01.03.2006

Kioto am Tropf der Ideologen

Kommentar von Rob Lyons

Warum sich die Führer der Weltmächte an ein Protokoll ketten, dessen Ansprüche sie nicht erfüllen.

Zur allgemeinen Überraschung endete die Weltklimakonferenz von Montreal am 10. Dezember 2005 in einer Übereinkunft. Auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bezeichnete das Ergebnis als „historisch“. Doch was genau besagt die Übereinkunft?

Das Einzige, über das man sich nach tagelangen Debatten einig wurde, ist, dass die künftigen Klimagespräche ohne Fristsetzungen, ohne konkrete Ziele und ohne Verpflichtungen auskommen werden. Der wirkliche Grund für die allgemeine Freude ob dieses Abschlusses war, dass die US-Amerikaner die Konferenz nicht vorzeitig verlassen hatten. Der Kiotoprozess ist zwar nicht tot, aber er liegt im Koma.

Einer der vielen seltsamen Aspekte des Kiotoprotokolls ist, dass seine größten Verteidiger auch zugleich seine größten Unterwanderer und Missachter sind. Der Vertrag verlangt, dass zwischen 2008 und 2012 die weltweiten Emissionen von sechs verschiedenen Treibhausgasen um 5,2 Prozent unter dem Emissionslevel von 1990 zu liegen haben. Seine größten Fürsprecher sind kläglich daran gescheitert, sich diesen Werten auch nur anzunähern. Der Treibhausgasausstoß der EU-Staaten soll zwar um acht Prozent gefallen sein, doch tragen dazu in erster Linie die neuen Mitgliedsstaaten bei. Die 15 alten EU-Staaten werden es bis zum Jahre 2012 lediglich zu einer 2,5-prozentigen Reduktion bringen. Kanada, das sich in derselben Zeit auf eine Reduktion der Gasemissionen um sechs Prozent verpflichtet hat, emittiert momentan sogar 24 Prozent mehr Treibhausgase als 1990.

Dass die Führer der mächtigsten Staaten der Welt trotz alledem weiterhin Lippenbekenntnisse für Kioto abgeben, zeigt die enorme moralische Dimension des globalen Umweltschutzes, die seine praktische Dimension bei weitem übersteigt. Das Scheitern an den eigenhändig im Protokoll verankerten Zielen hält zahlreiche Nationen dennoch nicht davon ab, die USA dafür zu kritisieren und zu verurteilen, dem Protokoll nicht beigetreten zu sein. So beschwor der damalige kanadische Ministerpräsident Paul Martin in seiner Eröffnungsrede von Montreal das Ende der Zeiten, in denen eine Nation sich von der Weltgemeinschaft hätte isolieren können. Nirgendwo, auf keiner Insel, in keiner Stadt, in keinem Land, egal, wie reich und wohlhabend man sei, könne man sich vor den Konsequenzen des Nichtstuns verbergen.1

Trotz aller martialischer Rhetorik wird immer ersichtlicher, dass die Kiotoziele nicht erreicht werden, da deren Realisierung einfach zu teuer ist, insbesondere für ohnehin schwächelnde Ökonomien. Doch selbst wenn die Ziele erreicht würden, bliebe dies aus zweierlei Gründen ohne jede Konsequenz: Zum einen ist die vereinbarte Reduktion des Treibhausgasausstoßes viel zu gering, um das Klima in irgendeiner Weise zu beeinflussen – selbst dann, wenn die USA sich daran beteiligen würde. Zum anderen sind wirtschaftlich dynamische Staaten wie China nicht an das Kiotoabkommen gebunden. Innerhalb weniger Monate würden die wie Pilze aus dem Boden schießenden chinesischen Kohlekraftwerke die Reduktionen wieder auffressen.

„Der Klimaschutz dient einer abgewirtschafteten politischen Klasse als ökologische Argumentationskrücke.“

Wozu also die ganze Aufregung über das „Agreement“ von Montreal? Vom Standpunkt der Öko-Lobbys aus betrachtet riecht es nach einer Neuauflage des Kiotoprotokolls mit noch größeren Ausstoßreduktionen; sie sind also weiterhin gut im Geschäft. Und solange Politiker wie Sigmar Gabriel den Klimawandel als „zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts“ bezeichnen und ankündigen, Deutschland werde auch in Zukunft „eine führende Rolle im Klimaschutz“ wahrnehmen, können Öko-Lobbyisten weiter an Einfluss gewinnen.2

Derlei Ankündigungen sind eher von politischer denn von praktischer Bedeutung. Das ökologische Denken lehrt uns, dass wir Menschen diesen Planeten heruntergewirtschaftet hätten. In Zeiten, in denen wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt, wenn überhaupt, nur Schneckentempo erreicht und das Bremsen von Wachstum als verantwortungsvolles Handeln gilt, sind ökologische Argumentationskrücken eine willkommene Hilfe für eine abgewirtschaftete politische Klasse.

Auch in der internationalen Diplomatie sind ökologische Argumentationen ein gern verwandtes Instrument. Insbesondere die EU nutzt dieses Vokabular, um sich – wie in fast jedem anderen Themengebiet – als wohlmeinender Gegenpol zu den USA in Stellung zu bringen und gleichzeitig die eigenen Reihen fest zu schließen. Die eigentlich Ironie dieser Geschichte ist, dass im Vergleich zu den Staaten der EU die USA, was die Reduktion von Treibhausgasen anbelangt, sogar besser da steht, ohne das Kiotoprotokoll jemals unterschrieben zu haben.

Die moralisierende Position mag den politischen Führern Europas und Kanadas kurzfristig weiterhelfen, um sich selbst neu zu definieren und Einigkeit sowie eine Vision vorzugaukeln. Langfristig jedoch ist diese Haltung äußerst destruktiv, denn sie lenkt alle Aufmerksamkeit auf ein Scheinproblem, anstatt sich den wirklichen globalen Herausforderungen zu stellen.

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