16.04.2013

Glücksstudie: Den Kindern geht’s gut!

Von Sabine Beppler-Spahl

Laut einer aktuellen Unicef-Studie sind deutsche Kinder nicht so glücklich wie andere Kinder. Das sorgte für Bestürzung bei der Kinderschutzlobby. Was bei der Panikmache übersehen wurde: Nur eine kleine Minderheit hält sich für unglücklich. Ein Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

„Deutschlands unglückliche Kinder“ titelten die Presseagenturen letzte Woche. Auslöser der Meldung war die Veröffentlichung einer Unicef-Studie zum Kindeswohl, die ergeben hat, dass deutsche Kinder trotz (oder wegen?) materiellen Wohlstands unglücklicher seien als viele ihrer Altersgenossen in anderen Industrienationen. Schaut man sich die Studie an, erkennt man schnell, dass das Ausmaß des Unglücks in Wirklichkeit sehr bescheiden ausfällt.

Die Innocenti-Studie verarbeitet eine riesige Menge Daten. Sie gibt Informationen über objektiv zu ermittelnde Kennzahlen wie z. B. Kindersterblichkeit, Impfrate, Vorschulangebote oder die Zahl der Räume pro Person in 29 Industriestaaten. Der Studie ist auch zu entnehmen, wie häufig an deutschen Schulen gemobbt wird, ob die Kinder frühstücken und wie eng das Verhältnis zu ihren Eltern ist.

Was die objektiven Zahlen anbetrifft, müssen auch die größten Pessimisten zugeben, dass es deutschen Kindern nicht schlecht, sondern sehr gut geht. Nie zuvor hatten Kinder so viel Wohnraum oder ein so umfassendes Vorschulangebot. Die Gesundheitsversorgung ist hervorragend, immer mehr Kinder essen Obst und auch die Pisa Ergebnisse lassen sich sehen.

„Schwarzseher müssen sich regelrecht verrenken.“

Warum also die Negativmeldungen? Das subjektive Befinden gibt den Ausschlag. Die deutschen Kinder, so heißt es, sind trotz hohem Wohlstand ziemlich unzufrieden. Doch selbst hier müssen sich die Schwarzseher regelrecht verrenken, um den Blick auf das Schlechte zu wenden: Sogar in den Ländern, die bei der Selbsteinschätzung zu den Tabellenletzten gehören, orten sich über 75 Prozent der befragten Kinder über dem Mittelwert der Lebenszufriedenheitsskala ein. In Deutschland, das auf Platz 22 von 29 landete – und damit immerhin noch vor Kanada, Polen und anderen Ländern - sind es gut 83 Prozent der befragten Kinder. Anders ausgedrückt: Nur 17 Prozent der deutschen Kinder bezeichnen sich als eher unglücklich.

Das ist – den Meldungen zum Trotz – ein tolles Ergebnis. Es wird noch besser, wenn wir berücksichtigen, dass es sich bei den Befragten ausschließlich um Kinder im Alter von 11, 13 und 15 Jahren handelt. Ist das nicht ein Alter, in dem das Unglücklichsein quasi zum Normalzustand gehört? Stimmt vielleicht etwas mit unseren Jugendlichen nicht, dass nur so wenige von ihnen unglücklich sind? Wenn heute so viele Kinder in einem bekanntermaßen schwierigen Alter, in dem jeder einmal Trübsal bläst, bei einer simplen Umfrage angeben, überwiegend glücklich zu sein, dann ist dies doch ein Grund zur Freude.

„Hier geht es nicht um Objektivität, sondern darum, aus einigen Zahlen einen Trend heraufzubeschwören.“

Zum Freuen ist der Kinderschutzlobby aber offensichtlich nie zumute. Das würde nicht in das Bild des verletzlichen Kindes passen, das sie seit langem pflegt und das die eigene Arbeit so wichtig werden lässt. Jedes kindliche Unglück wird als Zumutung oder grundlegendes Übel gewertet. So hat zum Beispiel die „Achtung! Kinderseele – Stiftung für die psychische Gesundheit von Kindern“ den nach eigenen Aussagen „bestürzenden Befund“ der Studie sofort aufgegriffen und fordert eine (noch) stärkere Achtsamkeit für die seelische Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen. „Nach der erfolgreichen Agenda zur Verbesserung, z. B. der schulischen Rahmenbedingungen nach dem PISA-Schock, ist nun eine vergleichbare Anstrengung zur Förderung des ‚emotionalen Wohlbefindens‘ und der wahrgenommenen Lebenszufriedenheit von Kindern in Deutschland zu fordern“, lesen wir auf ihrer Webpage.

Dabei wird natürlich auch auf einen Seitenhieb gegen die Eltern nicht verzichtet. Deren Wahrnehmung von emotionalen Problemen bei Kindern sei oft schambesetzt. Die Botschaft, die hier aus einer sozialstatistischen Glücksumfrage gezogen wird, ist so überzogen wie klar: Mehr Kinder, als wir glauben, sind gefährdet und nur der Berufstand der Psychologen und Psychiater kann Abhilfe schaffen. Tatsächlich aber kann eine Studie wie die der Unicef keinerlei Aussage darüber treffen, wie viele Kinder und Jugendliche in Deutschland wirklich psychische Hilfe benötigen. Doch hier geht es nicht um Objektivität, sondern darum, aus einigen Zahlen einen Trend heraufzubeschwören.

„Empirische Glücksstudien haben ihre Grenzen.“

Es ist weder neu, noch überraschend, dass Studien genutzt werden, um eigene Anliegen zu stärken. Statt die Ergebnisse rational zu würdigen, werden schnell Schlüsse gezogen und die üblichen Ängste verbreitet. So wollen manche aus dieser Studie erkennen, dass deutsche Kinder unter einem überhöhten Leistungsdruck zu leiden haben oder sich „ausgegrenzt“ fühlen.

Nichts davon kann die Studie belegen und es fällt schwer zu begründen, warum deutsche Kinder mehr Druck haben sollten als z. B. englische, französische, niederländische oder spanische, die bei der Frage der Zufriedenheit besser abschneiden. Genauso plausibel wäre, dass deutsche Kinder zu wenig Druck haben oder dass ihnen schon viel zu lange eingeredet wird, es müsse ihnen schlecht gehen – schließlich wissen wir, dass Glück auch mit Erwartungshaltung zu tun hat. Empirische Glücksstudien haben ihre Grenzen. Aus den Umfragewerten auf einen überhöhten Leistungsdruck zu schließen, ist genauso unsinnig wie die Annahme, es seien die fehlenden Prügeleien auf deutschen Pausenhöfen, die den Kindern zu schaffen machten; denn hier liegt Deutschland, ganz löblich, an der Spitze mit den wenigsten physischen Auseinandersetzungen.

Dass eine überwiegend positive Studie so negativ ausgelegt wird, hat verschiedene Ursachen. Sie erklären sich nicht nur aus den Interessen der Kinderschutzlobby. Ein wichtiger Grund dürfte sein, dass die Studie Kulturpessimisten zu bestätigt scheint, die im materiellen Wohlstand die Ursachen allen geistigen Übels unserer Zeit sehen. So liefert sie die pseudo-wissenschaftlichen Belege für diejenigen, die gesellschaftliche Ambitionen herunterschrauben wollen, Glück statt Wohlstand predigen und uns gleichzeitig am liebsten alle in Therapie sehen würden. Wie schön, dass sich die meisten nicht davon beirren lassen. Unseren Kindern geht es in der Mehrzahl gut, und das ist wunderbar!

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