01.01.1999

Für das freie Wort

Von Novo-Redaktion

Die Initiative "Für das freie Wort" sammelt Spenden für den Gerichtsprozess von LM gegen ITN.

Knapp drei Jahren nach Einreichung der Klage des britischen Nachrichtensenders ITN (Independent Television News) gegen das britische Magazin LM steht der Gerichtstermin für den Rechtsstreit nun endlich fest: Am 28. Februar 2000 beginnt die Verhandlung vor dem High Court in London, dem höchsten und teuersten Gericht Englands. Die Prozessdauer ist zunächst auf drei Wochen festgelegt.

Damit kommt ein sehr trauriges Kapitel der englischen Mediengeschichte zumindest vorläufig zum Ende. Denn bei diesem Rechtsstreit klagt ein multimillionen-pfund-schweres Medienunternehmen gegen eine kleine Zeitschrift, der es nur schwerlich gelungen ist, die bisher entstandenen Kosten für die Prozessvorbereitung aufzubringen. Bei dieser Klage handelt es sich zudem um einen eklatanten Angriff eines privaten Fernsehsenders gegen die Pressefreiheit - ein Novum in der modernen Mediengeschichte. ITN, wegen investigativer Reportagen in der Vergangenheit selbst schon Angeklagter bei Ehrschutzprozessen, hat sich des restriktiven Ehrschutzgesetzes, des britischen "libel law", ermächtigt, um Kritikern das freie Wort zu verbieten.1

Anlass der Klage war die Veröffentlichung eines Artikels des Novo-Chefredakteurs und freien Journalisten Thomas Deichmann in der Ausgabe Februar 1997 des Magazins LM.2

Deichmann hatte darin gezeigt, dass Teile der ITN-Berichterstattung über das bosnisch-serbische Lager Trnopolje vom Sommer 1992 irreführend waren. Seine Recherche hatte ergeben, dass es sich bei Trnopolje um ein Flüchtlings- und Transitlager handelte, nicht aber um ein Konzentrationslager, wie es die berühmte ITN-Aufnahme des abgemagerten Fikret Alic, einen bosnischen Moslems, hinter Stacheldraht suggerierte. Deichmann sprach von einer Täuschung, weil der gefilmte Stacheldrahtzaun nicht um das Lager herum stand, sondern vielmehr um ein kleines, vor dem Krieg als Bauhof genutztes Areal. Auf diesem Areal standen die Reporter, und sie filmten von dort heraus. Die Journalisten waren demnach von Stacheldraht umgeben, nicht aber das Lager oder Fikret Alic.

 

ITN hat die Gewalt des weltweit als pressefeindlich berüchtigten Gesetzes voll ausgeschöpft, um LM in die Enge zu drängen:

1. ITN war nicht daran interessiert, die strittige Sachlage durch Veröffentlichung des vollständigen Filmmaterials aus dem Lager Trnopolje (auch der unveröffentlichten Passagen, von denen Deichmann Kopien besitzt) zu klären. Eine öffentliche Diskussion in Großbritannien ohne Einbeziehung des Gerichts konnte nicht stattfinden.

2. Stattdessen wurde das Libel-Gesetz genutzt, um in Großbritannien jede weitere Diskussion über die Enthüllungen Deichmanns unter Androhung gerichtlicher Schritte zu unterbinden. Seit Einreichung der Klage hängt eine Zensurglocke über seiner investigativen Reportage.

3. ITN beschränkte sich überdies nicht auf eine normale Verleumdungsklage, die für die Beklagten schon horrende Folgen haben kann. Der Nachrichtensender klagt vielmehr auf "böswillige Verleumdung" und treibt damit die zu erwarteten Schadensersatzansprüche in die Höhe. Verliert LM den Prozess (was leider in Anbetracht der unvorteilhaften Gesetzeslage nicht unwahrscheinlich ist), wird es für die Beklagten womöglich doppelt so teuer.

Diese Methoden fallen umso mehr ins Gewicht, als der Sachverhalt, der Auslöser der Klage war, von ITN bislang in keiner Weise widerlegt werden konnte. Im Gegenteil: Die Recherche von Deichmann hat bisher jeder Prüfung stand gehalten und sich als wahrheitsgetreu, äußerst professionell und stichhaltig erwiesen. ITN hat unterdessen selbst eingeräumt, dass es keinen Stacheldrahtzaun um das Lager gab und Trnopolje, entgegen der weitläufigen Meinung, kein typisches Gefangenenlager, sondern eine Art Flüchtlingslager war.

Schon im Juni 1997 wurde zur Unterstützung von LM die Initiative "Für das freie Wort" gegründet.3

Sie setzt sich dafür ein, dass der Inhalt und die möglichen Folgen des Rechtsstreits öffentlich diskutiert werden können. Aber die Initiative will nicht nur "moralische" Stütze sein. Es geht auch darum, Spenden zu sammeln.

 

Um den anstehenden Prozess finanziell durchstehen zu können, benötigt LM nun bis Februar noch etwa 240.000 DM. Wir möchten auch Sie bitten, einen finanziellen Beitrag dafür zu leisten, dass LM bestmöglich vorbereitet seine Verteidigung antreten kann. Bitte schicken Sie einen Scheck oder überweisen Sie eine Spende auf das Konto der Initiative:

Initiative Für das freie Wort

c/o Novo, Postfach 600843, D - 60338 Frankfurt

Spendenkonto: Kennwort "Für das freie Wort"

Frankfurter Sparkasse 1822, Blz 500 502 01, Kto 030 585 7231

 

 

aus: Novo, Nr.44, Januar/Februar 2000, S.45

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