21.05.2014

Griechenland: Lohnt es sich, für die EU zu sterben?

Kurzkommentar von Sabine Beppler-Spahl

Die Auswirkungen von Sparpolitik und EU-Vorgaben sind in Griechenland nach wie vor spürbar, Ursachen und Lösungswege stehen zur Diskussion. Sabine Beppler-Spahl berichtet von einer Debattenveranstaltung, die Anfang des Monats in der griechischen Hauptstadt stattfand

Die Frage, ob es sich lohnt, für die EU zu sterben, kommt nicht aus der Ukraine, sondern aus Athen. Areti Georgili, die Leiterin eines kleinen, aber anspruchsvollen Buchladens im Universitätsbezirk der Stadt, hatte zu einer Debatte mit dem Titel „Steht die EU für Demokratie und Freiheit?“ eingeladen. Fünf Redner sitzen auf dem Podium. [1] Wer wüsste besser als die Athener, wie es mit der Freiheit und der Demokratie in Europa aussieht. Anders als in der Ukraine bietet sich in der Millionenmetropole im Mai zwar ein friedliches Bild, aber die Stadt ächzt unter der Sparpolitik. Die Wirtschaft schrumpft seit 2008, und auch im vergangenen Jahr ist das Bruttosozialprodukt des Landes noch einmal um über vier Prozent zurückgegangen. Selbst ehemals profitable Unternehmen geraten in die Abwärtsspirale, weil zahlungsfähige Kundschaft verloren geht.

Besonders hart getroffen sind Alte und Kranke, die sich lebensnotwendige Medikamente zunehmend nicht leisten können. Aber auch Büroangestellte und Taxifahrer erzählen, wie schwer es geworden ist, über die Runden zu kommen. Eine Erzieherin berichtet, ihr Gehalt sei auf 400 Euro im Monat gekürzt worden. Die Preise in den Supermärkten empfinde ich dagegen als mit denen in Deutschland vergleichbar.

„Das Mantra der ‚Alternativlosigkeit‘ zur Sparpolitik konnte sich weiter durchsetzen.“

Trotz der harten Sparmaßnahmen ist die Gesamtverschuldung des Landes weiterhin unhaltbar (sie beläuft sich auf 175 Prozent des BIP). Dazu tragen auch der Wirtschaftseinbruch, der die Steuereinnahmen schrumpfen lässt, und die Zinszahlungen bei. Umso erstaunlicher, dass niemand die Sparpolitik während der Debatte in Frage stellt. Ein Teilnehmer erzählt nach der Diskussion, dies sei vor zwei Jahren noch anders gewesen. Damals wurde in Frankreich Präsident Francois Hollande gewählt und viele Griechen hofften, es gebe fortan eine einflussreiche Stimme in Europa, die sich gegen das Merkelsche Spardiktat stelle. Der Präsident, ein Parteifunktionär, dem die intellektuelle Überzeugungskraft fehlte, habe sich aber als zu schwach erwiesen. Das Mantra der „Alternativlosigkeit“ zur Sparpolitik konnte sich weiter durchsetzen.

Nicht nur die Härten des Sparens setzen vielen in Athen zu. Unvergessen ist auch, wie das Land seiner Souveränität beraubt wurde, nachdem das finanzielle Desaster bekannt wurde, denn der vor zwei Jahren entworfene Schuldenvertrag wurde über den Köpfen der Bevölkerung hinweg entschieden. Als Kanzlerin Angela Merkel zu Beginn der Krise nach Athen kam, um zu verkündeten, dass das Land „intern“ abwerten müsse, habe kaum einer verstanden, was das bedeutet, meint Professor George Pagoulatos, Wirtschaftswissenschaftler an der Athener Universität und einer der Podiumsgäste. Interne Abwertung heißt, dass große Teile der Bevölkerung die Last der Krise durch Lohnverzicht und den Abbau von staatlichen Leistungen (z.B. im Gesundheitswesen) zu tragen hatten.

Die Bevölkerung, die es betraf, aber wurde nicht gefragt. Ebenso wenig wie der deutsche Steuerzahler, der im Gegenzug die Gelder für die Bürgschaften des Rettungsfonds bereitzustellen hatte. Die „Griechenland-Rettung“ wurde zu einer Angelegenheit von Spitzenpolitikern, Brüsseler Beamten und Finanzexperten, die weder mittelbar noch unmittelbar dem Wähler rechenschaftspflichtig waren. Während in Deutschland die Beteiligung des Parlaments bei den „Hilfsmaßnahmen“ (wie sie euphemistisch genannt werden) eingeklagt wurde, mussten die Griechen zusehen, wie ihr Parlament umgangen wurde. Nirgendwo im westlichen Europa wurde in der Nachkriegszeit die Politik so schnell ausgehebelt wie in Griechenland!

