtung Weltregierung bewegen, für die der WBGU in schönstem Technokratendeutsch den Begriff „Global-Governance-Architektur“ einführt. Ihm schweben beispielsweise „zentrale Arenen globalen Regierens für Energie, Urbanisierung und Landnutzung“ vor. Ultimatives Ziel ist letztlich, „im Sinne des globalen Gesellschaftsvertrages zur Nachhaltigkeit die Schaffung einer gerechten neuen Weltordnung.“ Dass zur finalen Machtübernahme der Klimaschutzexperten ein paar hundert Regierungen ihre veralteten Vorstellungen aufgeben und vom Amt zurücktreten müssten, scheint den Rat nicht zu schrecken. Aus seiner Sicht handelt es sich um ein schlichtes Erfordernis, das zu formulieren offenbar keine Mühe macht: „Politisch erfordert dies die historisch ungekannte Überwindung tradierter Souveränitätsvorstellungen (…) zu Gunsten der dauerhaften Bereitstellung globaler Allgemeingüter.“

Ein solches expertenverordnetes Abdanken staatlicher Souveränität zur Abwendung der vom WBGU beschworenen Apokalypse ist nicht nur utopisch, sondern wäre – wenn wir uns einmal in den bescheidenen Rahmen des deutschen Grundgesetzes zurückbegeben – ebenfalls verfassungswidrig. Nach Artikel 25 GG haben die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Vorrang vor dem Bundesrecht. Sie erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes. Diese Regeln gehen von der Souveränität der Staaten und vom Selbstbestimmungsrecht der Völker aus.

Klimaregulierung weltweit

Was aber, wenn sich manche als unwillig erweisen sollten? Für den Fall, dass einzelne Staaten sich sträuben, schlägt der Beirat eine zentrale Regelung vor. Es sei eine Weltklimabank zu gründen, die „für die Überprüfung der nationalen Dekarbonisierungsfahrpläne auf Plausibilität und Umsetzbarkeit sowie für die Operationalisierung der flexiblen Mechanismen und Transferleistungen“ zuständig sein soll. [13] Eine solche zentrale Regelung für die ganze Welt wird vom Beirat schon deshalb als notwendig betrachtet, weil „das explizite Aushandeln individueller Reduktionsverpflichtungen für eine sehr große Zahl von Ländern den derzeitigen Verhandlungsmodus (…) überfordern dürfte.“ [14] Den einzelnen Staaten soll also nicht zugestanden werden, individuell ihre Interessen zu vertreten. Stattdessen sollen sie einem Sanktionsregime unterworfen werden. [15]

Ahnend, dass man mit Uneinsichtigen konfrontiert würde, sucht der WBGU im Gutachten zur großen Transformation nach einer Machtinstanz, die seine kühnen Empfehlungen in die Tat umsetzen könnte: eine „klimapolitische Führungsallianz (…), die über ausreichende Gestaltungskraft verfügt, um eine problemadäquate Klimaschutzarchitektur durchzusetzen, der sich die übrige Staatenwelt nicht widersetzen könnte (Machtallianz für klimaverträgliche Entwicklung).“ Denn es sei deutlich, dass der dringend benötigte Durchbruch in der internationalen Klimapolitik ohne die starke Führungsbereitschaft einiger Länder nicht gelingen könne. Es sei „couragiertes politisches Handeln gefordert“. Diese Führungsrolle traut Prof. Schellnhuber wahrscheinlich am ehesten sich selbst als dem Einflüsterer der Klimakanzlerin zu. Um dem Volk auf einfache und verständliche Art und Weise zu offenbaren, worum es geht, hat er zunächst eine Comic-Fassung der großen Transformation produzieren lassen, in dem die Botschaften des Helden „John Schellnhuber“ in schönen Sprechblasen noch mal repetiert werden. [16]

Doch es hilft alles nichts: Der Anspruch des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, den Politikern Orientierungshilfe zu bieten, wird nicht nur in einem Einzelfall, sondern komplett und systematisch verfehlt, indem Vorschläge präsentiert werden, die den notwendigen Realitätsbezug vermissen lassen, in ihrer politischen Bewertung absurd und zudem verfassungswidrig sind. Die Bundesregierung wäre schlecht beraten, diesen Empfehlungen zu folgen.

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