06.06.2018

Kann künstliche Intelligenz querdenken?

Von Kai Rogusch

Titelbild

Foto: Alex Knight via Unsplash

Dieser Frage widmet sich Matthias Heitmann in seinem neuen Bühnenprogramm „Karla-Ingeborg auf Zeitgeisterjagd“. Die nächste Vorstellung findet heute Abend in Frankfurt/Main statt.

Es existiert: Kabarett ohne moralischen Zeigefinger, ohne den Anspruch, der Rückkehr in eine vermeintlich moderne Altertümlichkeit den Weg zu ebnen, ohne den Zeiten nachzutrauern, in denen die SPD angeblich das war, was sie in Wirklichkeit nie gewesen ist. Gerade in Zeiten politischer Korrektheit, staatlich verabreichter Moralisierung und eines immer autoritärer werdenden Mainstream-Denkens sollte Kabarett – wie es eigentlich seine Ursprungsidee war – für die Freiheit streiten, politisches Lagerdenken verlassen, das Alltagsdenken konfrontieren und den Zeitgeist herausfordern, ganz gleich, welcher politischer Farbe sich dieser zugehörig fühlt.

So gesehen ist Matthias Heitmann vielleicht wirklich ein Kabarettist – auch wenn er sich nach eigenen Worten eher als „gedanklicher Selbstbefreiungstrainer“, als „Brett-vorm-Kopf-Zersäger“ oder als „Vorurteils-Zerleger“ begreift. Seine Berufsbezeichnung lautet „Zeitgeisterjäger“, und was das dann im Klartext bedeutet, bekommen die Besucher eines neuen Bühnenprogramms zu spüren und zu hören. Schon im letzten Jahr zog es den Journalisten und Buchautor im ausverkauften altehrwürdigen Frankfurter Kabarett-Theater „Die Schmiere“ gemeinsam mit dem Radiomoderator Tim Lauth auf die Bühne. „Jetzt tut er es schon wieder“, rief die Schmiere-Geschäftsführerin Effi B. Rolfs in ihrer Vorstellung des neuen Programms aus, „nun aber begleitet von einer künstlichen Intelligenz.“

Was im Anschluss an diese Ankündigung am 13. Mai unter dem Titel „Karla-Ingeborg auf Zeitgeisterjagd“ uraufgeführt wurde, war in mehrerer Hinsicht neu: Während sich in der öffentlichen Diskussion die Horrormeldungen und Schauergeschichten zum Thema „künstliche Intelligenz“ (KI) überbieten, wird das Thema hier nüchtern und zugleich humorvoll auf den zuweilen arg lächerlichen Boden der Tatsachen zurückgeholt. Während viele Spaßmacher in Deutschland immer noch dem Handpuppenspiel und Bauchrednertum frönen, setzt sich Heitmann aktiv, gründlich und hochaktuell mit einer künstlichen Intelligenz namens „Karla-Ingeborg“ auseinander. Das Besondere an dieser KI: Aufgrund eines Sturzes hat sie all ihre Hemmungen in Sachen Neugier verloren und interessiert sich im Gegensatz zu ihren digitalen Schwestern für menschliches Denken.

„Wir laufen Gefahr, unsere menschlichen Selbstzweifel praktisch in die KI einzuprogrammieren."

Auf der Bühne liefert sie sich mit Heitmann abwechslungsreiche, humorvolle und slapstickartige Dialoge über die großen Fragen menschlichen Lebens: Was ist Gott, wer ist Ich, ist Intelligenz weiblich, kann man Freiheit als App herunterladen und viele weitere Fragen werden aufgegriffen und neu beantwortet. Zusätzlich durch Gesangseinlagen, Lesungen, einen Poetry Slam und filmische Einblendungen aufgerüttelt, kommt der Zuschauer angesichts der Vielfalt und Leichtigkeit des Programms ins Staunen. Karla-Ingeborg lernt im Laufe der Veranstaltung immer mehr dazu und wird im positiven Sinne menschlicher und kritischer. Das Thema „künstliche Intelligenz“ eignet sich hervorragend, die heute kursierenden Stereotype, Ängste und Vorurteile, die sich laut „Zeitgeisterjäger FreiHeitmann“ in das Denken der Menschen einschleichen, es trüben und lähmen, ins Rampenlicht zu zerren und genüsslich zu zerlegen.

