09.03.2013

Hugo Chavez: Profiteur des Niedergangs der USA

Von Brendan O’Neill

Von der westlichen Linken wird Hugo Chavez als Visionär und großer Politiker gefeiert. Brendan O’Neill, Chefredakteur des britischen Novo-Partnermagazin Spiked, wiederspricht: Chavez‘ Erfolg beruhte nicht auf dessen Stärke, sondern auf der Schwäche seines US-amerikanischen Erzfeindes.

Was war das Erfolgsgeheimnis des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez? Seine Fans unter westlichen Möchtegern-Revoluzzern wollen uns weismachen, dass es seine politische Dynamik war. Sie behaupten, es war Chavez‘ ideologische Zielstrebigkeit, gepaart mit dem Wunsch von Menschen auf der ganzen Welt, linke Politikinhalte über das neoliberale Dogma triumphieren zu sehen. Dies verhalf ihm zu beeindruckenden vier Präsidentschaftswahlsiegen und ließ ihn 14 Jahre lang an der Macht bleiben.

Davon bin ich nicht überzeugt. Nüchtern und historisch betrachtet, scheint es mehr der schwindende US-amerikanische Einfluss als die Wiederbelebung einer auf sozialistischen Idealen basierenden Politik zu sein, die für Chavez‘ Aufstieg und seinen weltweiten Ruhm verantwortlich war. Nicht seine eigene politische Vision war der entscheidende Erfolgsfaktor, sondern die schleichende Abnahme amerikanischen Einflusses in der Weltpolitik, auch und vor allem in Lateinamerika. Chavez und seine Anhänger profitierten und waren sogar abhängig von der offenkundigen Unfähigkeit der USA, ihre Interessen auf der Weltbühne des 21. Jahrhunderts zu verfolgen oder auch nur adäquat zu artikulieren.

In den meisten Punkten unterschied sich Chavez nicht sehr von anderen populistischen linken Führern, die es in Lateinamerika immer wieder gegeben hat. Ob Lazaro Cardenas im Mexiko der 1930er Jahre, Juan Peron im Argentinien der 1940er oder Salvador Allende im Chile der 1970er – genauso wie bei ihnen, bestand Chavez‘ Agenda aus einer Mischung anti-westlicher Ressentiments mit Verstaatlichungs- und Wohlfahrtsprogrammen sowie einem demagogischen Stil, der sich die Vorurteile bestimmter Teile der Gesellschaft zu eigen machte. Chavez war nicht so ein eindrucksvoller Führer wie Peron und weniger radikal als Allende, der etwa die Preise einfrieren und Löhne erhöhen ließ und dessen Verstaatlichungsprogramm sich von Kupfer- und Kohleunternehmen bis zur Stahlindustrie und der Mehrheit der chilenischen Banken erstreckte. Aber was seinen Stil und zum größten Teil auch seine Inhalte angeht, war er aus dem gleichen Holz geschnitzt wie diese früheren „starken Männer“.

“Das lange politische Überleben Chavez’ spricht in erster Linie für eine Krise der traditionellen bürgerlichen Ideologie, für den Zusammenbruch einer kohärenten Agenda der freien Märkte und vor allem für die moralische Ohnmacht des amerikanischen Imperiums.”

Es gibt aber einen wichtigen Punkt, in dem Chavez sich unterschied. Das betrifft seine anhaltenden Erfolge und seinen politischen Ruhm in Venezuela und in der kulturellen Elite Europas und sogar der USA. Obwohl er im Gegensatz zu Cardenas, Peron und Allende zu einer Zeit aufstieg, in der es keine Sowjetunion mehr gab und in der alte sozialistische Ideale weitgehend diskreditiert waren, zeigte Chavez mehr Durchhaltevermögen und genoss weltweit mehr Anerkennung als die genannten früheren lateinamerikanischen Führer. Doch das ist eher ein Symptom des eklatanten Niedergangs der USA als ein Hinweis auf ein Wiedererstarken des Staatssozialismus. In Chavez` Erfolgen offenbarte sich die Unfähigkeit der gegenwärtigen US-Politiker, ihre Gegner klein zu halten, so wie sie es im 20. Jahrhundert noch locker und selbstbewusst getan hätten.

In der Zeit vor Chavez konnten sich lateinamerikanische Führer, die mit Washington in Konflikt gerieten, nicht lange an der Macht halten. Sie fielen entweder durch wirtschaftlichen Druck der USA oder durch US-gestützte Militäraktionen. Als Mexikos Präsident Cardenas in den 1930er Jahren in ausländischem Besitz befindliche Öl-Vorkommen verstaatlichte, entfesselte die US-Regierung das, was ein Autor als einen „bösartigen Propagandaangriff„ beschrieb. Cardenas wurde als Verbrecher dargestellt und das mexikanische Volk als dumm, weil es ihn unterstützte. Amerika boykottierte mexikanische Öllieferungen und weigerte sich, mexikanisches Silber zu kaufen, was Cardenas‘ Regime in große wirtschaftliche Probleme brachte und zu seinem Rücktritt führte, der den Weg für einen moderateren Führer frei machte.

Juan Peron, der Argentinien in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren regierte, wurde von amerikanischer Seite häufig sogar als Faschist bezeichnet. Während Chavez sich an vier Präsidentschaften erfreute, überstand Peron nicht einmal das Ende seiner zweiten Amtszeit: Er wurde 1955 durch einen Militärputsch gestürzt, der ausdrücklich von Washington unterstützt wurde. Als der katholisch-nationalistische Anführer des Putsches, Eduardo Lonardi, Argentinien nach der Ära Peron auf den Aufbau eines „günstigen Klimas für amerikanisches Kapital“ und eine „faire Einstellung gegenüber dem Westen“ einschwor, gewann er natürlich rasch Washingtons Anerkennung. Lonardi selbst wurde allerdings später auch von Militärs abgesetzt, und Peron erlangte Mitte der 1970er Jahre vorübergehend die Präsidentschaft wieder.