„Der Leichtsinnigkeit der Kreditnehmer stand eine verfehlte Politik der Kreditgeber gegenüber.“

Gewiss, die Verantwortung der früheren griechischen Regierung, die, – verleitet von niedrigen Zinsen – Schulden anhäufte, ist allen bewusst. „Die alte Pasok (sozialdemokratische Partei, d.R.) war das Krebsgeschwür der Gesellschaft“, erklärt ein junger Absolvent der Athener Universität. Trotzdem beobachten viele Griechen mit Unverständnis, wie einseitig die Debatte über die Schuldenkrise in Deutschland geführt wird. Wurde Griechenland während der Wachstumsjahre nicht stets als Beispiel für eine erfolgreiche EU-Politik bejubelt? War das Land kein guter Abnehmer deutscher Produkte, die mit deutschen Krediten zu niedrigen Zinsen bezahlt wurden? Für die exportorientierte Bundesrepublik war es kein Problem, wenn billiges Geld die Kauffreude des Landes antrieb. Der Leichtsinnigkeit der Kreditnehmer stand eine verfehlte Politik der Kreditgeber gegenüber.

Hätten nicht in dieser kritischen Situation die griechischen Volksvertreter die Verhandlungen führen müssen, um ein Ergebnis auszuhandeln, das auch die Interessen der Bevölkerung berücksichtigt? Stattdessen wurden die Verluste, die die Banken normalerweise hätten mittragen müssen, von der Bundesregierung aufgefangen, und Griechenland bekam ein enges Sparkorsett verpasst. Fortan hatte die Bevölkerung des Landes den größten Teil der Schulden zu tragen. In der neu entstandenen EU-Hierarchie fand sich Griechenland am unteren Rand wieder. Als Schuldnerstaat musste es sich der Kontrolle fremder Herren unterwerfen, die als Vertreter der Troika anrückten. Die Bevölkerung dagegen hat bisher wenig vom europäischen Stabilisierungsmechanismus (der deutsche Anteil beträgt 21,7 Milliarden Euro Einzahlungen und über 168 Milliarden Euro Gewährleistungen) mitbekommen.

Wie schlimm es um ihr Mitbestimmungsrecht stand, durften die Griechen zum ersten Mal im Herbst 2011 erfahren. Damals musste der griechische Premierminister eine Volksabstimmung absagen, nachdem er von EU Politikern – allen voran Angela Merkel – unter Druck gesetzt wurde. Giorgos Papandreou, der wegen der Schuldenkrise mit dem Rücken zur Wand stand, hatte erkannt, dass die Durchsetzung der Sparmaßnahmen für seine Regierung schwer würde. Der gesellschaftliche Konsens, so sein Argument, müsse hergestellt werden. Doch die Vertreter der „Kreditorenländer“ fürchteten einen negativen Ausgang der Abstimmung. Nur wenige Tage später trat Giorgos Papandreou zurück und wurde von einer technokratischen Übergangsregierung von „Brüssels Gnaden“ ersetzt.

„Zeigt der Umgang mit dem griechischen Souverän nicht ein unerhörtes Maß an Missachtung für den Volkswillen?“

Dieser unerhörte Vorgang ist bei uns in Deutschland bis heute kaum aufgearbeitet worden. „Sollte Deutschland mehr tun, um Griechenland zu helfen?“, war eine der Fragen aus dem Publikum in Athen. Gewiss, die EU will und kann keine Transferunion sein. Auch die Bürger hierzulande wurden nicht in die Entscheidungen zur Einrichtung des „Rettungsfonds“ einbezogen. Niemand kann sagen, wie eine Volksabstimmung hierzulande über den Stabilitätsmechanismus ausgehen würde. Doch wäre es nicht gerade deswegen richtig, sich mit der griechischen Bevölkerung solidarisch zu zeigen? Zeigt der Umgang mit dem griechischen Souverän nicht ein unerhörtes Maß an Missachtung für den Volkswillen? Der herrschaftliche Politikstil, der hier zum Ausdruck kommt, hätte auch uns Deutsche in Angst und Schrecken versetzen müssen.

Bei der Debatte im Athener Buchlanden Free Thinking Zone wollte keiner der Gäste die EU allzu harsch kritisieren: Es möge sein, dass es in der EU Demokratiedefizite gibt. Auch sei es nicht verkehrt, die Union als elitäres Projekt zu bezeichnen, das von der Bevölkerung weitgehend abgekoppelt ist. Doch welche Alternative habe Griechenland? Nicht die Begeisterung für die EU hält das Land im Verbund, sondern die Angst, noch weiter im Status zu fallen und schon bald nicht mehr als westlicher Staat wahrgenommen zu werden. „Ich weiß, was es heißt, nicht zum Westen zu gehören, denn ich komme ursprünglich aus Ägypten“, sagt Dr. Platon Tinios von der liberalen griechischen Partei. „Wir brauchen Strukturen“, fügt er hinzu. Die Frage, welche Strukturen das sind, muss noch beantwortet werden.


Dieser Artikel ist Teil der Novo-Schwerpunktwoche zur Europawahl.

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