12.04.2010

Kindesmissbrauch: Die Produktion einer “Epidemie”

Von Sabine Beppler-Spahl

Die Hotline der katholischen Kirche für Missbrauchsopfer habe alle Erwartungen übertroffen: 13.293 Anrufversuche seien registriert und über 394 Telefongespräche geführt worden, hieß es. Die Zahlen zeigten die Dimension des Problems, so ein Sprecher des Bistums Trier.*

Die katholische Kirche hat in ihrer Geschichte einige Probleme angesammelt, die sie für die heutigen Vorwürfe anfällig macht. Hierzu gehört die ultimative Autorität, die den Priestern in mancher Institution über Kinder eingeräumt wurde. Trotzdem gibt es gute Gründe, die dagegen sprechen, an der Überlastung der Telefon-Hotline die Dimension des Problems auszumachen. Der erste Grund ist natürlich, dass wir nicht wissen, was die Motive und die Beschwerden derer sind, die die Hotline nutzen (wir wissen nicht einmal, um wie viele Personen es sich handelt). Gar nicht zulässig ist, von der Zahl der Anrufe auf tatsächliche Missbrauchsfälle zu schließen, wie hier insinuiert wird.
Aber es gibt noch einen Grund für Skepsis: Experten und Medien neigen gleichermaßen dazu, vergangenes Unglück als Kindesmisshandlung populär zu machen. Eine Folge ist die einseitige und unvollständige Darstellung eines oft vielschichtigen, gesellschaftlichen Problems. Eine andere Folge ist, dass Menschen mit schwerer Kindheit regelrecht dazu ermuntert werden, einzelne Vorfälle als Ursache ihrer Probleme zu interpretieren und sich als Misshandlungsopfer zu fühlen.
Hierzu ein Beispiel: Über Ostern wurde bekannt, dass Bischof Mixa in seiner Zeit als Stadtpfarrer Waisenkinder geschlagen haben soll. Eine Frau berichtet, dass sie Mixa als 14-Jährige mit einer Zigarette auf der Straße begegnet sei. Der habe ihr eine so kräftige Ohrfeige verpasst, dass ihr die Zigarette aus dem Mund gefallen sei. Zwischen den Zeilen dieser Schilderung erhalten wir einen kleinen Einblick in eine schreckliche Kindheit, ohne Eltern und in unbefriedigenden Lebensverhältnissen. Ist es nicht verlogen, solche Probleme auf Ohrfeigen zu reduzieren?
Vor allem aber sollten wir uns fragen, was es den ehemaligen Heimkindern nützt, wenn ihr Schicksal Jahrzehnte später auf solche Art und Weise aufbereitet wird. Ich habe nichts gegen Hotlines. Ich wehre mich aber gegen allzu einfache Interpretationsmuster und glaube nicht, dass medienwirksame Schubladen, wie die des Missbrauchsopfers, dazu beitragen, vergangenes Leid zu überwinden.

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