13.06.2013
Jahrtausendfluten: Verblasste Erinnerung
Von Heinz Horeis
Vor zehn Jahren veröffentlichte der Wissenschaftsjournalist Heinz Horeis einen Artikel zur Diskussion über die angebliche „Jahrtausendflut“ von 2002. Heute hat der Artikel nicht an Aktualität verloren. Wir erleben gerade die gleiche geschichtsvergessene Debatte wie damals.
Als 1999 die Oder in Deutschland und Polen über die Ufer trat, redeten manche von einer „Jahrtausendflut“. Es blieben Einzelstimmen. Anders jedoch bei der Flutkatastrophe im August 2002 im Erzgebirge und an Elbe und Donau: Da war der Superlativ in aller Munde. Bundesumweltminister Jürgen Trittin sprach vor dem Bundestag Ende August vom „Jahrtausendhochwasser von Dresden“ – und wusste auch gleich, dass „es zwischen der globalen Erwärmung und dem Auftreten solcher Wetterphänomene einen Zusammenhang gibt“.
Ein Blick in die Geschichte hilft, die Flut von 2002 einzuordnen. In Frankfurt am Main zum Beispiel erinnern mehrere Hochwassermarkierungen am Eisernen Steg – einer Fußgängerbrücke über den Fluss – den Bürger an die Fluten der Vergangenheit. Das Main-Hochwasser von 1970 reichte einem Menschen gerade bis zu den Hüften. Die Fluten der Jahre 1920, 1896 und 1576 wären bereits über seinen Kopf geschwappt. 1882 und 1784 hätte ein Kind auf den Schultern selbst eines großen Mannes Wasser schlucken müssen. Wirklich dramatisch war es 1342: Da stand in Frankfurt das Wasser fast acht Meter höher als normal – der Jahrtausendrekord.
In Passau erreichte die so genannte Jahrtausendflut dieses Sommers einen Pegelstand von 10,80 Metern – etwa so hoch waren auch die Überschwemmungen von 1787, 1862 und 1899. Verheerender war die von 1954: 12,20 Meter. Doch noch höher stand das Wasser in Passaus Straßen in den Jahren 1595 und 1501. Die Flut von 1501 kam, wie das Hochwasser von 2002, im August und wütete ebenfalls im Erzgebirge und in der Elb-Region. Für derartige Sommerfluten ist häufig dieselbe Wetterlage verantwortlich: Ein Atlantiktief über dem Mittelmeer lädt sich mit Wasserdampf auf und driftet nach Norden, wo es die Wassermassen über Mitteleuropa ausklinkt.
Dieser Wetterprozess bewirkte nach Meinung des verstorbenen Meteorologen Rainer Roth von der Universität Hannover auch die „Sintflut“ von 1342. Sie wurde „Magdalenen-Hochwasser“ genannt, da die Katastrophe am Sankt-Magdalenen-Tag auftrat, dem 21. Juli. Das Zentrum der Niederschläge lag damals im Einzugsgebiet des Mains, also weiter westlich als beim Elbe-Hochwasser 2002. Würzburg, Frankfurt und Köln verzeichneten Rekordmarken, die seitdem nicht wieder erreicht wurden. In Würzburg riss das Wasser alle Brücken fort, und die Kölner konnten mit Booten über die Stadtmauer fahren. Für den Experten Jörg Negendank vom Geoforschungszentrum Potsdam war dies das „Superereignis“ unter allen Hochwasser-Katastrophen. Es gab viele Tote und immense wirtschaftliche Schäden, von denen sich das Land nur langsam erholte.
Die Klimahistoriker sind sich einig: Wenn man überhaupt von einer Jahrtausendflut sprechen will, dann war es die von 1342. Dieser Meinung ist auch der Hydrologe und Buchautor Martin Schmidt. In seiner Analyse der historischen Hochwässer im deutschen Rheingebiet kommt er zu dem überraschenden Schluss: „Die verfügbaren Informationen und Daten lassen das 20. Jahrhundert als eines erscheinen, das nicht einmal ein Jahrhunderthochwasser gehabt hat.“
Baden wir mit den jüngsten Fluten also wirklich die „Folgen von 100 Jahren Industrialisierung aus“, wie Minister Trittin meinte? Im Rheinischen Merkur vom 5. November 2002 widersprach Jörg Negendank der Auffassung, der sekundäre Treibhauseffekt sei unmittelbar für diese Ereignisse verantwortlich. Eine solche Aussage lasse sich den globalen Klimamodellen nicht entnehmen. Seine Bilanz: „Das wird sich immer wieder ereignen. Man muss sogar irgendwann mit einem Hochwasser des Ausmaßes von 1342 rechnen.“