Was Allende in Chile betrifft: er war nur drei Jahre von 1970 bis 1973 an der Macht, bevor er durch einen blutigen Putsch gestürzt wurde. Dieser wurde von der CIA stillschweigend gutgeheißen und ließ General Augusto Pinochet an die Macht kommen. Amerikanische Agenten spielten eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung des Putsches, in dem tausende Menschen ermordet wurden. CIA-Agenten arbeiteten hart daran, die öffentliche Meinung gegen Allende aufzubringen und Proteste zu organisieren, um so den Eindruck zu erwecken, dass Allende Chile nicht unter Kontrolle hatte. Heute freigegebene CIA-Dokumente belegen, dass ein „Putschklima“ gegen Allende erzeugt werden sollte, damit wichtige Teile der chilenischen Gesellschaft einen Sturz Allendes befürworten würden. Dieser Plan ging schließlich auf.

Amerikanische Regierungen setzten alle politischen, wirtschaftlichen und militärischen Hebel in Bewegung, um Politiker aus dem Weg zu räumen, die sie als Bedrohung für ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen in Lateinamerika und als Gefahr für das internationale Machtgleichgewicht betrachteten.

Sprung zur Chavez Ära der 2000er Jahre: die Unterschiede könnten größer nicht sein. Obwohl Chavez sie massiv verärgerte und regelmäßig verspottete, schienen weder Bush noch Obama in der Lage, Einfluss auf die Entwicklung in Venezuela oder auf die Popularität von Chavez in Amerika oder Europa zu nehmen. Der Niedergang der Weltmacht USA zeigte sich sehr deutlich im einzigen lächerlichen Putschversuch gegen Chavez. Im April 2002 wurde Chavez für 47 Stunden von einigen Angehörigen des venezolanischen Militärs, die von weiten Teilen der wohlhabenden Elite unterstützt wurden, seines Amts enthoben. Danach wurde er von seinen eigenen militärischen Gefolgsleuten wieder eingesetzt.

Im Grunde war Amerika ein hilfloser Zuschauer dieses Putsches. Ohne jede ernsthafte Unterstützung Amerikas, und ohne jede kohärente „neoliberale“ oder einfach nur altmodisch rechtsgerichtete Agenda für eine Alternative zu Chavez bekamen die Putschisten rasch kalte Füße und gaben auf. Wenn man den gescheiterten Anti-Chavez Putsch mit dem erfolgreichen Anti-Allende Putsch von 1973 vergleicht, wird deutlich, dass Chavez nicht imposanter oder mächtiger als Allende war, sondern dass sich die traditionellen Gegner dieser lateinamerikanischen Unruhestifter heute in einem prekären, wenn nicht sogar einem Verfallszustand befinden.

Das lange politische Überleben Chavez spricht in erster Linie für eine Krise der traditionellen bürgerlichen Ideologie, für den Zusammenbruch einer kohärenten Agenda für freie Märkte und vor allem für die moralische Ohnmacht des amerikanischen Imperiums. Es ist mehr dieser Verfall als Chavez‘ eigene Vision, die ihn so lange an der Macht hielten und immer wieder neue Dynamik verliehen. Chavez und seine einflussreichen Unterstützer haben vom Niedergang der amerikanischen Macht profitiert.

So wird Chavez‘ Geschichte natürlich von seinen Fans im Westen nicht erzählt. Im Gegenteil: Seine Anhänger sprechen über den „Comedyputsch“ von 2002 im gleichen Atemzug wie vom abscheulichen Putsch in Chile 1973, und sie zeichnen immer noch das Bild eines allmächtigen Amerikas und einer omnipotenten Ideologie des freien Marktes. So entsteht der Eindruck, Chavez (und seinen Anhängern selbst) seinen besonders mutig, da sie sich gegen die USA auflehnten. In dieser wahnhaften Verzerrung der Wahrheit über Chavez können wir die wichtige Rolle erahnen, die er für westliche Linke spielte - als Phantasiefigur, als Fabelwesen, hinter dem sich westliche Aktivisten ohne jeden ernsthaften politischen Ausblick und ohne jede nennenswerte gesellschaftliche Relevanz scharen könnten - in einem ungefährlichen und verlogenen Kampf gegen die bereits tote Ideologie des Marktfundamentalismus und die lange verwelkte amerikanischen Hegemonie in der Weltpolitik.

Dass Amerika Chavez nicht aus dem Weg räumen und – mehr noch - der Verehrung von Chavez von Hollywood bis zur westlichen Publizistik nicht entgegenwirken konnte, zeigt dass die USA nicht mehr in der Lage sind,, die Mehrheit der kulturellen Elite für amerikanische Werte zu gewinnen. Deshalb kann so mancher junge und respektabler Kommentator seinen hippen Hass gegen Amerika ganz offen äußern und, was noch viel wichtiger ist: gegen das moderne Wertesystem, für das Amerika bislang stand.

Die westliche Linke trauert um Chavez, ohne sich zu fragen, wieso sie überhaupt erst so viel Hoffnung in eine so ferne Figur gesetzt hat. Und die mit einer eher rechten, pro-kapitalistischen Überzeugung feiern seinen Tod und machen sich nicht die Mühe zu fragen, wieso es 14 Jahre und eine Krebserkrankung brauchte, bis ein politischer Führer verschwand, der von ihren politischen Ahnen binnen weniger Monate erledigt worden wäre.

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