28.11.2014

Ja zu Ecopop, Nein zur Menschheit

Kommentar von Andrea Seaman

Übermorgen findet in der Schweiz eine Volksabstimmung statt: Die Regelungen zur Einwanderungsbegrenzung sollen ausgebaut werden, und zwar im Namen der Armutsbekämpfung und des Umweltschutzes. Andrea Seaman erläutert die Ecopop-Initiative und die Schweizer Debatte dazu

Am kommenden Sonntag, dem 30. November 2014, stimmt die Schweiz in einer Volksabstimmung über „Ecopop“ ab, dabei handelt es sich um die Initiative einer gleichnamigen Schweizer Umweltorganisation, deren Thema die Belastung der natürlichen Lebensgrundlagen durch die wachsende Bevölkerung ist. Gegenstand der Abstimmung ist unter anderem eine Begrenzung der jährlichen Einwanderung auf maximal 0,2 Prozent der aktuellen Bevölkerung. Heute würde das 16.000 Immigranten im Jahr bedeuten – als Vergleichswert: 2012 haben 144.000 Immigranten Schweizer Grenzen passiert. [1] Ecopop sieht ebenfalls vor, dass zehn Prozent der Entwicklungshilfe ausschließlich in die Unterstützung selbstbestimmter Familienplanung in Afrika fließen.

Die Anhänger von Ecopop verkünden, die Schweiz werde von zu hoher Bevölkerungsdichte geplagt. Unsere natürlichen Lebensgrundlagen werden zerstört, weil es zu viele Menschen gibt, so die These. Deswegen soll in der Schweiz nur eine begrenzte Anzahl an Menschen leben und selbstbestimmte Familienplanung in Afrika von Schweizer Steuerzahlern finanziert werden. In einem Video auf der Ecopop-Homepage erklärt Benno Büeler, Armut entstehe weltweit, weil es einfach zu viele Menschen gebe. [2] Das aktuelle Bevölkerungswachstum hebt laut den Umweltaktivisten jegliches Wirtschaftswachstum in Ländern der Dritten Welt so wie in Industrienationen wieder auf.

„Wenn es weniger Menschen in Afrika gibt, wird davon noch lange keiner reich.“

Daraus schließen sie, dass Armut nur durch die weltweite Bevölkerungsbegrenzung abgeschafft werden kann. Hier werden Ursache und Resultat durcheinander gebracht. Genauso wie Wirtschaftswachstum sinkende Bevölkerungszahlen zur Folge hat, werden bei größerer Armut mehr Kinder geboren. Wenn es weniger Menschen in Afrika gibt, wird davon noch lange keiner reich. Viele Ecopop-Gegner werfen der Bewegung Rassismus vor, was diese vehement dementiert. Der einzige Weg, um die Umwelt zu schützen, sei die Zahl der Menschen auf der Erde zu verringern, Rassismus habe damit nichts zu tun. Und bis zu einem gewissen Punkt glaube ich ihnen. Nicht vor Afrikanern oder Asiaten, sondern vor der gesamten Menschheit haben sie Angst.

Thomas Minder, der als Parteiloser ins Schweizer Parlament gewählt wurde, um gegen Parteien und gegen Politik zu stimmen, fragt auf der Ecopop-Seite unter der Überschrift „Ja zur Natur“: „Jedes Jahr 40.000 neue Wohnungen, 50.000 zusätzliche Autos, 410 Quadratmeter neue Siedlungsfläche für jede zugewanderte Person?“ [3] Offensichtlich ist das für ihn Grund zur Sorge. Umso überraschender, dass er nachfolgenden Generationen wirtschaftliches Wachstum ermöglichen will. Das geht laut Minder jedoch nur, wenn wir heute mit dem Zubetonieren der Natur aufhören, wie er es nennt.

„Ist es etwa nicht egoistisch, wenn die heutige Generation jegliches Wachstum vorwegnimmt?“, fragt er in der Hoffnung, durch Rationierung begrenzter Ressourcen länger über die Runden zu kommen. Wenn natürliche Ressourcen, wie Minder meint, aber wirklich nur begrenzt verfügbar sind, dann werden diese auch bei reduziertem Verbrauch erschöpft, bloß geben wir die Schuld daran weiter an die nächste Generation. Generationengerechtigkeit geht anders.

