12.02.2010

„I declare open the Games of Vancouver…“

Von Stefan Chatrath

Heute werden die Olympischen Winterspiele in Vancouver eröffnet, das größte Sportereignis dieses Jahres.

Wissen Sie eigentlich, welches die olympischen Kernsportarten sind? „Ja klar“, werden Sie sagen… „Leichtathletik, Schwimmen,…“ Stopp! Ich meinte doch die der Winterspiele! Sie wissen es nicht? Ich verrate es Ihnen – nicht, dass Sie ausgerechnet bei der Frage bei Günter Jauch auf dem Stuhl scheitern. Es sind Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Eishockey, Nordischer Skisport und Bobfahren. Sie allesamt sind seit 1924 mit dabei, als in Chamonix-Mont Blanc die ersten Olympischen Winterspiele ausgetragen wurden. Ski Alpin z.B. ist erst seit 1936 olympisch, Biathlon gar erst seit 1960. Curling hingegen, von vielen belächelt, war schon 1924 Demonstrationswettbewerb – und hat damit genau genommen olympisch eine größere Tradition als die beiden anderen zuletzt genannten Sportarten.
Wenn Sie mehr über die Geschichte der Olympischen Spiele erfahren wollen, dann sei Ihnen der „Olympia Almanach“ von Rupert Kaiser empfohlen. In ihm ist ein Kapitel jeden Spielen seit 1924 gewidmet. Nach einer kurzen Einleitung werden die Stars der Spiele vorgestellt, darunter auch viele Deutsche, Claudia Pechstein, Jens Weißflog oder z.B. Christl Cranz. Cranz war 1936 erste Olympiasiegerin im Ski Alpin überhaupt. Zwischen 1934 und 1939 gewann sie zwölf Mal die Weltmeisterschaft. Bis heute ist sie damit die erfolgreichste Skirennfahrerin aller Zeiten – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wer hätte das gedacht? Eine Deutsche!
Über die einzelnen Wettbewerbe wird ausführlich berichtet. So kann, wer will, sich noch einmal erinnern, so z.B. an den Eiskunstlauf der Damen der Olympischen Winterspiele 1988 in Calgary. Katarina Witts Kür gehört noch heute zu den Sternstunden der Olympischen Winterspiele: Als „Carmen on Ice“ gewann sie nach 1984 erneut die Goldmedaille.
Einzig zu bemängeln ist, dass der Almanach vergisst, die größeren Zusammenhänge (selbst) zu zeichnen. So muss der Leser sie sich selbst erschließen: Nicht zufällig ist z.B., dass es der alpine Skisport schwer hatte, Fuß zu fassen in der olympischen Familie. Schon sehr früh öffnete er sich für kommerzielle Zwecke – zum Vorteil für die Sporttreibenden. Diese Öffnung widersprach aber – aus Sicht der Verantwortlichen – dem olympischen Gedanken: Sporttreiben um seiner selbst willen. Den Skirennläufern wurden daher immer wieder Steine in den Weg gelegt. Skilehrer durften anfangs nicht an den Olympischen Winterspielen teilnehmen, weil sie als Profis galten. Später wurde den Skirennläufern verboten, sich im Zielraum mit ihren Skiern vor Fernsehkameras und Fotografen zu zeigen. Sie sollten daran gehindert werden, bei den Olympischen Winterspielen für ihre Ausrüster Werbung zu machen. 1968 diskutierte das Internationale Olympische Komitee (IOC) darüber, ob die Sportart weiterhin olympisch sein dürfe. Anlass war die Einführung des Ski-Weltcups 1967, der vielen im IOC als endgültige Abkehr vom (gewünschten) Amateurismus galt. 1972 schloss das IOC den österreichischen Abfahrer Karl Schranz, großer Favorit auf den Olympiasieg, wegen (angeblich) unerlaubter Werbeverträge aus. Obwohl schon vor Ort in Sapporo, musste er die Heimreise antreten.
Erst 1988 änderte sich alles. Die Olympischen Winterspiele in Calgary stellten einen Wendepunkt dar: Zum ersten Mal waren Profis zugelassen –  im alpinen Skisport und im Eishockey. Die Wettbewerbe werden größtenteils durch Sponsoren finanziert. So wie schon 1984 in Los Angelos – sicherlich kein Zufall, dass für dieses Experiment in beiden Fällen, Sommer wie Winter, durch das IOC eine nordamerikanische Stadt ausgewählt wurde. Wenn es hier, im kommerzfreundlichen Nordamerika, nicht klappt, wo dann? Calgary war finanziell und vom Zuschauerzuspruch ein großer Erfolg. Es wurde ein Modell für die Zukunft: 2010 nimmt Vancouver 611 Mio. US-Dollar allein aus dem Sponsoring ein.
Solche und andere Wendepunkte in der Geschichte der Olympischen Winterspiele lassen sich mithilfe des Almanachs identifizieren – so z.B. auch, dass nach dem Ende des Kalten Krieges der Ökologismus die herrschende Ideologie wurde. Seit Albertville 1992 sind „grüne“ Spiele ein Muss. Angebracht wäre es gewesen, sich auch diesen Themen – spieleübergreifend – zu widmen. In drei, vier Kapiteln.
Aber auch so ist der Almanach lesenswert. Man lernt viel Neues über ein Sportereignis, das bisher nicht so stark im Fokus der Öffentlichkeit stand wie z.B. eine Fußball-WM oder die Tour de France. Bei Günter Jauch jedenfalls würden Sie nach der Lektüre nicht mehr durchfallen – übrigens auch nicht bei „Trivial Pursuit“ in der Kategorie Sport und Vergnügen. Hier gibt es u.a. die Frage, wo die ersten Olympischen Winterspiele stattgefunden hätten. Über diese Frage können Sie nun milde lächeln.

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