27.05.2019

Kinder essen Eltern auf

Von Kai Rogusch

Titelbild

Foto: Wikilolo via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Wie das Ergebnis der Europawahl zeigt, befinden sich die etablierten Parteien im Siechtum. Aus der jungen Generation kommt nichts Neues nach.

Das Ergebnis der Europawahlen, bei denen die Rechtspopulisten vielerorts triumphierten und die ehemaligen sozial- und christdemokratischen Volksparteien einen weiteren Einbruch erlebten, war zu erwarten. In Deutschland haben CDU und SPD noch einmal neue Tiefststände erreicht. Beide Parteien dürften ihren Sterbeprozess, in den ihr seit mittlerweile mindestens zweieinhalb Jahrzehnte andauerndes Siechtum gemündet ist, unumkehrbar fortsetzen.

Auch die Europäische Union zeigt unverkennbare Anzeichen der Erosion, wenn nicht gar der Implosion. Die Idee, den so genannten Spitzenkandidaten, der aus der Europawahl siegreich hervorgeht, zum Präsidenten der Europäischen Kommission zu küren, war ein Rohrkrepierer und ist längst beerdigt. Erwartet wird, dass Kanzlerin Merkel den ohnehin kaum bekannten CSU-Mann Manfred Weber opfert. Merkel will ihren Wunschkandidaten Jens Weidmann zum künftigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank befördern. Dazu braucht sie auch das Wohlwollen von Frankreichs Präsident Macron, dessen Partei ebenfalls angeschlagen aus der Europawahl hervorging.

Das Beklemmende an der jetzigen Situation ist, dass keine Alternative zur Sklerose in der Politik erkennbar ist. Auch der Brexit scheint einem langanhaltenden Siechtum verfallen zu sein. Ob die neue Brexit-Party, die in Großbritannien zur stärksten Kraft avanciert ist, der zündende Funke eines demokratischen Frühlings werden könnte, steht in den Sternen.

Wo sind die Herausforderer aus der jüngeren Generation? In Deutschland jedenfalls sind keine zu erkennen. Der angebliche SPD-Rebell Kevin Kühnert hat nicht mehr zu bieten als eine Variante von „Tempo 120 auf Autobahnen für alle". Und der neue Hoffnungsträger der CDU, Philipp Amthor, wirkt schon in der Frühphase seiner Karriere angepasster als die angepasstesten Berufspolitiker.

„Indem wir den Sterbeprozess der Parteien und Institutionen künstlich verlängern, verhindern wir den nötigen Reinigungsprozess für einen Neustart.“

Auf der Bühne der Europäischen Union, aber auch sonst in der Politik fehlt der Sinn für Neues. Warum aber ist uns der der Ehrgeiz eigentlich vollends abhandengekommen? Die Antwort lautet: Weil wir den Sterbeprozess der visionslosen Parteien und Institutionen künstlich ins Endlose verlängern. Indem wir uns an den überkommenen und zunehmend auch undemokratischen Strukturen festklammern, verhindern wir den nötigen Reinigungsprozess für einen Neustart. 


Die neuen „Idole" wie die altkluge Klimaaktivistin Greta Thunberg oder der Youtube-Blogger Rezo sind nur das Produkt eines miserablen Zeitgeistes. Sie verkörpern eine Politik, die nur das Schlimmste – den „Klimakollaps", den Ressourcenschwund, das Artensterben etc. – verhindern will. Und sie treiben die etablierte Politik mit dem Vorwurf vor sich her, dass sie selbst dieses Minimalziel nicht zu erreichen in der Lage sei.

Doch vielleicht ergibt sich eine neue Wendung. Dass nämlich ein Youtube-Video eines narzisstischen Jung-Bloggers bei einer ehemals stolzen, distanzierten Volkspartei wie der CDU anscheinend zu Panikattacken und Zuckungen der Todesahnung führt, zeigt: Kinder essen ihre Eltern. Es bleibt nichts anderes übrig, als ein Gedicht von Dylan Thomas zu zitieren: "Geh nicht gelassen in die gute Nacht, brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert; im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht."

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