Ein weiterer Befürworter von Ecopop, Philippe Roch, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) und derzeit Direktor des Schweizer WWF, beklagt, trotz etlicher gegenläufiger Maßnahmen „verkrallt sich das Parlament weiterhin blind in einem grenzenlosen Wachstumswahn bei Wirtschaft, Zubetonierung und Bevölkerung.“ [4] Nichts ist realitätsferner. Die Schweizer Regierung hat das grüne Dogma der Begrenzungen übernommen. Gleich in allen europäischen Regierungen werden Annahmen wie die von Roch benutzt, um Wirtschaftswachstum zu regulieren. Es gibt keine offenen Grenzen und strenge Regeln gegen den Häuserbau, obwohl wir dringend mehr davon benötigen. Er beklagt die Blindheit der Regierung und übersieht dabei seine eigene. Außerdem wirkt es lächerlich, einer Wirtschaft, die jährlich ein paar Prozentpunkte wächst [5], vorzuwerfen, sie würde sich „blind in einem grenzenlosen Wachstumswahn“ „verkrallen“. Scheinbar ist selbst grenzenloses Wachstum, der Erzfeind der Grünen, nur noch ein Schatten seiner selbst.

„Die Idee, der Mensch sei ein Schädling, bleibt unangefochten.“

Es mag Paradox anmuten: Obwohl nach grünen Zielen regiert wird, sind die Gegner von Ecopop über das gesamte politische Spektrum verteilt. Selbst die Grünen distanzieren sich von der Initiative, sie ist schlichtweg zu radikal für die bestehenden Parteien. Die großen etablierten Parteien warnen Wähler vor den Folgen von Ecopop. So betonen sie – korrekter Weise –, dass die bilateralen Abkommen bezüglich Handel, Einwanderung, Bildung und Kultur zwischen der Schweiz und Europa unmöglich aufrechterhalten werden könnten. Auch stimmt es, dass die Wirtschaft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist, die die Arbeit übernehmen, zu der sich Schweizer angeblich nicht herablassen. Andere argumentieren, Ecopop mache ökologisch keinen Sinn. Ob jemand in der Schweiz oder in Frankreich Co2 ausstößt, dem Klimawandel ist das schließlich egal. Die Schweiz erreicht durch solche Regelungen bloß die eigene Isolation.

Urs Leugger-Eggiman, Mitglied von Pro Natura, einer weitere Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Umwelt vor dem Menschen zu schützen, hält die Frage der Wirtschaftsfixierung, die Ecopop aufwirft, für wichtig und richtig. Doch sei ihre Antwort, die Folgen wirtschaftlichen Wachstums mit Einwanderungspolitik zu bekämpfen, falsch. Leugger-Eggiman muss den Menschenhass noch lernen. Nach der Logik der Misanthropie wird Wachstum vom größten aller Übel, nämlich dem Menschen verursacht. All das wirft eine Frage auf: Wo bleiben bei der ganzen Aufregung in der Diskussion um Ecopop die, die deren Prinzipien als falsch und menschenfeindlich aufzeigen?

Richtig geraten. Die Idee, der Mensch sei ein Schädling, jeder neue Mensch eine Sünde in den Augen der Natur – und Wachstum und Entwicklung gehörten reguliert, bleibt unangefochten. Deshalb dreht sich die Debatte um die Auswirkungen von Ecopop auf die Wirtschaft und die bilateralen Beziehungen zu Europa. Das Tragische an dieser Abstimmung ist, dass unsere Politiker ihr Vertrauen in die Menschheit endgültig verloren haben und sich jetzt auf eine kleine Dosis Fortschritt als Belohnung für ein Nein zu Ecopop freuen. Alle Parteien stimmen der Theorie zu, sie alle unterstützen nachhaltige Entwicklung und begrenzte Einwanderung, alle wollen umweltfreundlich und grün sein. Nur an der Umsetzung scheiden sich die Geister. So wie sie Ecopop verurteilen, heißen sie die Philosophie der Initiative willkommen. Eine radikale Umweltpolitik wird durch eine andere, moderatere ersetzt. Wie Thomas Paine wohl sagen würde: Ein zufälliger Aufschub der Ausübung der Misanthropie ist keine Aufhebung ihrer Grundsätze.

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