01.07.2005
Junkfood für den Infohunger
Essay von Thilo Spahl
Über die „brisanten Enthüllungen“ von foodwatch.
Manchem wird es aufgefallen sein: Fußgängerzonen sind seit einiger Zeit nicht nur von den Wachturm feilbietenden, erfreulich schweigsamen Gestalten, sondern auch von in uniformartige Jacken gewandeten Wächtern bevölkert, die sich nicht scheuen, arglose Passanten mit erheblichem Nachdruck, aber auch mit gehörig Zuversicht in der Stimme, zur Bejahung der Lüge, unser Essen sei furchtbar schlecht und wir müssten dringend etwas dagegen tun, aufzufordern. Wer sind diese dynamischen und engagierten jungen Menschen? Es handelt sich um ehrenamtliche Lebensmittelwächter, das Fußvolk von Mr. Foodwatch, Thilo Bode.
Die Kernkompetenz der Organisation liegt in medienkompatibler Empörung in Sachen ungesundes Essen. Empörung über die herrschenden Zustände, über „legale Langzeitvergiftung“ und „Wucherungen aus einem vergessenen Winkel der Demokratie“.
„Wer, wie foodwatch, von Spendengeldern lebt, sollte sich stets auf die Lieblingsfeinde der gehobenen Mittelschicht konzentrieren.“
Das wichtigste Ziel scheint der Kampf um „gentechnikfreie“ Hamburger zu sein. Oder doch nicht? Genau genommen gilt hier natürlich: der Weg ist das Ziel. Und der Weg besteht im Kämpfen vor Publikum gegen den prominenten Böse-Böse-Konzern McDonalds. Denn, wer von Spendengeldern lebt, dem sei stets geraten, sich auf die Lieblingsfeinde der gehobenen Mittelschicht zu konzentrieren.
Wenn es nicht um Gentechnik geht, dreht sich bei foodwatch alles um „Gifte“, speziell natürlich um „Gift im Essen“. Hier stellt sich dem Empörungstechniker ein Problem, nämlich das der Fokussierung. Alles, was man so als Gift bezeichnen könnte, verteilt sich ganz gut übers Lebensmittelangebot, vor allem die Unterscheidung zwischen öko/bio und konventionell haut nicht recht hin. Wir erinnern uns, die jüngsten „Skandale“ betrafen Dioxin in Ökoeiern und Nitrofen in Ökopute. Wen soll man da an den Pranger stellen? Knifflige Sache, aber der Ausweg lag auf der Hand. Man schaut einfach, wer ohnehin schon am Pranger steht, da ist die Hälfte der Arbeit schon getan. Und so trifft es eben die Futtermittelindustrie, die sich als Gegner für die Anti-Gentech-Kampagne von Greenpeace schon bestens bewährt hat und letztlich auch den Boden unter den Reifen von Bodes Spendensammelzugmaschine „freie Bürger für gentechnikfreie Burger“ bildet. Denn in den Hamburgern ist ja, wie wir wissen, gar keine Gentechnik drin. Aber dafür im Futter, das die Rinder bekommen, bevor sie zu Hackfleisch gemacht werden!
Nun denn: Gift im Futtermittel! Das macht sich gut. Futtermittel, die bekommt der Verbraucher nie zu sehen, die verbergen sich im Dunkeln, und dort lässt es sich bekanntlich gut pfuschen, panschen und allerlei Ekliges zu Brei und Pellets vermatschen.
Zum Beispiel Dioxin
Wie kommuniziert der erfahrene PR-Profi das Thema Gift? Natürlich ohne Wenn und Aber! Denn will sie ihre Wirkung erzielen, so kann die Rede vom Gift keine Relativierung erlauben. Bei allem Hang zum Giftigen meidet daher die Truppe um Ex-Greenpeace-Chef Thilo Bode eines wie Dracula das Morgenlicht: die Wissenschaft von den Giften, die Toxikologie.
Spätestens seit Paracelsus wissen wir allerdings, dass es nicht die Publizität, sondern die Dosis ist, die das Gift macht. („Alle Ding’ sind Gift und nichts ohn’ Gift – allein die Dosis macht, das ein Ding’ kein Gift ist.“) Und deshalb kann es uns aufgeklärten Verbrauchern ganz egal sein, ob der Name der Substanz, mit der wir es zu tun haben, „Dioxin“ und der Beiname „das Sevesogift“ lautet. Wichtig ist die biologische Wirkung der Substanz, insbesondere auf den Menschen. Wie viel davon dürfen wir zu uns nehmen, ohne dass unsere Gesundheit darunter zu leiden hat?
