05.06.2020

Grundrente – Keine Lösung für schwache Erwerbsverläufe

Von Alexander Horn

Titelbild

Foto: andreas160578 via Pixabay / CC0

Die Corona-Krise setzt eine Geldflut in Gang, die die Wirtschaft schwächt und so auch Reallohnsteigerungen limitiert. Die Folge sind niedrige Löhne. Das lässt sich nicht mit der Grundrente lösen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat viel Pech mit der Einführung der Grundrente, die er sogar als „sozialpolitischen Meilenstein“ betrachtet. Nach langem Gezerre mit dem Koalitionspartner kommt ihm nun noch die Corona-Krise in die Quere. Die Gegner der Grundrente behaupten sogar, die geschätzten etwa 1,5 Milliarden jährlich seien wegen der Corona-Krisenbekämpfung nicht mehr vorhanden.

Das findet Heil ungerecht. Denn die Corona-Krise hat ungeheure Geldschleusen geöffnet, mit denen die Bundesregierung nicht nur die unmittelbaren Folgen der Corona-Krise in den Griff bekommen will. Wirtschaft und soziale Sicherungssysteme werden geradezu im Geld ertränkt, um die Zustimmung für das Krisenmanagement bei Unternehmen und in der Bevölkerung zu erkaufen. So gelingt es nun auch, wirtschaftliche und soziale Probleme, die sich bereits vor Corona gezeigt hatten, zu übertünchen und deren Lösung mittels Schuldenaufnahme in die ferne Zukunft zu verschieben. Nichts muss auf den Prüfstand, wieso dann also die Grundrente?

Obwohl er selbst die üppigen Corona-Wirtschaftshilfen begrüße, so Heil bei der Beratung des Grundrentenentwurfs im Bundestag, „gönnen“ aber umgekehrt „dieselben Interessensvertreter, die keine Grenze kennen“ und Steuerzahler-Milliarden der Steuerzahler wollen, „anderen die Grundrente nicht“. Wer die Grundrente nicht wolle, gehöre „ausgebuht“, meinte gar Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Auch die Tatsache, dass die Grundrente, wie die Rentenversicherung beklagt, auf Dauer immense zusätzliche Verwaltungskosten verursacht, lassen sie nicht als Argument gelten.

530 Euro Rente für vierzig Jahre Vollzeitarbeit

Egal was bei dem laufenden Gesetzgebungsverfahren herauskommt: Rentner und Erwerbstätige stehen schon heute als Verlierer fest. Mit der Grundrente versucht sich die Regierung – wie bei den Corona-Hilfen – aus ihrer Verantwortung zu stehlen. Anstatt die Weichen dafür zu stellen, dass es für alle ausreichend und gut bezahlte Jobs gibt, soll die Grundrente individuelle Löcher in der Erwerbsbiographie sozialpolitisch stopfen. Sie zielt darauf ab, denjenigen einen Rentenzuschuss zukommen zu lassen, die zwar über einen langen Zeitraum – mindestens 33 Jahre – gearbeitet haben oder andere anrechenbare Zeiten vorweisen können, aber dennoch wenig verdient haben. Sie erhalten die Grundrente, wenn ihre individuelle Rente kaum oberhalb oder sogar unterhalb der Grundsicherung im Alter liegt. Dass das Problem schwache Erwerbsverläufe sind, hat Heil im Bundestag selbst erklärt: Eine Floristin, die 40 Jahre in Vollzeit arbeite, erreiche nur eine Rente von 530 Euro pro Monat. Heils Lösung: 930 Euro Grundrente, um das ursächliche Problem nicht auskömmlicher Verdienste nicht angehen zu müssen.

„Die Heilsche Mission besteht im Versuch, die heutigen und zukünftigen Rentner mit Almosen zufriedenzustellen sowie das öffentliche Gewissen zu beruhigen."