Denn wie in kaum einer anderen Diskussion offenbart sich, dass der Hang, uns Menschen nur als Problemverursacher, nicht aber als Problemlöser zu sehen, nach wie vor sehr dominant ist. So laufen wir heute Gefahr, unsere menschlichen Selbstzweifel praktisch in die KI einzuprogrammieren. Ein Beispiel hierfür ist der bornierte Denkansatz der umstrittenen und mittlerweile insolventen Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica: Diese Erbsenzähler behaupteten doch tatsächlich, aus ihren Daten Persönlichkeitsprofile für nahezu jeden Erwachsenen berechnen und ihn in seinen politischen Ansichten verorten zu können. Gegenüber derartig herablassenden Vorstellungen dessen, was unser Menschsein eigentlich ausmacht, sollten wir auf der Hut sein.

Heitmann hält dagegen und bietet dem Publikum einen optimistischen Ausblick auf die Entwicklungspotenziale menschengemachter Technik, die Raum für neue Alternativen und Perspektiven eröffnet. „Alles Künstliche ist vom Menschen erschaffen worden, ist also menschlich. Hinter der Kritik an der Technik steht also immer die Kritik am Menschen“, so ist es in der Schmiere zu hören. Doch Heitmann gibt zu bedenken, dass nicht alle Technikfreunde deshalb automatisch Menschenfreunde sind: So sei es doch ein großer Unterschied, ob man selbstfahrende Autos entwickelt, weil man dem Menschen neue Handlungsfreiheit geben will, oder ob man ihn vom Handeln abhalten möchte, weil man ihm nicht zutraut, sicher zu fahren.

„Eine starke Analyse des Phänomens Helene Fischer lässt Parallelen zu Angela Merkels Konsenssoße aufscheinen.“

Schon diese Sichtweisen sind für sich genommen interessant genug. Doch der Abend bietet noch mehr. Das Bühnenprogramm umfasst einen Rundumschlag gegen zahlreiche weitere Erscheinungsformen unseres beengenden, mitunter gar totalitären Klimas in Kultur und Gesellschaft. Eine starke Analyse des Phänomens Helene Fischer lässt Parallelen zu Angela Merkels endloser, beliebiger, besitzergreifender und großkoalitionärer Konsenssoße aufscheinen. Auch die nach wie vor grassierende Opferkultur und Political Correctness werden entlarvt als Symptome niedriger Erwartungen gegenüber dem, was heute technisch und politisch überhaupt „machbar“ sei.

Wer, so „FreiHeitmann“, „nicht an die Lösung von Widersprüchen und Problemen glaubt, für den gibt es auch keinen Grund, sie beim Namen zu nennen“. Anstatt Sprache „zum Verschleiern von Schluchten“ zu missbrauchen, benötigen wir heute mehr Ambitionen in den öffentlichen Debatten, die uns härtere Auseinandersetzungen ermöglichen. Erst dann können wir unsere Sprache zum Brückenbau und gegenseitigen Verständnis nutzen und zu neuen Ufern aufbrechen. Der Brückenbau funktioniert am Ende des kurzweiligen Abends im übertragenen Sinne – in einem experimentellen Gesangsduett von Matthias Heitmann und Karla-Ingeborg. Wenn man das Programm in wenigen Worten zusammenfassen möchte, so könnte man sagen: „Positiv irritierend.“ Oder, wie es ein Besucher noch klarer formulierte: „Scheiße gut!“

Informationen zum neuen Bühnenprogramm „Karla-Ingeborg auf Zeitgeisterjagd“ von und mit Matthias Heitmann, Foto-Impressionen von der Premiere sowie der Link zur Online-Ticketbestellung finden sich hier. Die letzte Veranstaltung vor der Sommerpause findet am Mittwoch, dem 6. Juni 2018, um 20 Uhr in der Frankfurter „Schmiere“ statt.

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