Wenn man sich als „Campaigner“ für besseres Essen selbständig gemacht hat und es in der Empörungsindustrie zu etwas bringen will, kann es einem natürlich nicht egal sein, von welchen Substanzen man in seinen Botschaften spricht. Es sollten schon die einschlägig bekannten, besser berühmt-berüchtigten, schweren Jungs unter den Chemikalien sein. Gegen brisante Stoffe, wie zum Beispiel 3-Amino-1-methyl-5H-pyrido[4,3-b]indol, lässt sich beim besten Willen keine Kampagne stricken, der Name passt auf kein Plakat und kommt kaum einem Nachrichtensprecher auf Anhieb fehlerfrei über die Lippen, wie der Lebensmittelexperte Udo Pollmer anlässlich des Acrylamid-Alarms (Sie erinnern sich? Pommes, Spekulatius) anmerkte.
Also warnt uns Thilo Bode in seinen Enthüllungen zuvorderst vor der „Lizenz zur Langzeitvergiftung“, über die laut foodwatch die Futtermittelindustrie verfüge und von der sie Gebrauch mache, indem sie insbesondere natürlich das Seveso-Gift in den Lebensmitteln von uns „rechtlosen Futtermittel-Opfern“ anreichere. Über 90 Prozent der menschlichen Dioxinbelastung, so wird uns mitgeteilt, gehe auf tierische Lebensmittel zurück. Die Tiere nehmen Dioxine vor allem mit dem Futter auf. Im Körper reicherten sich Dioxine an und wirkten krebsauslösend sowie erbgutverändernd.
In der Tat nehmen wir das meiste Dioxin durch Fleisch, Fisch, Milch und Eier zu uns, und da Dioxin sehr langsam abgebaut wird (die Halbwertszeit im menschlichen Körper beträgt je nach Belastung zwischen einem und zehn Jahren), reichert es sich im Laufe des Lebens an. Die Frage ist jedoch, von welchen Mengen hier die Rede ist, mit welchen gesundheitlichen Folgen zu rechnen ist und wie gefährlich die ganze Angelegenheit im Vergleich zu anderen, nicht gesundheitsförderlichen Aspekten des Lebens ist, etwa einem Kneipenbesuch, einer Tasse Kaffee, fünf Minuten weniger Bewegung pro Woche usw. (man kann die Liste des unter Umständen nicht so ganz Gesunden bekanntlich beliebig lang machen).
Die durchschnittliche tägliche Aufnahme dessen, was meist kurz als „Dioxin“ bezeichnet wird (nämlich bestimmte Dioxine, Furane und dioxinähnlichen PCBs), beträgt in Deutschland laut Bundesumweltamt rund zwei Pikogramm (0,000000000002 Gramm) pro Kilogramm Körpergewicht. Das liegt im Bereich dessen, was die Weltgesundheitsorganisation als duldbare tägliche Aufnahme festgelegt hat. Der ADI-Wert (acceptable daily input) liegt laut WHO bei 1-4 pg/kg, wobei die WHO aus Vorsorgegründen einen Richtwert von 1 pg/kg empfiehlt. Wir liegen also immerhin 100 Prozent über dem empfohlenen Wert. Grund zur Besorgnis? Nein. Schließlich darf man die Sicherheitsmargen nicht vergessen. Grenzwerte liegen in der Regel 100 bis 100.000-mal tiefer als der Wert, bei dem nach den jeweils vorliegenden Erkenntnissen aus Tierversuchen eine Gesundheitsgefährdung beginnt.
