15.02.2023
KI and me
Von Thilo Spahl
Was ChatGPT über mich und Jochen Schimmang alles nicht weiß.
Schon im Jahr 2010 sagte Google-Chef Eric Schmidt „Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen mehr oder weniger, worüber du nachdenkst.“ Seitdem steht die Drohung im Raum, dass uns irgendwelche Computerprogramme bald besser kennen als wir selbst.
Spätestens mit dem Aufkommen von ChatGPT, der KI von Open AI, die alle Texte, die man sich wünscht, ruckzuck und sogar in tadellosem Deutsch runterschreibt, ohne eine Sekunde nachdenken zu müssen, wollte ich mal ausprobieren, was dran ist. Kennt mich die Künstliche Intelligenz aus dem Netz schon besser als ich selbst? Los geht’s:
Schön. Durchaus keine schlechte Bio. Nicht dass ich mich nicht mit dem Gedanken anfreunden könnte, diese Person zu sein, doch hier muss eine Verwechslung vorliegen. Aber mit wem? Auf meine Suchanfrage „deutscher Schauspieler Synchronsprecher Frankfurt Tatort Bulle von Tölz“ spuckt Google als erstes den Wikipedia-Eintrag von Michael Habeck aus. Aber der ist 1944 geboren, hat in München studiert und auch sonst wenig Ähnlichkeit mit dem Gesuchten. Es folgen die Schauspieler Peter Fricke und Dirk Galuba – beide ebenfalls Fehlanzeige. Vielleicht war meine Suchanfrage zu allgemein. Ich schaue einmal in der Synchronkartei nach. Synchronsprecher von John Krasinski sind Till Endemann, Jaron Löwenberg, Manuel Neuer und noch einige mehr. Till? Das klingt doch ein wenig wie Thilo. Wann ist er geboren? 1976. Aha! Und wo? In Hamburg, nicht Frankfurt. Für wen, außer Krasinski, hat er synchron gesprochen? Eine ganze Menge, allerdings weder Fassbender noch Segel. Nein, hier liegt keine Verwechslung vor. Das ist kein realer Anderer. Das sind alles Gespinste einer Künstlichen Intelligenz.
Naja, vielleicht bin ich einfach zu unbekannt. Ich mache einen zweiten Versuch und frage nach Jochen Schimmang – weil ich gerade ein Buch von ihm lese. Der ist schon ein anderes Kaliber als ich. Hat 24 Bücher geschrieben, 12 übersetzt und 11 Literaturpreise bekommen.
Immerhin. Ein ehrlicher Einstieg und ein freundliches Angebot. Mal hören, was sie zu sagen hat, die unbekannte Künstliche. Vielleicht hat sie über Herrn Schimmang ja bessere Informationen als über mich.
Das hört sich gut an. Wahrscheinlich hat sie es aus Wikipedia. Aber Vorsicht, ich schaue lieber mal nach, ob alles stimmt. Nun ja: Nicht 1954, sondern 1948. Nicht Wuppertal, sondern Northeim. Nicht Journalist. Nicht Germanistik, nicht Theaterwissenschaft, dafür Politikwissenschaft. Und immerhin Philosophie (Zufallstreffer). Nicht Köln, aber immerhin Berlin. Am meisten beeindrucken mich die Buchtitel, sogar mit Erscheinungsjahr versehen. Die könnten sich gut verkaufen, weisen aber keine Ähnlichkeit mit einem der 24 Bücher Schimmangs auf. „Journalist und Redakteur“ – ebenfalls Fehlanzeige. Dafür war der letzte Satz gut geraten. (Ich weiß, KIs raten nicht, sie machen irgendetwas anderes. Niemand weiß genau was.)
Nun ja. Ab sofort glaube ich der KI nichts mehr. Aber es macht trotzdem Spaß. Mal sehen, was sie über den Roman zu sagen hat, den ich gerade lese.
Elegant aus der Affäre gezogen. Sie mutmaßt ein wenig über ein Haus: Vermutlich … vermutlich … keine weiteren Informationen … wäre möglich … lieber jemand fragen, der „möglicherweise“ Bescheid weiß, usw. Aber ich lasse nicht locker:
„Oh, ich verstehe.“ Dass ich nicht lache! Es ist natürlich alles erstunken und erlogen (oder was das genau ist, was KIs tun). Nix 2014, nix Paul, nix DDR. Aber trotzdem danke für den Lesetipp. Das Buch ist tatsächlich eine gute Wahl. Ich kann es ebenfalls empfehlen.
Soviel zu Jochen Schimmang. Zurück zu mir. Am nächsten Tag hat ChatGPT schon wieder vergessen, dass sie mich zum Schauspieler gemacht hat. Sie gibt sich jetzt deutlich weniger selbstsicher. Ahnt sie, dass ich ihr nicht traue? Ahnt sie, dass sie vielleicht jemand schon wieder nach diesem Spahl fragt, um sie zu testen? Mein Replikationsversuch führt zu folgender Unterhaltung, die auch noch mal die großen Fähigkeiten der KI im Fach Bullshitten unter Beweis stellt:
Nice try! Aber nicht mit mir. Mein Name ist selten. Es gibt nur einen Thilo Spahl. Okay, ich gebe einen Tipp:
Ach, jetzt gibt es nicht nur mehrere Thilo Spahl, sondern sie haben auch noch alle Bücher über Wissenschaft geschrieben. Das glaubt sie doch selber nicht. (Ich weiß, was KIs tun, ist mit „glauben“ nicht richtig …)
Moment mal. Das Geburtsjahr und den Buchtitel habe ich Dir verraten. Jetzt tu nicht so, als hättest Du das immer schon gewusst!
„Die Ungerechtigkeit der Gerechtigkeit“ – das ist wirklich ein catchy Titel. In Buchtiteln ist sie spitze, das muss man ihr lassen. Und das Schöne daran: Es gibt das Buch noch nicht. Nicht von mir und auch von sonst keinem. Vielleicht kommt die KI ja aus der Zukunft und ich schreibe es demnächst noch. Ich werde mich darin mit der Europäischen Union auseinandersetzen und mal so richtig auf den Putz hauen und ordentlich Aufmerksamkeit ernten.
Gut, gut. Den Trick kenne ich schon. Immer schön erzählen, was man aus den Fragen gelernt hat. Ich hoffe, Du merkst Dir das jetzt alles. Vielleicht fragt irgendwann nochmal jemand anderes nach mir.