10.03.2014

Hoeneß-Debatte: Mediales Hochamt der Scheinheiligen

Kommentar von Matthias Heitmann

Die öffentliche Diskussion über den Hoeneß-Prozess interessiert sich nur wenig für das, was für das Gericht relevant ist. Das Gesetz urteilt unabhängig von der Person, ein Großteil der Medien und der Öffentlichkeit tut das Gegenteil. Von Matthias Heitmann

Ich kenne Uli Hoeneß nicht persönlich, ich bin ihm nie begegnet, und ich bin auch nicht Fan des Vereins, dessen Präsident er ist. Eigentlich ist es seltsam, einen Kommentar über einen Gerichtsprozess, in dem es um ein Steuerhinterziehungsdelikt geht, so zu beginnen. Aber in diesem Fall scheint diese Vorbemerkung notwendig zu sein.

Um was geht es: Das Landgericht München II hat zu entscheiden, wie die Steuerhinterziehung und die Selbstanzeige von Uli Hoeneß rechtlich zu bewerten sind. Er selbst hat zugegeben, von seinem Schweizer Bankkonto aus zahlreiche Spekulationsgeschäfte getätigt, die so entstandenen Gewinne aber nicht versteuert zu haben. Der Steuerschaden wird auf 3,5 Millionen Euro beziffert. Die entscheidende Frage ist, ob die Selbstanzeige formal korrekt war und ausreicht, um Haftverschonung zu erreichen, und ob die erzielten Gewinne eine Höhe überschritten haben, die diese Option ausschließt.

„Mich persönlich lässt es kalt, ob Hoeneß und wenn zu was verurteilt wird.“

Gibt es etwas Langweiligeres als Steuerrechtsprozesse? Eigentlich nicht, außer vielleicht für Experten. Die Sache wird auch nicht dadurch interessanter, dass ein Prominenter angeklagt ist. Das Gesetz interessiert sich nur insofern für Menschen, als dass sie als Handelnde mit dem Gesetz in Konflikt geraten können. Mich persönlich lässt es kalt, ob Hoeneß und wenn zu was verurteilt wird. Hauptsache, er muss sich für das verantworten, was er getan hat – nicht mehr und auch nicht weniger. Das gilt für den Bäckermeister von nebenan genauso wie für den Rekordmeister. Ich baue darauf, dass das urteilende Gericht diesem Grundsatz treu bleibt.

Moralische Exkommunizierung

Während das Gesetz unabhängig von der Person urteilt, tun große Teile der Medien und der Öffentlichkeit das Gegenteil: Sie verurteilen Personen unabhängig vom Gesetz. Rechtsverstöße liefern häufig lediglich das Startsignal für scheinheilige moralische Wertungen und wütende Entrüstung. Da wird Steuerhinterziehung zu einem nationalen Skandal stilisiert, nur weil der Präsident eines Fußballvereins oder, wie im Falle von Alice Schwarzer, die Chefredakteurin einer feministischen Zeitschrift sie begangen hat. Tatsächlich hat Hoeneß „nur“ Steuern hinterzogen – ein Tatbestand, der im Alltag nicht zur moralischen Exkommunizierung gereicht. Es scheint, als sei weniger die Steuerhinterziehung das Problem, sondern die Summen, mit denen zuvor spekuliert wurde – sprich: Es geht darum, dass Hoeneß ein reicher Mann ist. Aber warum soll das interessant sein? Schließlich hat er ja mit seinem eigenen, legal erwirtschafteten Vermögen spekuliert. Und auch Alice Schwarzer hat, soweit bekannt ist, sich nicht an der „Emma“-Kaffeekasse oder an irgendwelchen Budgets universitärer Genderforschungszentren vergriffen.