Der amerikanische Toxikologe Bruce Ames hat die Wirkungen von TCDD, dem giftigsten Vertreter aus der Gruppe der Dioxine, mit anderen Stoffen wie zum Beispiel Alkohol verglichen. Die in Tierversuchen erhobenen Daten zeigten dabei, dass das krebsauslösende Potenzial von TCDD in Höhe des vom amerikanischen Umweltministerium festgelegten Grenzwerts dem von einem Bier alle 345 Jahre entspricht. Das Risiko, Geburtsschäden auszulösen, entsprach dem von einem Bier alle 8000 Jahre. (1) Auch die Experten des Instituts für Umwelttoxikologie der Martin-Luther-Universität in Halle gaben in ihrer Stellungnahme zur Dioxin-Belastung von Verbrauchern im Februar 2005 an, dass eine krebsauslösende Wirkung erst ab dem 10.000-fachen des von der WHO empfohlenen Wertes zu befürchten sei. (2) Ames weist zudem darauf hin, dass viele Lebensmittel dioxinähnliche Stoffe in erheblichen Mengen enthalten und beispielsweise eine Portion Broccoli die gleiche Wirkung haben könnte wie eine Menge Dioxin, die 1500 mal über dem Grenzwert läge. Untersuchungen haben ergeben, dass die Konzentration von diesen, vor allem in Obst und Gemüse enthaltenen, natürlichen „Endodioxinen“ im Blut von Menschen 100- bis 10.000-mal so hoch ist wie die aus anthropogener Dioxinbelastung. (3)
Mit hohen akuten Belastungen beim Menschen hat man insgesamt wenig Erfahrung. Sie kommen nur bei Unfällen oder Attentaten vor. Neben Chlorakne (beobachtet ab einer einmaligen Dioxindosis von 1.000.000 pg/kg Körpergewicht) sind auch diffuse Nervenschäden, Störungen des Fettstoffwechsels und Leberschäden beobachtet worden. Ferner kam es bei Männern, die in Seveso mit dem besonders toxischen Dioxin TCDD belastet waren, zu einer Zunahme der Zahl durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachter Todesfälle. (4) Insgesamt sind die Vergiftungsfälle durch Unfälle allerdings schwer zu bewerten, da es dabei immer gleichzeitig zur Aufnahme einer großen Chemikalienvielfalt auch außerhalb der Dioxine gekommen ist.
Tatsächlich „Gift im Essen“, nämlich reines TCDD, hatte im September letzten Jahres der heutige ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko. Bei ihm wurden nach dem versuchten Giftmord Blutwerte festgestellt, die beim Zehnfachen dessen lagen, was bei erwachsenen Seveso-Opfern gemessen worden war. Auch er entwickelte daraufhin eine Chlorakne. (5)
„60 Gramm Salz können einen Menschen töten. Ist es deswegen ein Gift?“
Insgesamt kann man sagen, dass Dioxin nur in sehr hohen Dosen (etwa ab dem 500.000-fachen der normalen Tagesdosis) zu akuten Schäden führt. Bei vielen anderen uns vertrauten Stoffen ist dies viel früher der Fall. So können beispielsweise 60 Gramm Salz (das Sechsfache der üblichen Tagesdosis) einen Menschen töten. Auch wird Salz bereits in deutlich geringern Dosen für die Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich gemacht. Dennoch erscheint vielen Dioxin als entschieden größere Bedrohung als Salz.
Nennenswerte Überschreitungen der Grenzwerte in der Nahrung finden wir nur bei gestillten Babys. Denn das mit Abstand am stärksten belastete Nahrungsmittel ist Muttermilch. So nehmen Babys im Vergleich zu Erwachsenen rund das 20- bis 50-fache an Dioxin auf. Noch im Alter von elf Jahren hatten bei Untersuchungen in Baden-Württemberg gestillte Kinder etwa 20 Prozent mehr Dioxin im Blut als nicht gestillte Kinder. Dennoch besteht auch unter Experten große Einigkeit darüber, dass Muttermilch für Säuglinge das Beste ist. Die Überschreitung des Dioxinwerts um mehrere Tausend Prozent wird im Vergleich zum Verzicht auf die positiven Wirkungen der Muttermilch in rationaler Abwägung als das geringere Risiko betrachtet. (6)
