02.12.2008

Kickender Konformistenstadl

Von Matthias Heitmann

Seit mehreren Wochen darf die fußballinteressierte deutsche Öffentlichkeit nun schon die lächerliche Debatte darüber mitverfolgen, ob Michael Ballack, Kapitän der Nationalmannschaft, öffentlich Kritik an der Spielweise des eigenen Teams äußern darf oder nicht.

Seit mehreren Wochen darf die fußballinteressierte deutsche Öffentlichkeit nun schon die lächerliche Debatte darüber mitverfolgen, ob Michael Ballack, Kapitän der Nationalmannschaft, öffentlich Kritik an der Spielweise des eigenen Teams äußern darf oder nicht.

„Mündige Fußballprofis werden überall gesucht.“ Mit diesem Satz begann Michael Ashelm in der FASZ vom 30.11.08 seinen Artikel „Klappe halten, Kopf einziehen“ (S. 17), in dem er zu Recht feststellt, Fußballer seien nicht selten „Meister übersteigerter Korrektheit und nichtssagender Gleichförmigkeit“, die aus Selbstschutz gerade dann schweigen, wenn es darauf ankäme, Kritik zu äußern. HSV-Torwart Frank Rost hatte zuvor in einem Interview mit der Welt am Sonntag vorgelegt und festgestellt, dass sich in einem Klima der Restriktionen selten große Persönlichkeiten entwickeln würden: „Echte Typen wird es in Zukunft nicht mehr geben – und das ist offenbar auch so gewollt.“

Tatsächlich herrscht im Profifußball seit Jahren ein immer stärker werdender Konformitätsdruck, da er das Entstehen von Ausnahmepersönlichkeiten systematisch verhindert bzw. schräge Typen ins Abseits rückt. Novo hat diesen Trend bereits im Mai 2002 als die „Bierhoffisierung des Fußballs“ bezeichnet. Dass ausgerechnet dieser – nicht gerade als Querdenker, sondern als glatt gebügelter und stromlinienförmiger Lieblingsschwiegersohn bekannte – Oliver Bierhoff dann später als Manager der Nationalmannschaft 2004 ankündigte, die Persönlichkeit der Fußballprofils „besser fördern“ zu wollen, war nur ein weiteres Indiz für das rasche Fortschreiten dieses Trends. Was folgte, waren Verhaltenskodizes für Schweini, Poldi & Co. und die zunehmende Vereinnahmung des Fußballs für allerlei höhere, soziale und politische Zwecke – hierzulande insbesondere während der Fußball-WM 2006. Ballack hat nun zu spüren bekommen, das Bierhoffs Aussagen zur Persönlichkeitsförderung wohl eher als Aufforderung zur freiwilligen Anpassung gemeint waren.

Doch Bierhoff ist nicht Schuld daran, dass es kantige Charaktere immer schwerer haben – er ist vielmehr selbst ein Produkt dieser Entwicklung. Politische Korrektheit und Konformität haben gesellschaftliche und politische Ursachen. Mündigkeit ist tatsächlich nirgendwo gefragt. In nahezu allen Bereichen des Lebens werden Menschen immer mehr wie Kinder behandelt und einer wohlmeinenden Verhaltensregulierung und Überwachung unterzogen. Das ist als auf dem Fußballplatz nicht anders.

Wenn heute überschwänglicher Jubel, das Entblößen des Oberkörpers oder das Zurschaustellen von Message-T-Shirts als Unsportlichkeiten gelten und mit gelben Karten bestraft werden, da dies nicht der „sozialen Vorbildfunktion“ von Sportlern entspricht, und man zudem Stadionbesuchern vorschreibt, welche Sprüche sie auf ihre Transparente schreiben dürfen und welche nicht, braucht man sich nicht wundern, dass sich Nationalspieler wie Tim Wiese, wie jüngst nach dem Länderspiel gegen England, in Interviews fast in die Hose machen, da man „ja nichts in der Öffentlichkeit sagen“ kann. Wer den Sport moralisch überfrachtet und in immer absurderen Formen reglementiert, erntet zwangsläufig Konformismus.

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