25.04.2013

Grüner Fortschritt: Wie Rezzo Schlauch dem Playboy einmal fast etwas Vernünftiges erzählte

Von Thilo Spahl

Die einen durchstöbern die Mülltonnen ihrer Nachbarn, die anderen haben tatsächlich einen positiven Freiheitsbegriff: Werden die Grünen am Ende doch noch vernünftig und werfen ihre Fortschrittsskepsis über Bord? Ein Kommentar des Novo-Wissenschaftsressortleiters Thilo Spahl.

Laut dpa hat Rezzo Schlauch dem Playboy in einem Interview verraten, dass er noch nie Müll getrennt habe. Leider ist das Gespräch mit der „Grünen-Legende über genussfeindliche Linke, grüne Spießigkeit und warum ein Elektro-Porsche auch im Wahljahr kein Porsche ist“ nicht online verfügbar und 5,50 Euro für das gedruckte Heft will ich nicht investieren. Wenn es halten soll, was versprochen wird, muss noch ziemlich daran gefeilt worden sein, denn die Videoaufnahmen Playboy Interview Teil 1-5 sind ein entsetzlich langweiliges Gestammel, in dem sich keine zwei druckfähigen Sätze finden. Da redet er nur etwas von einer „grünen Linie“, die überschritten werde, wenn in Tübingen die Nachbarn Mülleimer kontrollieren. Die Kritik am grünen Denken beschränkt sich auf den Satz: „Natürlich gibt es grünes Spießertum und natürlich bin ich dem auch begegnet. Aber auch damit muss man leben.“ Das reicht natürlich nicht für einen Kommentar, in dem ich der Hoffnung Ausdruck verleihen wollte, dass ein paar alten Grünen vielleicht allmählich schwant, dass sie zur Speerspitze des Autoritarismus geworden sind. Nein, den verschnarchten Schlauch kann ich nicht in den Zeugenabstand rufen.

„ Naturschutz, Gerechtigkeit, Effizienzsteigerung und Recycling sind keine brandneuen, grünen Erfindungen, auf die bisher noch keiner gekommen ist“

Bleibt der durchaus intelligente Ralf Fücks. Der Chef der Heinrich-Böll-Stiftung hat ein Buch geschrieben (kurz zusammengefasst bei Cicero), in dem er offenbar so halb auf dem richtigen Weg ist. Es geht um intelligentes Wachstum. Also immerhin um Wachstum. Mit Rücksicht auf den Zeitgeist muss es zwar mit dem Attribut „intelligent“ versehen werden, was heute meist und auch hier so viel bedeutet wie „anders als bisher und irgendwie grün“. Aber immerhin erkennt Fücks als Faktum an, dass sich die globale Wirtschaftsleistung in den kommenden 25 Jahren verdoppeln wird und er begrüßt dies, weil damit „sinkende Kindersterblichkeit, längere Lebenserwartung, bessere Bildung und sozialer Aufstieg in großem Stil einhergehen.“ Gleichzeitig warnt er pflichtschuldig vor dem „ökologischen Super-Gau“, wenn dieses Wachstum nicht die Farbe Grün tragen sollte. Deshalb wird Vokabular wie ökologische Modernisierung, Dekarbonisierung, fair trade, ethisches Investment, High-Tech-Biolandwirtschaft, Wachsen mit der Natur, Konsumieren in vernetzten Stoffkreisläufen etc. aufgefahren, das so klingt, wie es klingen muss, um im ökologistischen Mainstream gern gehört zu werden, und vor allem dazu dient, so zu tun, als wären Naturschutz, Gerechtigkeit, Effizienzsteigerung und Recycling brandneue, grüne Erfindungen, auf die bisher noch keiner gekommen ist. Aber was soll’s! So gelingt es Fücks, zwei Botschaften unterzukriegen, die der bisherigen Ökolehrmeinung diametral gegenüberstehen. Erstens: Wachstum ist grenzenlos. Er schreibt, der „springende Punkt“ sei, dass es „keine fixen Grenzen für die ökonomische Wertschöpfung (vulgo Wirtschaftswachstum)“ gibt und dass wir „Knappheitskrisen durch Innovationen“ überwinden können. Zweitens: Freiheit ist wichtiger als Ökologie. „Freiheit“, so Fücks, dürfe „keinem anderen Zweck untergeordnet werden.“ Demokratie dürfe nicht der Ökologie geopfert werden. Dabei scheut er sich nicht, die Bibel des ökologischen Grenzdenkens, den Club of Rome Bericht von 1972 Die Grenzen des Wachstums als im Kern totalitär zu entlarven, weil darin die „Tendenz zur umfassenden Kontrolle von Wirtschaft und Gesellschaft (bis hin zu den Geburtenraten)“ angelegt war.

Das ist schon bemerkens- und lobenswert. Wenn Fücks und andere Grüne, denen die elitär menschenfeindliche Wachstumsskepsis ihrer Mitstreiter vielleicht allmählich suspekt wird, im nächsten Schritt noch etwas mehr Ballast abwerfen und erkennen, dass „grüner Fortschritt“ nur eine ideologisch motivierte Magerfassung echten Fortschritts ist, dann …. Was dann? Dann sind sie eben keine Grünen mehr, sondern vernünftige Menschen, die eine bessere Welt für alle durch Wachstum und Fortschritt mit allem Drum und Dran anstreben. Nur Mut!

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