01.05.2007

Hurra, wir werden die Welt retten!

Analyse von Michael Miersch

Weniger Hysterie, Heuchelei und Symbolpolitik, dafür mehr Zuversicht und praktische Vernunft würden der Klimadebatte gut tun. Energiesparen ist richtig, aber wo grün drauf steht, ist noch lange nicht grün drin.

Der Wettlauf um die Weltrettung ist eröffnet. Wer wird gewinnen? Der Bayer Werner Schnappauf (Radeln am Main), der Niedersachse Sigmar Gabriel (Klimaschutz in die EU-Verfassung) oder doch wieder Al Gore, der Öko-Oscar aus Tennessee? Al Gores Chancen sind allerdings gesunken, seit bekannt wurde, dass er in seinem Haus über zwanzigmal mehr Strom verbraucht als ein Durchschnittsamerikaner. Um das auszugleichen, kauft Al sogenannte Emissionszertifikate, Anteile an Projekten, die den Kohlendioxidausstoß reduzieren sollen. Praktischerweise gehört ihm die Firma, die diese Ablassbriefe verkauft. So schön kann Recycling sein.

Hieß es vor einem Jahr noch „Du bist Deutschland“, erreichen wir jetzt höhere Sphären: „Du bist das Klima“. Tu was, sonst schwappt die Nordsee demnächst an die Alpen. Schließlich kann man als Normalkonsument auf vieles verzichten: warmes Wasser, wohlige Raumtemperatur, Autofahren, Flugreisen, Obst und Gemüse aus Übersee. Aber gern!
Wir würden es allerdings mit mehr Begeisterung tun, wenn jene, die sich solche Vorschläge ausdenken, sich auch selbst daran hielten. Doch zwischen tadellosen Presseerklärungen und persönlichem Verhalten klafft eine peinliche Lücke, die Psychologen kognitive Dissonanz nennen. Auch Werner Schnappauf fliegt gern in den Süden, und wenn Sigmar Gabriel in der Bahn sitzt, fährt der Chauffeur mit dem Dienstwagen hinterher. Andere Klimaretter pendeln als Abgeordnete seit Jahren munter zwischen Bonn und Berlin oder als Europaabgeordnete zwischen Brüssel und Straßburg. Und die S-Klasse-Karossen der Kabinettsmitglieder schlucken so ordinär wie Al Gores Heizung. Die 500 Meter vom Bundestag zur Sondervorführung von Gores Katastrophenfilm legten viele Abgeordnete im Dienstwagen zurück. So weit, so menschlich.

„Während bei anderen politischen Themen die Parteien mit Vorschlägen konkurrieren, findet in Sachen Klimawandel und Umweltschutz kein Ideenwettbewerb statt.“


