26.02.2013

Geschichtsblinder Pseudoliberalismus

Kurzkommentar von Kai Rogusch

In der aktuellen Debatte um die Homoehe bleibt der eigentliche Gehalt der Familie auf der Strecke. Die heterosexuelle Familie muss als Schnittstelle einer unmittelbar erlebten Vergangenheit und einer unmittelbar erlebten Zukunft verteidigt werden. Ein Kommentar von Kai Rogusch.

Die mediale Diskussion über die sogenannte „Homoehe“ ist überwiegend banal und geschichtsblind. Es ist den Kommentatoren in der Medienlandschaft zwar nicht entgangen, dass der klassische Konservatismus endgültig entkernt ist und sich die Merkel-CDU mit ihrer Kehrtwende einmal mehr einem vorgeblichen Zeitgeist anpasst. Doch kaum einer ahnt, dass es hier mitnichten um eine liberale Entwicklung, sondern um eine undemokratische Anpassung an die wachsende Unverbindlichkeit und Stagnation unserer Gesellschaft geht.

Die CDU nimmt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption zum Anlass, die herausgehobene Stellung der Ehe einzuebnen und räumt damit eine weitere klassisch konservative Position. Damit hat die traditionelle Auffassung der Familie als „Keimzelle der Nation“ wohl endgültig ausgedient. Mal wieder ist dabei das Bundesverfassungsgericht der Taktgeber einer orientierungslosen Politik. Schon an diesem Punkt handelt es sich um eine höchst problematische Entwicklung: Wenn einzelne Urteile der höchsten deutschen Richter die CDU förmlich einknicken lassen, dann ist die grassierende Beliebigkeit mit Händen zu greifen.

„So lange Menschen nicht in Fabriken erzeugt werden, sollte die heterosexuelle Familie verfassungsrechtlich geschützt bleiben.“

Es ist armselig, wie die Merkel-CDU nebulös-populistisch auf einen angeblichen „Wertewandel“ verweist und sich dabei ihr Handeln von einer nicht durch demokratische Wahlen legitimierten Gerichtsbarkeit diktieren lässt. So bricht sich gerade in einer Zeit, die durch eine immer kleinteiligere Regulierung unseres Alltags – siehe etwa die Rauchverbote – geprägt ist, immer mehr ein verstörender Pseudoliberalismus seine Bahn. Und gerade konservative Kommentatoren ahnen, dass hier etwas Seltsames im Gange ist. Der F.A.Z.-Redakteur Reinhard Müller bemerkt dunkel, dass die Relativierung der ehelichen Familie zwischen Mann und Frau den „Fortbestand“ unseres Gemeinwesens in Frage stellt. Damit kommt er der dem Kern der Sache nahe. Wenn vielleicht auch anders als er glaubt. Denn natürlich können Frauen und Männer auch ohne Trauschein Kinder in die Welt setzen und liebevoll großziehen. Auch soll nicht in Abrede gestellt werden, dass gleichgeschlechtliche Partner gute Eltern seien können. Aber was an den gegenwärtigen Debatten über den gesellschaftlichen Rang von Ehe und Familie vor allem verstört, ist die Tatsache, dass unsere Gesellschaft immer geschichtsblinder wird.

Uns kommt immer mehr der Sinn für die dynamische und intergenerationelle Wechselbeziehung zwischen Vergangenheit und Zukunft abhanden. Die eheliche, aus einer heterosexuellen Verbindung hervorgehende Familie kombiniert Verbindlichkeit und gesellschaftliche Reproduktion mit einer die Generationen übergreifenden Dynamik. So sehr die Entscheidung, eine homosexuelle Lebenspartnerschaft einzugehen, auch zu respektieren ist: Sie kann gerade nicht die Reproduktion der Gesellschaft und damit ihre geschichtliche Fortentwicklung sichern. Dieser entscheidende Unterschied wird heute nicht mehr erkannt, denn die Politik hat die wirkmächtigen Trends einer wachsenden Orientierungslosigkeit und gesellschaftlichen Stagnation vollends verinnerlicht.

So lange Menschen nicht in Fabriken erzeugt werden, sollte die heterosexuelle Familie verfassungsrechtlich geschützt bleiben. Sie ermöglicht einen privaten und damit nicht zuletzt auch staatsfernen Lebensraum, der Geschichte und zwischenmenschliche Solidarität konkret und unmittelbar erlebbar macht. Sie steht für die Wertschätzung einer intimen Lebenssphäre, die einerseits die Reproduktion unserer Gesellschaft ermöglicht, auf der anderen Seite aber den aus dieser Keimzelle hervorgehenden Menschen einen autonomen und generationenübergreifenden Lebenszusammenhang bietet.

Unserem Dasein lässt sich nur Sinn geben, wenn wir Familie als Schnittstelle einer unmittelbar erlebten Vergangenheit und einer unmittelbar erlebten Zukunft verteidigen.

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