„Unsere Gesellschaft zeichnet sich nicht gerade dadurch aus, dass sie die Integrität von Menschen voraussetzt.“

Sicherlich könnte das Vergehen ein Grund sein, um an der persönlichen Glaubwürdigkeit von Uli Hoeneß zu zweifeln. Aber das sollte nur diejenigen interessieren, die mit ihm zu tun haben. Unglaubwürdigkeit ist kein Verbrechen. Zudem zeichnet sich unsere Gesellschaft nicht gerade dadurch aus, dass sie die Integrität von Menschen voraussetzt. Im Gegenteil: Sie sucht förmlich nach Fällen wie denen von Hoeneß oder Schwarzer und sie weidet sie genüsslich aus, um ihre eigenen Vorurteile zu bestätigen: nämlich, dass letztlich jeder Dreck am Stecken hat und dem Menschen an sich nicht zu trauen ist, egal ob arm oder reich. Um die Personen selbst geht es nicht, sie werden stellvertretend für uns alle öffentlich zur Schau gestellt. Schon morgen kann es einen anderen treffen. Der mediale Aufschrei war keiner aus Enttäuschung, sondern aus zynischer Selbstbestätigung; er lautete nicht „Oh nein! Wie konnte er das nur tun?!“, sondern: „Siehste – wir haben es doch schon immer gewusst!“

Stark polarisierend

Im Falle von Hoeneß kommen noch weitere Faktoren hinzu, die der Häme zu einem besonders starken Übergewicht verhalfen. Für viele Menschen ist der frühere Bayern-Manager und jetzige Vereinspräsident seit vielen Jahren ein Hassobjekt: Als Personifizierung des Erfolgs und der Dominanz, der Arroganz und des unbändigen Selbstbewusstseins, aber auch der Ökonomisierung des Fußballs vereint der Multimillionär Hoeneß diverse Eigenschaften, die dem heutigen Zeitgeist folgend als falsch und fehlgeleitet gelten. Der stark polarisierende Hoeneß konnte sich vor allem deswegen als Persönlichkeit von Rang etablieren, da man ihm „nichts anhängen“ konnte und der sportliche wie wirtschaftliche Erfolg ihm Autorität verlieh.

Die Wogen der Empörung, die seit dem Frühjahr 2013 über Hoeneß hereinbrachen, wurden jedenfalls nicht durch die 3,5 Millionen Euro ausgelöst, die er dem Staat schuldet. Sie entstanden vielmehr durch das freudige Auf- und Abspringen all jener, die jahrelang nur darauf gewartet hatten, die bayrischen Ikone des Fußball-Kapitalismus endlich von ihrem Thron zu stoßen. Für sie passte es natürlich perfekt ins Bild, dass Hoeneß seine nicht versteuerten Gewinne nicht etwa am Roulette-Tisch im Kasino, sondern durch Spekulationsgeschäfte erzielt hatte. Und bestätigt wurden sie in ihrem moralisierenden Eifer noch dadurch, dass der FC Bayern München aller öffentlichen Entrüstung zum Trotz Hoeneß nicht absetzte, sondern ihm das Vertrauen aussprach.

„Es gibt kein Gesetz, das einem Verein verbietet, einen Angeklagten zum Präsidenten zu haben.“

Dass der FC Bayern dem öffentlichen Druck bisher widerstand und an Hoeneß festhielt, ist nicht nur anständig gegenüber Hoeneß, sondern auch gut für die Vereine insgesamt – und für den Fußball. Denn zum einen hat der nun anstehende Prozess in München absolut nichts mit dem Sport oder mit der Vereinstätigkeit von Uli Hoeneß zu tun. Zum anderen ist es grundsätzlich immer zu begrüßen, wenn Vereine gleich welcher Art ihre gesetzlich klar geregelte Autonomie in Anspruch nehmen – leider tun sie das viel zu selten. Es gibt kein Gesetz, das einem Verein verbietet, einen Angeklagten zum Präsidenten zu haben. Und Vereine haben auch keine moralische Pflicht, der Empörung der medialen Öffentlichkeit nachzugeben. Sollte der FC Bayern diese Marschrichtung beibehalten, könnte dies zum vielleicht wichtigsten Sieg der kompletten Saison werden. Und auch wenn ich kein Bayernfan bin, diesen Sieg wünsche ich ihnen.

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