Nicht nur die da oben, wir alle sind Sünder

Nicht nur die da oben, wir alle sind Sünder. Vor allem jene Kreise, in denen es zum guten Ton gehört, beim Ökobauern zu kaufen, für Greenpeace zu spenden und grün zu wählen. Während Normalverdiener schon aus Kostengründen bei Sprit und Heizung sparen müssen, verbraucht der moralisch gerüstete Mittelstand reichlich Ressourcen, um die Welt zu retten. Allen voran Zehntausende Delegierte und Aktivisten, die in immer schnellerem Rhythmus zu Klima- und Umweltkonferenzen um den Globus jetten.
Diese Schicht hat schon als Schülersprecher gelernt, ihre Interessen durchzusetzen. Während die proletarische Bierdose verteufelt wird, steht die Einwegflasche für Wein unter Naturschutz. Zufall? Auch das schicke Energiesparhaus im Grünen hat eine schlechtere Ökobilanz als die Mietwohnung in der Stadt, insbesondere dann, wenn die Akademikerfamilie aus der Idylle mit zwei bis vier Autos täglich zu ihren Arbeitsplätzen pendelt. Als schlimmste Feinstaubschleuder haben sich inzwischen die Kaminfeuer herausgestellt, an denen Bildungsbürger gern ihre ökosensible Seele wärmen.
Die Vorsilben „öko“ und „bio“ werden an alles Mögliche geklebt, ohne dass jemand nachfragt, ob die so geadelten Produkte oder Verfahren tatsächlich einen Umweltvorteil bieten. Nicht überall, wo „grün“ drauf steht, ist auch „grün“ drin. Was in der Bevölkerung als ökologisch gilt, hat meist mehr mit geschickter Imagepolitik von Interessengruppen zu tun als mit Fakten. „Bio ist prima fürs Klima!“ werben Ökoagrarverbände und fordern einen „Klimabonus“ für ihre Betriebe. Ihr Argument: Wir sparen Mineraldünger, zu dessen Herstellung fossile Brennstoffe verbraucht werden. Konventionelle Bauern kontern: „Mehr Milch pro Kuh ist aktiver Klimaschutz!“ Ihr Argument: Konventionelle Höfe erzeugen mehr Milch, Fleisch und Eier pro Tier. Auch erreichen die Tiere ihr Schlachtgewicht viel früher, leben also kürzer und brauchen weniger Futter. Ergo: Sie stoßen weniger klimaschädliches Methan aus.


Viele „grüne“ Lösungen sind Mogelpackungen

Bei näherer Betrachtung erweisen sich viele angeblich grüne Lösungen als Mogelpackungen, die manchmal sogar mehr schaden als nützen. Beispiel: Verzicht auf Flugreisen. Der erste Umwelteffekt, den das Ende der Fernreisen hätte, wäre der Ruin vieler Nationalparks in armen Ländern. Ohne Touristen ist Naturschutz dort einfach nicht finanzierbar. Beispiel Windkraft: Die Netzbetreiber müssen Reservekapazitäten für windstille Tage aufbauen, um die reibungslose Stromversorgung zu gewährleisten. Windkraftanlagen ersetzen also keine Kohlekraftwerke, sondern brauchen sie.
Sobald ein Vorschlag in der Öffentlichkeit als „öko“ etabliert ist, bricht jede Diskussion ab. Während bei anderen politischen Themen die Parteien mit Vorschlägen konkurrieren, findet in Sachen Klimawandel und Umweltschutz kein Ideenwettbewerb statt. Meistens geben Ökoaktivisten die Richtung und die Maßnahmen vor, und der Rest der Gesellschaft darf dann noch über die Dosis diskutieren. Man stelle sich vor, bei der Gesundheits- oder Rentenreform läge nur ein einziger Lösungsvorschlag auf dem Tisch, und es würde lediglich darüber diskutiert, ob man ihn schneller oder langsamer, radikaler oder gemäßigter durchsetzt.
Grüne Themen sind meist moralisch so stark aufgeladen, dass Zweifel als Frevel gilt. Wer die Windkraft kritisch betrachtet oder darauf aufmerksam macht, dass Recyceln von Plastikverpackungen mehr Energie verbraucht als spart, gilt sogleich als zynischer Umweltschänder. Diese geistige Monokultur hat ihre Ursache auch darin, dass es nur wenige kritische Umweltpolitiker in den Parlamenten gibt. Jene, die sich das Thema zu eigen gemacht haben, lassen sich die Vorgaben von den Verbänden diktieren. Und die anderen haben ein schlechtes Gewissen, weil sie desinteressiert sind, und nicken alles ab, was ihnen die Ökoexperten ihrer Parteien einflüstern.