Nun könnte man foodwatch zugute halten, dass die Vergiftungsbehauptung zwar etwas übertrieben sei, aber doch auf ein wenig bekanntes und wachsendes Problem verwiesen werde, so dass der Anstoß zum Handeln gerne aufgenommen werden sollte. Doch auch das ist nicht der Fall. Die Verringerung der Dioxinbelastung ist seit langem Programm und zeigt deutliche Wirkung. Technische Entwicklungen und schärfere Auflagen haben dafür gesorgt, dass laut Umweltbundesamt der gesamte Ausstoß von Dioxin in Deutschland von 1,2 Kilogramm (in 1990) um über 94 Prozent auf unter 70 Gramm pro Jahr (in 2000) gesunken ist. Die Emissionen aus der Müllverbrennung, die 1990 noch ein Drittel zur Gesamtbelastung beitrugen, sind um 99,9 Prozent reduziert worden. Entsprechend ist auch die Aufnahme und Speicherung der Substanz in unseren Körpern zurückgegangen. Laut Bundesumweltministerium hat die Belastung der Bevölkerung mit Dioxin in den letzen Jahren um ca. 60 Prozent abgenommen. Der Gehalt an Dioxinen in der Muttermilch ist seit Anfang der 90er-Jahre auf unter 50 Prozent der Werte der 80er-Jahre gesunken. (7) Festgeschrieben in der EG-Richtlinie 2003/57/EC und EG-Verordnung EC/2375/2001 gelten für Lebensmittel seit 2002 europaweit niedrige Grenzwerte. Bei Kontaminationen von Futtermitteln durch Fahrlässigkeit, Fehler oder Unfälle (wie 1997 in den USA, 1998 in Brasilien, 1999 in Belgien und Deutschland und 2000 in Spanien) wird schnell reagiert, und die betroffenen Produkte werden aus dem Verkehr gezogen. Thilo Bode kann also wahrlich nicht behaupten, dass er gegen verschlossene Türen rennt. Sie sind seit Jahren weit geöffnet.
Auch ist zu fragen, weshalb ausgerechnet Futtermittel für die Dioxinaufnahme verantwortlich gemacht werden. Die höchsten Konzentrationen finden sich in Tieren, die nicht gefüttert werden, nämlich in Fischen. Insbesondere fettreiche Fische wie Heringe und Lachse in der östlichen Ostsee sind zum Teil hoch belastet und werden daher nur für den einheimischen Markt in Finnland und Schweden verwendet, da sie nicht in andere EU-Länder exportiert werden dürfen. Und die jüngsten Grenzwertüberschreitungen betrafen Eier aus der Freilandhaltung, die zu ihrem Dioxin ebenfalls nicht durch Futter, sondern durch Picken der Hühner in der Erde gelangt sind. Dass diese Dioxin enthält, braucht uns nicht zu wundern, denn Dioxin, das bei Verbrennungsprozessen entsteht, verteilt sich gleichmäßig über das Land. Über Bodenpartikel, die an Gras und anderen Pflanzen anhaften, gelangt es in die Nahrungskette. Daher sind natürlich auch „glückliche“ Kühe betroffen, die auf der Weide grasen und keine industriell erzeugten Futtermittel bekommen. In der Tat wurden für Gras und Heu durchschnittlich höhere Dioxinwerte ermittelt als für industriell erzeugte Futtermittel. (8) Zudem fällt auf, dass, obwohl Schweine fast ausschließlich mit industriell erzeugten Futtermitteln gefüttert werden und trotz des hohen Verbrauchs an Schweinefleisch in Deutschland, dieses mit fünf Prozent sogar noch weniger zur Belastung beiträgt als Obst und Gemüse (sechs Prozent). Auf die überhöhten Dioxinwerte in Öko-Eiern angesprochen, befand Thilo Bode: „Die Sache wird total hochgespielt.“ Da hat der Mann absolut Recht. Und man muss seine Einschätzung ernst nehmen, denn wenn einer was vom Hochspielen versteht, dann Herr Bode.
BSE und Nitrofen
Da Dioxin allein für einen brisanten Futtermittelreport nicht reichen kann, werden noch zwei weitere prominente Risiken ins Feld geführt, die allerdings ebenfalls nicht einmal für den Ansatz eines Schreckensszenarios taugen. 17 Jahre, nachdem in Großbritannien die Verfütterung von Tiermehl verboten worden ist, rechnet niemand außer foodwatch noch mit einem Aufflammen von BSE. Die nüchterne Bilanz: in Großbritannien sind in den letzten zehn Jahren insgesamt 149 Menschen wahrscheinlich in Folge der Übertragung des BSE Erregers auf den Menschen erkrankt und gestorben (Stand April 2005). Die jährliche Rate geht seit dem Jahr 2000 zurück, in 2004 wurden noch neun Fälle registriert. Die neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit rangiert damit in der Todesursachestatistik noch weit hinter Insektenstichen oder herabfallenden Kokosnüssen. In Deutschland kam es zu keiner einzigen Erkrankung. Die Zahl der erkrankten Rinder ist in Großbritannien von rund 37.000 im Jahr 1992 auf zehn in den ersten vier Monaten von 2005 gefallen.