Die Grundrente soll jedem Menschen, der „sein Leben lang gearbeitet hat“ und dennoch eine nur niedrige Rente erhält, so Heil, ein Zubrot zu gewähren. Damit setzt sie zwar an einem realen Problem an, nicht jedoch an dessen Ursache. Diese niedrigen Renten resultieren daraus, dass viele Menschen aufgrund der zuweilen grassierenden Arbeitslosigkeit in den letzten Jahrzehnten über längere Perioden arbeitslos waren oder nur Teilzeit arbeiteten. Für diese Phasen konnten sie nur geringe oder keine Rentenansprüche aufbauen. Andererseits steigen die Reallöhne seit den 1970er Jahren immer weniger, so dass – völlig unabhängig von dem in die Diskussion geratenen Rentenniveau – die Rentenansprüche niedrig bleiben. Seit Mitte der 1990er Jahre sind die Reallöhne in Deutschland durchschnittlich um nur etwa ein halbes Prozent jährlich angestiegen.1 Besonders problematisch ist die Entwicklung beim am geringsten entlohnten Drittel der Beschäftigten. Im Jahr 2015 lagen die realen Stundenlöhne dieses unteren Drittels niedriger als 20 Jahre zuvor.2

Die Heilsche Mission besteht demnach in dem Versuch, die heutigen und zukünftigen Rentner mit Almosen zufriedenzustellen sowie das öffentliche Gewissen zu beruhigen. Dann muss nicht für wirtschaftspolitische Weichenstellungen gekämpft werden, die die Unternehmen in die Lage versetzen würden, zukünftig höhere Löhne zu zahlen und gute Jobs für alle zu bieten. Die Grundrente ist nichts anderes als der Versuch, sich mit Gerechtigkeitsrhetorik und ein wenig Umverteilung eines wichtigen sozial- und wirtschaftspolitischen Problems zu entledigen.

Null Wohlstandszuwachs

Um an den Ursachen anzusetzen, müsste sich Heil mit den Gründen für die löchrigen Erwerbsbiographien und für die kaum noch steigenden Reallöhne befassen. Die entscheidende Ursache hierfür liegt in der seit Jahrzehnten rückläufigen Entwicklung der Arbeitsproduktivität. In Deutschland schaffen es die Unternehmen kaum noch, technologische Innovationen durchzusetzen und mit neuen oder besseren Produkten und Prozessen ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern oder neue Märkte zu erschließen.

Das war nach dem Zweiten Weltkrieg und bis Anfang der 1970er Jahre noch anders. Damals investierten die Unternehmen massiv. Dadurch haben sie technologische Neuerungen vorangetrieben und immense Steigerungen der Arbeitsproduktivität bewirkt. Es gab Vollbeschäftigung und die Produktivitätssteigerungen haben zu einem enormen Anstieg des Massenwohlstands beigetragen. Von 1945 bis Anfang der 1990er Jahre verfünffachten die Unternehmen durch ihre Investitionen den Kapitalstock pro Erwerbstätigem und erreichten ähnlich hohe Produktivitätsfortschritte. Seitdem hat sich dieses Wachstum der Kapitalintensität verlangsamt. Einige Jahre nach der Finanzkrise 2008 hat sich nun sogar eine Stagnation eingestellt. In der Industrie setzte diese Stagnation bereits in den 2000er Jahren ein.

„Die Grundrente ist nichts anderes als der Versuch, sich mit Gerechtigkeitsrhetorik und ein wenig Umverteilung eines wichtigen sozial- und wirtschaftspolitischen Problems zu entledigen."

Seit dem Beginn der Industrialisierung, die in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte, haben sich Investitionen in neue Maschinen, Anlagen, Gebäude und Infrastruktur als historisch einzigartiger Treiber zur Verbesserung der Arbeitsproduktivität und des Massenwohlstands erwiesen. Angetrieben von den Investitionen haben sich Kapitalintensität und Arbeitsproduktivität seit 1850 in bemerkenswertem Gleichschritt entwickelt und dabei verzwölffacht.3 Dieses Wachstum ist nun jedoch zum Erliegen gekommen.

Wegen der geringen Investitionen entstehen zudem wenig neue Jobs in High-Tech-Bereichen. So entfällt der Löwenanteil der von 2006 bis 2016 zusätzlich entstandenen fünf Millionen sozialversicherungspflichtigen Jobs auf schwächer entlohnende Dienstleistungsbereiche. Die meisten Jobs sind im Gastgewerbe, dem Gesundheits- und Sozialwesen sowie bei freiberuflichen und sonstigen Dienstleistungen entstanden.4 Seit 2006 sind zudem kaum zusätzliche Vollzeitstellen entstanden. Hinter dem Zuwachs von fünf Millionen sozialversicherungspflichtigen Jobs verbergen sich vier Millionen Teilzeitstellen.