„Statt mit zusammengekniffenen Lippen kalt zu duschen, sollten wir in die Hände spucken und die technische Herausforderung sportlich nehmen.“


Biodiesel hat eine klägliche Ökobilanz

So hat auch der parteiübergreifend gepriesene Biodiesel aus Raps eine klägliche Ökobilanz: Im günstigen Fall werden auf einem Hektar 1200 Liter Biodiesel geerntet. Doch dafür verbraucht der Landwirt 150 Liter Kraftstoff für die Maschinen und noch mal die gleiche Energiemenge für Düngung. Völlig aberwitzig wird es, wenn im Dienste der Klimarettung die Tropenwälder abgeholzt werden. Das ist jedoch schon heute der Fall. In Brasilien wird für Zuckerrohrplantagen zur Herstellung von Bio-Ethanol gerodet. In Malaysia und Indonesien brennen Plantagenfirmen den Dschungel ab, um Ölpalmen anzupflanzen. Palmöl wird neuerdings nicht nur in Margarine, Kosmetik und Waschmitteln eingesetzt, sondern auch als Kraftstoff. Ein ökologischer Ball Paradox.
Auch die als sauber geltende Wasserkraft ist nicht so umweltfreundlich, wie uns die Lobbyisten der Alternativenergien glauben machen wollen. Stauwerke greifen stärker in die Natur ein als jedes Atomkraftwerk. Die rundum saubere, klimaneutrale, risikolose und naturfreundliche Energiegewinnung gibt es leider noch nicht. Allein durch Brände in den Tropen und Subtropen wird alljährlich mehr Energie ungenutzt verschleudert, als Deutschland insgesamt umsetzt – von den Emissionen der aufstrebenden Giganten China und Indien ganz zu schweigen.
Heißt das, wir können gar nichts tun? Sind wir so unbedeutend, dass alles egal ist? Fatalismus wäre mindestens genauso unsinnig wie effekthaschende Symbolpolitik à la Gabriel. Zunächst einmal kann es nicht falsch sein, sich auf mögliche Folgen des Klimawandels vorzubereiten. Wie man beispielsweise ein Land trocken hält, obwohl es unter dem Meeresspiegel liegt, demonstrieren die Holländer schon seit ein paar Jahrhunderten. Auch die Abkehr vom Öl ist auf jeden Fall richtig, selbst wenn sich die heutige Klimapanik später einmal als unbegründet herausstellen sollte. Ein Blick auf die Regimes der meisten Öl-Länder ist mindestens so gruselig wie ein Film von Al Gore. Energie zu sparen ist also grundsätzlich richtig – zumindest in den reichen Industrieländern. Von Entwicklungsländern kann niemand verlangen, dass sie heute auf Wirtschaftswachstum verzichten, damit dadurch eventuell in ferner Zukunft die globale Durchschnittstemperatur sinkt.
Statt mit zusammengekniffenen Lippen kalt zu duschen, sollten wir in die Hände spucken und die technische Herausforderung sportlich nehmen. Die Effizienzrevolution (die Abkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcen- und Energieverbrauch) ist im Gange und hat in den westlichen Ländern bereits viel bewirkt. Sie muss noch längst nicht zu Ende sein. Ein permanenter Wettbewerb um effizientere Technik wäre die beste Antwort auf Ressourcenabhängigkeit und Klimawandel.


Atom- und Gentechnik könnten wichtig sein

Die Chancen dafür stünden am besten, wenn nicht nach deutscher Art von vornherein einige Technologien ideologisch ausgeschlossen würden. Atomtechnologie und Gentechnik könnten wichtige Komponenten einer grünen Zukunft sein. Der neue Bericht der Welternährungsorganisation FAO zu den enormen Umweltkosten der Viehzucht legt nahe, die Landwirtschaft stärker ins zu Auge fassen. Die globale Nutztierherde hat mehr Einfluss auf die Atmosphäre als alle Autos zusammen. Viele Milliarden Rinder, Schafe, Schweine und Hühner stoßen nicht nur gewaltige Mengen Methan und andere klimarelevante Gase aus, der Futteranbau für sie verbraucht auch riesige Flächen. Womöglich wird ein Ausweg in den Labors gefunden, in denen Wissenschaftler derzeit Fleisch aus Zellkulturen entwickeln. Oder sollten wir dem Aufruf des britischen Parlamentariers Boris Johnson folgen? Der empfahl: „Wenn Sie grün sein wollen – killen Sie eine Kuh!“

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