Auch die Schadensbilanz durch das Pflanzenschutzmittel Nitrofen, das im Jahr 2002 über bei der Lagerung kontaminiertes Getreide an Bio-Geflügel verfüttert worden war, hielt sich in Grenzen. Dachten wir jedenfalls. Doch nun lesen wir bei foodwatch:
„Zwei Wochen nach Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zum Nitrofen-Skandal enthüllt foodwatch neue Fakten. Sie stammen aus einem unter Verschluss gehaltenen Gutachten, das die Universität Rostock im Auftrag der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg erstellt hat… Das Gutachten der Universität Rostock kommt zu dem Schluss, ‚dass Nitrofen auch wegen seiner krebserregenden und potenziell erbgutschädigenden Wirkungen auch in geringen Dosen ein nicht akzeptables Risiko bei Aufnahme mit Lebensmitteln darstellt’.”
Schaut man sich das Gutachten an, sieht man, dass hier niemand zu irgendwelchen neuen Erkenntnissen kommt, sondern die gleichen, lange bekannten Forschungsergebnisse referiert werden, die auch in allen anderen Stellungnahmen zum Nitrofen-Skandal dargestellt sind. Der Gutachter, Prof. Hennighausen, schreibt:
„Wenn, wie bei Nitrofen, aus den fruchtschädigenden Dosen bei Ratten eine Dosis ohne Wirkung (No Observed Effect Level, NOEL) von 0,17 mg Nitrofen/kg KG/Tag ermittelt wurde, so ergibt eine Division mit einem Sicherheitsfaktor von 100 = 0,0017 mg Nitrofen/kg/Tag.“
Da in den am höchsten kontaminierten Proben eine Rückstandsmenge von 0,8 mg/kg ermittelt worden war, wäre die akzeptable Aufnahme bei einem täglichen Verzehr von etwa 125g Putenfleisch ausgeschöpft. Sollte eine schwangere Frau über längere Zeit täglich mehr zu sich genommen haben, hat sie diesen Wert überschritten. Aber erst bei 12,5 kg hoch belastetem Putenfleisch täglich hätte sie jenen Wert erreicht, bei dem Ratten noch keinen Schaden genommen haben. Das Bundesamt für Risikobewertung weist zudem darauf hin, „dass aus der Zeit, als Nitrofen noch als Pflanzenschutzmittel zugelassen war, keine Häufungen von Fruchtschädigungen, wie sie durch Nitrofen hervorgerufen werden können, beschrieben sind, obwohl gerade in der Landwirtschaft tätige Frauen bis 1980 verstärkt mit Nitrofen in Kontakt gekommen sein dürften.“
Der Nitrofen-Skandal bleibt also auch nach den Enthüllungen von foodwatch, was er war: eine grob fahrlässige Verunreinigung von Tierfutter, die zu erhöhten Werten unerwünschter Substanzen in Lebensmitteln geführt hat, aber nicht das, was sich jemand, der nicht Fördermitglied bei foodwatch ist, unter einem „massiven Angriff auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Verbraucherinnen und Verbraucher“ vorstellen würde.
Wie konnte man sich zu so einer Formulierung hinreißen lassen? Haben die Jungs von der Futtermittelfront das foodwatch-Büro mit Runkelrüben bombardiert? Nein, nein. Die Vorliebe für schnittige Formulierungen ist Einstellungsvoraussetzung. Und treibt noch andere Blüten: Belustigt stellen wir fest, dass die Werbetexter, die bei foodwatch den flotten Webauftritt gestalten, offenbar Selbstkritik andeuten, indem sie den Inhalt der Seiten als „Fastfood für den Infohunger“ bezeichnen. Aber ganz treffend ist diese Bezeichnung dann doch nicht. Korrekt müsste es heißen: „Junkfood für den Infohunger.“