Mit viel Geld in die Zombiewirtschaft

Die wirtschaftspolitische Herangehensweise seit der Finanzkrise 2008 hat im Wesentlichen darin bestanden, diese Stagnation mit dem vielen Geld der EZB zu verwalten und die zugrundeliegenden Probleme zu übertünchen. Die Corona-Krise bietet daher einen weiteren willkommenen Anlass, mit noch mehr Geld die Ursachen der Investitionsschwäche und die technologische Stagnation der Unternehmen nicht adressieren zu müssen. Zwar ist in der Corona-Krise, wie auch während der Finanzkrise 2008 richtig, mittels staatlicher Liquiditätshilfen den Kollaps vor allem besser aufgestellter Unternehmen sowie einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern. Das Problem ist jedoch, dass man seit der Finanzkrise über diese erste Phase, eine Vermeidung des Zusammenbruchs des Finanzsystems oder der Wertschöpfungsketten, nie hinausgekommen ist.

„Die Corona-Krise bietet daher einen weiteren willkommenen Anlass mit noch mehr Geld die Ursachen der Investitionsschwäche und die technologische Stagnation der Unternehmen nicht adressieren zu müssen."

Die Unternehmen, darunter auch in Deutschland viele Zombieunternehmen, werden mit allerlei regulatorischen Hilfen, Subventionen und billigem Geld aufgepäppelt, anstatt ihr Ableben zu ermöglichen. Die gleiche Herangehensweise wie nach der Finanzkrise hat sich nun schon während der ersten Phase der Corona-Krise herausgebildet. Die Wirtschaft wird regelrecht im Geld ertränkt, um erneut auch den Schwächsten das Überleben zu ermöglichen. Der Wunsch nach massiven Konjunkturprogrammen, wie etwa die Forderung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) nach einem 120-Milliarden-Programm für den Neustart der deutschen Wirtschaft, sind seit Wochen allgegenwärtig und befinden sich jetzt in der parlamentarischen Abstimmung.5

Staatliche Ausgabenprogramme wie auch steuerliche Hilfen6 sollen alle Unternehmen wieder aufpäppeln. Die Rettung von Unternehmen auf Kosten der Steuerzahler wird auch da bevorzugt, wo marktkonforme Lösungen (etwa bei Condor oder der Lufthansa) möglich und sogar dringend erforderlich wären. Private Unternehmen werden dadurch leicht zu dauerhaften Subventionsempfängern, obwohl privates Kapital für eine teure Restrukturierung der Luftfahrtbranche in Haftung genommen werden müsste. Dann könnten die verbleibenden Unternehmen profitabel aufgestellt werden und ihre verbleibenden Kerne hätten die Kraft, in neue Technologien zu investieren und gutbezahlte Jobs zu schaffen. So jedoch wird der Wert der Unternehmen nicht durch bessere Profitabilität, sondern durch wettbewerbsfeindliche Regulierung und Subventionen erhalten, von denen diese Unternehmen zunehmend abhängig werden. Durch den sogar innerhalb der EU stattfindenden Subventions- und Regulierungswettbewerb werden Unternehmen schleichend zu Zombieunternehmen, die nicht mehr sterben dürfen.

In die gleiche Richtung wie die nationalen Hilfsprogramme zielen der nun auf europäischer Ebene angepeilte 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbaufonds und der bereits beschlossene 540-Milliarden-Euro-Hilfsfonds. Mit viel, viel Geld sollen möglichst alle Unternehmen gerettet werden und so viel Geld in die Wirtschaft gepumpt werden, dass der wirtschaftliche Niedergang und die schleichende Erosion des Massenwohlstands übertüncht werden können. Solange die Bundesregierung die Probleme nicht ins Auge fasst, die die Wohlstandsentwicklung in Deutschland entscheidend limitieren, verlieren Rentner und Erwerbstätige sowieso. Egal, ob die Grundrente nun kommt oder nicht.

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!