20.04.2010

Katastrophaler Umgang

Kommentar von Matthias Heitmann

Verkehrte Welt: Während ein Vulkanausbruch wie ein entschleunigender Glücksfall wahrgenommen wird, nehmen in unserer Vorstellung tödliche Zwischenfälle im Krieg die Form von Naturkatastrophen an.

Glaubt man der allgemeinen Stimmungslage, dann möchte uns der isländische Vulkan Eyjafjallajökull etwas sagen: Wir leben zu schnell, zu rastlos, zu gedankenlos. Es wird Zeit, uns zu entschleunigen. Und seid ihr nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt, spricht Eyjafjallajökull und schleudert Asche auf unsere Häupter, auf dass wir lernen, auf Naturgewalten zu hören und uns ihnen zu unterwerfen. Die Naturkatastrophe, so scheint es, ist keine, zumindest keine sinnlose. Fast bekommt man den Eindruck, als seien viele Menschen dankbar für Gaias Protest, dankbar dafür, einen Grund geliefert zu bekommen, die technisierte Welt zumindest vorübergehend lahmzulegen und einfach mal abzuschalten. Nichts passiert ohne Grund und Sinn. Oder etwa doch?

Sieben tote Soldaten gab es in den letzten Wochen aus Afghanistan zu vermelden. Jede Todesnachricht vom Hindukusch ereilt die deutsche Öffentlichkeit wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie hält inne vor Schreck und Trauer, erfährt jedoch nichts über die Hintergründe der Vorfälle. Sie kennt auch die Aufgaben und Ziele, denen sich die Bundeswehr verpflichtet fühlt, nur als Schimären und unglaubwürdige Floskeln. „Ein feiger Anschlag“ – weiter geht die Analyse der Geschehnisse von Politikerseite nicht. Bekamen wir im Irakkrieg zumindest noch Landkarten mit eingezeichneten Frontverläufen vorgehalten, die das Gefühl vermitteln sollten, Teil einer ehrenwerten und zielgerichteten Mission zu sein, so fehlt dies in der Diskussion über den Afghanistan-Konflikt. Fakt ist: Die Bundeswehr ist vor Ort, ein Verbleiben nicht erwünscht, ein Abziehen verantwortungslos. In dieser Erstarrung warten wir auf den nächsten tödlichen Zwischenfall – wie auf das nächste Erdbeben.

Ein unheilvoller Prozess ist im Gange: Während der Vulkanausbruch wie ein entschleunigender Glücksfall wahrgenommen wird, nehmen plötzlich tödliche Zwischenfälle im Krieg in unserem Denken die Form von Naturkatastrophen an. Wir messen Überschwemmungen, Stürmen, Vulkanausbrüchen und selbst Erdbeben eine dem menschlichen Denken übergeordnete Bedeutung bei und nehmen gleichzeitig gesellschaftliche Entwicklungen mit der niedergeschlagenen Resignation von „Opfern höherer Gewalt“ achselzuckend hin. Aufgeklärt ist das nicht.

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